Inhalt

VG München, Beschluss v. 18.07.2023 – M 19 S 23.1648
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis nach Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad

Normenkette:
FeV § 11 Abs. 8 S. 1, § 13 S. 1 Nr. 2, § 46 Abs. 3
Leitsätze:
1. Für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 13 S. 1 Nr. 2 lit. c FeV "Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr" ist es ohne Bedeutung, dass die Teilnahme am Straßenverkehr nicht mit einem Kraftfahrzeug, sondern mit einem Fahrrad erfolgt ist. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ungeachtet des strafprozessualen Verwertungsverbots hinsichtlich eines unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenen toxikologischen Befunds, darf ein solcher im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahren verwertet werden. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis, Erwiesenheit einer alkoholisierten Fahrt im Straßenverkehr, Führen eines (erlaubnisfreien) Fahrzeugs, Fahrrad, mit mehr als 1, 6 (1, 74) ‰, Nichtbeibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, Nichteignungsvermutung aufgrund Nichtvorlage des Gutachtens, Fahrerlaubnis, Alkohol, Blutprobe, Verwertungsverbot
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 22.01.2024 – 11 CS 23.1451
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20286

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der 1964 geborene Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 1, 3 und 4 (alt).
2
Dem fahrerlaubnisrechtlichen Vorgehen der Antragsgegnerin lag zugrunde, dass der Antragsteller am 23. Juli 2021 gegen 00:33 Uhr in alkoholisiertem Zustand auf einer öffentlichen Straße mit seinem Fahrrad einen Unfall erlitten hat, zu dem die Polizei zugezogen wurde. Dem Protokoll und Antrag zur Feststellung von Alkohol der Polizeiinspektion vom 23. Juli 2021 zufolge wurden ein Atemalkoholtest sowie eine Blutentnahme angeordnet (Bl. 18 BA). Der Atemalkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,82 mg/l. Aufgrund der polizeilichen Auftragserteilung vom 23. Juli 2021 (Bl. 17 BA) erstellte das Institut für Rechtsmedizin der LMU am 26. Juli 2021, unterschrieben von Prof. P., eine Blutalkoholbestimmung für den Antragsteller. Die am 23. Juli 2021 um 02:25 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration (BAK) im Mittelwert von 1,74 ‰ auf.
3
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Trunkenheit im Verkehr wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft München I vom 19. Oktober 2021 nach der Erfüllung einer Geldauflage nach § 153a Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt.
4
Die Antragsgegnerin forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 12. Januar 2022, ihm zugestellt am 15. Januar 2022, unter Bezugnahme auf diese Trunkenheitsfahrt zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle innerhalb von drei Monaten ab Zustellung auf. Hierin sei zu klären, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller aufgrund der Trunkenheitsfahrt mit einem fahrerlaubnisfreien Fahrzeug zukünftig mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auch mit einem Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss im Straßenverkehr auffällig werde, so dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen sei und ob als Folge eines unkontrollierten Alkoholkonsums Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 in Frage stellten. Die Gutachtensanordnung wurde auf § 46 Abs. 3 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) i.V.m. 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV gestützt.
5
Nachdem der Antragsteller kein Gutachten vorlegte, hörte ihn die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. November 2022, ihm zugestellt am 16. November 2022, zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis aufgrund der Nichtbeibringung des Gutachtens an.
6
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 zeigte der Prozessbevollmächtigte die Vertretung des Antragstellers an und führte aus, dass weder Atemalkohol- noch Blutprobe verwertbar seien und daher die Begutachtungsanordnung rechtswidrig sei. Ursache dafür, dass der Antragsteller am 23. Juli 2021 mit seinem Fahrrad in die Trambahnschienen geraten sei und den Verkehrsunfall erlitten habe, sei ein Passant gewesen, der zwischen geparkten Autos auf die Fahrbahn getreten sei. Der Antragsteller habe dabei schwere Verletzungen erlitten, u.a. eine Gehirnerschütterung und eine Tibiakopffraktur (= Knochenbruch am oberen Ende des Schienbeins), sei acht Wochen auf den Rollstuhl angewiesen und in Reha gewesen und leide noch heute an den Spätfolgen. Diesbezüglich wird ein Arztbericht vom 30. Juli 2021 des LMU Klinikums über den stationären Aufenthalt des Antragstellers vom 23. Juli bis 4. August 2021 vorgelegt. Die in der Ermittlungsakte festgehaltene Angabe „Schwanken und verwaschene Aussprache“ sei somit zwangsläufige Folge von Gehirnerschütterung, Schock und gebrochenem Knie. Falsch müsse auch die Feststellung sein, er sei unsicher gegangen, da er gar nicht mehr habe gehen können. Schließlich sei unrichtig, dass der Antragsteller den Atemalkoholtest freiwillig durchgeführt habe. Er habe in diesen nicht eingewilligt und sei aufgrund der Schwere seiner Verletzungen gar nicht einwilligungsfähig gewesen. Ferner fehle der zwingend erforderliche ärztliche Bericht über die Blutentnahme. Auch die Angabe der Uhrzeit von 00:33 Uhr müsse falsch sein, wenn die Beamten erst um 01:20 Uhr am Unfallort gewesen seien. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass die untersuchte Blutprobe von einer anderen Person stamme oder bei der Entnahme verunreinigt worden sei. Sie sei unter Verstoß gegen § 81a StPO entnommen worden und daher nicht verwertbar. Ferner sei zu berücksichtigen, dass es sich vorliegend um einen 58-jährigen Mann handele, der seit 41 Jahren die Fahrerlaubnis besitze und seitdem verkehrsrechtlich nicht auffällig geworden sei. Des Weiteren zeige gerade die Verkehrsteilnahme auf dem Fahrrad, dass der Antragsteller zwischen Alkoholkonsum und Autofahren trennen könne. Außerdem sei das anhängige Strafverfahren gegen Auflage eingestellt worden.
7
Nach gewährter Akteneinsicht und einer bis 13. Februar 2023 verlängerten Anhörungsfrist wies der Antragsteller über seinen Bevollmächtigten erneut auf seine Zweifel an der Verwertbarkeit der Blutprobe hin.
8
Mit Bescheid vom 22. März 2023, dem Antragsteller über seinen Prozessbevollmächtigten zugestellt am 24. März 2023, entzog die Antragsgegnerin ihm die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), gab ihm auf, seinen Führerschein unverzüglich bei der Führerscheinstelle abzugeben (Nr. 2), ordnete die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheids an (Nr. 4), drohte für den Fall der Nichterfüllung der Ziffer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 1000,- EUR an (Nr. 3), ordnete die Kostentragung durch den Antragsteller an (Nr. 5) und erhob für diesen Bescheid Kosten in Höhe von knapp 260,- EUR (Nr. 6). Als Rechtsgrundlage für die Entziehung werden § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG), § 46 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV genannt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller der rechtmäßigen Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nicht nachgekommen sei.
9
Der Antragsteller gab am 31. März 2023 seinen Führerschein bei der Polizeiinspektion ab (Bl. 58 BA).
10
Er ließ seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 4. April 2023 Widerspruch gegen diesen Bescheid erheben und mit am gleichen Tag beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz beantragen,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen und die Antragsgegnerin zur Herausgabe des hinterlegten Führerscheins zu verpflichten.
11
Zur Begründung wird insbesondere vorgetragen, dass die Anordnung der Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtswidrig gewesen sei. Es bestünden keine Tatsachen, die die Annahme einer fehlenden Eignung des Antragstellers für die Teilnahme am Straßenverkehr begründeten. Der Antragsteller habe am 23. Juli 2021 kein Fahrzeug und schon gar kein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mit einer BAK von mehr als 1,6 ‰ geführt. Die von der Antragsgegnerin als Tatsache angeführte Blutprobe sei nicht verwertbar, da sie nicht von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst gemäß § 81a StPO entnommen worden sei. Sie sei auch kein Beweis, da für einen Beweiswert einer Blutprobe die anerkannten Regeln der Heilkunde einzuhalten seien. § 81a StPO sei nicht nur ein Beweisverwertungsverbot, sondern diene auch analog der Sicherstellung tatsächlicher Mindeststandards. Außerdem sei die Anordnung des Sofortvollzugs angesichts des Zeitablaufs von 1 ¾ Jahren seit der angeblichen Trunkenheitsfahrt deutlich ermessensfehlerhaft, insbesondere da jede Auseinandersetzung mit dem Thema fehle. Im Übrigen werden die in den vorhergehenden Schriftsätzen, insbesondere vom 7. Dezember 2022, vorgetragenen Argumente wiederholt und vertieft.
12
Am 17. Mai 2023 legte die Antragsgegnerin ihre Behördenakte vor.
13
Im richterlichen Hinweis vom 22. Mai 2023 wurde der Antragsteller auf aktuelle verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung in vergleichbaren Fallkonstellationen bezüglich seiner Einwände einer fehlenden Erwiesenheit der alkoholisierten Fahrt sowie auf die voraussichtlich fehlenden Erfolgsaussichten seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO hingewiesen.
14
Die Antragsgegnerin beantragte in ihrem am 31. Mai 2023 dem Verwaltungsgericht übermittelten Schriftsatz, den Antrag abzulehnen.
15
Es wird im Wesentlichen auf die Ausführungen im Bescheid verwiesen und ergänzend festgestellt, dass die Teilnahme mit einem Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr durch das toxikologische Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin feststehe. Auf eine strafrechtliche Maßnahme komme es nicht an. Das Gutachten könne auch herangezogen werden. Ein etwaiger Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO habe für die Verwertbarkeit im Fahrerlaubnisentziehungsverfahren keine Bedeutung. Die präventive Gefahrenabwehr im Rahmen des Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens habe eine andere Zielsetzung als das repressive, strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Die Blutentnahme beim Antragsteller sei durch einen Arzt der Notaufnahme der Universitätsklinik durchgeführt worden. Der aufgrund Zeitmangels fehlende ärztliche Bericht sei ordnungsgemäß protokolliert worden.
16
Der Antragsteller nahm auf den richterlichen Hinweis vom 22. Mai 2023 mit Schriftsatz vom 4. Juli 2023 ergänzend Stellung und trug im Wesentlichen vor, dass man bei einer Gesamtschau der Umstände zum Ergebnis kommen müsse, dass alle Behauptungen der Polizei und der Antragsgegnerin einer Überprüfung nicht standhielten und damit die Anordnung des Fahreignungsgutachtens „ins Blaue“ hinein erfolgt sei. Die Blutprobe sei fehlerhaft zugeordnet worden, das „Röhrchen sei unbeschriftet“ gewesen. Die Polizei habe einen „unsicheren Gang“ festgestellt. Da der Antragsteller mit einem gebrochenen Knie überhaupt nicht habe gehen können, seien die Polizeiangaben in mehreren Punkten wahrheitswidrig und könnten nicht herangezogen werden. Ferner werde bestritten, dass eine Blutentnahme durch einen Arzt erfolgt sei. Bestritten werde auch die von der Polizei später behauptete Zeitnot, nachdem zunächst behauptet worden sei, den Beamten sei die Erforderlichkeit der Blutprobe entfallen. Ein ärztliches Protokoll sei nicht vorgelegt worden. Eine nicht sachgerechte Blutentnahme könne Einfluss auf das Ergebnis der Blutprobe haben. Bestritten werde auch das Feststehen einer AAK von 0,82 mg/l, worüber kein entsprechendes Protokoll vorliege, sowie die Freiwilligkeit ihrer Abgabe durch den Antragsteller. Darüber hinaus setze sich die Behörde mit der Anordnung des Sofortvollzugs in Widerspruch zu ihrem Verhalten. Das lange Zuwarten der Behörde zeige, dass sie die vom Antragsteller ausgehende Gefahr für den Straßenverkehr während dieses Zeitraums selbst nur als gering bewertet habe.
17
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
II.
18
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg.
19
Nach Auslegung des gestellten Antrags (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller hinsichtlich der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 22. März 2023 verfügten Entziehung seiner Fahrerlaubnis sowie hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins (Nr. 2), die beide für sofort vollziehbar erklärt wurden (Nr. 4), die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begehrt. Hinsichtlich der in Nr. 4 des Bescheids verfügten und kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zwangsgeldandrohung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG), sowie der ebenfalls kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) sofort vollziehbaren Kostenregelungen (Nrn. 5 und 6), begehrt er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Weiterhin begehrt er die vorläufige Herausgabe seines bereits abgegebenen Führerscheins.
20
A. Der so verstandene Antrag ist teilweise zulässig.
21
Durch die zwischenzeitige Abgabe des Führerscheins hat sich die diesbezügliche Verpflichtung in Nr. 2 des Bescheids nicht erledigt. Diese stellt nach wie vor den Rechtsgrund zum vorläufigen Behaltendürfen dieses Dokuments für die Antragsgegnerin dar (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris Rn. 22). Neben der Hauptverfügung – hier der Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids – besteht für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO somit auch im Hinblick auf die Nr. 2 des Bescheids weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis.
22
Unzulässig ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses jedoch, soweit der Antragsteller die unverzügliche Herausgabe seines Führerscheins begehrt. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Antragsgegnerin nicht von sich aus die Konsequenzen aus einem erfolgreichen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ziehen und ihm seinen Führerschein zurückgeben wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2007 – 11 CS 06.2028 – juris Rn. 16).
23
Unzulässig ist der Antrag ebenfalls, soweit er sich gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids richtet, da der Antragsteller seinen Führerschein bereits abgegeben hat. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Antragsgegnerin das angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Nr. 4 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 23 m.w.N.).
24
B. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
25
1. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 22. März 2023 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
26
Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsakts angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 55).
27
Dem genügt die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass sie die sofortige Ablieferung des Führerscheins angeordnet hat, um seiner missbräuchlichen Verwendung nach Entziehung der Fahrerlaubnis entgegen zu wirken. Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung bereits aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts maßgebend waren, die die Antragsgegnerin im Rahmen der Begründung des Sofortvollzugs konkretisierend darstellte (BayVGH, B.v. 27.2.2019 – 10 CS 19.180 – juris Rn. 10 ff.).
28
2. Bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das Gericht eine eigenständige Interessenabwägung vorzunehmen. Abzuwägen ist das Interesse des Antragstellers, zumindest vorläufig von seiner Fahrerlaubnis weiter Gebrauch machen zu können, gegen das Interesse der Allgemeinheit daran, dass dies unverzüglich unterbunden wird. Bei der Prüfung ist in erster Linie von den Erfolgsaussichten des eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs, hier des Widerspruchs vom 4. April 2023, auszugehen. Lässt sich bei summarischer Prüfung eindeutig feststellen, dass der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist und den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, kann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsakts bestehen. Andererseits ist für eine Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers im Regelfall kein Raum, wenn keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache bestehen. So liegt die Sache hier.
29
Der erhobene Widerspruch wird nach Aktenlage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben, sofern nicht im Widerspruchsverfahren neue und dort bei der Entscheidung zu berücksichtigende Tatsachen geschaffen werden. Maßgeblich insoweit ist jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts im vorliegenden Verfahren und die in diesem Zeitpunkt gegebene Sach- und Rechtslage.
30
2.1. Die Antragsgegnerin durfte aus der Nichtbeibringung des vom Antragsteller zu Recht geforderten Gutachtens gemäß §§ 46 Abs. 3, 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen.
31
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, so finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dann unter den dort genannten Voraussetzungen weitere Aufklärung, insbesondere die Anordnung der Vorlage ärztlicher oder medizinisch-psychologischer Gutachten, zu betreiben (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Bei Eignungszweifeln aufgrund einer Alkoholproblematik hat die Fahrerlaubnisbehörde, ohne dass ihr insoweit Ermessen zustünde, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, unter anderem, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,6 ‰ oder mehr oder einer AAK von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde, § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf diese bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV). Ein Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 19 m.w.N.).
32
An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung sind dabei grundsätzlich strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller sie mangels Verwaltungsaktqualität nicht unmittelbar anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung oder Nichtbeibringung entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensanordnung und die dort formulierte Fragestellung gebunden (§ 11 Abs. 5 i.V.m. Nr. 1 lit. a Satz 2 der Anlage 4a zur FeV). Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar festzulegen. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag.
33
2.2. Gemessen an diesen Maßstäben begegnet die Gutachtensaufforderung der Antragsgegnerin vom 12. Januar 2022, wonach der Antragsteller zur Abklärung seiner Fahreignung ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen hatte, keinen rechtlichen Bedenken.
34
2.2.1. Sie genügt den formellen Voraussetzungen des § 11 Abs. 6 FeV. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller im Aufforderungsschreiben vom 12. Januar 2022 unter Nennung der zutreffenden Rechtsgrundlage des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV die Gründe dargelegt, weshalb sie an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zweifelt. Unter Bezugnahme auf die polizeilichen Erkenntnisse bezüglich der alkoholisierten Fahrradfahrt am 23. Juli 2021 und das daraufhin geführte und wieder eingestellte Ermittlungsverfahren wird hinreichend deutlich gemacht, dass sich die Anordnung allein auf die Klärung einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch des Führens eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss bezieht. Diese Fragestellung ist dahingehend zu verstehen, dass sie nur der Überprüfung der nach Anlage 4 Nrn. 8.1 und 8.2 zur FeV erforderlichen Fähigkeit des Antragstellers dient, das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum sicher zu trennen. Die Gutachtensaufforderung genügte auch den sonstigen, sich aus § 11 Abs. 6 FeV ergebenden formellen Anforderungen. Sie enthielt auch den erforderlichen Hinweis nach § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV.
35
2.2.2. Die materiellen Voraussetzungen zur Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der Begutachtungsanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 11.2.2019 – 11 CS 18.1808 – juris Rn. 18) ebenfalls vor.
36
2.2.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass es für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV „Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr“ ohne Bedeutung ist, dass die Teilnahme am Straßenverkehr nicht mit einem Kraftfahrzeug, sondern mit einem Fahrrad erfolgt ist. Denn die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand stellt mit jedem Fahrzeug und somit auch mit einem Fahrrad eine gravierende Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs dar. Fahrzeuge im Sinn des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV sind nicht nur Kraftfahrzeuge, sondern Fahrzeuge jeder Art (auch Fahrräder), die zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen und am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102/12 – juris LS, Rn. 6; U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – juris LS, Rn. 19; BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27; B.v. 15.5.2013 – 11 ZB 13.450, 11 ZB 13.451 – juris Rn. 19; OVG RhPf, U.v. 17.8.2012 – 10 A 10284/12 – juris LS, Rn. 24 f.). Unstreitig erfolgte die gegenständliche Fahrradfahrt auch im Rahmen des öffentlichen Verkehrsraums (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Rn. 41, 46. Aufl. 2021, FeV, § 13 Rn. 23d), also im Straßenverkehr im Sinn des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c FeV. Die Frage nach der Trennfähigkeit zwischen Alkoholkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs erübrigt sich also gerade nicht mit dem Einwand des Antragstellers, er habe lediglich mit dem Fahrrad am Verkehr teilgenommen. Eine BAK ab 1,6 ‰ bzw. eine AAK ab 0,8 mg/l deutet auf chronischen Alkoholkonsum und damit auf ein Alkoholproblem hin, das die Gefahr einer weiteren Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in sich birgt, und begründet den Verdacht eines die Fahreignung ausschließenden Alkoholmissbrauchs (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2021 – 11 ZB 20.2611 – juris Rn. 27 m.w.N.; Trésoret in Freymann/Wellner, PK-Straßenverkehrsrecht, Stand 9.12.2021, § 13 FeV Rn. 2 m.w.N.). Daher ist in diesen Fällen regelmäßig die Untersuchung mittels medizinisch-psychologischer Fachkunde veranlasst, ob sich das mit dem Fahrrad gezeigte Verhalten auch auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken kann (BayVGH, B.v. 8.3.2022 – 11 CS 22.166 – juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 21.5.2008 – 3 C 32.07 – NJW 2008, 2601 = juris Rn. 15 ff.).
37
2.2.2.2. Des Weiteren ging die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin zu Recht davon aus, dass der Antragsteller am 23. Juli 2021 „bei einer BAK von 1,6 ‰ oder mehr oder einer AAK von 0,8 mg/l“ mit seinem Fahrrad gefahren ist. Den umfangreichen Einwendungen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hinsichtlich einer fehlenden Erwiesenheit der Tat folgt das Gericht nicht.
38
(1) Bereits dem polizeilichen Sachverhalt zufolge schilderte der nach dem Unfall mit einem Polizeikollegen zur Unfallstelle hinzugezogene POM B. eine Alkoholeinwirkung bei dem Antragsteller (Protokoll und Antrag zur Feststellung von Alkohol v. 23.2.2021, Bl. 18 BA; Verkehrsunfallanzeige v. 28.7.2021, Bl. 6 BA; weiterer polizeilicher Bericht v. 29.7.2021, Bl. 10 BA). Ein freiwillig durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,82 mg/l. Allein dieser Umstand begründet die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 Satz 1 Nr. 2 lit. c Alt. 2 FeV. Die Frage, ob der Antragsteller in den Atemalkoholtest nicht eingewilligt hat oder – gleich aus welchem Grund, sei es aufgrund der Schwere seiner Verletzungen oder seiner Alkoholisierung – nicht einwilligungsfähig gewesen ist, kann hierbei dahinstehen. Anderenfalls käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, dass bei einwilligungsunfähigen Personen die Feststellung des Grads der Alkoholisierung nicht möglich wäre. Vor allem aber wäre es mit dem Schutz der Allgemeinheit vor fahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabern nicht zu vereinbaren, wenn die Fahrerlaubnisbehörden an der Berücksichtigung (eventuell) strafprozessual fehlerhaft gewonnener Erkenntnisse allgemein gehindert wären oder wegen eines außerhalb ihres Verantwortungsbereichs begangenen Verfahrensfehlers sehenden Auges die gravierenden Gefahren hinzunehmen hätten, die mit der Verkehrsteilnahme eines derzeit kraftfahrungeeigneten Fahrerlaubnisinhabers verbunden sind (VG Bayreuth, B.v. 14.1.2021 – B 1 S 20.1451 – juris Rn. 66 ff.; NdsOVG, B.v. 13.3.2014 – 16 B 228/14 – juris Rn. 2).
39
(2) Des Weiteren konnte die Antragsgegnerin auch von der Richtigkeit der im toxikologischen Gutachten vom 26. Juli 2021 ermittelten BAK von 1,74 ‰ im Mittelwert ausgehen.
40
Dem Einwand, eine Zuordnung der Blutprobe zum Antragsteller scheitere bereits an dem Umstand, dass das Röhrchen mit der Blutprobe unbeschriftet gewesen sei, kann nicht gefolgt werden. Aus der unterschriebenen Blutalkoholbestimmung des Instituts für Rechtsmedizin der LMU vom 26. Juli 2021 ergibt sich zweifelsfrei, dass diese den Antragsteller betrifft. Es wird explizit eine Probennummer genannt (Nr. 2021-M-011072-001), die am 23. Juli 2021 um 02:25 Uhr entnommen wurde. Die Benummerung individualisiert die Blutprobe, möglicherweise sogar exakter, als es eine Namensbeschriftung täte. Zudem ergibt sich aus dem Einlieferungsbeleg vom 23. Juli 2021 (Bl. 17 BA), dass dem Antragsteller eine Blutprobe entnommen wurde. Für die Ordnungsmäßigkeit einer Blutprobe kommt es daher auf das von Antragstellerseite weiter bemängelte Vorliegen eines ärztlichen Berichts über die Blutentnahme und auf ein etwaiges Motiv hierfür – Vergessen seitens der Polizei oder Zeitmangel (AV v. 5.8.2021) – nicht an. Dass die Blutentnahme durch einen Arzt erfolgt ist, geht sowohl aus dem polizeilichen Bericht vom 29. Juli 2021 (Bl. 9 BA) hervor, in dem ein Arzt namentlich genannt wird (Dr. med. S./IRMd), als auch aus dem Aktenvermerk vom 5. August 2021 (Bl. 22 BA), wonach die Blutentnahme in den Räumlichkeiten der Notaufnahme der Universitätsklinik durch einen Arzt der Notaufnahme erfolgt ist.
41
Dementsprechend ist auch nicht zu befürchten, dass die Blutprobe entgegen den anerkannten Regeln der Heilkunde entnommen worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Blutprobe Verunreinigungen enthalten haben könnte, sind nicht ersichtlich.
42
Auch der Einwand, die Blutprobe sei unter Verstoß gegen § 81a StPO entnommen worden und daher nicht verwertbar, verfängt nicht. Ungeachtet des strafprozessualen Verwertungsverbots hinsichtlich eines unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81a StPO gewonnenen toxikologischen Befunds, darf ein solcher – der ständigen, gefestigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung folgend – im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahren verwertet werden. Dies ergibt sich aus der unterschiedlichen Funktion und rechtlichen Ausgestaltung des repressiven Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahrens einerseits und des der Gefahrenabwehr dienenden Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens andererseits (SächsOVG, B.v. 23.9.2015 – 3 A 570/14 – juris Rn. 9 m.w.N; BayVGH, B.v. 28.1.2010 – 11 CS 09.1443 – juris Rn. 27; NdsOVG, B.v. 16.12.2009 – 12 ME 234/090 – juris Rn. 4), worauf die Antragsgegnerin bereits in ihrem Schriftsatz vom 10. Mai 2023 hingewiesen hat. Somit vermag auch das Argument nicht zu überzeugen, dass § 81a StPO nicht nur ein Beweisverwertungsverbot sei, sondern – gegebenenfalls analog – auch der Sicherung tatsächlicher Mindeststandards diene. Es gibt weder Anlass für die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke noch einer Vergleichbarkeit der Interessenlage, die eine Analogie voraussetzen würde.
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Schließlich entsprechen die im Atemalkohol- und Bluttest gewonnenen Werte in etwa dem Richtwert, dass der „Promille“- Wert der Blutprobe ziemlich exakt doppelt so hoch ist wie die in „mg/l“ gemessene Atemluft. Auch wenn aus physiologischen Gründen keine Konvertierbarkeit zwischen den Werten besteht, sodass aus einem gemessenen AAK-Wert die BAK nicht (zuverlässig) errechnet werden kann (OLG Zweibrücken, B.v. 27.9.2001 – 1 Ss 212/01 – juris LS 1), widersprechen sich die hier ermittelten Ergebnisse (AAK 0,82 mg/l und BAK 1,74 ‰) jedenfalls nicht offensichtlich.
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(3) Aufgrund der durch Atemalkohol- und Blutalkohholtest nachgewiesenen Alkoholisierung des Antragstellers vermag auch der Einwand, die in der Ermittlungsakte festgehaltene Angabe „Schwanken und verwaschene Aussprache“ sei Folge der am Unfallort erlittenen Gehirnerschütterung, des Schocks und des gebrochenen Knies, nicht einer Alkoholisierung, das Gericht nicht zu überzeugen. Gleiches gilt bezüglich des Bestreitens der polizeilichen Feststellung, der Antragsteller sei „unsicher gegangen“. Der behauptete Widerspruch der zeitlichen Angaben bezüglich einer Anwesenheit am Unfallort (00:33 Uhr und 01:20 Uhr), ist für das Gericht schon deshalb schwer nachvollziehbar, weil die vom Antragstellervertreter zitierte Seite der Behördenakte „Bl. 14“ – wie auch alle übrigen zitierten Seiten – nicht mit der tatsächlichen Nummerierung der vorliegenden Behördenakte übereinstimmt. Gemeint sind vermutlich Blatt 18 der Behördenakte bezüglich des Protokolls und Antrags zur Feststellung von Alkohol, wo als Tatzeit 00:33 Uhr angegeben wird, und die Verkehrsunfallanzeige, in der als Unfallzeit/Unfallzeitraum 01:20 Uhr und als Aufnahmezeit 02.02 Uhr (Bl. 6 BA) angegeben sind. Diese Dokumente widersprechen sich keineswegs, denn auch die Verkehrsunfallanzeige geht in der Sachverhaltsschilderung (Bl. 8) davon aus, dass sich der Sturz um 00:33 Uhr ereignet hat. Die gesamte Anzeige wird auf allen drei Seiten mit „Verkehrsunfall vom 23.07.2021, 01:20 Uhr“ betitelt (Bl. 6-8), sodass es naheliegt, dass hier die Zeit des Eintreffens der Beamten gewählt worden ist; bestätigt wird diese Annahme durch die Aussage, dass die beiden Polizisten der PI 13 gegen 01:23 Uhr zum Einsatz beordert wurden (Bl. 9 unter Nr. 1 BA). Eine falsche Darstellung des Unfallgeschehens lässt sich hieraus nicht entnehmen. Insbesondere kann aus den zeitlichen Angaben nicht geschlossen werden, dass die untersuchte Blutprobe von einer anderen Person stammt oder bei der Entnahme verunreinigt worden ist. Vielmehr erschließt sich aus dem Unfallbericht (Bl. 9), dass der Atemalkoholtest um 01:35 Uhr durchgeführt worden ist, und aus dem ärztlichen Bericht (Bl. 19 BA), dass die Blutprobe um 02:25 Uhr entnommen wurde.
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Schließlich findet auch der Vortrag, dass die Ursache für das Abgleiten des Rads des Antragstellers in die Tramgleise, allein in einem auf die Fahrbahn getretenen Passanten zu sehen ist, in den Akten keine Entsprechung. Dem Polizeibericht vom 29. Juli 2023 (Bl. 9 BA) zufolge ist der Antragsteller bei Eintreffen der Polizei mit mehreren Passanten angetroffen worden, dennoch wird eine Beteiligung eines Passanten am Unfall hier nicht erwähnt. Jedenfalls vermag dieser Vortrag an der Alkoholisierung des Antragstellers nichts zu ändern. Insgesamt erkennt das Gericht in den polizeilichen Aussagen keine offenkundigen Widersprüche. Es besteht daher aus seiner Sicht kein Anlass, ausnahmsweise an der Richtigkeit der behördlichen Aussagen zu zweifeln.
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(4) Gegen die Erwiesenheit der Trunkenheitsfahrt kann auch nicht die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Trunkenheit im Verkehr gegen fristgerechte Erfüllung einer Auflage nach § 153a Abs. 1 StPO eingewendet werden. Auch hier sei auf die präventive Zielrichtung des Fahrerlaubnisrechts (Klärung von Eignungszweifeln zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer) verwiesen. Vorliegend erfolgte die Einstellung zudem nicht deshalb, weil die Tat dem Antragsteller nicht nachgewiesen werden konnte, sondern weil dieser die ihm mit Verfügung vom 9. September 2021 angebotene Auflage annahm und erfüllte. Die Staatsanwaltschaft legte ihm dementsprechend folgenden Sachverhalt zur Last: „Sie fuhren am 23.7.2021 gegen 0:33 Uhr mit dem Treckingrad Villinger auf der …-straße in München, obwohl Sie infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig waren. Eine bei Ihnen am 23.7.2021 gegen 0:35 Uhr genommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,74 ‰ im Mittelwert, mindestens gültig und wirksam auch zum Tatzeitpunkt.“
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Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Abs. 1 StPO nach Erfüllung von Auflagen bringt somit keineswegs zum Ausdruck, dass der Tatverdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt wäre. Vielmehr kommt sie schon in Betracht, wenn die Schuld nicht schwerwiegend ist und deshalb von der Strafverfolgung unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann. Das setzt voraus, dass nach dem Verfahrensstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung auszugehen wäre. Nur dann kann dem Betroffenen die Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO verbietet somit nicht, Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in Verfahren mit anderer Zielsetzung (hier die Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer) in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten. Sie hindert die Fahrerlaubnisbehörde damit nicht, die Trunkenheitsfahrt zum Anlass für die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Prüfung zu nehmen (vgl. OVG LSA, B.v. 25.6.2021 – 3 M 120/21 – juris Rn. 5; BayVGH in ständiger Rechtsprechung, zuletzt B.v. 7.1.2020 – 11 CS 19.2237 – juris Rn. 15; B.v. 2.9.2016 – 11 ZB 16.1359 – juris Rn. 19 f. m.w.N.). Im Gegenteil durfte die Fahrerlaubnisbehörde die tatbestandlichen Feststellungen des Ermittlungsverfahrens ergänzend zu dem polizeilich festgestellten Tatbestand und dem Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung zur Führung des Tatnachweises und damit als Grundlage für ihre Gutachtensanordnung heranziehen.
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Die seitens der Antragstellerseite dargelegten Mängel stellen sich im Ergebnis jedenfalls nicht als so gravierend dar, dass sie die entstandenen Zweifel an der Fahreignung entkräften könnten und zu Lasten der öffentlichen Sicherheit eine weitere Erforschung unterbleiben müsste. Die Belange des Antragstellers werden insofern berücksichtigt, als die entstandenen Zweifel die Behörde allein zu einer Gutachtensanordnung berechtigen, die dem Antragsteller gerade die Gelegenheit bietet, die Zweifel zu entkräften.
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(5) Schließlich führt auch die zwischen der Tat (07/2021) und der Aufforderung zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens (01/2022) und des sodann erlassenen Entziehungsbescheids (03/2023) vergangene Zeit nicht zur Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung. Ob länger zurückliegende Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 13 FeV rechtfertigen, richtet sich nach den gesetzlichen Tilgungs- und Verwertungsbestimmungen, hier § 29 StVG (BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris Rn. 14). Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. a StVG beträgt die Tilgungsfrist bei Entscheidungen über eine Straftat fünf Jahre. Auf Grund der hier im Raum stehenden Straftat nach § 316 StGB konnte sich die Antragsgegnerin an dieser Vorgabe orientieren, sodass die Alkoholfahrt vom Juli 2021 zum Anordnungszeitpunkt im Januar 2022, aber auch zum aktuellen Zeitpunkt verwertbar war und ist. Auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten besteht angesichts der eindeutigen gesetzlichen Vorgaben regelmäßig kein Raum für eine Einzelfallprüfung, in der außer der Frage der Verwertbarkeit nach den registerrechtlichen Vorschriften noch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen wären (BayVGH B.v. 6.5.2008 – 11 CS 08.551 – juris Rn. 40; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, FeV § 13 Rn. 21). Bei Eignungszweifeln sind im Entziehungsfall vielmehr so zeitnah wie möglich die gesetzlich vorgegebenen Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen, da insofern die Abwendung möglicher erheblicher Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2013 – 11 CS 13.219 – juris Rn. 20).
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2.3. Der Antragsgegnerin stand bei der vorliegenden Fallgestaltung weder hinsichtlich der Anordnung zur Beibringung des Fahreignungsgutachtens noch hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage des Gutachtens ein Ermessenspielraum zu (vgl. BayVGH, B.v. 19.8.2019 – 11 ZB 19.1256 – juris OS 1, Rn. 12). Bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 11 ZB 20.1138 – juris Rn. 14).
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Daher kann und darf eine unbeanstandete Teilnahme am Straßenverkehr für die aktuelle, rein präventive Bewertung einer vom Betroffenen ausgehenden Gefährdung der Verkehrssicherheit keine Rolle spielen (VG München, B.v. 17.3.2017 – M 26 S 17.536 – juris Rn. 28).
52
2.4. Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der zur Entziehung akzessorischen (§ 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV) Ablieferungspflicht in Nr. 2 sowie den Kostenentscheidungen in Nrn. 4 und 5 des Bescheids.
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3. Der Antrag war nach alldem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
54
4. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.5 (vgl. dazu BayVGH, B.v. 14.6.2023 – 11 CS 22.2675 – juris Rn. 31). Die Klasse 4 (alt) ist von Klasse 1 (alt) mitumfasst. Für den Streitwert maßgeblich sind somit die jetzigen Klassen A, BE und C1E (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2015 – 11 ZB 14.2418 – juris Rn. 23; B.v. 23.2.2015 – 11 ZB 14.2497 – juris Rn. 13). Insgesamt ergibt sich daher ein Streitwert von 15.000,- EUR, der im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf 7.500,- EUR halbiert wird.