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LG Augsburg, Endurteil v. 27.07.2023 – 101 O 3251/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenketten:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Eine Behauptung ist dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ erhoben worden ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dient nicht der Kompensation des  wirtschaftliche Selbstbestimmungsrechts des Käufers, so dass eine Rückabwicklung des Kaufvertrages über ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs auf dieser Grundlage nicht in Betracht kommt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Opel Astra, Prüfstanderkennung, Thermofenster, Rückabwicklung, Rückrufbescheid
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20157

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem PKW-Kauf.
2
Die Klagepartei erwarb am 28.10.2019 bei ... einen PKW Opel Astra Sports Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W0L ... zum Preis von 17.500.- EUR. Das Fahrzeug hatte zum Zeitpunkt des Erwerbs einen km-Stand von 49.000 Km.
3
Die Klagepartei behauptet, dass das Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen, namentlich Prüfstandserkennungen und ein unzulässiges Thermofenster enthalte. Dies stützt sie auf verschiedene Erwägungen, auf die im Einzelnen in den Entscheidungsgründen eingegangen wird.
4
Die Klagepartei begehrt in der Hauptsache die Rückzahlung des Kaufpreises, weil sie der Ansicht ist, dass ihr deliktische Ansprüche zustehen. Darauf will sie sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen
5
Die Klagepartei beantragt,
1. die Beklagtenpartei zu verurteilen, an die Klagepartei 15.569,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug-um-Zug gegen [hilfsweise: nach] Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Opel Astra Sports Tourer mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W0L ... nebst Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapieren;
2. festzustellen, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapieren in Annahmeverzug befindet;
3. festzustellen, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei die Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das unter Ziffer 1 genannte Fahrzeug dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge [hilfsweise: der Stickoxide] im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, zu ersetzen.
6
Die Beklagte beantragt,
Klageabweisung
7
Das Gericht hat am 29.06.2023 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen. Dem Gericht lag ein nachgelassener Beklagtenschriftsatz vom 13.7.2023 vor. Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand nicht.

Entscheidungsgründe

8
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1.
9
Die nachstehend angeführten tatsächlichen Vorwürfe, die eine Haftung nach § 826 BGB wegen einer unzulässigen Prüfstanderkennung begründen sollen, sind ins Blaue hinein erhoben, so dass eine Beweiserhebung nicht zu rechtfertigen ist und der Haftungsnachweis vom Kläger nicht geführt werden kann. Zusammengefasst (ausführlich BGH VIII ZR 57/19) ist eine Behauptung dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ erhoben worden ist (OLG Brandenburg 5 U 47/19 Rn. 30).
10
Derartige greifbare Anhaltspunkte für die behaupteten Manipulationen gerade an dem streitgegenständlichen Motor hat die Klagepartei nicht vorgetragen.
11
Ein belastbarer Rückschluss aus einem Rückruf für andere Motortypen und Motoren anderer Hersteller ist nicht möglich.
12
Aus der behaupteten Abweichung der Stickoxidwerte im Straßenverkehr von denen auf dem Prüfstand ergibt sich kein ausreichender Anhaltspunkt für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Es liegt auf der Hand, dass die Überschreitung der Werte im Straßenverkehr darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem standardisierten Fahrzyklus (vgl. OLG München 20 U 4770/20 S. 5), an den der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen EU5 und EU6 im fraglichen Zeitraum die Emissionswerte Prüfstandbetrieb knüpfte (vgl. OLG München a.a.O.).
13
Auch der unstreitig vorliegende Rückrufbescheid des KBA vom 2.12.2021 unterstützt die Sichtweise der Klagepartei nicht. Nach dem Freigabebescheid des KBA vom 25.2.2021 (Anl. B2) wurden gerade keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Dass sich der Rückruf auf eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer Prüfstandserkennung bezieht (Bl. 33 d.A.), hat die Klagepartei entgegen dem hierzu erfolgten Vortrag der Beklagtenpartei, wonach ausschließlich die Parametrierung der Abgasrückführung in Abhängigkeit bestimmter Fahr- und Umgebungsbedingungen betroffen sei (Bl. 19), schon nicht substantiiert behauptet. Mit der Auskunft des KBA vom 26.7.2022 (An. B3), wonach keine Hinweise bestehen, dass in einem in einem Opel Astra Sport Tourer mit 1,6 l Dieselmotor eine Unterscheidung zwischen Prüfstands- und Straßenbetrieb gemacht werde, hat die Klagepartei sich nicht weiter auseinandergesetzt.
2.
14
Hinsichtlich der Verwendung eines Thermofenster scheidet eine Haftung nach § 826 BGB gleichfalls aus: die Rechtslage war im maßgeblichen Zeitpunkt umstritten, die Diskussion wurde kontrovers geführt (vgl. die Nachweise OLG München 27 U 6421/20, S. 3). Angesichts einer jedenfalls vertretbaren, wenn auch möglicherweise falschen Auslegung der anzuwendenden Rechtsvorschriften liegen die Voraussetzungen für eine sittenwidrige Handlung im Sinne von § 826 BGB nicht vor.
3.
15
Ein etwaiger Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV kann der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Insoweit wird gerade nicht das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers geschützt und damit der Abschluss von ungewollten Verträgen verhindert (BGB VIa ZR 137/21), so dass eine Rückabwicklung des Vertrages schon im Ansatz nicht in Betracht kommt. Ein etwaiger Differenzschaden in Form eines Minderwerts wird vom Kläger nicht geltend gemacht und ist als Minus nicht im Streitgegenstand enthalten.
4.
16
Unbegründet sind daher auch die Feststellungsanträge.
5.
17
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.