Inhalt

OLG München, Beschluss v. 10.07.2023 – 4 W 482/23 E
Titel:

Unterbrechung gilt auch für Streitwertbeschwerdeverfahren

Normenkette:
ZPO § 240
Leitsatz:
Jedenfalls wenn auch ein Berufungsverfahren anhängig ist, ist gem. § 240 ZPO auch ein Streitwertbeschwerdeverfahren, mit dem die in der ersten Instanz erfolgte Streitwertfestsetzung vom Beschwerdegericht überprüft werden soll, unterbrochen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzeröffnung, Streitwertbeschwerde, Unterbrechung
Vorinstanz:
LG München I, Beschluss vom 29.11.2022 – 6 O 5620/15
Fundstellen:
ZInsO 2024, 85
EWiR 2023, 627
ZIP 2023, 2006
MDR 2023, 1271
BeckRS 2023, 20376
LSK 2023, 20376
ZRI 2023, 918

Tenor

1. Das Verfahren über die Streitwertbeschwerde ist gemäß § 240 ZPO unterbrochen.
2. Der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts München I vom 29.11.2022, Az. 6 O 5620/15, wird aufgehoben.

Gründe

I.
1
Das Landgericht München I hat mit Beschluss vom 10.06.2022 den Streitwert auf 24.827.537,15 € festgesetzt. Gleichzeitig verkündete es ein Endurteil, gegen das die Beklagte am 14.07.2022 Berufung einlegte und nach Fristverlängerung am 16.09.2022 begründete. Der Klage liegen Forderungen von acht Gesellschaften einer Unternehmensgruppe zugrunde, die allesamt insolvent sind und für die der gleiche Insolvenzverwalter bestellt wurde.
2
Gegen die Streitwertfestsetzung wurde vom Klägervertreter „namens und in Vollmacht des Klägers“ am 11.08.2022 Beschwerde eingelegt, mit dem Ziel, den Streitwert auf 2.000.000,00 € zu reduzieren (Bl. 678 d.A.).
3
Am 20.10.2022 wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet.
4
Mit Beschluss vom 29.11.2022 half das Landgericht – wohl in Unkenntnis der inzwischen erfolgten Insolvenzeröffnung – der Beschwerde nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht vor.
5
Ein Aufnahmeantrag in dem unterbrochenen Berufungsverfahren wurde nicht gestellt; das Insolvenzverfahren dauert an.
6
Mit Verfügung vom 03.05.2023 hat der Senat Hinweise erteilt, zu denen sich der Bevollmächtigte der Kläger mit Schriftsatz vom 24.05.2023 geäußert hat. Er ist der Meinung, das Beschwerdeverfahren sei nicht unterbrochen, ggf. könne der bestellte Insolvenzverwalter am Verfahren beteiligt werden.
II.
7
Auf den Antrag des Klägervertreters hin, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen und in der Sache zu entscheiden, ist zur Klarstellung die Unterbrechung des Beschwerdeverfahrens auszusprechen; die in Unkenntnis der Unterbrechung ergangene Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts ist deklaratorisch aufzuheben.
8
Es kann mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, ob der Antrag auf Streitwertherabsetzung vom 11.08.2022 sowie die Beschwerde nur im Namen des Klägers zu 1) oder im Namen aller acht Kläger gestellt wurde. Der Schriftsatz verwendet den Singular, das dort verwandte Kurzrubrum nennt, wie auch in anderen früher eingereichten Schriftsätzen, den Kläger zu 1 „u.a“.
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1. Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 240 S. 1 ZPO unterbrochen.
10
Nach § 240 Satz 1 ZPO wird im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Verfahren, wenn es die Insolvenzmasse betrifft, unterbrochen, bis es nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Die Vorschrift des § 240 ZPO betrifft jedoch nur Verfahren, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits rechtshängig sind. Ebenso wird ein nach Eintritt der Rechtskraft der Kostengrundentscheidung, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeleitetes Kostenfestsetzungsverfahren durch Insolvenzeröffnung gemäß § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen. Wird ein rechtshängiges Berufungsverfahren nach § 240 ZPO unterbrochen, so erfasst dessen Unterbrechungswirkung nach Auffassung des Senats auch ein ebenfalls vor Insolvenzeröffnung eingeleitetes Streitwertbeschwerdeverfahren, mit dem die in der ersten Instanz erfolgte Streitwertfestsetzung vom Beschwerdegericht überprüft werden soll. Anders liegt es möglicherweise bei einer nach Insolvenzeröffnung erfolgten Streitwertfestsetzung in einem Verfahren, bei dem das Urteil schon verkündet war (angedeutet bei BGH NJW 2000, 1199 mit Blick auf § 249 Abs. 3 ZPO) oder bei einer (isolierten) Streitwertbeschwerde, wenn das Hauptsacheverfahren schon vor Insolvenzeröffnung rechtskräftig abgeschlossenen war; beide Konstellationen liegen hier nicht vor.
11
Dieses Ergebnis steht in Einklang mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Unterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO. Sie soll dem Insolvenzverwalter, der das Verfahren bislang nicht kennt, die Möglichkeit geben, sich auf die durch Insolvenz einer Partei eingetretene Veränderung der Sachlage einzustellen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29.06.2017 – I ZB 90/15 –, Rn. 9 – 11, juris m.w.N.). Hauptsacheverfahren und Nebenverfahren teilen dabei eine einheitliche prozessuale Behandlung, wenn auch das Nebenverfahren die Insolvenzmasse i.S.v. § 240 ZPO betrifft.
12
Zwar ließ der Bundesgerichtshof in der zuletzt genannten Entscheidung als nicht entscheidungsrelevant dahinstehen, ob Verfahren über Streitwertbeschwerden überhaupt nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen werden können. Nach dem Sinn und Zweck der Unterbrechung, wie sie der Bundesgerichtshof herausgearbeitet hat, muss jedoch auch ein anhängiges Streitwertbeschwerdeverfahren durch die Insolvenz einer Partei unterbrochen werden.
13
Der Eintritt der Unterbrechungswirkung nach § 240 ZPO setzt voraus, dass das anhängige Verfahren die Insolvenzmasse betrifft (§§ 35, 36 InsO). Eine Unterbrechung findet deshalb nur statt, wenn und soweit der Gegenstand des anhängigen Verfahrens ein Vermögensgegenstand ist, der rechtlich zur Insolvenzmasse gehören kann. Eine nur wirtschaftliche Beziehung zur Masse reicht nicht aus. Zur Masse gehört das gesamte Vermögen des Schuldners zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sofern es der (Einzel-) Zwangsvollstreckung unterliegt und pfändbar ist, sowie der Neuerwerb (BGH, Beschluss vom 22.06.2004 – X ZB 40/02 –, Rn. 7, juris m.w.N.). Da die Streitwertfestsetzung Grundlage für Kostenerstattungsansprüche zugunsten und gegen die Masse ist, die ihrerseits Teil der Aktivbzw. Passivmasse sind, hat die Streitwertfestsetzung unmittelbare Auswirkung auf die von dem Insolvenzverwalter verwaltete Masse. Daher kann das Verfahren über die Streitwertbeschwerde ebenso wie auch das Berufungsverfahren nicht mit den ursprünglichen Parteien fortgesetzt werden, sondern es kommt zum gesetzlichen Parteiwechsel. Dies löst eine Unterbrechung aus, bis das Verfahren nach den Bestimmungen der InsO vom Gegner in Richtung auf den Insolvenzverwalter oder von diesem aufgenommen wird. Diesen Aspekt übersieht der Kläger, wenn er ausführt, dass es sich vorliegend nicht um ein kontradiktorisches Verfahren, sondern lediglich um ein gegen die Gerichtskasse gerichtetes Verfahren handele.
14
Wegen der eingetretenen Unterbrechung ist auch die inzwischen ergangene Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts gegenstandslos, sie ist deklaratorisch aufzuheben.
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2. Das Streitwertbeschwerdeverfahren ist als Nebenverfahren zum unterbrochenen Berufungsverfahren ebenfalls unterbrochen und kann nicht isoliert ohne das unterbrochene Berufungsverfahren aufgenommen werden. Es ist deswegen auch dann nicht fortzusetzen, wenn der Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.05.2023 als Aufnahmeantrag verstanden werden sollte. Zu den Voraussetzungen der Aufnahme des Berufungsverfahrens fehlt jeder Vortrag und dies ist auch ersichtlich nicht gewollt.
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Der Kläger wird damit nicht rechtlos gestellt. Zum einen vermag eine isolierte Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens ohnehin nur ein bis zu einem rechtskräftigen Abschluss des Berufungsverfahrens vorläufiges Ergebnis zu liefern, da der Streitwert gemäß § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG vom Berufungsgericht auch für die erste Instanz bis dahin (wieder) abgeändert werden kann. Zudem haben es die Parteien des Ausgangsverfahrens in der Hand, das unterbrochene Berufungsverfahren nach den Vorschriften der Insolvenzordnung (§§ 86, 87, 174 ff. InsO) aufzunehmen und zu einem Abschluss – ggf. nach Feststellung des erstinstanzlich zugesprochenen Betrags zur Tabelle durch Erledigterklärung der Hauptsache – zu bringen.
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Aus dem Rechtsgedanken der Vorschrift des § 249 Abs. 3 ZPO folgt nichts anderes; insbesondere stellt sich dort – im Gegensatz zu der hier gegebenen Konstellation – nicht das Problem der Gewährung rechtlichen Gehörs, da dieses den Parteien in dem der Verkündung vorausgehenden Erkenntnisverfahren bereits eingeräumt wurde. Diese Vorschrift gibt zudem nur die Möglichkeit, eine Entscheidung trotz inzwischen eingetretener Insolvenzsituation zu verkünden, trifft aber keine Aussage zu dann gegebenen Rechtsmitteln und erst recht nicht zu einer Unterbrechung etwaiger Rechtsmittelverfahren. Diese Fragen sind – wie ausgeführt – anhand von § 240 ZPO und den dieser Vorschrift zugrundeliegenden Wertungen zu treffen.
18
Gegen die Nachforderung von Gerichtskosten mag der Kläger ggf. unter Verweis auf das unterbrochene Beschwerdeverfahren bei der Justizkasse um eine Stundung ersuchen (vgl. § 9 JBeitrG).
19
3. [11] Die Entscheidung ergeht ohne Kosten, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ist in Streitwert- und Vorschusssachen nicht möglich, §§ 67 Abs. 1 S. 2, 66 Abs. 3, Abs. 4 GKG. Die Entscheidung ist überdies – bis zu einer Aufnahme der Hauptsache und deren Abschluss – nur vorläufig.