Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 10.08.2023 – 34 U 2099/23 e
Titel:

Kein Ersatz des Differenzschadens wegen Rechtsirrtums des Fahrzeugherstellers hinsichtlich Verwendung eines Thermofenster

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Fehlt es an einem Rückruf des Fahrzeugs, so bedarf es anderer gewichtiger Indizien für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Insoweit unergiebig ist der Verweis auf angeblich erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen folgt keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist von einem unvermeidbaren Rechtsirrtum des Fahrzeugherstellers hinsichtlich des Vorwurfs einer fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines parametergesteuerten Emissionskontrollsystems auszugehen, wenn bei einer konkreten Nachfrage beim Kraftfahrtbundesamt von diesem die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung bestätigt worden wäre. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Opel Astra, Thermofenster, Rechtsirrtum, Differenzschaden, Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG Passau, Urteil vom 14.04.2023 – 4 O 45/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20163

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Passau vom 14.4.2023, Az. 4 O 45/23, gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Binnen derselben Frist können sich die Parteien auch zum Streitwert des Berufungsverfahrens äußern, den der Senat auf bis zu 9.000,- € festzusetzen beabsichtigt.
4. Dem Kläger wird anheimgestellt, die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger macht Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Diesel-Fahrzeugs geltend.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Kläger am 4.9.2015 von einem Dritten einen Pkw Opel Astra 2,0 CTDI, erstzugelassen am 21.5.2014, Laufleistung zu diesem Zeitpunkt 20.671 km, zum Preis von 18.113,- € brutto. Das vom KBA typgenehmigte Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor ausgerüstet und in die Schadstoffklasse Euro 5 eingruppiert. Ein Rückruf wegen des Abgasverhaltens des Fahrzeugs im Betrieb ist vom KBA nicht angeordnet. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs.
3
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, im Fahrzeug seien illegale Abschalteinrichtungen verbaut, so dass das Fahrzeug nicht typgenehmigt hätte werden dürfen, weil es die zulässigen Abgasgrenzwerte überschreite. So sei das Fahrzeug mit einem unzulässigen Thermofenster ausgerüstet, die Abgasnachbehandlung sei unzulässig vom Umgebungsdruck abhängig, unzulässig sei die Abgasnachbehandlung in Abhängigkeit von der Motorendrehzahl geregelt, dem Kläger drohe die Stilllegung des Fahrzeugs. Er hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, wenn er über die Implementierung der behaupteten Abschalteinrichtungen in Kenntnis gesetzt worden wäre. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 18.113,- € nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung zu bezahlen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
4
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Für das streitgegenständliche Fahrzeug liege eine Typgenehmigung des KBA vor, die nach einem ordnungsgemäß durchgeführten Verfahren rechtmäßig erteilt worden sei, weil das Fahrzeug die erforderlichen Abgasgrenzwerte nach den anzuwendenden Zulassungsvorschriften einhalte.
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Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 14.4.2023 abgewiesen. Eine im Lichte der Genehmigungsvorschriften unzulässige Abgasregelung reiche für die Erfüllung des objektiven Tatbestands des § 826 BGB nicht aus, weil dieser Umstand alleine dem Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten noch kein sittenwidriges Gepräge gebe. Die Darstellung des Klägers erschöpfe sich in der Darlegung seines Vorstellungsbilds zur technischen Funktion der Abgasreinigung und seiner Schlussfolgerung dahingehend, dass dies die Genehmigungsfähigkeit des Fahrzeugs ausschließe, weil dieses Fahrzeug im Realbetrieb mehr Schadstoffe ausstoße als nach den Genehmigungsvorschriften zulässig, und in der Darlegung von technischen Problemen der Zulieferer der Beklagten. Eine nach Zeit, Ort und Gelegenheit substantiierte Darlegung, wie und welche verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten wann darüber ins Bild gesetzt wurden, fehlt. Die Schlussfolgerung, die arglistige Täuschung der Verbraucher habe nur durch die höchsten Ebenen des Unternehmens veranlasst werden können, sei mit Tatsachen nicht hinterlegt. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.3.2023 würden die Zulassungsvorschriften im Lichte der ihm zum Fahrzeug erteilten Übereinstimmungsbescheinigung auch den jeweiligen Fahrzeugkäufer schützen. Es komme damit zwar ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Betracht, allerdings habe der Kläger zum subjektiven Tatbestand dieser Vorschrift nicht ausreichend vorgetragen. Wenn über Jahre die Zulässigkeit von Abgaseinrichtungen von der Typgenehmigungsbehörde und den Fahrzeugherstellern anders rechtlich beurteilt werde als vom Kläger, führe dies nicht automatisch zu einem Schuldvorwurf, wenn wie hier eine letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung komme. Es sei zwischen den Parteien unstreitig, dass der im Fahrzeug verbaute Motor und seine Steuerung Gegenstand von Untersuchungen durch das KBA als zuständiger Typengenehmigungsbehörde gewesen und unbeanstandet geblieben seien. Die Entscheidungen der Typgenehmigungsbehörde hätten für die Zivilgerichte Bindungswirkung. Daher sei mit einer Fahrzeugstilllegung nicht mehr zu rechnen, so dass es auch am Schaden fehle.
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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einem Emissionskontrollsystem versehen, welches in Abhängigkeit u. a. von Umgebungsluftdruck (unterhalb 91,5 kPa) und Motordrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) in seiner Wirkungsweise verringert werde. Die Abgasreinigung wechsle 1.180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus und schalte auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen um. Darüber hinaus sei eine Software verbaut worden, die bewirke, dass im normalen Straßenbetrieb, mindestens bereits bei einer Außentemperatur von +17 Grad Celsius, bei weitem mehr Stickoxid ausgestoßen werde als das für das streitgegenständliche Fahrzeug mit Abgasnorm Euro 5 (180 mg/km) zulässig sei („Thermofenster“). Die genannten Funktionen und Einrichtungen würden unzulässige Abschalteinrichtungen i.S. der geltenden Vorschriften darstellen, insbesondere i.S. von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Die Beklagte habe illegale Abschalteinrichtungen gemäß der Definition in Art. 3 der Verordnung im streitgegenständlichen Motor verbaut.
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Sie habe die Abschalteinrichtungen aus Gewinnstreben nicht gegenüber dem KBA offengelegt und damit sowohl das KBA als auch die Käufer der Fahrzeuge langjährig und systematisch, bewusst und gewollt getäuscht, indem die Fahrzeuge so programmiert und gebaut worden sind, dass diese die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhalten würden. Die Klagepartei habe dadurch einen erheblichen Vermögensschaden erlitten, dass ihr ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt worden sei, das die Voraussetzungen der Euro-5-Norm und damit die Voraussetzungen für die EU-Typgenehmigung und die Zulassung nach deutschem Recht ebensowenig erfülle wie die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis. Da ein solches Fahrzeug einen massiven Minderwert aufweise und zudem die reine Möglichkeit, dass die Straßenverkehrsbehörden die Betriebserlaubnis einziehen, einen Rechtsmangel darstelle, sei dies ebenfalls als Schaden anzusehen. Das Landgericht habe das klägerische Vorbringen nicht in vollem Umfang zugrundegelegt. Es verkenne all die vorgetragenen Modulationen, indem es nahezu nur auf das Thermofenster eingehe. Der Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter bzw. ihrer Verrichtungsgehilfen ergebe sich schon aus der heimlichen und manipulativen Vorgehensweise. Das Thermofenster stelle – entgegen der Ansicht des Landgerichts – keine gut vertretbare Gesetzesauslegung durch die Beklagte dar. Weiter werde gerügt, dass das Landgericht vorliegend von einer entgegenstehenden Bindungswirkung der Typgenehmigung ausgehe. In rechtlich zu beanstandender Weise verkenne es dabei, dass die Beklagte sich nicht hierauf berufen dürfe, wenn die Genehmigung wie vorliegend durch eine arglistige Täuschung der Genehmigungsbehörde erschlichen worden sei. Die Offenlegung von Abschalteinrichtungen müsse auf Initiative des Herstellers erfolgen, das KBA könne dabei nur auf Basis der jeweils offengelegten Fakten entscheiden. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen würden einen Verstoß gegen Schutznormen darstellen, da durch die Implementation dieser illegalen Software die EG-Übereinstimmungsbescheinigung fehlerhaft sei. Der EG-Übereinstimmungsbescheinigung komme hier eine Funktion als Garantiekarte zu. Die Ausstellung/Übergabe einer Garantiekarte sei regelmäßig so auszulegen, dass dies einen Antrag auf einen Garantievertrag darstelle. Das streitgegenständliche Fahrzeug habe durch die Betroffenheit vom Dieselskandal einen Minderwert von mindestens 30% des ursprünglichen Kaufpreises zu verzeichnen.
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Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 18.113,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Astra 2.0 CTDI Exklusiv mit der Fahrgestellnummer W0L ... zu zahlen.
hilfsweise
II. die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 2.716,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
hilfsweise
III. das Urteil des Landgerichts Passau, Az. 4 O 45/23, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Passau zurückzuverweisen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, ein parametergesteuertes Emissionskontrollsystem begründe keine Sittenwidrigkeit. Weitere Umstände, die – selbst wenn man das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zugunsten des Klägers unterstellte – das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, habe der allein darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht dargetan. Es gebe auch keine. Insbesondere entbehre die ins Blaue hinein erhobene Behauptung, die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren getäuscht, jeglicher Grundlage. Das Verfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt, alle notwendigen Angaben gemacht worden. Eine Pflicht, im Typgenehmigungsverfahren Angaben zu Abschalteinrichtungen und den zugrundeliegenden Emissionsstrategien zu machen, deren Zulässigkeit sodann behördlich überprüft worden wäre, sei erst mit der VO (EU) 2016/646 eingeführt worden. Die Typgenehmigungsbehörden hätten Kenntnis von der Funktionsweise und vom Emissionsverhalten aller relevanten Opel-Motorbaureihen der Emissionsklassen Euro 5 gehabt und würden diese bis heute nicht beanstanden. Vor diesem Hintergrund wäre seinerzeit auch eine spezifische Anfrage bei der Typgenehmigungsbehörde vor Erteilung der Genehmigung, ob das Emissionskontrollsystem in seiner konkreten Ausgestaltung den rechtlichen Anforderungen entspreche, bejaht worden. Dem Kläger sei schließlich auch kein Schaden entstanden. Selbst wenn man unterstelle, dass ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB dem Grunde nach bestünde – was nicht der Fall sei – so könnte der Kläger auf dieser Grundlage keine Rückabwicklung des Kaufvertrags verlangen, wie der Bundesgerichtshof jüngst bestätigt habe. Abgesehen davon, dass der klägerische Vortrag zu einem angeblichen Minderwert keinen Anhaltspunkt enthalte, läge ein etwaiger Minderwert allenfalls bei 5% des Kaufpreises. Schließlich sei davon auszugehen, dass selbst ein etwaiger Minderwert gänzlich im Wege der Vorteilsausgleichung kompensiert wäre. Etwaige Ansprüche des Klägers wären jedenfalls verjährt. Die bereits erstinstanzlich erhobene Einrede der Verjährung bleibe aufrechterhalten. Der Kläger stütze die 2023 eingereichte Klage ausschließlich auf Umstände, die spätestens seit 2016 einer breiten Öffentlichkeit geläufig seien. Dass parametergesteuerte Emissionskontrollsysteme in allen Dieselfahrzeugen zum Einsatz kämen und gekommen seien, sei spätestens seit dem Bericht der Untersuchungskommission „V.“ bekannt. Der bereits im April 2016 veröffentlichte Bericht habe u. a. auch das streitgegenständliche Opel-Fahrzeug der Emissionsklasse Euro 5 zum Gegenstand und habe seither eine breite öffentliche Wahrnehmung erfahren. Dieser Bericht sei auch dem Kläger bereits seit 2016 bekannt gewesen, jedenfalls hätte er ihm bekannt sein können und müssen.
II.
11
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
12
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S. von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach dieser Maßgabe hat das Landgericht die Klage auf Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Auch der in der Berufungsinstanz gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässigerweise gestellten Hilfsantrag auf Ersatz des Differenzschadens hat keine Aussicht auf Erfolg.
13
a) Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Fahrzeugerwerbs wegen einer unerlaubten Handlung nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder aus einem Garantieversprechen nach § 443 Abs. 1 BGB besteht nicht.
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aa) Im Hinblick auf das unstreitig vorhandene parametergesteuerte Emissionskontrollsystem fehlt es für eine Haftung nach § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB jedenfalls am erforderlichen Vorsatz. Zwar ist nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs davon auszugehen, dass insbesondere ein Thermofenster in bestimmten Ausgestaltungen eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 darstellt (EuGH EuZW 2022, 1073 f.), woran selbst eine erteilte Typgenehmigung nichts ändert (BGH NJW 2023, 2259). Es kann hier allerdings offenbleiben, ob die vorliegende Ausgestaltung objektiv hierunter fällt. Denn das streitgegenständliche Fahrzeug wurde spätestens 2014 hergestellt und typgenehmigt, die Beklagte durfte aber bis zu der betreffenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 14.7.2022 davon ausgehen, dass ein Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes im Rahmen einer weiten Auslegung der genannten Vorschrift zulässig sei. Insoweit befand sie sich gegebenenfalls in einem vorsatzausschließenden Rechtsirrtum, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde (OLG Nürnberg BeckRS 2023, 8575 Rn. 28; OLG Hamm BeckRS 2022, 29391 Rn. 49; OLG Schleswig BeckRS 2022, 19428 Rn. 23; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 24). Gleiches gilt für die Emissionssteuerung auf der Grundlage von Umgebungsluftdruck und Drehzahl. Eine solche funktioniert wie ein Thermofenster inner- und außerhalb des Prüfstands grundsätzlich in gleicher Weise. Mit der von den EA-189-Motoren bekannten Umschaltlogik ist dies gerade nicht vergleichbar. Die Annahme, dass die auf Beklagtenseite Verantwortlichen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf nahmen, liegt angesichts dessen fern (vgl. BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 21). Nichts anderes ergibt sich aus dem klägerischen Vortrag zur Rolle des Unternehmens B. im sogenannten Diesel-Skandal. Ein konkreter Bezug zum vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich. Besonders deutlich wird dies an den umfangreichen textbausteinartigen Ausführungen zum SCR-System, das im streitgegenständlichen Fahrzeug gar nicht verbaut ist.
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Hinsichtlich eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB fehlt es im Übrigen beim Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs von einem Dritten, wie er hier vorliegt, an der erforderlichen Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Käufers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter des Herstellers für sich oder den Dritten erstrebt haben könnte (BGH NJW 2020, 2798/2800 f.).
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Im Hinblick auf die angebliche Manipulation des OBD-Systems ist der Klagevortrag schon allein deshalb unbeachtlich, weil dieses System der Prüfung der Funktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme dient, selbst aber nicht den Schadstoffausstoß überwacht (OLG München BeckRS 2023, 10352 Rn. 13; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 10880 Rn. 45). Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (BGH BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).
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Die klägerische Behauptung, der Motor wechsle 1.180 Sekunden nach dem Start in einen anderen Betriebsmodus und schalte auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen um, ist sichtlich ins Blaue hinein aufgestellt und wird von der Beklagten bestritten. Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer entsprechenden Programmierung wie auch sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen, die Anlass gäben, den Beweisangeboten des Klägers nachzukommen, bestehen nicht. Fehlt es wie hier nämlich an einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so bedarf es anderer gewichtiger Indizien für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 36). Insoweit unergiebig ist der Verweis auf angeblich erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen folgt keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss (BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 30; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 18). Vielmehr liegt zunächst auf der Hand, dass eine eventuelle Überschreitung der Grenzwerte ohne weiteres darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst seit Kurzem für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, ob im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ eingehalten werden (OLG Braunschweig BeckRS 2019, 38719). Die vom Kläger angesprochene Überschreitung der geltenden Stickoxid-Grenzwerte um den Faktor 3,5 im realen Fahrbetrieb ist vor diesem Hintergrund nicht geeignet, ein auffälliges Emissionsverhalten zu begründen. Eine Abweichung zum Prüfstandsbetrieb, die derart erheblich ist, dass sie für sich genommen schon als greifbarer Anhaltspunkt für die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung dienen könnte, ist jedenfalls aufgrund des Vortrags des Klägers nicht ersichtlich (vgl. OLG München BeckRS 2023, 10352 Rn. 18). Es ist auch nicht statthaft, alle Fahrzeuge der Beklagten dahingehend gleichsam über einen Kamm zu scheren, dass, wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliege, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers betreffe (OLG Hamm BeckRS 2021, 31189 Rn. 78; OLG Koblenz BeckRS 2019, 18418 Rn. 22). Ein solcher Erfahrungssatz kann nicht angenommen werden, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale einem Generalverdacht unterworfen würden (OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41726 Rn. 29). Welche Erkenntnisse schließlich sich aus der Durchsuchung bei der Beklagten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ergeben hätten, die für den vorliegenden Fall fruchtbar gemacht werden könnten, ist nicht ersichtlich. Sonstige Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer illegalen Abschalteinrichtung sind nicht vorgetragen. Eine diesbezügliche Beweiserhebung würde sich daher als unzulässiger Ausforschungsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2427/2431) darstellen.
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Ohnehin wäre ein klägerischer Anspruch aber verjährt. Denn die erforderliche Kenntnis i.S. von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt bereits dann vor, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen (BGH NJW 2021, 918). Die Beklagte hatte die Einrede nach § 194 Abs. 1 BGB bereits in der Klageerwiderung erhoben; den entsprechenden Tatsachenvortrag hatte der Kläger erstinstanzlich nicht substanziiert bestritten, sondern nur allgemein „klargestellt“, „dass der Anspruch nach § 823 II BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 RL 2007/46/EG, Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 der Klagepartei nicht verjährt“ sei.
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bb) Ein Garantieversprechen i.S. von § 443 Abs. 1 BGB im Hinblick auf die Konformität mit den einschlägigen Emissionsvorschriften ist nicht ersichtlich. Mit der Erstellung der Übereinstimmungsbescheinigung nach §§ 6, 27 Abs. 1, 37 Abs. 1 EG-FGV, durch die bestätigt wird, dass das konkrete auf den Markt gebrachte Fahrzeug den Vorgaben der EG-Typgenehmigung entspricht, erfüllt der Hersteller lediglich eine gesetzliche Verpflichtung und schafft die Voraussetzungen für die Erstzulassung nach § 6 Abs. 3 FZV. Dass der Hersteller darüber hinaus in besonderem Maße Vertrauen in Anspruch nehmen oder eine Zusicherung abgeben will, erschließt sich weder nach dem Text der Bescheinigung noch nach deren Zweck. Im Fall eines Gebrauchtwagenkaufs gilt dies umso mehr, als der Käufer an der Übereinstimmungsbescheinigung wegen deren Bedeutung nur bei der Erstzulassung weder ein eigenes Interesse hat noch mit dieser in Berührung kommt. Eine irgendwie geartete Garantiezusage ist damit nicht verbunden (OLG Köln BeckRS 2021, 22745 Rn. 60).
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b) Auch ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens wegen einer unerlaubten Handlung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht nicht.
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aa) Der unter a) aa) dargelegte Rechtsirrtum lässt ebenso den Vorwurf einer fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 in Gestalt eines parametergesteuerten Emissionskontrollsystems entfallen, und zwar wiederum unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung. Denn die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass ihre Rechtsauffassung selbst bei einer konkreten Nachfrage beim KBA von diesem bestätigt worden wäre. Es ist in der Tat gerichtsbekannt, dass im Zuge der damaligen Typgenehmigungsverfahren den Beteiligten bewusst war, dass die Messwerte der Fahrzeuge im Realbetrieb von den Werten im NEFZ angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messungen erfolgen, abwichen (KG BeckRS 2022, 24950 Rn. 20). Dennoch wurde behördenseits der Einsatz eines parametergesteuerten Emissionskontrollsystems, insbesondere eines Thermofensters, regelmäßig nicht beanstandet. Zwar ist diese Verwaltungspraxis insofern nicht schon per se maßgeblich. Aus ihr kann allerdings gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden, die der Annahme von Fahrlässigkeit bei der Verwendung der betreffenden, gegebenenfalls unzulässigen Abschalteinrichtung entgegensteht (BGH NJW 2023, 2259/2268).
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bb) Hinsichtlich weiterer angeblicher Manipulationen und der Verjährungsfrage wird auch unter dem Aspekt einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV auf die Ausführungen unter a) aa) verwiesen.
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cc) Unabhängig von dem unter aa) und bb) Ausgeführten unterläge ein Differenzschaden gegebenenfalls einer Kürzung aufgrund der im Hinblick auf die Fahrzeugnutzung vorzunehmenden Vorteilsausgleichung. Der Umfang hinge vom Kilometerstand ab, dessen Mitteilung dem Kläger obläge. Dabei wäre es nicht ausgeschlossen, dass der Differenzschaden sogar vollständig aufgezehrt würde (BGH NJW 2023, 2259/2270).
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Ausgangspunkt der Berechnung ist die Differenz zwischen dem Wert eines mangelfreien und eines mangelhaften Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH NJW 2023, 2259/2262). Diese Differenz ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls zwischen 5 und 15% des Kaufpreises anzusetzen, der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es hierfür nicht (BGH NJW 2023, 2259/2269 f.). Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie dessen Wert bei Vertragsschluss – gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden – übersteigen. Danach steht die Vorteilausgleichung der Gewährung auch von Schadensersatz aus § 823 Abs. 2 BGB entgegen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist. (BGH NJW 2023, 2259/2270).
25
Nach Maßgabe des Vorstehenden ergibt sich hier Folgendes: Für die Berechung des Differenzschadens geht der Senat, da insoweit keine Besonderheiten vorliegen, von einem mittleren Wert, also von 10% des Kaufpreises aus. Demnach liegt der Schaden bei 1.811,30 €, der tatsächliche Wert des Fahrzeugs bei Vertragsschluss mithin bei 16.301,70 €. Die klägerseits angenommene Gesamtlaufleistung, auf der der Wert der Nutzungsvorteile basiert, von 350.000 km erscheint für einen Mittelklassewagen wie den Opel Astra deutlich überhöht; auszugehen ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung (OLG Koblenz BeckRS 2021, 24028 Rn. 57) gemäß § 287 ZPO von nicht mehr als 250.000 km (vgl. BGH BeckRS 2021, 22177 Rn. 26). Auf dieser Basis wäre anhand des durch den Kläger mitzuteilenden Kilometerstands unter Anwendung der gängigen, vom Kläger zutreffend wiedergegebenen Formel (vgl. BGH NJW-RR 2021, 1534/1535) der Nutzungsvorteil zu berechnen. Soweit dieser und der ebenfalls gemäß § 287 ZPO zu schätzende Restwert des Fahrzeugs dessen tatsächlichen Wert bei Vertragsschluss von 16.301,70 € übersteigen, ist der Differenzschaden zu kürzen; auch ein vollständiges Entfallen ist dabei denkbar, und zwar – abhängig vom jeweiligen Kilometerstand – sowohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt als auch schon zu dem der Klageeinreichung.
26
c) Bleibt die Klage in der Hauptsache erfolglos, so stehen dem Kläger auch keine Prozesszinsen nach §§ 286, 289 BGB zu.
III.
27
Dem Antrag auf Zulassung der Revision ist nicht zu entsprechen.
28
Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie zweifelhaft ist, also über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift Unklarheiten bestehen. Derartige Unklarheiten bestehen u.a. dann, wenn die Frage vom Bundesgerichtshof bisher nicht entschieden ist und von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet wird oder wenn in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden (BGH ZIP 2016, 266/267). Bezugspunkte sind einerseits die in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO als selbständiger Zulassungsgrund definierten Kriterien der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit, andererseits die Praxis der Instanzgerichte oder nachhaltige Bedenken im Schrifttum gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (Zöller/Heßler ZPO 34. Aufl. § 543 Rn. 11).
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Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich vielmehr auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zweifelsfrei beantworten. Allein die Tatsache, dass im Rahmen des sogenannten Diesel-Abgasskandals in einer Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle gerichtliche Verfahren anhängig sind oder waren, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der hiesigen Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit andere Oberlandesgerichte oder andere Senate des Oberlandesgerichts München in der Begründung oder im Ergebnis divergierende Entscheidungen getroffen haben, ist zu bedenken, dass jeder Sachverhalt gesondert zu würdigen ist. Dass dabei zugleich Rechtsfragen unterschiedlich beantwortet würden oder in der Literatur in erheblichem Umfang abweichende Auffassungen vertreten würden, ist nicht erkennbar.
IV.
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Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO auf bis zu 9.000,- € festzusetzen.
V.
31
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, stellt der Senat dem Kläger aus Kostengründen die Rücknahme anheim. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1222 KV-GKG von 4,0 auf 2,0.