Titel:
Einkommensteuererklärungen für eine Erblasserin
Normenketten:
EStG § 2 Abs. 5b, § 32d Abs. 6, § 43 Abs. 5 S. 1§ 46 Abs. 2 Nr. 1, 8
AO § 169 Abs. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
FGO § 52a, § 52d, § 90 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 135 Abs. 1
Leitsatz:
Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass eine Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist. (vgl. BFH, Urteil vom 14.07.2020, VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92, BeckRS 2020, 26473) (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Kapitaleinkünfte
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VI R 17/23
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
StEd 2023, 531
EFG 2023, 1234
ErbStB 2023, 286
LSK 2023, 20470
BeckRS 2023, 20470
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob für die Jahre 2014 und 2015 eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist.
2
Die Kläger sind zu je ½ die Gesamtrechtsnachfolger nach der am 30.03.2018 verstorbenen A (im Folgenden: Erblasserin).
3
Sie reichten am 30.12.2020 die Einkommensteuererklärungen für 2014 und 2015 für die Erblasserin ein. Sie erklärten darin jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) i.H.v. 32.628 €, die dem inländischen Lohnsteuerabzug unterlegen hatten.
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Außerdem wurden Kapitalerträge i.H.v. 4.543 € (2014) bzw. 1.476 € (2015) erklärt, die dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, sowie für 2015 ausländische Kapitalerträge i.H.v. 2.683 €, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben. Die Kläger beantragten in beiden Streitjahren die Günstigerprüfung.
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Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 21.01.2021 die Einkommensteuerveranlagungen für 2014 und 2015 ab, da die Festsetzungsfrist abgelaufen sei und keine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen bestanden habe.
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Hiergegen legten die Kläger durch den Prozessbevollmächtigten am 28.01.2021 Einspruch ein.
7
Zur Begründung führten sie (unter inhaltlichem Bezug auf das gleichgelagerte Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2012) aus, dass gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung durchzuführen sei, da die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, jeweils mehr als 410 € betragen habe. Die Regelung in § 2 Abs. 5b EStG stehe der Einbeziehung der Kapitalerträge in die Prüfung der 410 €-Grenze nicht entgegen, wenn ein Antrag auf Günstigerprüfung gestellt werde, da die Kapitalerträge damit zwingend Bestandteil der Steuerfestsetzung und gerade nicht mehr außerhalb derselben durch den Steuereinbehalt abgegolten seien. Der BFH habe im Urteil vom 28.07.2021 (X R 35/20, BFH/NV 2022, 1) die strittige Rechtsfrage nicht entschieden.
8
Mit Einspruchsentscheidung vom 31.08.2022 wies das Finanzamt den Einspruch als unbegründet zurück.
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Es führte zur Begründung aus, dass die Veranlagungen für die Streitjahre wegen der bereits eingetretenen Festsetzungsverjährung zu Recht abgelehnt worden seien.
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Bei den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre handele es sich jeweils um eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG. Die Festsetzungsfrist beginne daher gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei. Sie habe für den Veranlagungszeitraum 2014 mit Ablauf des 31.12.2018 und für den Veranlagungszeitraum 2015 mit Ablauf des 31.12.2019 geendet.
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Die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO greife nicht, wenn keine Steuererklärung einzureichen sei. Ein Pflichtveranlagungsfall sei vorliegend nicht gegeben, denn bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2018 bzw. 2019 habe kein Veranlagungstatbestand gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG vorgelegen.
12
Die nach Ablauf der jeweiligen Festsetzungsfrist eingereichten Einkommensteuererklärungen könnten nicht nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken.
13
Zwar führe der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG dazu, dass die durch den Kapitalertragsteuerabzug abgeltend besteuerten Kapitalerträge (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) aufgrund des Veranlagungswahlrechts nunmehr nach den allgemeinen Regelungen zu besteuern seien. Daraus folge, dass die Kapitalerträge abweichend von der Norm des § 2 Abs. 5b EStG den übrigen tariflich besteuerten Einkünften hinzuzurechnen seien, wenn die sich daraus ergebende Einkommensteuer niedriger sei als die Einkommensteuerfestsetzung zum gesonderten Tarif nach § 32d Abs. 1 EStG. Andernfalls gelte der Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG als nicht gestellt.
14
So wie jedoch eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist dann nicht mehr hemme, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugehe, könne der Steuerpflichtige eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 32d Abs. 6 EStG nicht herbeiführen.
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Zudem habe der BFH zuletzt ausgeführt (vgl. Urteil vom 21.08.2019 X R 16/17, BStBl II 2020, 99), dass der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kein rückwirkendes Ereignis darstelle, sofern die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 4 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorgelegen hätten. Dies gelte gleichermaßen für das aus § 32d Abs. 6 EStG folgende Günstigerprinzip (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.01.2020 4 K 4033/19, EFG 2020, 532 mit Anm. Arndt).
16
Die Kläger hätten ihr Wahlrecht nach § 32d Abs. 6 EStG ohne weiteres innerhalb der regulären Festsetzungsfristen bis zum Ablauf des 31.12.2018 bzw. bis zum Ablauf des 31.12.2019 ausüben können, da die Steuerbescheinigungen innerhalb dieser Zeiträume vollständig vorgelegen hätten. Damit sei der jeweilige Anspruch aus dem Schuldverhältnis zum 31.12.2018 bzw. zum 31.12.2019 erloschen und die Belastung der Kapitalerträge mit dem die Einkommensteuer abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug sei definitiv geworden.
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Die Kläger verfolgen ihr Begehren mit der am 04.10.2022 erhobenen Klage weiter.
18
Zur Begründung weisen sie darauf hin, dass der Antrag auf Einbeziehung der Kapitalerträge in die Einkommensteuerveranlagung ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht darstelle (Hinweis auf BFH-Urteil vom 21.08.2019 X R 16/17, BStBl II 2020, 99). Weiter habe der BFH in seinem Urteil vom 14.07.2020 (VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92) entschieden, dass eine Antragstellung gem. § 32d Abs. 6 EStG ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei.
19
Es sei aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich, dass der Antrag auf Günstigerprüfung bis zum 31.12.2018 bzw. 31.12.2019 hätte gestellt werden müssen. Hätte der Gesetzgeber diese zeitliche Einschränkung gewollt, hätte er sie im Text des § 46 EStG erfasst.
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Die Kläger beantragen sinngemäß, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.01.2021 sowie der Einspruchsentscheidung vom 31.08.2022 den Beklagten zu verpflichten, auf der Basis der eingereichten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2014 und 2015 jeweils eine Veranlagung durchzuführen,
die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
21
Der Beklagte beantragt,
22
Er ergänzt die Einspruchsentscheidung dahingehend, dass nach dem BFH-Urteil vom 14.07.2020 (VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92) die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG selbst kein rückwirkendes Ereignis darstelle. Der BFH meine den Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft/Festsetzungsverjährung der Steuerfestsetzung vorliegen und es allein an der notwendigen Antragstellung fehle. Dies sei hier der Fall. Werde der Antrag in einem derartigen Fall nach Eintritt der Bestandskraft/Festsetzungsverjährung erstmals gestellt, sei die Antragstellung nach § 32d Abs. 6 EStG kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
23
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 2 FGO einverstanden erklärt.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
25
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
26
I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
27
Der Beklagte hat die Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre mit Verwaltungsakt vom 21.01.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.08.2022 zu Recht abgelehnt. Die Kläger haben aufgrund eingetretener Festsetzungsverjährung keinen Anspruch auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für 2014 und 2015.
28
1. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO).
29
Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.
30
Die Einkommensteuer 2014 ist gemäß § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Veranlagungszeitraums entstanden; somit begann die Frist mit Ablauf des 31.12.2014 zu laufen. Die gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vierjährige Festsetzungsfrist – Anhaltspunkte für eine Anwendung der verlängerten Fristen des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich – endete damit am 31.12.2018.
31
Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 2015 endete dementsprechend mit Ablauf des 31.12.2019.
32
Bei Einreichung der Einkommensteuererklärungen für 2014 und 2015 am 30.12.2020 war mithin Festsetzungsverjährung eingetreten und eine Veranlagung gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig.
33
2. Zwar beginnt nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO die Festsetzungsfrist abweichend hiervon, wenn eine Steuererklärung oder Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, und spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.
34
Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. EStG nur durchgeführt, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um bestimmte – vorliegend nicht einschlägige – Beträge, mehr als 410 € beträgt.
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Der Anlauf der Festsetzungsfrist ist allerdings dann nicht gehemmt, wenn keine Steuererklärung einzureichen ist (Antragsveranlagung, § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG). Denn die dreijährige Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist bei einer Antragsveranlagung nicht anwendbar (st. Rspr., vgl. BFH-Urteile vom 14.04.2011 VI R 53/10, BStBl II 2011, 746; vom 17.01.2013 VI R 32/12, BStBl II 2013, 439 und vom 28.07.2021 X R 35/20, BFH/NV 2022, 1).
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3. Bei der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2014 bzw. 2015 handelt es sich nicht um Pflichtveranlagungen i.S.v. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, sondern jeweils um eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG.
37
Bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2018 bzw. 2019 bestand mangels Veranlagungstatbestandes gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG keine Steuererklärungspflicht.
38
Die erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichten Einkommensteuererklärungen konnten auch nicht nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken.
39
Zwar führt der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG dazu, dass die durch den Kapitalertragsteuerabzug abgeltend besteuerten Kapitalerträge (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) aufgrund des Veranlagungswahlrechts nunmehr nach den allgemeinen Regelungen zu besteuern sind. Daraus folgt, dass die Kapitalerträge abweichend von der Norm des § 2 Abs. 5b EStG den übrigen tariflich besteuerten Einkünften (hier aus nichtselbständiger Arbeit) hinzuzurechnen sind, wenn die sich daraus ergebende Steuer niedriger ist als die Einkommensteuer nach § 32d Abs. 1 EStG.
40
Der erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellte Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG auf Günstigerprüfung vermag jedoch eine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen Überschreitens der dort normierten 410 €-Grenze nicht zu begründen.
41
Ebenso wie eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist dann nicht mehr hemmt, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugeht (vgl. BFH-Urteil vom 28.03.2012 VI R 68/10, BStBl II 2012, 711 m.w.N), gilt dies gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i.V.m. § 32d Abs. 6 EStG herbeiführt (vgl. Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.01.2020 4 K 4033/19, EFG 2020, 532; a.A. Sächsisches FG, Gerichtsbescheid vom 16.11.2017 6 K 1271/17, juris: Anlaufhemmung greift).
42
4. Der Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG kann zwar zeitlich unbefristet gestellt werden (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.2015 VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; vom 09.08.2016 VIII R 27/14, BStBl II 2017, 821, vom 21.08.2019 X R 16/17, BStBl II 2020, 99).
43
Die Möglichkeit, aufgrund der Antragstellung eine Herabsetzung der festzusetzenden Einkommensteuer zu erreichen, wird aber u.a. durch das allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft begrenzt, so dass das Wahlrecht bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung ausgeübt werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 12.05.2015 VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; vom 21.08.2019 X R 16/17, BStBl II 2020, 99; vom 14.07.2020 VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92).
44
Im Urteil vom 14.07.2020 VIII R 6/17, BStBl II 2021, 92, Rn. 24 führt der BFH aus wie folgt: „Wie der Senat bereits entschieden hat, ist die Antragstellung selbst kein rückwirkendes Ereignis (Senatsurteil in BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 24, mit Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE 247, 105, BStBl II 2015, 138, Rz 20; ebenso zum Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG BFH-Urteil in BFHE 266, 163, BStBl II 2020, 99, Rz 45). Gemeint ist hiermit der Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorliegen, also die Hinzurechnung der Kapitalerträge zu den übrigen Einkünften aufgrund der der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt, und es allein an der notwendigen Antragstellung fehlt. Wird der Antrag in diesem Fall nach Eintritt der Bestandskraft erstmals gestellt, ist die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG kein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.“
45
Weiter führt der BFH in Rn. 25 des genannten Urteils aus: „Werden nach Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid geänderte Besteuerungsgrundlagen in einer Weise berücksichtigt, dass ein Antrag gemäß § 32d Abs. 6 EStG – erstmals erfolgreich – gestellt werden kann, handelt es sich um ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.“
46
5. Der vorliegende Fall ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass nicht dargelegt wurde, dass die Voraussetzungen für den Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG erstmals nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nach Ablauf des 31.12.2018 bzw. 31.12.2019 vorgelegen haben.
47
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG waren vielmehr bereits jeweils vor Eintritt der Festsetzungsverjährung gegeben. Es fehlte allein an der notwendigen Antragstellung durch die Erblasserin bzw. die Kläger als deren Gesamtrechtsnachfolger.
48
Bei dieser Sachlage besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch kein Bedürfnis, den erst nach Eintritt der Bestandskraft gestellten Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG zurückwirken zu lassen (vgl. BFH-Urteil vom 20.08.2014 X R 33/12, BStBl II 2015, 138; vom 12.05.2015 VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806; FG Düsseldorf, Urteil vom 16.07.2020 15 K 279/19 E, EFG 2021, 1552, Rev. anhängig unter VIII R 10/21).
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Die erstmals für die Streitjahre jeweils am 30.12.2020, d.h. nach Eintritt der Festsetzungsverjährung, gestellten Anträge gemäß § 32d Abs. 6 EStG führten daher nicht zu einer nachträglichen rückwirkenden Anlaufhemmung und nicht zur Hinzurechnung der Kapitaleinkünfte zu den übrigen Einkünften. Der Tatbestand der Pflichtveranlagung nach § 46 Abs. 1 Nr. 2 EStG liegt mithin nicht vor.
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6. Die Klage ist abzuweisen.
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II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, weil sie unterlegen sind (§ 135 Abs. 1 FGO).
52
III. Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO), da der Senat mit der vorliegenden Entscheidung von dem als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid des Sächsischen Finanzgerichts vom 16.11.2017 (6 K 1271/17, juris) abweicht.