Inhalt

OLG München, Beschluss v. 09.08.2023 – 27 U 699/23 e
Titel:

Bemessung des Differenzschadens nach Kauf eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des sog. Differenzschadens zustehen. Das Bestehen eines Schadens ist in diesem Falle nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Bemessung des sog. Differenzschadens sind die vom Kläger gezogenen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeuges schadensmindernd anzurechnen. Allerdings sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Anspruch auf sog. Differenzschaden erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Opel Astra, Typ A20, Thermofenster, Differenzschaden, Vorteilsausgleichung
Vorinstanz:
LG Augsburg, Endurteil vom 12.01.2023 – 114 O 2115/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20160

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.01.2023, Aktenzeichen 114 O 2115/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Augsburg und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 13.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Diesel-Pkws.
2
Der Kläger erwarb am 04.07.2014 beim ... das Fahrzeug Opel Astra J Sports Tourer Innovation, Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN): W0L ..., ausgestattet mit einem Dieselmotor des Typs A20 (121 kW, Hubraum: 1.956 ccm, Abgasnorm: EU5), Datum der EG-Typgenehmigung: 04.07.2013, Datum der Erstzulassung: 10.10.2013, Kilometerstand bei Erwerb: 26.523 km, zum Preis von 19.500,00 € brutto (Anlagen K 1, K 5a). Am 03.01.2023 betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 142.245 km.
3
Im Übrigen wird hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes und der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.01.2023, Az. 114 O 2115/22, Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer deliktischen Haftung nicht dargetan habe.
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Gegen dieses, dem Kläger am 19.01.2023 zugestellte Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.01.2023, Az. 114 O 2115/22, richtet sich die mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 13.02.2023, eingegangen am 13.02.2023, eingelegte Berufung des Klägers, der in der Berufungsinstanz unter Abänderung des Urteils des Landgerichts beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei EUR 19.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Astra Sports Tourer mit der Fahrgestellnummer W0L ... zu zahlen.
hilfsweise
II. das Urteil des Landgerichts Augsburg, Az. 114 O 2115/22 aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Beweisaufnahme an das Landgericht Augsburg zurückzuverweisen;
hilfsweise
III. die Revision zuzulassen.
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Mit Schriftsatz vom 03.07.2023 beantragte der Kläger ferner hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 2.925,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Zur Begründung seines Rechtsmittels führt der Kläger unter Wiederholung erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen aus, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Klage abgewiesen und einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB zu Unrecht verneint.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 14.04.2023 Bezug genommen.
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Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 04.08.2023 zum Hinweisbeschluss des Senats und zum Schriftsatz des Klägers vom 03.07.2023 Stellung genommen.
II.
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Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12.01.2023, Aktenzeichen 114 O 2115/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen. Der Senat bleibt bei seiner im Hinweis vom 21.04.2023 ausführlich dargelegten Rechtsauffassung, auf die gemäß § 522 Abs. 2 S. 3 ZPO Bezug genommen wird.
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Die Anträge des Klägers haben keinen Erfolg. Der fristgerechte Schriftsatz des Klägers vom 03.07.2023 enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten. Der Senat hat das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG, NJW 2023, 1803 Rn. 18 BGH, NZG 2022, 1255 Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 16.02.2022 – 101 Sch 60/21, BeckRS 2022, 2046 Rn. 50) und – soweit das Vorbingen zentrale Frage des Verfahrens betrifft – in den Gründen des Hinweisbeschlusses beschieden (vgl. BVerfG, NJW 2023, 2106 Rn. 33; BGH, NZBau 2023, 224 Rn. 11). Er hat die Angriffe der Berufung in vollem Umfang geprüft, aber die Beanstandungen sämtlich für nicht durchgreifend erachtet. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet den Senat dazu, den gesamten Vortrag einer Prozesspartei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Er begründet aber keine Pflicht des Gerichts, bei der Würdigung des Sachverhalts und der Rechtslage der Auffassung eines Beteiligten zu folgen (vgl. BVerfG, NJW 2023, 1803 Rn. 19; BGH, NJW 2023, 2042 Rn. 17; BGH, Beschluss vom 20.01.2021 – III ZR 160/19, BeckRS 2021, 1265 Rn. 2). Soweit der Kläger der rechtlichen Einschätzung des Senats im Hinweisbeschluss vom 21.04.2023 mit rechtlichen Ausführungen entgegentreten ist (vgl. BGH, ZfBR 2022, 356 Rn. 7 ff.; BGH, NJW-RR 2021, 1507 Rn. 12 ff.; BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 16), ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass es nicht erforderlich ist, alle Einzelpunkte des Parteivortrags in den Gründen einer Entscheidung auch ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerfG, NJW 2023, 2106 Rn. 33; BVerfG, NJW 2023, 1803 Rn. 19; BGH, NJW 2023, 2042 Rn. 17), deshalb lediglich ergänzend auszuführen wie folgt:
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1. Ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten kommt in Betracht, wenn deren verfassungsmäßig berufene Vertreter zumindest wussten, dass die Motoren des streitgegenständlichen Typs mit einer auf arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2021 – VI ZR 875/20, BeckRS 2021, 44363 Rn. 11). Zwar kann bei Vorliegen weiterer Umstände auch die Funktionsweise einer Abschalteinrichtung, wenn sie nicht prüfstandsbezogen ist, Rückschlüsse auf eine als sittenwidrig zu bewertende Täuschungsabsicht der Beklagten zulassen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.09.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 19). Umstände, die auf eine sittenwidrige Bewusstseinslage der Beklagten schließen ließen, werden vorliegend aber vom Kläger weder dargelegt noch sind diese ersichtlich. Vorliegend kann das Verhalten der Beklagten bei der gebotenen Gesamtbetrachtung mangels eines objektiv sittenwidrigen Handelns mit dem Ziel der Kostensenkung und Gewinnmaximierung nicht einer arglistigen Täuschung der Typgenehmigungsbehörde bzw. des Klägers als Fahrzeugerwerbers gleichgesetzt werden. Es ist weder ein objektiv sittenwidriges noch ein vorsätzliches Handeln der Beklagten dargetan. Die Darlegungen des Klägers im Schriftsatz vom 03.07.2023 gebieten keine andere rechtliche Beurteilung.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 zu.
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a) Die Vorschriften des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 und der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV sind zwar nach der neuen, erst nach dem Hinweisbeschluss des Senats ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH, NJW 2023, 2259; BGH, NJW 2023, 2270; BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 1031/22, BeckRS 2023, 14774) im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 21.03.2023, Az. C-100/21, NJW 2023, 1111 insoweit drittschützend im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, als sie aufgrund der von den Fahrzeugherstellern auszustellenden Übereinstimmungsbescheinigung auch den individuellen Interessen der Käufer dienen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung versehen ist.
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b) Im Streitfall scheiden aber Schadensersatzansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6, 27 EG-FGV, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 aus, da der Kläger jedenfalls keinen Schaden erlitten hat.
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aa) Die mit dem Hauptantrag begehrte Vertragsrückabwicklung kann im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB von vornherein nicht verlangt werden. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV i. V. m. Art. 5 VO (EG) 715/2007 schützen zwar das Vertrauen des Käufers auf die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit allen maßgebenden Rechtsakten beim Fahrzeugkauf. Der Schutz erstreckt sich aber nicht auf das Interesse des Käufers, nicht an dem Vertrag festgehalten zu werden. Das Unionsrecht verlangt nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, also das Interesse auf Rückabwicklung des Kaufvertrags in den sachlichen Schutzbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV einzubeziehen (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 19 ff., 22 ff.).
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bb) Der Kläger kann den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht auf die Verletzung eines Schutzgesetzes stützen (§ 823 Abs. 2 BGB) und damit begründen, die Beklagte habe schuldhaft – sei es nur fahrlässig – eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 beim streitgegenständlichen Fahrzeug verwendet und deshalb dafür keine Übereinstimmungsbescheinigung ausstellen dürfen (§§ 6, 27 EG-FGV).
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(1) Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 28 ff.) dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller (vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2023 – VIa ZR 1119/22, BeckRS 2023, 18668 Rn. 20) auf Ersatz des sog. Differenzschadens zustehen. Das Bestehen eines Schadens ist in diesem Falle nach Maßgabe der Differenzhypothese zu ermitteln, also nach Maßgabe eines Vergleichs der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre. Insofern unterscheidet sich der Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht von dem unter den Voraussetzungen der §§ 826, 31 BGB zu gewährenden „kleinen“ Schadensersatz (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 40 m. w. N.).
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(2) Hier wäre aber ein entsprechender Anspruch des Klägers auf sog. Differenzschaden durch die im Rahmen der Vorteilsausgleichung (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 80) zu berücksichtigenden Positionen vollständig aufgezehrt. Ein Vermögensschaden des Käufers im Sinne der Differenzhypothese liegt vor, wenn der Vergleich der in Folge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit der Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis ein rechnerisches Minus ergibt (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 Rn. 45) bzw. der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 40; BGH, NJW 2021, 3041 Rn. 15, 19). Die Bemessung hat vom objektiven Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auszugehen, bei dessen Bestimmung die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko nachteiliger behördlicher Anordnungen, der Umfang in Betracht kommender Betriebsbeschränkungen und die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Beschränkungen mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 76). Denn das Wertverhältnis der vertraglich geschuldeten Leistungen ändert sich nicht dadurch, dass eine der Leistungen nachträglich eine Auf- oder Abwertung erfährt; der Vertrag wird dadurch nicht günstiger oder ungünstiger (vgl. BGH, NJW 2021, 3041 Rn. 23; OLG Köln, Urteil vom 23.08.2022 – 3 U 190/21, BeckRS 2022, 26412 Rn. 23).“
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Aus den vom Senat im Hinweisbeschluss genannten Gründen besteht vorliegend ein Minderwert des fast 10 Jahre alten Fahrzeugs, welches der Kläger seit vielen Jahren ohne jede Einschränkung nutzt und das bislang behördlich durch das Kraftfahrt-Bundesamt nicht beanstandet wurde, mit Rücksicht auf die vorgenannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023 allenfalls mit Rücksicht auf den Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug des Klägers nach seinem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems gesteuert ist, die die Abgasreinigung an der Außentemperatur orientiert, und hinsichtlich dieses Vortrags zugunsten des Klägers unter Berücksichtigung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 14.07.2022 (C-128/20, BeckRS 2022, 16622, C-134/20, BeckRS 2022, 16621, C-145/20, BeckRS 2022, 16620) in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unterstellt wird, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Diesen Minderwert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Thermofenster) schätzt der Senat gemäß § 287 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 74 ff.) auf 5% des gezahlten Kaufpreises von 19.500,00 €, was einen Betrag in Höhe von 975,00 € ergibt, sodass der tatsächliche Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages lediglich 18.525,00 € brutto betragen hat.
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Bei der Bemessung des sog. Differenzschadens sind die vom Kläger gezogenen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeuges schadensmindernd anzurechnen. Allerdings sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Anspruch auf sog. Differenzschaden erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (vgl. BGH, NJW 2023, 2259 Rn. 44; BGH, NJW-RR 2022, 1033 Rn. 22). Ausgehend davon, dass das hier in Rede stehende Fahrzeug bei Vertragsabschluss lediglich 18.525,00 € wert gewesen ist, kommt eine Anrechnung folglich erst dann und nur in dem Umfang infrage, in dem der Kläger höhere Vorteile gezogen hat. Die vom Kläger gezogenen Nutzungsvorteile schätzt der Senat – ausgehend von dem in der Anlage K 1 angegebenen Kilometerstand von 26.523 km bzw. dem Kilometerstand am 03.01.2023 von 142.245 km, einer sich hieraus ergebenden durchschnittlichen täglichen Fahrstrecke des Klägers von 37,30 km und damit einem aktuellen Kilometerstand von 150.301 km (142.245 km + 216 Tage x 37,30 km) – gemäß §§ 525 S. 1, 287 ZPO auf 12.160,96 €. Dieser Betrag ergibt sich aus der von der Rechtsprechung als zutreffend erachteten Formel (vgl. BGH, NJW 2022, 1033 Rn. 24; BGH, NJW 2020, 2796 Rn. 12), wonach der vom Kläger gezahlte Bruttokaufpreis (vgl. OLG Oldenburg, NJW-RR 2021, 749 Rn. 45) in Höhe von 19.500,00 € für das Gebrauchtfahrzeug (unter Berücksichtigung einer Gesamtfahrleistung von 225.000 km) durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (225.000 – 26.523 km = 198.477 km) geteilt und dieser Wert mit der gefahrenen Strecke seit Erwerb (150.301 km – 26.523 km = 123.778 km) multipliziert wird.
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Zum Restwert des Fahrzeugs hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass dieser nach einer DAT-Abfrage unter Zugrundelegung einer Laufleistung des Fahrzeugs von 142.245 km 7.400,00 € betrage (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 04.08.2023, S. 6 f. und Anlage AOG-5), wobei ausweislich der Anklage AOG-5 Ausstattungsmerkmale den Restwert um bis zu 30% erhöhen können. Vor diesem Hintergrund beträgt die Summe der zu berücksichtigenden Vorteile des Klägers (Nutzungsentschädigung: 12.160,96 €, Restwert des Fahrzeugs: 7.400,00 €) mindestens 19.560,96 €. Sie übersteigt damit den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (18.525,00 € brutto) um 1.035,96 €. Da dieser Differenzbetrag um 60,96 € höher liegt als der dem Kläger grundsätzlich als Differenzschaden zustehende Betrag (975,00 €), ist der Anspruch des Klägers auf „Differenzschaden“ durch die im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigenden Positionen vollständig aufgezehrt.
III.
26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
27
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
28
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 45 Abs. 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO bestimmt.