Titel:
Festsetzung der Körperschaftssteuer - Begriff der Geschäftsleitung
Normenketten:
KStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Nr. 1
AO § 162, § 233a
FGO § 69 Abs. 2 S. 3, S. 4
Leitsatz:
„Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung” befindet sich dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird, d. h. wo die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (BFH-Urteil vom 09.07.2003 I R 4/02, BFH/NV 2004). Abzustellen ist auf die sogenannte laufende Geschäftsführung („Tagesgeschäfte“). Zu ihr gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören (BFH-Urteil vom 19.03.2002 I R 15/01). Dagegen zählen die so genannten Grundlagengeschäfte nicht zum Tagesgeschäft der Geschäftsführung und bleiben deshalb für die Bestimmung des Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung außer Betracht. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht, Ort der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in Luxemburg, Untermietvertrag, Luxemburg, Bescheid, Geschäftsleitung, Körperschaftsteuer, Steuerfahndung, Gesellschaft, Grundlagengeschäft, Vermittlung, Goldhandel, Sitz, beschränkte Steuerpflicht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 20149
Tenor
1. Die Bescheide vom 28.12.2021 über Körperschaftsteuer 2008 bis 2013 werden in Höhe von 547.313 € (2008), 131.314 € (2009), 377.037 € (2010), 293.918 € (2011), 94.400 € (2012) und 209.219 € (2013) und die Bescheide über Verspätungszuschläge zur Körperschaftsteuer werden in Höhe von 25.000 € (2008), 13.130 € (2009), 25.000 € (2010), 25.000 € (2011), 9.440 € (2012) und 20.920 € (2013) ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung von der Vollziehung ausgesetzt.
2. Die Verwirkung angefallener Säumniszuschläge wird insoweit aufgehoben, als sie auf die ausgesetzten Beträge entfallen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
1
Streitig ist, ob die Antragstellerin der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Körperschaftsteuergesetz (KStG) unterliegt.
2
Antragstellerin ist die am 30.09.2008 gegründete C S.a.r.l., eine GmbH nach luxemburgischem Recht. Geschäftsführer ist M. Er ist außerdem (mittelbarer und unmittelbarer) Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe „X.“, deren Gesellschaften ihren Sitz in …P und …G haben. Unter anderem ist M. alleiniger Gesellschafter der X. Holding GmbH, die wiederum alleinige Gesellschafterin der X. M. GmbH ist, bei der es sich um die Alleingesellschafterin der Antragstellerin handelt.
3
Die X. M. GmbH gründete in den Streitjahren im Inland mit weiteren Gesellschaftern (meist natürlichen Personen) mehrere Gesellschaften des bürgerlichen Rechts (GbR) und übernahm deren Geschäftsführung. Die jeweilige GbR gründete zusammen mit der Antragstellerin von … 2008 bis … 2012 insgesamt 15 Kommanditgesellschaften nach luxemburgischem Recht (s.e.c.s.: societe en commandite simple) sowie eine offene Handelsgesellschaft nach luxemburgischem Recht (s.e.n.c.: societe en nom collectif). Der Gesellschaftszweck der luxemburgischen Personengesellschaften bestand im Ankauf und Verkauf von Gold und Edelmetallen, ... Termingeschäften und von Derivaten sowie den dazugehörenden Sicherungsgeschäften. Geschäftspartner waren insbesondere die A. Bank Luxemburg, die B. Luxemburg sowie zuletzt die C. in Z./Schweiz. Die Antragstellerin war als geschäftsführende Komplementärin dieser Goldhandelsgesellschaften tätig. Zeitnah nach deren Gründung schloss sie mit ihnen Verträge über die Vermittlung von Goldhandelsgeschäften und deren Finanzierung inklusive der begleitenden Optionsgeschäfte zur Absicherung der Finanzierung. Hierfür erhielt sie eine Vergütung in Höhe von 1,5% des vermittelten Investitionsvolumens.
4
Statuarischer Sitz der Antragstellerin und der Goldhandelsgesellschaften war in den Streitjahren in … Luxembourg, … Die Räumlichkeiten wurden mit Wirkung zum 01.10.2008 von der Y S.à. r.l. angemietet. Mietgegenstand war ein möbliertes Büro sowie die Mitbenutzung verschiedener Räume. M. hielt sich in den Streitjahren an 13 Tagen (2008), 11 Tagen (2009), 15 Tagen (2010) sowie jeweils 16 Tagen (2011 und 2012) in Luxemburg auf.
5
Weiterer Geschäftsführer der Antragstellerin im Zeitraum 01.10.2008 bis 30.09.2010 war K. Zugleich war er bis Mitte 2010 Geschäftsführer der ebenfalls unter der Adresse … Luxembourg residierenden P. S.à.r.l. Zwischen der P. S.à.r.l. und der Antragstellerin bzw. den Goldhandelsgesellschaften bestand bis 01.07.2010 ein als „Administration Services Agreement“ bezeichneter Vertrag.
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Ab 01.10.2010 war K. neben M. zweiter Geschäftsführer der Antragstellerin bestellt.
7
Arbeitnehmer der Antragstellerin waren im Zeitraum 01.10.2008 bis 31.12.2010 L., im Zeitraum 01.02.2011 bis 30.09.2011 T., im Zeitraum 01.11.2011 bis 31.12.2014 W.
8
Im Rahmen einer für die Jahre 2008 bis 2014 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung kam die Steuerfahndung des Finanzamts … zu dem Ergebnis, dass sich der Ort der Geschäftsleitung der Antragstellerin nicht in Luxemburg, sondern im Inland unter der Adresse …P, am Sitz der X.-Gruppe befand. Dort sei das Tagesgeschäft der Antragstellerin und der Goldhandelsgesellschaften durch den Geschäftsführer M. ausgeübt worden, insbesondere seien dort die laufenden Verträge abgeschlossen, Rechnungen, Zahlungsanweisungen und Belege erstellt und unterzeichnet sowie Personalentscheidungen getroffen worden. M. habe in den Geschäftsräumen der X.-Gruppe in P. die geschäftliche Oberleitung für die Goldhandelsgesellschaften und die Antragstellerin wahrgenommen und den Goldhandel abgewickelt, wie sich aus den im Rahmen der Durchsuchung der Geschäftsräume in P aufgefundenen Unterlagen und ausgelesenen Daten ergebe. M. habe als Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Firmen der X.-Gruppe in seiner Person alle handelnden Organe vereinigt und somit die Verfügungsmacht an den Räumlichkeiten der X.-Gruppe gehabt. Die in Luxemburg tätigen weiteren Geschäftsführer der Antragstellerin hätten dagegen keine wesentlichen Geschäftsleitungsaufgaben erfüllt.
9
M. habe über den direkten Zugang zu den Handelsdesks der Banken verfügt und den Goldhandel für die Goldhandelsgesellschaften von Deutschland aus durchgeführt. Er habe in den Streitjahren 2008-2013 die Transaktionen hauptsächlich über das Handelsdesk der B. AG in London durchgeführt. Die von ihm telefonisch von Deutschland aus erteilten Aufträge seien von der B.-Bank in London per E-Mail rückbestätigt worden.
10
Auch andere Geschäftsführungsaufgaben seien in P. ausgeführt worden. So seien die Jahresabschlüsse von der jeweiligen Steuerberatungsgesellschaft immer per E-Mail zuerst direkt an die für die X.-Gruppe tätige Juristin N. nach P. geschickt worden. Frau N. sei auch Ansprechpartnerin für Rückfragen der Steuerberatungsgesellschaften zur Erstellung der Steuererklärungen in Deutschland für die inländischen Gesellschaften gewesen. Die Beauftragung der Steuerberatungsgesellschaften bzw. die Entscheidung für einen Wechsel der Steuerberatung von … zu … sei von P. aus erfolgt.
11
Die luxemburgischen Geschäftsführer K. bzw. R. seien in den Goldhandel nicht eingebunden gewesen. Aus den Lohnabrechnungen gehe hervor, dass K. eine wöchentliche Arbeitszeit von nicht einmal 2 Stunden erbracht habe. Der niedrige Lohn und die geringe Arbeitszeit zeige das Missverhältnis zu dem angeblich von ihm in Luxemburg getätigten operativen Geschäft im Goldhandel, der sich im Millionenbereich bewegt habe. Seine Tätigkeit habe lediglich in der Unterschriftsleistung und Gegenzeichnung der in P. vorbereiteten Dokumente (wie Abrechnungen, Beschlüsse, Stellungnahmen gegenüber dem Finanzamt) bzw. Verträge mit externen Dienstleistern bestanden, sofern seine (zweite) Unterschrift gemäß der Satzung erforderlich gewesen sei. Er habe keine Entscheidungen in Bezug auf die Goldhandelsgesellschaften, den Goldhandel bzw. der allgemeinen Geschäftsführung der Antragstellerin getroffen.
12
R sei Geschäftsführer der in Luxemburg ansässigen J-S.A. gewesen, die mit der Antragstellerin ab 01.01.2012 einen Untermietvertrag über die Hälfte der Räumlichkeiten am … geschlossen habe. Außerdem sei er seit 01.06.2011 Geschäftsführer der R-VermögensverwaltungsmbH in P. gewesen. Aufgrund seiner Tätigkeit für die Firma R. habe er sich in Luxemburg nur selten, lediglich stundenweise und unregelmäßig aufgehalten. Er habe das „Tagesgeschäft“ eines Geschäftsführers nicht vor Ort ausüben können, sondern nur per E-Mail. Seine Tätigkeit habe lediglich in der Unterschriftsleistung und Gegenzeichnung der durch die X. in Deutschland vorbereiteten Dokumente bzw. Verträge mit externen Dienstleistern bestanden, sofern seine (zweite) Unterschrift gemäß der Satzung erforderlich gewesen sei. In den Goldhandel sei er nicht eingebunden gewesen.
13
Ab April 2012 habe die X. Gruppe in P. den Analysten A eingestellt. Dieser habe neben M. die „Trades“ mit dem Handelsdesk der B.-Bank in London ausgeführt und sei neben M. für die Sicherungsgeschäfte (Put- und Call-Optionen) zuständig gewesen. A. habe in seiner Vernehmung am 04.08.2020 ausgesagt, dass dem „Trader“, der die Order meist telefonisch erteile, auch das Geschäft per E-Mail rückbestätigt und durch Herrn K. keinerlei Marktbeobachtung vorgenommen worden sei. Die Anfragen von Preisindikationen, zur allgemeine Goldentwicklung, oder hinsichtlich der Konditionen der Optionsgeschäfte seien von den beteiligten Personen in P. ausgeführt worden. „Limit Orders“ seien von P. aus dem Handelsdesk der B-Bank in London erteilt worden. Von dort sei dann auch die Bestätigung gekommen, ob und wie die Limit Order ausgeführt worden sei.
14
Nach Auffassung der Steuerfahndung war in den in Luxemburg angemieteten Räumlichkeiten weder die Unternehmenstätigkeit der Antragstellerin (Geschäftsführung oder Goldhandel für die luxemburgischen Goldgesellschaften) ausgeübt worden, noch habe dort ein Ort der Geschäftsleitung für die Antragstellerin bestanden. Die dort durchgeführten Tätigkeiten stellten vielmehr vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten dar, so dass in Luxemburg keine Betriebsstätte bestanden habe. Auch eine Vertreterbetriebsstätte habe nicht vorgelegen. Somit stehe dem Ansässigkeitsstaat Deutschland das ausschließliche Besteuerungsrecht für die Einkünfte der Antragstellerin zu.
15
Aufgrund dieser Feststellungen ging die Steuerfahndung von der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht der Antragstellerin nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG aus. Da von ihr in Deutschland bislang keine Steuererklärungen abgegeben worden waren, ermittelte die Steuerfahndung … die Besteuerungsgrundlagen für die Jahre 2008 bis 2013 im Schätzungswege.
16
Den Feststellungen der Steuerfahndung … folgend setzte das Finanzamt die Besteuerungsgrundlage der Jahre 2008 bis 2013 jeweils mit Bescheid vom 28.12.2021 im Schätzungswege nach § 162 Abgabenordnung (AO) fest.
17
Über die dagegen eingelegten Einsprüche hat das Finanzamt noch nicht entschieden. Mit Verfügung des Finanzamts jeweils vom 10.05.2022 wurde der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Körperschaftsteuerbescheide 2008 bis 2013 abgelehnt. Die dagegen eingelegten Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidung vom 23.12.2022 als unbegründet zurückgewiesen.
18
Mit ihrem bei Gericht gestellten Antrag trägt die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass ihre Geschäftstätigkeit hauptsächlich in der Erbringung von Vermittlungsleistungen gegenüber den Goldhandelsgesellschaften gemäß den mit ihnen abgeschlossenen Vermittlungsverträgen bestanden habe. Aus diesen Vermittlungsleistungen, die in Luxemburg erbracht worden seien, generiere sie mehr als 99 v.H. ihrer Einnahmen. Als weitere Geschäftstätigkeit habe sie die Geschäftsführung der Goldhandelsgesellschaften übernommen. Zu diesem Aufgabenbereich habe die Registrierung und Anmeldung der Goldhandelsgesellschaften, die Durchführung und Organisation von Gesellschafterversammlungen, die Regelung des täglichen Geldverkehrs, die Buchführung, die Vorbereitung und Erstellung der luxemburgischen Steuererklärungen und Jahresabschlüsse sowie der Goldhandel gehört. Dabei sei zunächst ein sogenanntes Termsheet zwischen der jeweiligen Goldhandelsgesellschaft, der Bank und der Antragstellerin unterzeichnet worden, das die vereinbarten Eckpunkte sowie den Abschluss eines Rahmenvertrages für Finanztermingeschäfte geregelt habe. Die Goldhandelsgesellschaften seien dabei durch die Antragstellerin vertreten worden, diese wiederum durch M. und den weiteren Geschäftsführer. Die maßgebenden Verträge seien von M. und dem zweiten Geschäftsführer in Luxemburg unterzeichnet worden. Zu Unrecht gehe die Steuerfahndung davon aus, dass die Order zum Kauf von Gold teils per E-Mail oder Telefon nicht von Luxemburg aus abgegeben worden seien. Vielmehr stelle der Goldhandel inklusive seiner notwendigen Finanzierung eine komplexe, jeweils mehrere Verträge umfassende Transaktion dar, zu deren wirksamen Abschluss und dinglichen Erfüllung der jeweils in Luxemburg unterschriebene Vertrag erforderlich gewesen sei. Darüber hinaus habe sich der zuständige Berater der A Bank im Zusammenhang mit dem Goldkauf immer wieder auch an K. bezüglich der Order für den Ankauf von Gold gewandt, wie sich aus dem Schriftwechsel vom 18.12.2008 ergebe. Auch die B-Bank habe mit Schreiben 12.11.2012 bestätigt, dass sämtliche Verträge mit der A S.e.c.s., der L. und weiteren Goldhandelsgesellschaften in ihren Räumlichkeiten in Luxemburg abgeschlossen worden seien.
19
Der Ort der Geschäftsleitung der Antragstellerin liege daher in Luxemburg, da dort das Tagesgeschäft, bestehend aus Vermittlungsleistung und den Geschäftsführungsmaßnahmen für die Goldhandelsgesellschaften, erbracht worden sei.
20
Außerdem seien die streitgegenständlichen Bescheide wegen der vorsätzlichen Missachtung elementarer Verfahrensrechte in Gestalt des Anhörungs- und Begründungsanspruchs nach § 125 Abs. 1 AO nichtig.
21
Die Antragstellerin beantragt,
die Bescheide jeweils vom 28.12.2021 über Körperschaftsteuer 2008 bis 2013 in Höhe von 547.313 € (2008), 131.314 € (2009), 377.037 € (2010), 293.918 € (2011), 94.400 € (2012) und 209.219 € (2013), über Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer in Höhe von 30.102,21 € (2008), 7.222,27 € (2009), 20.737,03 € (2010), 16.165,49 € (2011), 5.192 € (2012) und 11.507,04 € (2013), über Verspätungszuschläge zur Körperschaftsteuer in Höhe von 25.000 € (2008), 13.130 € (2009), 25.000 € (2010), 25.000 € (2011), 9.440 € (2012) und 20.920 € (2013) sowie über Zinsen zur Körperschaftsteuer in Höhe von 287.332 € (2008), 61.054 € (2009), 152.685 € (2010), 101.395 € (2011), 26.904 € (2012) und 56.070 € (2013) ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung von der Vollziehung auszusetzen, hilfsweise die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
22
Das Finanzamt beantragt,
den Antrag abzulehnen, hilfsweise Aussetzung der Vollziehung nur gegen Anordnung einer Sicherheitsleistung zu gewähren.
23
Ergänzend zu den Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2022 trägt es vor, dass sich der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung i.S. § 10 AO auch in fremden Büroräumen befinden könne. Maßgebend sei, wo alle für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen angeordnet würden. Es sei nicht allein ausschlaggebend, welche Tätigkeiten M. selbst durch eigenes Tun und Handeln erledigt habe. Auch soweit er Aufgaben an Mitarbeiter delegiert habe, seien ihm diese zuzurechnen, da die ausführenden Personen weisungsgebunden gewesen seien. Die Mitarbeiter der X. Gruppe in P., N. und A., hätten M., dem (un-)mittelbaren Geschäftsführer aller betroffenen Firmen der X.-Gruppe, zugearbeitet, für ihn Entscheidungen im Tagesgeschäft der Antragstellerin ausgearbeitet und seine Willensbildung unterstützt. M. habe die letztendliche Kontrolle und Willensbildung durch den täglichen Austausch bei der gemeinsamen Tätigkeit im Büro in P. ausgeübt. Nach Aussagen von A. habe er stets mit M. Rücksprache gehalten und ihm Berichte erstellt.
24
Zu Unrecht führe die Antragstellerin aus, dass die dem Goldhandel zugrundeliegenden komplexen Verträge jeweils in Luxemburg abgeschlossen worden seien. Das sogenannte Tagesgeschäft der Antragstellerin habe in der Umsetzung der Kaufentscheidung durch telefonische Order bestanden. Bei den per Telefon erteilten Order habe es sich somit nicht nur um Hilfsgeschäfte gehandelt, da diese telefonisch erteilten Order letztendlich zur Umsetzung des Goldkaufs geführt hätten und daher essentiell für den gewerblichen Goldhandel gewesen seien.
25
Im Übrigen gehöre die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik und die Mitwirkung der Gesellschafter an Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung nicht zum Tagesgeschäft. Die Vermittlungsverträge und die Verträge zur Absicherung des Goldkaufs seien als Grundlagengeschäfte zu behandeln, die vom Tagesgeschäft abzugrenzen seien. Bei den in Luxemburg abgeschlossenen Verträgen mit den Banken habe es sich um eine reine Formsache gehandelt. Die maßgebliche Willensbildung sei bereits vorher bei Gründung jeder neuen Goldhandelsgesellschaft durch ein Termsheet ausgehandelt worden, das mit den Investoren in P erstellt worden sei. Dieses Termsheet sei dann per Mail und ggf. mit weiteren Verträgen der Bank zugeleitet worden, die ihrerseits die Kontoeröffnung vorbereitet und Kreditverträge erstellt habe. Die maßgebliche Willensbildung habe daher im Inland stattgefunden. Dies gelte auch, soweit die neben M. jeweils tätigen Geschäftsführer alleine Verträge in Luxemburg unterzeichnet hätten. Im Übrigen habe sich K. nach den Ermittlungen der Steuerfahndung im Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung vom 24.02.2011 in den USA aufgehalten und sei auch an den Zeitpunkten weiterer Vertragsunterzeichnungen am 09.12.2011 und 02.11.2010 nicht in Luxemburg gewesen sei. Das Finanzamt vermute, dass die Verträge zurückdatiert worden seien.
26
Bei der Rückbestätigung der Goldtrades an K. vom 18.12.2008 handle es sich um einen Ausnahmefall. Insgesamt seien im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nur an vier Handelstagen im Zeitraum vom 18.12., 22. bis 24.12.2008 Goldtrades an K. rückbestätigt worden.
27
Nach Ansicht des Finanzamts seien in Luxemburg nur Hilfsgeschäfte abgewickelt worden, so dass dort keine weitere Betriebsstätte begründet worden sei. Selbst wenn eine weitere Betriebsstätte in Luxemburg vorliegen sollte, wären die dortigen Tätigkeiten von so untergeordnetem Umfang und Bedeutung, dass eine Zuweisung von Einkünften nach Luxemburg nicht in Betracht komme.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Finanzamts-Akten, den strafrechtlichen Ermittlungsbericht vom 15.11.2021 in der Steuerstrafsache M. und auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
29
Im Streitfall ist die Vollziehung der angefochtenen Bescheide wegen Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen sowie Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen in vollem Umfang auszusetzen.
30
1. Soweit die Antragstellerin in ihrem Antrag den Solidaritätszuschlag und Zinsen zur Körperschaftsteuer anführt, versteht der Senat dies lediglich als Hinweis auf § 69 Abs. 2 Satz 4 Finanzgerichtsordnung – FGO (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH – vom 08.12.2004 I B 125/04, BFH/NV 2005, 1036 und vom 23.08.2004 IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9). Die Festsetzung der Körperschaftsteuer ist Grundlage für die Festsetzung der Zinsen nach § 233a AO und des Solidaritätszuschlags. Die Vollziehung der Folgebescheide ist von Amts wegen auszusetzen, wenn die Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids angeordnet wird (§ 69 Abs. 2 Satz 4 FGO).
31
2. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll u.a. erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken. Die Aussetzung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die gegen die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründe überwiegen. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, so ist im summarischen Verfahren nicht abschließend zu entscheiden, sondern im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 18.12.2013 – I B 85/13, BStBl II 2014, 947, m.w.N.).
32
Die Entscheidung über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ergeht wegen der Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der Finanzbehörde und präsenten Beweismitteln ergibt (BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116).
33
3. Der Senat folgt bei summarischer Prüfung nicht der Ansicht der Antragstellerin, dass die angefochtenen Bescheide wegen der vorsätzlichen Missachtung von Verfahrensrechten nach § 125 Abs. 1 AO nichtig wären und verweist insoweit auf die zutreffende Begründung des Finanzamts in der Einspruchsentscheidung vom 23.12.2022, Tz. 2.1 Seite 10 bis 11.
34
4. Bei der im Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist jedoch ernstlich zweifelhaft, ob das Finanzamt die Einkünfte der Antragstellerin zu Recht als im Inland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG behandelt hat.
35
4.1. Unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG Kapitalgesellschaften, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben. Der Klammerzusatz „insbesondere“ verdeutlicht, dass unter die vorgenannte Norm auch ausländische Gesellschaften wie die Antragstellerin fallen, die nach einem Typenvergleich einer inländischen Kapitalgesellschaft entsprechen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/2710, S. 30, FG Münster, Urteil vom 17. Juni 2016 9 K. 593/13 K,G,F, Rn. 98, juris m.w.N.).
36
4.2. Der Begriff der Geschäftsleitung ist in § 10 AO definiert. Danach ist Geschäftsleitung „der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung”. Dieser befindet sich dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird, d. h. wo die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (BFH-Urteil vom 09.07.2003 I R 4/02, BFH/NV 2004, 83; BFH-Beschluss vom 03.04.2008 I B 77/07, BFH/NV 08, 1445). Abzustellen ist auf die sogenannte laufende Geschäftsführung („Tagesgeschäfte“). Zu ihr gehören die tatsächlichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt und solche organisatorischen Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören (BFH-Urteil vom 19.03.2002 I R 15/01, BFH/NV 2002, 1411 m. w. N.; FG Hamburg, Urteil vom 16.04.2010 5 K. 114/08, EFG 2011, 539). Dagegen zählen die so genannten Grundlagengeschäfte nicht zum Tagesgeschäft der Geschäftsführung und bleiben deshalb für die Bestimmung des Mittelpunkts der geschäftlichen Oberleitung außer Betracht.
37
5. Bei summarischer Prüfung anhand präsenter Beweismittel bestehen bereits deswegen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide, weil das Finanzamt die von der Antragstellerin erbrachten Vermittlungsleistungen, aus denen sie nahezu ihre gesamten Einnahmen erwirtschaftet hat, nicht dem Tagesgeschäft, sondern dem Grundlagengeschäft zugeordnet hat, das von der Antragstellerin in Deutschland ausgeübt worden sein soll.
38
Unstreitig war die unternehmerische Tätigkeit der Antragstellerin in die beiden Geschäftszweige „Vermittlung von Goldhandelsgeschäften und deren Finanzierung“ und „Geschäftsführung für die Goldhandelsgesellschaften“ unterteilt. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin hat sie ihre gesamten oder nahezu gesamten Einnahmen aus dem Geschäftsbereich „Vermittlungstätigkeit“ erzielt, indem sie als Gegenleistung für die Vermittlung der Kontakte eine pauschale Vergütung i.H.v. 1,5% des vermittelten Investitionsvolumens erhielt. Nach den im vorliegenden Verfahren exemplarisch vorgelegten Vermittlungsverträgen bestand die Aufgabe der Antragstellerin darin, unter Nutzung ihres umfangreichen Netzwerkes Kontakte zu Banken, Finanzdienstleistern und sonstige Geschäftspartner zur Durchführung der Handelsaktivitäten der Goldhandelsgesellschaften und deren Finanzierung herzustellen.
39
Bestandteil des Geschäftszweigs „Geschäftsführung für die Goldhandelsgesellschaften“ war dagegen u.a. der Handel mit Gold, dessen Finanzierung sowie die Absicherung dieser Finanzierungen in organschaftlicher Vertretung der Goldhandelsgesellschaften. Aus diesem Geschäftszweig hat die Antragstellerin keine oder nahezu keine Umsätze erzielt.
40
Die Auffassung des Finanzamts, dass „die Vermittlungsverträge“ als Grundlagengeschäfte und nicht als Tagesgeschäfte zu behandeln seien, beruht auf einem augenscheinlich fehlerhaften Verständnis des Gegenstands dieses Geschäftszweigs. Zu diesem gehört nicht der Abschluss der einzelnen Goldhandels- bzw. Finanzierungsgeschäfte durch die Goldhandelsgesellschaften, vielmehr sind die damit im Zusammenhang stehenden Aktivitäten dem Geschäftszweig „Geschäftsführung für die Goldhandelsgesellschaften“ zuzuordnen. Bei summarischer Prüfung ist daher auch die Erstellung der jeweiligen Termsheets nicht dem Geschäftsbereich „Vermittlungstätigkeit“, sondern dem Geschäftsbereich „Geschäftsführungstätigkeit“ zuzuordnen.
41
Vor diesem Hintergrund kann der Auffassung des Finanzamts, dass der Geschäftszweig „Vermittlungstätigkeit“ nicht das sog. Tagesgeschäft der Antragstellerin betrifft, nicht gefolgt werden. Denn warum es sich bei der Vermittlungstätigkeit – obwohl Hauptumsatzträger – nicht um eine Geschäftsführungsmaßnahme handeln soll, die der gewöhnliche Betrieb der Gesellschaft mit sich bringt, sondern eine solche, die die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik und die Mitwirkung der Gesellschafter an ungewöhnlichen Maßnahmen oder an Entscheidungen von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung betrifft (vgl. BFH-Urteil vom 07.12.1994 I K. 1/93, BStBl II 1995, 175), hat es nicht schlüssig dargelegt.
42
Da das Finanzamt den Inhalt der von der Antragstellerin erbrachten Vermittlungstätigkeit nicht richtig erkannt hat, liegen auch die Ausführungen zum Ort, von dem aus diese erbracht worden ist, neben der Sache, denn sie beziehen sich auf nicht zu diesem Geschäftszweig gehörenden Maßnahmen. Der Senat kann im summarischen Verfahren auch nicht erkennen, dass die Vermittlungstätigkeit von P und nicht von Luxemburg aus erbracht worden wäre. Denn gemäß dem exemplarisch vorgelegten Vermittlungsvertrag war die Vermittlungsleistung bereits zu dem Zeitpunkt erbracht, zu dem die entsprechenden Goldhändler und Banken mit den Goldhandelsgesellschaften in Kontakt getreten sind. Hierfür war offensichtlich kein besonderer Aufwand auf Seiten der Antragstellerin erforderlich, da die entsprechenden Kontakte bei ihr schon vorhanden waren. Daher geht der Senat – mangels gegenteiliger Anhaltspunkte – davon aus, dass die Vermittlungsleistungen in Luxemburg erbracht wurden, wo die Antragstellerin ihren Sitz, ihr Büro und Arbeitnehmer hatte.
43
Da sich aus dem Geschäftsbereich „Vermittlungstätigkeit“ somit weder ein Anknüpfungspunkt für eine unbeschränkte Steuerpflicht noch – mangels daraus resultierender inländischer Einkünfte – für eine beschränkte Steuerpflicht der Antragstellerin (§ 2 Nr. 1 KStG) ergibt, kann die Frage einer an den Geschäftszweig „Geschäftsführungstätigkeit“ anknüpfenden unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht der Antragstellerin dahingestellt bleiben. Denn da aus diesem Geschäftszweig nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragstellerin keine oder nahezu keine Einnahmen geflossen sind, besteht auch kein Anhaltspunkt für ein entsprechendes inländisches Besteuerungssubstrat.
44
6. Die oben genannten Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung liegen auch vor, soweit das Finanzamt in den Bescheiden vom 22.12.2022 jeweils Verspätungszuschläge zur Körperschaftsteuer festgesetzt hat. Aufgrund der im vorliegenden Verfahren nicht zu klärenden Rechtsfrage, ob die Antragstellerin in den Streitjahren der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht und damit der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen unterlegen hat, bestehen ernsthafte Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 2 AO.
45
7. Für die begehrte Anordnung einer Sicherheitsleistung nach § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO besteht kein Anlass. Denn es ist weder vom Finanzamt dargelegt noch sonst erkennbar, inwiefern die Realisierung des streitigen Steueranspruchs durch die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung des Finanzamts über den Einspruch gegen die Bescheide vom 22.12.2022 gefährdet oder ernstlich erschwert würde.
46
Die Anordnung der Sicherheitsleistung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient der Vermeidung von Steuerausfällen (BFH-Beschluss vom 29.11.1995 X B 328/94, BStBl II 1996, 322, 327, m.w.N.). Diese können im Gefolge einer Aussetzung der Vollziehung vor allem dadurch entstehen, dass der Steuerpflichtige im Verfahren zur Hauptsache letztlich unterliegt und zu diesem Zeitpunkt die Durchsetzung der Steuerforderung gefährdet oder erschwert ist. Nur einer solchen Entwicklung soll durch die Sicherheitsleistung vorgebeugt werden. Deshalb ist, wenn eine entsprechende Gefahr im konkreten Fall nicht besteht, für die Anordnung einer Sicherheitsleistung kein Raum (BFH-Beschluss vom 29.06.1977 VIII S 15/76, BStBl II 1977, 726). Das gilt unabhängig vom Grad der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts (BFH-Beschluss vom 03.02.2005 I B 208/04, BStBl II 2005, 351).
47
Im Streitfall bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin die Besorgnis rechtfertigen, sie werde nach einem etwaigen Unterliegen in der Hauptsache ihrer Zahlungspflicht nicht nachkommen können. Konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Steueranspruchs liegen nicht vor.
48
8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.