Titel:
Einstweilige Anordnung betreffend die Unterbrechung eines Disziplinarverfahrens und Rüge von Datenschutzverstößen wegen der Vertretung des Dienstherrn durch einen Rechtsanwalt
Normenketten:
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5
BDG § 3, § 55
VwGO § 44a, § 67 Abs. 3, § 123
VwVfG § 44, § 45, § 46
DS-GVO Art. 23 Abs. 1 j
Leitsätze:
1. Die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens hat der Beamte grundsätzlich in der gesetzlich ausgestalteten Weise hinzunehmen, insoweit ist sein Status als Beamter und seine Handlungsfreiheit durch den Gesetzgeber eingeschränkt worden, ohne dass das Disziplinarverfahren schon ab seiner Einleitung durch Rechtsschutz begleitet wird. Nach § 3 BDG iVm § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht keine Vorlagepflicht an den EuGH. Dies gilt bei Auslegungszweifeln des Unionsrechts wegen der Vorläufigkeit eines Eilverfahrens selbst dann, wenn die Entscheidung des Gerichts nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden kann, jedenfalls wenn und soweit die streitige Rechtsfrage im Anschluss an das vorläufige Rechtsschutzverfahren potenziell noch Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens, Antrag auf Unterbrechung des behördlichen Disziplinarverfahrens, Vorlagepflicht an den EuGH (verneint), Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Verwendung personenbezogener Daten, Vertretung des Dienstherrn durch Rechtsanwalt, behördliches Disziplinarverfahren, Mangel, Unterbrechung, Vorlagepflicht EuGH, informationelle Selbstbestimmung, Verwendung, personenbezogene Daten, Vertretung, Dienstherr, Rechtsanwalt, Rechtsschutzbedürfnis, Protokoll, Zeugeneinvernahme, isolierte gerichtliche Durchsetzung, irreversibler Nachteil, Sachentscheidung, Rechtsbehelf, Vertretung durch Rechtsanwalt, Datenschutz, Amtsermittlung, Vorlagepflicht, EuGH
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 14.11.2022 – AN 13a DS 22.2360
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1999
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 € festgesetzt.
Gründe
1
Gegen die Antragstellerin (BesGr. B 3) wurde mit Schreiben vom 2. Juni 2022 wegen Verdachts des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht (u.a. unangemessenes Verhalten gegenüber den ihr unterstellten Beschäftigten, indem sie diese unter Druck gesetzt oder persönlich angegriffen, sowie Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wie die Tätigkeit im Homeoffice nicht hinreichend unterstützt haben soll) ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Sie beantragte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Wege der einstweiligen Anordnung, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ermittlungen im Disziplinarverfahren zu unterbrechen, ihr die Protokolle der Zeugeneinvernahmen B. und F. zu übersenden und eine mindestens zweiwöchige Stellungnahmefrist zu gewähren.
2
Die Antragstellerin wendet sich im Beschwerdeverfahren gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach. Sie beantragt im Beschwerdeverfahren zuletzt,
3
die Antragsgegnerin unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 14. November 2022 zu verpflichten, Zeugeneinvernahmen im Disziplinarverfahren gegen die Antragstellerin zu unterbrechen, bis ihr Akteneinsicht in die Protokolle der Vernehmungen der Zeugen F., J. und Dr. K. einschließlich einer mindestens zweiwöchigen Stellungnahmefrist gewährt wird.
4
Des Weiteren beantragt die Antragstellerin,
5
die gerichtliche Vertretung der Antragsgegnerin durch Rechtsanwälte nach § 67 Abs. 3 VwGO zurückzuweisen.
6
Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Im Übrigen sei sie selbstverständlich berechtigt, sich gemäß § 3 BDG i.V.m. § 67 VwGO durch Rechtsanwälte vertreten zu lassen.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten elektronischen Akten verwiesen. Daraus ergibt sich auch, dass die Protokolle der Vernehmungen der Zeugen F., J. und Dr. K. der Antragstellerin nunmehr vorliegen. Die letzten beiden werden von der Antragstellerin als „sog. Protokolle“ bezeichnet, weil das Protokoll Dr. K. von den Beteiligten noch nicht unterschrieben wurde und hinsichtlich des Protokolls J. zwischen dem Datum der Zeugeneinvernahme und der Unterschrift der Zeugin unter dem Protokoll sechs Wochen liegen.
8
1. Die Beschwerde ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit es um die Protokollierung der Zeugeneinvernahme F. geht. Die Antragstellerin hat das Protokoll erhalten und Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt.
9
2. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde auch hinsichtlich der Zeugen J. und Dr. K. wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist bzw. ob die Antragserweiterung (hinsichtlich der Zeugen J. und Dr. K) im Beschwerdeverfahren zulässig ist (str., siehe nur Guckelberger in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 93 f.). Das Verwaltungsgericht ist jedenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragstellerin die geltend gemachten Verfahrensrechte nicht isoliert gerichtlich durchsetzen kann (§ 3 BDG i.V.m. § 44a Satz 1 VwGO).
10
Die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens hat der Beamte grundsätzlich in der gesetzlich ausgestalteten Weise hinzunehmen, insoweit ist sein Status als Beamter (im Hinblick auf Art. 33 Abs. 5 GG) und seine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) durch den Gesetzgeber eingeschränkt worden, ohne dass das Disziplinarverfahren schon ab seiner Einleitung durch Rechtsschutz begleitet wird. Nach § 3 BDG i.V.m. § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden (vgl. Hermann/Sandkuhl, Beamtendisziplinarrecht, Beamtenstrafrecht, 2. Aufl. 2021, § 7 Rn. 634; Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 55 Rn. 2).
11
Entgegen der Beschwerdebegründung führt § 44a VwGO vorliegend nicht zu irreversiblen Nachteilen, die im Rahmen des Rechtsschutzes gegen die abschließende Sachentscheidung nicht mehr beseitigt werden könnten.
12
Die Antragstellerin rekurriert auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar 2022 (2 BvR 1528/21 – juris) zur Anfechtbarkeit einer amtsärztlichen Untersuchungsanordnung bei Zweifeln an der Dienstfähigkeit des Beamten. Danach habe sie das Recht auf effizienten Rechtsschutz bereits im behördlichen Disziplinarverfahren. Die Antragstellerin verkennt indes, dass es entscheidend darauf ankommt, ob die Verfahrenshandlung einen über die Sachentscheidung hinausgehenden eigenständigen, im Zeitpunkt der Sachentscheidung irreversiblen gewichtigen Nachteil zur Folge hat. Dies ist nach der o.g. Entscheidung der Fall, wenn die Verfahrenshandlung zu Verletzungen materieller Rechtspositionen führen kann, die nicht mit der durch die abschließende Sachentscheidung berührten Rechtsposition identisch sind und die im nachgelagerten Rechtsschutzverfahren (hier – abhängig von einer zu treffenden Disziplinarmaßnahme – eine Anfechtungsklage gegen eine Disziplinarverfügung bzw. eine Disziplinarklage) nicht vollständig beseitigt werden können (BVerfG, B.v. 14.1.2022 a.a.O. Rn. 18). Nicht zielführend sind daher die rechtspolitischen Erwägungen der Antragstellerin zur Abschaffung des behördlichen Disziplinarverfahrens. Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, sie könne bei einer Disziplinarverfügung Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens nicht nach § 55 BDG geltend machen, ist das zwar richtig, da diese Bestimmung nur für das Disziplinarklageverfahren gilt. Bei einer Disziplinarverfügung ist die Antragstellerin jedoch entgegen der Unterstellung ihres Bevollmächtigten nicht rechtlos gestellt. Hier richten sich die Folgen von Verfahrens- und Formfehlern im behördlichen Disziplinarverfahren über § 3 BDG nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 44 bis 46 VwVfG (Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Aufl. 2017, § 3 Rn. 3; § 55 Rn. 2).
13
3. Dem Antrag, die gerichtliche Vertretung der Antragsgegnerin durch Rechtsanwälte gemäß § 67 Abs. 3 Satz VwGO zurückzuweisen, war nicht nachzukommen. Danach weist das Gericht Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsberechtigt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Die Antragstellerin meint, die Vertretung der „Antragsgegnerin als Disziplinarbehörde“ durch Rechtsanwälte sei eine materiell rechtswidrige und unwirksame Übertragung von Staatsgewalt. Diese Rechtsansicht ist unzutreffend. Insoweit nimmt der Senat auf den – den Beteiligten bekannten – Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 9. November 2022 (AN 13a DS 22.02222) Bezug. Soweit die Antragstellerin nunmehr auf § 32 Abs. 5 des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und die hierzu ergangene Rechtsprechung (OVG NW, U.v. 5.10.2016 – 3d A 87/14.O – juris Rn. 88; BVerwG, U.v. 14.12.2017 – 2 C 12.17 – juris Rn. 29) verweist, liegt das neben der Sache. Die Bestimmung regelt die Zeichnungsbefugnis einer Abschlussentscheidung (siehe auch: § 34 Abs. 2 Satz 1 BDG). Ein Verstoß führt zu einem wesentlichen Mangel der Disziplinarklageschrift. Vorliegend geht es indes nicht um die Erhebung einer Disziplinarklage, sondern um einzelne Verfahrensschritte im behördlichen Disziplinarverfahren und die Verteidigung gegen einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.
14
4. Soweit die Antragstellerin der Verwendung ihrer personenbezogenen Daten widerspricht, gilt Folgendes: Haftung und Sanktionen einer rechtswidrigen Verarbeitung personenbezogener Daten sind in §§ 83 und 84 BDSG geregelt. Daneben sind auch Beseitigungs- und bei Wiederholungsgefahr die allgemeinen Unterlassungsansprüche gem. § 1004 BGB, bei einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht analog § 823 Abs. 2, § 1004 BGB möglich (Quaas in BeckOK Datenschutzrecht, Stand: Aug. 2022, § 83 BDSG Rn. 10). Eine Zurückweisung sämtlichen Vortrags der Antragsgegnerin, wie sie die Antragstellerin begehrt, ist nicht vorgesehen und macht vor dem Hintergrund der Amtsermittlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ohnehin keinen Sinn. Ein Eingehen auf die angeblichen datenschutzrechtlichen Verstöße der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin war mithin entbehrlich (vgl. hierzu: VG Wiesbaden, U.v. 19.1.2022 – 6 K 361/21.WI – juris: datenschutzrechtliche Zulässigkeit des gerichtlichen Vortrags von Gesundheitsdaten durch Rechtsanwälte; OLG Celle, U.v. 22.9.2022 – 11 U 107/21: Übersendung einer Disziplinarakte an Prozessbevollmächtigte).
15
5. Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihrer Beschwerde weitergehend vorträgt, dass es mit Art. 23 Abs. 1 lit. j DS-GVO nicht in Einklang zu bringen sei, „dass personenbezogene Daten aus einem hoheitlichen Rechtsverhältnis zur Wahrnehmung hoheitlicher Interessen im hoheitlichen Beamtenrecht vor Verwaltungsgerichten an private Prozessbevollmächtigte durch den Hoheitsträger herausgegeben und dort von Rechtsanwälten ausgewertet und verwendet werden dürfen“, sodass die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof beantragt werde, kann dies der Beschwerde – ungeachtet der Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht erfüllt sind – schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Vorlagepflicht besteht (BVerfG, B.v. 14.5.2018 – 2 BvR 883/18 – juris Rn. 4 unter Verweis auf EuGH, Urt. v. 27.10.1982 – Rs. 35/82 – juris Rn. 9; vgl. auch Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: August 2022, § 123 VwGO Rn. 130a und b). Dies gilt bei Auslegungszweifeln des Unionsrechts wegen der Vorläufigkeit eines Eilverfahrens selbst dann, wenn die Entscheidung des Gerichts nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden kann, jedenfalls wenn und soweit – wie hier – die streitige Rechtsfrage im Anschluss an das vorläufige Rechtsschutzverfahren potenziell noch Gegenstand eines Hauptsacheverfahrens sein kann (vgl. Marsch in Schoch/Schneider a.a.O. Art. 267 AEUV Rn. 47).
16
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
17
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63, § 47 Abs. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG (wie Vorinstanz).
18
7. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 3 BDG i.V.m. § 152 VwGO).