Inhalt

VG München, Urteil v. 27.07.2023 – M 10 K 18.32967
Titel:

keine Heilung von Zustellungsmangel durch Übersendung einer Bescheidkopie

Normenketten:
VwVfG § 43 Abs. 1 S. 1
VwZG § 7 Abs. 1 S. 2, § 8
BayVwZG Art. 9
AsylG § 10 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Vollmacht, die durch einen Rechtsanwalt per Fax übermittelt wird, ist eine schriftliche Vollmacht im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 VwZG. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Heilung eines Zustellungsmangels nach § 8 VwZG kommt es maßgeblich darauf an, dass das zuzustellende Dokument in den Machtbereich des Empfangsberechtigten gelangt; die Übermittlung einer Kopie des Bescheids zur Heilung eines Zustellungsmangels ist nicht ausreichend. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verwaltungsakt, Bekanntgabe, Zustellung, Zustellungsmangel, Heilung
Fundstellen:
BayVBl 2024, 316
LSK 2023, 20279
BeckRS 2023, 20279

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juli 2016 unwirksam ist.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der senegalesische Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
2
Der Kläger reiste im März 2014 nach Deutschland ein und stellte am 4. April 2014 einen Asylantrag. Ausweislich des in der Behördenakte befindlichen vom Kläger unterschriebenen Formblatts zur Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und die allgemeinen Verfahrenshinweise wurde der Kläger auf Deutsch und Französisch über den Inhalt des § 10 Asylverfahrensgesetz (AsylG) belehrt.
3
Mit Bescheid vom 5. Mai 2014 wies die Regierung von Oberbayern dem Kläger eine (dozontrale) Unterkunft in Ottobrunn zu. Am 4. April 2016 teilte das Landratsamt München die neue Adresse in Neubiberg (Auf der Heid 99) mit.
4
Mit per Fax gesendetem Schreiben vom 25. Juli 2016 zeigte der damalige Bevollmächtigte die Vertretung des Klägers gegenüber der Beklagten an und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht. Die Faxsendung ging bei der Beklagten ausweislich des Faxaufdrucks auf dem Schreiben am selben Tag um 13.00 Uhr ein. Diesem Schreiben war eine ebenfalls am selben Tag um 13.00 Uhr per Fax gesendete vom Kläger am 22. Juli 2016 ausgestellte Vollmacht als Anlage beigefügt.
5
Mit Bescheid vom 28. Juli 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 und 2). Der Antrag auf subsidiären Schutz wurde abgelehnt (Nr. 3). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4). Dem Kläger wurde unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids die Abschiebung in den Senegal angedroht, wobei die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gem. § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das „gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot“ wurde auf 30 Monate ab dem Tag de: Abschiebung befristet (Nr. 7).
6
Der streitgegerständliche Bescheid wurde mit Postzustellungsurkunde (PZU) an den Kläger persönlich adressiert gesendet. Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen PZU war der Zustellungsversuch an der Adresse des Klägers in Neubiberg am 2. August 2016 erfolglos.
7
Mit per Fax am 10. August 2016 gesendeten Schreiben des damaligen Bevollmächtigten des Klägers teilte der Bevollmächtigte der Beklagten die neue Anschrift des Klägers in Unterhaching mit.
8
Mit per Post gesendeten Schreiben vom 10. Januar 2017 des damaligen Bevollmächtigten des Klägers teilte dieser der Beklagten mit, dass er bereits mit Schreiben vom 25. Juli 2016 unter Vollmachtsvorlage die Vertretung des Klägers angezeigt habe und Akteneinsicht beantragt habe. Da er noch keinen Posteingang habe verzeichnen können, forcierte er die Beklagte zur unverzüglichen Akteneinsicht auf. Diesem Schreiben vom 10. Januar 2017 war das Übertragungsprotokoll der Faxsendung vom 25. Juli 2016 sowie das Schreiben vom 25. Juli 2016 mit dem Aufdruck „Kopie“ und die Vollmacht beigefügt.
9
Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 leitete die Beklagte dem damaligen Bevollmächtigen des Klägers einen kompletten Ausdruck der elektronischen Akte zum Verbleib zu.
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Der Kläger hat über seinen (neuen) Bevollmächtigten am 30. Juli 2018 Klage gegen den Bescheid vom 28. Juli 2016 erhoben und beantragt, die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheids zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen. Zudem wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Kläger sei am 27. Juli 2016 beim Bundesamt in Obersendling gewesen, um die neue Adresse (Unterhaching) zu melden. Der Bundesamts-Mitarbeiter habe ihm erklärt, er müsse sich beim Landratsamt ummelden, das Bundesamt würde dann automatisch informiert. Der Klage war als Anlage eine Kopie eines Fax-Schreibens des Bevollmächtigten an die Beklagte vom 25. Juli 2018 beigefügt, in dem de: Bevollmächtigte neben der Vertretungsanzeige mitteilte, dass der Kläger erstmals mit Schreiben der Regierung von Oberbayern vom 16. Juli 2018 davon in Kenntnis gesetzt worden sei, dass sein Asylantrag mit Bescheid vom 28. Juli 2016 abgelehnt worden sei. Diesen Bescheid habe der Kläger nie erhalten.
11
Mit Beschluss vom 23. August 2018 hat das Gericht festgestellt, dass der Kläger derzeit nicht ausreisepflichtig sei (VG München, B.v. 23.8.2018 – M 10 S 18.32968 – n.v.). Zur Begründung wird insbesondere ausgeführt, dass der streitgegenständliche Verwaltungsakt nicht i.S.v. § 41 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) bekannt gegeben worden sei. Eine anderweitige spätere Bekanntgabe sei aus der Akte nicht ersichtlich. Im Übrigen wird auf die Gründe dieses Beschlusses Bezug genommen.
12
Mit Schriftsatz vom 4. September 2018 hat die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Zur Begründung wird ausgeführt, dass dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 31. Januar 2017, mithin mit Beinhaltung des streitgegenständlichen Bescheids nebst Rechtsbehelfsbelehrung, Akteneinsicht gewährt worden sei, dies mit Zustellungswillen. Eine weitere formlose Übermittlung an den jetzigen Prozessbevollmächtigten sei mit Schreiber vom 9. August 2018 erfolgt. Der Kläger müsse sich ein etwaiges Verschulden seiner damaligen Prozessbevollmächtigten, die es versäumt hätten, ihn über den Bescheid zu informieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, zurechnen lassen. Es sei eine Heilung gem. § 8 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) durch tatsächlichen Zugang eingetreten, indem der Bescheid als Aktenbestandteil dem bevollmächtigten Rechtsanwalt des Klägers durch Übersendung einer Kopie des Verwaltungsvorgangs zur Kenntnis gebracht worden sei (unter Berufung auf BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 5 ZB 17.31905 – juris Rn. 10). Selbst wenn man von der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ausgehe, sei die am 30. Juli 2018 erhobene Klage verfristet, da die vollständige Akte dem früheren Bevollmächtigten am 31. Januar 2017 übermittelt worden sei und die Klagefrist damit am 3. Februar 2017 zu laufen begonnen habe.
13
Nach Hinweis des Gerichts vom 18. Oktober 2022, wonach die Zustellung des Bescheids bereits deshalb fehlerhaft sein dürfte, weil der Bescheid vom 28. Juli 2016 entgegen § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht an den (damaligen) Bevollmächtigten zugestellt worden sei, hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. November 2022 zuletzt beantragt,
festzustellen, dass der Bescheid des Bundesamts vom 28. Juli 2016 nichtig und damit unwirksam ist.
14
Mit Schreiben der Beklagten vom 6. April 2023 beantragt die Beklagte weiterhin
die Klage abzuweisen.
15
Sie begründet dies wie folgt. Sie habe Zweifel daran, ob zum Zeitpunkt des Bescheidversands eine wirksame Bevollmächtigung vorgelegen habe. Denn die Vorlage der schriftlichen Vollmacht könne nur durch Übermittlung des Originals erfüllt werden, ein Telefax oder eine Fotokopie würden hierfür nicht ausreichen. Die Vorlage der Vollmacht des vormals bestellten Klägervertreters sei nachweislich lediglich durch Fax erfolgt. Der Beklagten habe zum Zeitpunkt der Bescheidzustellung damit zumindest ein Zustellungsermessen zugestanden. Eine wirksame Bevollmächtigung sei nachweislich erst mit Schreiben des damaligen Klägerbevollmächtigten vom 10. Januar 2017 nebst Übersendung der Vollmacht vorgelegen. Dieses Schreiben nebst Originalvollmacht sei der Beklagten am 12. Januar 2017 zugegangen. Somit sei die Zustellung am 29. Juli 2016 aufgrund des bestehenden Zustellungsermessens rechtmäßig an den Kläger erfolgt. Nachdem der Beklagten die Originalvollmacht zugegangen sei, sei am 31. Januar 2017 die Akteneinsicht gewährt worden. Hierauf habe keine Reaktion des damaligen Klägerbevollmächtigten oder des Klägers stattgefunden. Dieses Verhalten seines damaligen Prozessbevollmächtigten, der es versäumt habe, ihn über den Bescheid zu informieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, müsse sich der Kläger zurechnen lassen. Soweit die Klägerseite durch den nunmehr bevollmächtigten Rechtsanwalt vortragen lasse, dass sie erstmals am 16. Juli 2018 von der Regierung von Oberbayern erfahren habe, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden sei, widerspreche dieser Sachvortrag schon offenkundig der Tatsache, dass der Kläger bereits am 25. Juli 2016 den ehemaligen Vertreter mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt habe und dieser über den Stanc des Verfahrens spätestens durch Akteneinsicht Anfang Februar zur 2017 vollumfänglich in Kenntnis gesetzt worden sei. Im Ergebnis sei die Beklagte der Auffassung, dass der streitgegenständliche Bescheid dem Kläger wirksam an die den Bundesamt zuletzt bekannte Adresse am 29. Juli 2016 zugestellt worden sei. Diesbezüglich verweist die Beklagte auf § 10 AsylG. Der Zustellversuch am 2. August 2016 sei erfolglos geblieben. Laut der PZU sei der Kläger unter der angegebenen Anschrift unbekannt verzogen gewesen. Könne die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gelte die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkomme (§ 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG). Selbst wenn man von einer wirksamen Bevollmächtigung zum Zeitpunkt der Bescheidzustellung ausgehe, sei die Beklagte weiter der Auffassung, dass eine Heilung des vermeintlichen Zustellungsmangels vorliege (§ 8 VwZG). Dass selbst die Klägerseite von einer wirksamen Zustellung ausgehen würde, zeigten die mit Schriftsatz vom 30. Juli 2018 gestellten Klageanträge. Der anwaltlich vertretene Kläger habe folglich trotz Übersendung der Bescheidkopie an 9. August 2018 die Anfechtung und Verpflichtungsanträge erhoben und an diesen festgehalten, ohne sich gegen die unterlassene Zustellung des Bescheids zu wenden. Damit habe er die ihn betreffende Regelungswirkung anerkannt, sodass der Bescheid ihm gegenüber, allerdings frühestens ab der Aushändigung, als wirksam angesehen werden müsse. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der Klägerbevollmächtigte nunmehr auf richterlichen Hinweis seine Klageanträge mit Schriftsatz vom 2. November 2022, also mithin über vier Jahre nach Klageerhebung, umgestellt habe. Nachdem dem Klägerbevollmächtigten bereits mit Schreiben vcm 9. August 2018 eine Bescheidkopie übersandt worden sei und ihm aufgrund de: Klageerhebung Akteneinsicht gewährt worden sei, wäre es vielmehr verpflichtend gewesen, die richtigen Klageanträge zu stellen. Dass spätestens durch die Gewährung von Akteneinsicht oder Aushändigung einer Bescheidkopie eine Bescheidbekanntgabe angenommen werden könne, diene aufgrund der bereits erfolgten Klageerhebung gegen den streitgegenständlichen Bescheid letztlich auch der Prozessökonomie, da das Verfahren nunmehr fast fünf Jahre rechtshängig sei.
16
Mit Schreiben vom 18. April 2023 teilte der Bevollmächtigte des Klägers mit, dass nach seiner Auffassung die Zustellung am 29. Juli 2016 nicht rechtmäßig gewesen sei. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung betreffe einen anderen Fall. Der damalige Bevollmächtigte sei wirksam bestellt worden, sodass an ihn zuzustellen gewesen sei. Seine Bevollmächtigung wäre nur dann durch schriftliche Vollmacht (möglicherweise im Original) nachzuweisen gewesen, wenn die Beklagte dies verlangt hätte (siehe auch § 14 Satz 3 VwVfG). Am 29. Juli 2016 sei also nicht wirksam zugestellt worden. Die Zustellungsfiktion des § 10 AsylG greife nicht, weil nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG ein Bevollmächtigter bestellt gewesen sei. Die Vollmacht sei vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids per Fax vorgelegt worden. Wenn der Kläger am 5. Juli 2016 den damaligen Bevollmächtigten beauftragt gehabt habe und dieser dann Anfang Februar 2017 Akteneinsicht genommen habe, so besage dies nicht, dass er damit auch vollumfänglich Kenntnis über den Stand des Verfahrens gehabt habe. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 8 VwZG komme nicht in Betracht. Mit Schreiben der Regierung von Oberbayern habe der Kläger erstmals erfahren, dass sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Den Bescheid selbst habe er nicht erhalten. Nur deshalb, weil der Bevollmächtigte des Klägers von der Beklagten trotz Bitte nicht einmal die Seite Eins des Bescheids übermittelt bekommen habe, habe der Bevollmächtigte die Klageanträge im Schriftsatz vom 30. Juli 2018 so formuliert wie geschehen. Mit der Klageumstellung habe der Bevollmächtigte gewartet, bis das Gericht dies für sachdienlich halte. Im vorliegenden Fall habe der Bevollmächtigte die Kopie des streitgegenständlichen Bescheids der Beklagten erst nach Klageeinreichung, nämlich am 10. August 2018, halten. In der Klage des Bevollmächtigten könne deshalb schon vom zeitlichen Ablauf her nicht das Anerkenntnis eines später übermittelten Bescheids gesehen werden. Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass die Beklagte mit der Zusendung der Kopie des Bescheids an dem Bevollmächtigten Zustellungswillen gehabt hätte. Die Beklagte sei stets von einer wirksamen Zustellung an den Kläger ausgegangen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

18
1. Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung, da die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19
2. Der Klageantrag vom 2. November 2022 gerichtet auf die Feststellung der Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bescheids ist zulässig. Die Umstellung der zunächst erhobenen Verpflichtungsklage auf eine Feststellungsklage bzgl. der Unwirksamkeit ist nach Maßgabe von § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ohne Weiteres zulässig, da in der Umstellung ohne Änderung des Klagebegehrens und damit des Klagegrunds ein „Minus“ zu sehen ist (vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht Werkstand: 43. EL August 2022, § 81 VwGO Rn. 32; BVerwG, U.v. 19.8.1982 – 3 C 4/82 – NJW 1983, 1990). Bereits im Klageschriftsatz und dem diesen als Anlage beigefügten an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 25. Juli 2018 hat der Bevollmächtigte gerügt, dass der Kläger den Bescheid nie erhalten hat. Selbst wenn man von einer Klageänderung ausgehen wollte, wäre diese nach § 91 VwGO zulässig, da die Umstellung des Klageantrags sachdienlich ist (vgl. VG München, U.v. 20.5.2021 – M 10 K 19.5002 – juris Rn. 23).
20
3. Die Klage ist mit ihrem zuletzt gestellten Antrag zulässig und begründet.
21
a) Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist zulässig, insbesondere statthaft. Durch eine Klage kann gemäß § 43 Abs. 1 VwGO die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Ebenso wie in dem Fall, dass der Kläger einen Bescheid für nichtig hält, gilt dies in gleicher Weise, soweit der Kläger einen Bescheid für nicht wirksam geworden hält. Mit einer solchen Feststellungsklage wird dann nicht die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts – zweite Alternative des § 43 Abs. 1 VwGO –, sondern die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses – erste Alternative des § 43 Abs. 1 VwGO – begehrt, und zwar die Feststellung, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam (geworden) ist und deshalb die mit ihm beabsichtigte Regelung nicht erreicht hat (OVG MV, U.v. 24.3.2015 – 1 L 313/11 – NordÖR 2015, 252). Dem Kläger kommt auch das hierfür nötige Feststellungsinteresse zu (§ 43 Abs. 1 VwGO), da mit dem streitgegenständlichen Bescheid sein Asylantrag (§ 14 AsylG) abgelehnt wird. Da die Feststellungsklage keine Frist kennt, war über den Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entscheiden.
22
b) Die Klage ist begründet, da der streitgegenständliche Bescheid dem Kläger nicht im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wirksam bekannt gegeben wurde. Der Bescheid vom 28. Juli 2016 wurde entgegen § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht an den damaligen Bevollmächtigten zugestellt, was einen wesentlichen Zustellungsmangel darstellt (vgl. auch § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG). Dass der Bescheid an den Kläger am 2. August 2016 nicht persönlich zugestellt worden konnte bzw. als unzustellbar an die Beklagte zurückkam, fällt ihm insofern nicht nach § 10 Abs. 2 Satz 1, Satz 4 AsylG zur Last. Eine Heilung des Zustellungsmangels ist nicht eingetreten.
23
aa) Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, hier somit dem Kläger. Die Bekanntgabe ist Bedingung für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes (§ 41 Abs. 1 VwVfG). Nach § 31 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.d.F. vom 28. August 2013, die bis 5. August 2016 galt, ist der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten dem Kläger zuzustellen gewesen, womit die Vorschriften der Zustellung für die Bekanntgabe maßgeblich sind (§ 41 Abs. 5 VwVfG). Diese richtet sich nach den Vorschriften des VwZG, modifiziert durch die spezifischen Zustellungsregelungen des § 10 AsylG (vgl. Heusch, in: BeckOK Ausländerrecht, 37. Edition Stand: 01.04.2023, § 31 AsylG Rn. 9). Das gesonderte Zustellungsregime des § 31 Abs. 1 Satz 4 bis 6 AsylG, in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung, wonach die Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsandrohung dem Ausländer selbst zuzustellen war, ist hier nicht anzuwenden, da der Asylantrag des Klägers im streitgegenständlichen Bescheid nicht nach § 26 a (sicherer Drittstatt) bzw. § 27a a.F. bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Zuständigkeit eines anderen Staates nach der Dublin III-VO) abgelehnt worden ist, sondern nach § 29 a AsylG (sicherer Herkunftsstaat).
24
bb) Vorliegend musste der streitgegenständliche Bescheid nach den Zustellungsvorschriften an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers zugestellt werden, da der Bevollmächtigte rechtzeitig vor Bescheiderlass die Vertretung des Klägers anzeigte und die Vollmacht vorlegte. Hierfür genügt die mittels Fax an die Beklagte gesendete Vollmacht.
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(1) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG können Zustellungen an den allgemeinen oder für bestimmte Angelegenheiten bestellten Bevollmächtigten gerichtet werden. Sie sind an ihn zu richten, wenn er schriftliche Vollmacht vorgelegt hat (§ 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG).
26
So verhält es sich hier. Vorliegend hat der damalige Bevollmächtigte eine vom Kläger handschriftlich unterzeichnete Vollmacht zusammen mit einem Schreiben, in dem die Vertretung angezeigt wird, am 25. Juli 2016 um 13.00 Uhr mittels Fax an die Beklagte gesendet. Diese durch einen Rechtsanwalt gefaxte Vollmacht ist als schriftliche Vollmacht im Sinn von § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG anzusehen.
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(a) Zwar ist in der Rechtsprechung und der Literatur umstritten, ob eine per Fax gesendete Vollmacht den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG erfüllt (ablehnend: BGH, U.v. 23.6.1995 – 1 IZ 106/92 – juris Rn. 9 ff.; BVerwG, B.v. 3.6.2011 – 6 PB 1/11 – NVwZ 2011, 947; BFH, U.v. 22.2.1996 – IIII R 97/95 – juris Rn. 9; OVG NRW, B.v. 21.1.2020 – 4 B 1650/19 – juris Rn. 4; B.v. 29.1.2013 – 4 B 897/12 – juris Rn. 18 ff.; VG Gelsenkirchen, B.v. 30.6.2020 – 9 K 1589/20 – juris Rn. 3 ff.; Schmollich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 7 VwZG Rn. 5; Weidemann, Praxis der Kommunalverwaltung, A 18 Bund Nr. 2.2.1; als ausreichend erachtend: OVG Hamburg, U.v. 9.12.2009 – 5 Bf 106/09 – juris Rn. 40 f.; Birk, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 58. Ed. Stand: 1.1.2023, § 14 VwVfG Rn. 10.1; L.Ronellenfitsch, in: Bader/Ronellenftsch, BeckOK VwVfG, 58. Ed. Stand: 1.1.2019, § 7 VwZG Rn. 26; Daner, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 7 VwZG Rn. 3, den Rechtsschein einer Vollmacht ausreichend lassend; Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlattmann, VwVG VwZG, 12. Aufl. 2021, § 7 VwZG Rn. 7, wonach an Rechtsanwalt regelmäßig zuzustellen sei; offen: VG Frankfurt (Oder), U.v. 8.4.2022 – 6 K 3064/17.A – juris Rn. 34).
28
Dagegen spricht, dass bei einem per Fax gesendeten Schreiben das Original-Schriftstück beim Versender verbleibt und der Empfänger nur eine Kopie dieses Schriftstücks erhält, die durch das Fax-Empfangsgerät produziert wird.
29
(b) Gleichwohl hat die Rechtsprechung in Bezug auf das prozessrechtliche Schriftformgebot bei der Rechtsmitteleinlegung im Hinblick auf die technische Entwicklung der Übertragungsmöglichkeiten von Nachrichten und Informationen ein per Fax gesendete Schreiben genügen lassen (siehe nur GmS-OGB, B.v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98 – NJW 2000, 2340 m.w.N.). Dies zeigt, dass der Wortlaut „schriftlich“ einer Auslegung, wonach ein Faxschreiben dem Schriftformgebot genügt, nicht entgegensteht. Entscheidend ist vielmehr mit Blick auf den Sinn und Zweck des Schriftformgebots, dass Urheberschaft und Verkehrswillen hinreichend klar aus dem übermittelten Dokument hervorgehen (vgl. GMS-OBG, B.v. 30.4.1979 – GmS-OGB 1/78 – BVerwGE 58, 359, 365).
30
Dies ist hier der Fall. Die Urheberschaft des Klägers bzgl. der Vollmacht geht aus dem mit Fax an die Beklagte gesendeten Dokument hervor, da in diesem der Name des Klägers und dessen Unterschrift enthalten ist. Auch der Verkehrswille des Klägers ist bereits durch die eigenhändige Unterschrift des Klägers auf der Vollmacht hinreichend dokumentiert.
31
Soweit man aus dem Wortlaut „schriftlich“ folgernd noch eine Verkörperung der übermittelten Nachricht verlangen wollte, so ist diese jedenfalls bei der – hier in Rede stehenden – klassischen Fax-Sendung, der ein Papierausdruck durch das Faxgerät auf Seiten des Empfängers folgt, erfüllt.
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(c) Zweifel mit Blick auf den Aspekt der Rechtssicherheit, der das Schriftformgebot in der Sache dient, stehen jedenfalls bei einer durch einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten mittels Fax versendeten Vollmacht nicht der Subsumtion unter das Tatbestardsmerkmal „schriftlich“ entgegen. Denn insofern kommt die besondere Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 Bundesrechtsanwaltsordnung – BRAO) zum Tragen. Im Gegensatz zu anderen (Privat-)Personen, die als Bevollmächtigte auftreten, unterliegt der Rechtsanwalt einem besonderen berufsrechtlichen Rechtsregime und hat eine spezifische Stellung im System der Rechtspflege. Rechtsanwälte sind kraft Gesetzes beruflich zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten befugt und daher nach ihrer von Gesetzes wegen vorgegebenen Funktion auch berufen, in Rechtsangelegenheiten vor Behörden aufzutreten (§ 3 BRAO; VG Potsdam, J.v. 31.7.2000 – 4 K 3602/97 – NVwZZ-RR 2001, 285, 286). Insofern genießt der Rechtsanwalt einen gewissen Vertrauensvorschuss für sein ordnungsgemäßes Auftreten im gerichtlichen Verfahren, der sich in Vorschriften der Prozessordnungen wie § 67 Abs. 6 Satz 4 VwGO, § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO, § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG, § 88 Abs. 2 ZPO und § 138 Abs. 1 i.V.m. § 145a Abs. 1 Satz 2 StPO widerspiegelt (vgl. Schenk, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 43. EL August 2022, § 67 Rn. 101; Schramm, in: Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, 65. Edition, Stand: 01.01.2023, § 67 Rn. 73; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Auflage 2023, § 88 Rn. 5). Im einem dem gerichtlichen Verfahren vorgeschalteten Verwaltungsverfahren kann nichts Anderes, insbesondere nichts Strengeres, gelten (vgl. Birk, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 58. Ed. Stand: 1.1.2023, § 14 VwVfG Rn. 10.1).
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(d) Dem steht nicht die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 1994 – Az. 1 IZ 106/92 – entgegen, die von anderen (Bundes-)Gerichten rezipiert wurde (vgl. BVerwG, B.v. 3.6.2011 – 6 PB 1/11 – NVwZ 2011, 947, 948; BFH, U.v. 22.2.1996 – IIII R 97/95 – juris Rn. 9 f.; OVG NRW, B.v. 21.1.2020 – 4 B 1650/19 – juris Rn. 4 f.; B.v. 29.1.2013 – 4 B 897/12 – juris Rn. 18 f.). Nach dieser Rechtsprechung genüge eine per Telefax übermittelte Vollmacht nicht dem prozessualen Schriftformgebot (§ 80 ZPO), da diese nur eine Kopie sei (BGH, U.v. 23.6.1994 – I ZR 106/92 – juris Rn. 9 ff.). Allerdings betrifft diese Rechtsprechung zum einen nur das prozessuale Schriftformgebot und ist daher nicht auf das verwaltungszustellungsrechtliche Schriftformgebot des § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG unbesehen zu übertragen. Zum anderen ist diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs in ihrem Kontext zu seien, zu dem sie ergangen ist. Im Streit stand in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 1994 die Frage, ob eine per Telefax gesendete Vollmacht den Anforderungen des § 80 Abs. 1 ZPO in der Fassung vom 1. Januar 1964 erfüllte. Nach § 80 Abs. 1 ZPO a.F. hatte der Bevollmächtigte die Bevollmächtigung durch eine schriftliche Vollmacht nachzuweisen und diese zu den Gerichtsakten abzugeben. In dem der Entscheidung des BGH zugrunde liegenden Fall hatte die Gegenseite die Vollmacht ausdrücklich gerügt (BGH, U.v. 23.6.1994 – I ZR 106/92 – juris Rn. 6, 10). Maßgeblich für den BGH war, dass der Nachweis im streitigen Fall nur durch eine Urkunde – und nicht durch eine Kopie – geführt werden konnte (BGH, U.v. 23.6.1994 – 1 ZR 106/92 – juris 9). Diese Rechtsprechung kann somit mit Blick auf ihren Entscheidurgskontext auf das hier in Rede stehende verwaltungsverfahrensrechtliche Schriftformgebot bzgl. der Vollmacht nur insofern übertragen werden, als dass eine per Telefax übermittelte Vollmacht nur dann das Schriftformgebot nicht erfüllt, wenn die Behörde dies zuvor – entsprechend § 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG – gerügt hat. Vorliegend hat die Beklagte jedoch vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids weder eine mangelnde Schriftform der per Fax übermittelten Vollmacht gerügt noch einen Nachweis insofern verlangt.
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(e) Auch die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2011 – Az. 6 PB 1/11 – führt zu keiner abweichenden Bewertung. Diese Entscheidung ist ebenfalls aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Zwar wird auch in dieser Entscheidung ausgeführt, dass eine per Fax übermittelte Vollmacht des Rechtsanwalts nicht dem Schriftformgebot bei der personalvertretungsrechtlichen gerichtlichen Antragsstellung gemäß § 9 Abs. 4 Satz 1 Bundespersonalvertretungsgesetz vom 15. März 1974 (BPersVG 1974) genügt. Gleichwohl kann diese Entscheidung nicht auf das verwaltungsverfahrensrechtliche Schriftformgebot übertragen werden. Denn das Bundesverwaltungsgericht argumentiert in der Entscheidung zentral mit den personalvertretungsrechtlichen Besonderheiten des fristgebundenen Antragserfordernisses nach § 9 Abs. 4 Satz 1 BPersVG 1974, dem eine Signalfunktion zukomme. Diese gehe dahin, dass spätestens zwei Wochen nach Beendigung des Ausbildungsverhältnisses der betroffene Jugendvertreter Sicherheit über die verantwortlich entschiedene Absicht seines Arbeitgebers haben solle. Damit verbiete sich jegliche Beweisaufnahme zur Frage der Bevollmächtigung nach Ablauf der Ausschlussfrist (BVerwG, B.v. 3.6.2011 – 6 PB 1/11 – NVwZ 2011, 947, 948). Aufgrund dieser personalvertretungsrechtlichen Besonderheit kann kein allgemeiner Rechtssatz zum Schriftformgebot nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG aus dieser Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abgeleitet werden.
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(2) Die Vorlage der Vollmacht mittels Fax geschah auch rechtzeitig vor Bescheiderlass. Eine Vollmacht i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG liegt erst dann wirksam vor, wenn sie dem Sachbearbeiter bekannt ist oder bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang zugänglich sein müsste (Smollich, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 7 VwZG Rn. 6; L. Ronellenfitsch, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, 58. Ed. Stand: 1.10.2019, § 7 VwZG Rn. 26). Vorliegend ging die Vollmacht per Fax am 25. Juli 2016 um 13 Uhr ein. Bei einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang ist davon auszugehen, dass die Vollmacht am Folgetag, spätestens jedenfalls am übernächsten Folgetag, hier also am 27. Juli 2016, den Sachbearbeiter erreicht hat. Dies war noch rechtzeitig vor Erstellung des Bescheids am 28. Juli 2016.
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(cc) Schließlich folgt aus § 10 AsylG nichts anderes, da der Ausländer nach § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, nur gegen sich gelten lassen muss, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Das heißt, die Regelungen über die Bekanntgabe- und Zustellungserleichterungen, die § 10 AsylG vorsieht, sind im Falle der Benennung eines Bevollmächtigten durch den Asylbewerber ausgeschlossen (vgl. Preisner, in: Kluth/Heusch BeckOK Ausländerrecht, 37. Edition Stand: 1.4.2023, § 10 AsylG Rn. 24; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 10 AsylG Rn. 13). Da § 10 Abs. 2 Satz 1 AsylG keine weiteren normativen (Form-)Vorgaben für die Bestellung des Bevollmächtigten macht (Preisner, in: Kluth/Heusch BeckOK Ausländerrecht 37. Edition Stand: 1.4.2023, § 10 AsylG Rn. 21), ist vorliegend nach oben Festgestelltem von einer wirksamen Bevollmächtigung des damaligen Bevollmächtigten des Klägers vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids auszugehen, da der Beklagten mittels Fax eine Vertretungsanzeige samt unterschriebener Vollmacht des Klägers zugesendet worden ist.
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(dd) Eine Heilung trat weder durch die Übermittlung einer Kopie des streitgegerständlichen Bescheids noch durch rügeloses Einlassen im Verwaltungsprozess ein.
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(1) Der Verstoß gegen die zwingende Zustellungsvorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht im Sinne von § 8 VwZG dadurch geheilt worden, dass dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers nachträglich am 31. Januar 2017 ein vollständiger Ausdruck der Verfahrensakte zur Akteneinsicht überlassen wurde. Nach der Rechtsprechung der Kammer wird ein Zustellungsmangel nicht dadurch geheilt, indem einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eine Kopie des Bescheids überlassen oder dieser vom Bescheid im Rahmen der Akteneinsicht Kenntnis erlangt (vgl. VG München, U.v. 22.9.2022 – M 10 K 21.30727 – BeckRS 2022, 29394; B.v. 27.7.2022 – M 10 S 21.30729 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 20.5.2021 – M 10 K 19.5002 – juris Rn. 39 ff.). So hat das Gericht im Urteil vom 22. September 2022 bereits ausgeführt:
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„Dieser Zustellungsmangel wurde auch nicht mit der nachträglichen Kenntnisnahme des verfahrensgegenständlichen Bescheids durch die Bevollmächtigte des Klägers nach Übersendung der Bundesamtsakte an diese gem. § 8 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) geheilt. Für die Heilung eines Zustellungsmangels nach § 8 VwZG kommt es maßgeblich darauf an, dass das zuzustellende Dokument im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB in den Machtbereich des Empfangsberechtigten gelangt (s. dazu Ronellenfitsch, in: BeckOK VwVfG, 55. Edition, Stand 1.10.2019, § 8 VwZG Rn. 10). Ob jedoch die Übermittlung einer Kopie des Bescheids zur Heilung eines Zustellungsmangels nach Art. 8 VwZG ausreicht, ist in Literatur und Rechtsprechung sehr umstritten (ausreichend nach BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 29; BFH, U.v. 13.10.2005 – IV R 44/03 – juris Rn. 20; OVG Bremen, B.v. 24.2.2020 – 2 B 304/19 – juris Rn. 4; OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2018 – 12 ME 25/18 – juris Rn. 31; OVG Magdeburg, B.v. 19.6.2018 – 3 M 227/18 – juris Rn. 6; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017 – 3 RBs 106/17, Rn. 29; OVG Schleswig, B.v. 8.4.2015 – 2 LA 20/15 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 6.12.2011 – 19 ZB 11.742 – juris Rn. 12; Couzinet/Fröhlich in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 41 Rn. 148; Ronellenfitsch in: Bader/ders., BeckOK VwVfG, 55. Ed. 1.10.2019, § 8 VwZG Rn. 12; Baer in Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Stand: April 2022, § 41 Rn. 149, 153; a.A.: BSG, U.v. 26.10.1989 – 12 RK 21/89 – juris Rn. 20; BGH, B.v. 24.3.1987 – KVR 10/85 – juris Rn. 19; Danker in: Verwaltungszustellungsgesetz, 1. Auflage 2012, § 8 VwZG Rn. 7; Smollich in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Auflage 2019, § 8 VwZG Rn. 6).
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Dafür, dass die Übersendung einer Kopie zur Heilung nach Art. 9 VwZVG ausreicht, spricht, dass damit der Zweck der Bekanntgabe erreicht wird, dem Adressaten zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids zu verschaffen (so grundlegend: BVerwG, U.v. 18.4.1997, a.a.O., S. 181; im Anschluss hieran ohne weitere Begründung insbesondere: OVG Bremen, B.v. 24.2.2020, a.a.O.; OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2018, a.a.O.; BayVGH, B.v. 6.12.2011, a.a.O.). Überdies hat die Heilungsmöglichkeit den Sinn, die förmlichen Zustellungsvorschriften nicht zum Selbstzweck erstarren zu lassen und ist dementsprechend grundsätzlich weit auszulegen (vgl. hierzu: BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 11 CS 20.2953 – BeckRS 2021, 2782 Rn. 16 zu § 189 ZPO; OLG Hamm, B.v. 8.8.2017, a.a.O., Rn. 14).
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Gegen dieses Verständnis der Heilungsvorschrift spricht allerdings der Wortlaut der Heilungsvorschrift. Art. 9 VwZVG stellt bei einem Zustellungsmangel „eines Dokuments“ für die Heilung darauf ab, dass „es“, also das Dokument, dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Bereits nach dem Wortlaut der Regelung muss dasjenige Schriftstück, dem der Zustellungsmangel anhaftet, beim Empfangsberechtigten eingehen (so auch: BSG, U. v. 26.10.1989, a.a.O., S. 1109). Dafür, dass für die Heilung die Übersendung einer Kopie nicht reicht, spricht ferner der Wille des Gesetzgebers. Nach der Begründung zur Änderung des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes im Jahr 2006 zu Art. 9 VwZVG (LT-Drs. 15/5474 v. 9.5.2006, S. 9) umfasst der Begriff „Dokument“ im Sinne des Art. 9 VwZVG Schriftstücke und elektronische Dokumente nach Art. 2 Abs. 1 VwZVG. Dies sind gemäß der Gesetzesbegründung zu Art. 2 VwZVG (LT-Drs. 15/5474, a.a.O., S. 6) die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine beglaubigte Abschrift, ausdrücklich nicht aber eine Fotokopie (vgl. auch die identische Gesetzesbegründung zum inhaltsgleichen § 8 VwZG im Zuge der vorangegangenen Novellierung des Verwaltungszustellungsgesetzes im Jahr 2006: BT-Drs. 15/5216 v. 7.4.2005, S. 11, 14). Für ein solches Verständnis der Norm spricht zudem die ratio der Zustellung, mit der gerade besondere Anforderungen an die Authentizität des zu übergebenden Dokuments gestellt werden sollen. Denn die hohen Anforderungen durch die Originalunterschrift, den Ausfertigungs- oder Beglaubigungsvermerk dienen dazu, dem Empfänger die Überprüfung der Identität des Dokuments mit dem tatsächlichen Bescheid zu ermöglichen (Smollich, a.a.O.).
42
Vor diesem Hintergrund mag es zwar zweckmäßig sein, eine Kopie zur Heilung ausreichen zu lassen. Aber eine solche Interpretation der Norm ist nach Auffassung des Gerichts mit dem eindeutigen Wortlaut und der Gesetzesbegründung nicht vereinbar. Da sich die jüngeren obergerichtlichen Entscheidungen, die nach den Reformen des Verwaltungszustellungsgesetzes und des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes von 2006 ergangen sind und die für eine Heilung die Übermittlung einer Kopie genügen lassen, – soweit ersichtlich – ohne weitere Begründung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1997 anschließen, ohne sich mit der Gesetzesbegründung zu den im Jahr 2006 reformierten Vorschriften auseinanderzusetzen, folgt das Gericht dieser Rechtsprechung nicht.
43
Art. 9 VwZVG ist auf den vorliegenden Fall der Übermittlung einer Kopie auch nicht analog anwendbar. Die Voraussetzungen einer Analogie liegen schon deswegen nicht vor, da es an einer planwidrigen Regelungslücke mangelt. Ausweislich der Gesetzesbegründung hat der Gesetzgeber den Fall der Kopie nicht planwidrig nicht geregelt, sondern diesen Fall gerade gesehen und die Heilung hierauf explizit nicht für anwendbar erklärt.
44
Die Kammer hält an dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall fest, zumal sich die obigen Ausführungen in Bezug auf Art. 9 VwZVG ohne Weiteres auf den im maßgeblichen Punkt wortgleichen Art. 8 VwZG („gilt es“) übertragen lassen.“
45
An dieser Rechtsprechung hält die Kammer auch für den vorliegenden Fall fest. Der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung folgt das Gericht aus den oben dargestellten Gründen nicht.
46
(2) Eine Heilung ist im konkreten Fall auch nicht durch rügeloses Einlegen des statthaften Rechtsbehelfs eingetreten (zur Heilung durch rügelose Klageerhebung nach Erhalt einer Bescheidkopie siehe BayVGH, B.v. 22.2.2018 – 5 ZB 17.31905 – juris Rn. 8). Denn der Bevollmächtigte des Klägers hat bei der Klageerhebung am 30. Juli 2018 u.a. vorgetragen, dass der Kläger den streitgegenständlichen Bescheid (bis dato) nicht erhalten habe. In der Klageschrift hat der Bevollmächtigte weiter ausgeführt, dass er vergeblich die Beklagte um Übermittlung des Bescheids oder zumindest der ersten Seite gebeten habe. Daher habe auch der Klageantrag nicht genauer formuliert werden können. Damit hat er hinreichend die fehlende Bekanntgabe des Bescheids gerügt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG). Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gem. § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.