Titel:
Glaubhaftmachung einer technischen Störung bei der Übermittlung eines elektronischen Schriftsatzes
Normenkette:
VwGO § 55d, § 146 Abs. 4 S. 3
Leitsatz:
Die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen ist durch die unkommentierte Vorlage eines Screenshots einer Fehlermeldung, die Datum und Uhrzeit des Übermittlungsversuchs nicht erkennen lässt, nicht glaubhaft gemacht. (Rn. 15 – 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz, Ersatzeinreichung wegen technischer Störung, Anforderungen an die Glaubhaftmachung, Errichtung einer Flussbühne im festgesetzten Überschwemmungsgebiet, Drittanfechtung eines Nachbarn, elektronisches Dokument, technische Störung, Ersatzeinreichung, Darlegungsgebot
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 30.11.2022 – RO 8 S 22.2637
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1997
Tenor
I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung der Ziffer III des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 30. November 2022 für beide Rechtszüge auf jeweils 3.750 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen eine wasserrechtliche Genehmigung zur Errichtung einer Flussbühne im festgesetzten Überschwemmungsgebiet; er begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Drittanfechtungsklage.
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Das Landratsamt C. genehmigte der Beigeladenen mit Bescheid vom 13. September 2022 das Vorhaben zum Bau einer Flussbühne im R. (Grundstücke FlNrn. … und … Gemarkung R. ; Ziff. I, II des Bescheids). Das Vorhaben liegt in einem Gebiet, für das die Verordnung des Landratsamts C. vom 18. April 2016 (Amtsblatt für den Landkreis C. vom 28.4.2016 S. 37 ff.) ein Überschwemmungsgebiet festsetzt. Im Hinblick darauf erteilte das Landratsamt der Beigeladenen zudem eine wasserrechtliche Genehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG (Ziff. III, IV des Bescheids).
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. ... Gemarkung M. , das am gegenüberliegenden Flussufer liegt; dort wurde früher die A. mühle betrieben.
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Am 14. Oktober 2022 ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 13. September 2022 zum Verwaltungsgericht Regensburg erheben, die unter dem Az. RO 7 K 22.2483 geführt wird. Mit Beschluss vom 14. November 2022 trennte das Verwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich der wasserrechtlichen Genehmigung ab.
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Mit Bescheid vom 17. November 2022 erklärte das Landratsamt C. auf Antrag der Beigeladenen die Ziff. III und IV des Bescheids vom 13. September 2022 für sofort vollziehbar.
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Am 8. November 2022 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Regensburg beantragen, die aufschiebende Wirkung seiner in der Hauptsache erhobenen Klage widerherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.
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Das Verwaltungsgericht lehnte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ziff. III und IV des Bescheids vom 13. September 2022 mit Beschluss vom 30. November 2022 ab. Die Drittanfechtungsklage bleibe voraussichtlich erfolglos. Das Wasserwirtschaftsamt habe nachvollziehbar dargelegt, dass die Flussbühne selbst für den Fall, dass die Wasserkraftanlage des Antragstellers wieder in Betrieb genommen werden sollte, den Betrieb der Anlage nicht beeinträchtige.
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Gegen diesen Beschluss, der seinen Bevollmächtigten am 2. Dezember 2022 zugestellt wurde, hat der Antragsteller Beschwerde erhoben. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2022, beim Verwaltungsgericht eingegangen am 2. Januar 2023 per Telefax und am 5. Januar 2023 per beA, ließ er die Beschwerde begründen. Dem Telefax vom 2. Januar 2023 ist ein Bildschirmabdruck (Screenshot) beigefügt, der im Fenster „Zertifikatsauswahl“ folgenden Text enthält: „Die Verbindung mit dem Fernsignaturdienst der BNotK konnte nicht hergestellt werden. Bitte prüfen Sie ihre Netzwerkverbindung und versuchen Sie es erneut. Sollte es weiterhin nicht funktionieren wenden Sie sich bitte an die Bundesnotarkammer. Fehlerdetails: Fehler beim Verbindungsaufbau“. Zu den Umständen, weshalb die Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich gewesen sei, fehlen Darlegungen. Die Schriftsätze vom 2. Dezember und 30. Dezember 2022 enthalten keinen Antrag.
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Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigen den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts.
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A. Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO nicht genügt; sie ist deshalb zu verwerfen (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO).
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1. Die Beschwerde wurde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO in der nach § 55d VwGO erforderlichen Form begründet.
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Nach dem seit 1. Januar 2022 geltenden § 55d VwGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln (Satz 1). Ist eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 55d Satz 3 VwGO). Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen (§ 55d Satz 4 HS 1 VwGO).
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Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat die Beschwerdebegründung innerhalb der einmonatigen Beschwerdebegründungsfrist, die am 2. Januar 2023 endete, nicht als elektronisches Dokument (vgl. § 55a, § 55d VwGO), sondern als Telefax übermittelt. Die Voraussetzungen für eine Ersatzeinreichung liegen aber nicht vor, weil die Antragstellerseite nicht glaubhaft gemacht hat, dass eine Übermittlung als elektronisches Dokument aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich war. Die unkommentierte Vorlage eines Screenshots einer Fehlermeldung, die Datum und Uhrzeit des Übermittlungsversuchs nicht erkennen lässt, genügt dafür nicht; es fehlt an einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände eines oder mehrerer fehlgeschlagener Übermittlungsversuche(s) (vgl. BGH, B.v. 21.9.2022 – XII ZB 264/22 – NJW 2022, 3647 = juris Rn. 15).
16
Zwar spielt es keine Rolle, in welcher Sphäre die Ursache der technischen Störung liegt; auch ein vorübergehender Ausfall der technischen Einrichtungen eines Rechtsanwalts soll dem Rechtschutzsuchenden nicht zum Nachteil gereichen (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 27; BayVGH, B.v. 2.5.2022 – 6 ZB 22.30401 – NVwZ 2022, 1392 = juris Rn. 5). Allerdings beruht nicht jede fehlgeschlagene Übermittlung auf technischen Gründen im Sinn von § 55d Satz 3 VwGO. So entbindet § 55d Satz 3 VwGO professionelle Einwender nicht von der Verpflichtung, die notwendigen technischen Einrichtungen für die Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten und bei technischen Ausfällen unverzüglich für Abhilfe zu sorgen (vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 28 zu § 130d Satz 2 ZPO; OVG NW, B.v. 22.11.2022 – 19 A 1860/22.A – juris Rn. 5 f.). Nicht von dem eng auszulegenden Ausnahmetatbestand erfasst sind zudem Bedienungsfehler (vgl. BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286 – NJW 2022, 3169 = juris Rn. 14; Ulrich in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 55d VwGO Rn. 29).
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Im Hinblick darauf hat der Antragstellerbevollmächtigte die vorübergehende Unmöglichkeit einer elektronischen Übermittlung aus technischen Gründen nicht glaubhaft gemacht. Allein anhand des Screenshots kann der Senat nicht beurteilen, ob wegen einer erst kurz vor Fristablauf festgestellten technischen Störung des beA (vgl. auch OVG RhPf, B.v. 29.11.2022 – 2 A 10864/22 – juris Rn. 3) die Übermittlung der Beschwerdebegründung trotz ordnungsgemäßer Bedienung nicht möglich war.
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2. Die Beschwerde genügt auch nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Nach dieser Vorschrift muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
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a) Zwar lässt sich der Beschwerde das mit ihr verfolgte Rechtsschutzziel noch hinreichend entnehmen, obwohl weder die Beschwerdeschrift noch deren Begründung einen Antrag formulieren. Dieses Versäumnis ist aber im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG unschädlich, wenn sich aus dem Vortrag des Beschwerdeführers Ziel und Umfang der Beschwerde klar und eindeutig entnehmen lassen (vgl. OVG NW, B.v. 19.9.2022 – 9 B 990/22 – juris Rn. 9 f.; SächsOVG, B.v. 2.6.2022 – 6 B 151/22 – juris Rn. 8). Dies ist hier der Fall. Dass der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht einen Haupt- und einen Hilfsantrag gestellt hat, führt vorliegend nicht zu Unklarheiten hinsichtlich des Umfangs der Beschwerde (vgl. dazu auch Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 69). Beide Anträge enthalten dasselbe Rechtsschutzziel, sodass keine Unklarheiten über den Umfang der eingelegten Beschwerde bestehen. Bei dem Verfahren auf Aufhebung der Vollzugsfolgen (§ 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO) handelt es sich um ein unselbständiges Annexverfahren, das von einem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO abhängig ist (vgl. VGH BW, B.v. 4.11.2021 – 12 S 3125/21 – NJW 2022, 955 = juris Rn. 45; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 116). Aus der Beschwerdebegründung geht hinreichend klar hervor, dass der Antragsteller sein erstinstanzliches Begehren, die aufschiebenden Wirkung seiner Klage wiederherzustellen bzw. hilfsweise die Vollziehung aufzuheben, in vollem Umfang weiterverfolgt.
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b) Das Beschwerdevorbringen genügt jedoch nicht dem Darlegungsgebot aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, das eine Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung verlangt. Um diesen Anforderungen zu genügen, muss die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Erstgerichts anknüpfen und aufzeigen, weshalb diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht tragfähig sind bzw. aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen die Entscheidung unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2021 – 19 CS 21.2812 – juris Rn. 5; NdsOVG, B.v. 8.8.2022 – 5 ME 62/22 – ZBR 2023, 56 = juris Rn. 24). Ist die Entscheidung auf mehrere, jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt, muss der Beschwerdeführer alle Begründungsstränge angreifen (vgl. BayVGH, B.v. 11.8.2021 – 25 CE 21.1959 – juris Rn. 3; OVG NW, B.v. 18.7.2022 – 19 B 535/22 = juris Rn. 1 ff.; vgl. auch Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 146 Rn. 26).
21
Das Verwaltungsgericht hat die Antragsablehnung tragend darauf gestützt, dass die Errichtung der Flussbühne einen etwaigen künftigen Betrieb einer Wasserkraftanlage, die der Antragsteller auf ein Altrecht (§ 20 WHG, Art. 75 BayWG) stützen will, voraussichtlich nicht beeinträchtigt (vgl. Beschlussabdruck [BA] S. 13). Es ist dabei der Einschätzung des amtlichen Sachverständigen gefolgt (vgl. Wasserwirtschaftsamt, Gutachten vom 3.8.2022 S. 4 f.; ergänzende Stellungnahme mit E-Mail vom 2.9.2022). Diese Begründung des Erstgerichts stellt die Beschwerde nicht infrage. Das Vorbringen, das Altrecht liege mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, greift von vorneherein ins Leere, weil das Verwaltungsgericht ein solches zugunsten des Antragstellers als bestehend unterstellt hat. Soweit die Beschwerde pauschal behauptet, das Altrecht könne „durch den Bau einer Flussbühne erheblich beeinträchtigt werden, wie in erster Instanz bereits ausführlich [von] uns so substanziiert, wie dem Antragsteller in der Eile nur möglich“, setzt sie sie nicht mit der gegenteiligen gutachterlichen Aussage des Wasserwirtschaftsamts auseinander, auf die sich das Verwaltungsgericht gestützt hat. Sie behauptet stattdessen das Gegenteil und nimmt pauschal auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug; damit wird dem Darlegungsgebot nicht genügt (vgl. OVG NW, B.v. 18.7.2022 – 19 B 535/22 – juris Rn. 1 f.; VGH BW, B.v. 29.6.2018 – 5 S 548/18 – BauR 2018, 1874 = juris Rn. 2; Kuhlmann in Wysk, VwGO, § 146 Rn. 24, jeweils m.w.N.)
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Das gegen die Interessenabwägung (BA S. 14) gerichtete Beschwerdevorbringen genügt ebenfalls nicht dem Darlegungsgebot. Die Beschwerde behauptet, das Erstgericht habe die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage als offen eingestuft und bei seiner Abwägung das fiskalische Interesse der beigeladenen Stadt zu Unrecht über die Belange des Antragstellers gestellt („Fehlgewichtung“). Dabei verkennt sie, dass das Verwaltungsgericht die Interessenabwägung nur hilfsweise vorgenommen hat („selbst wenn“); es hat die Erfolgsaussichten nicht als offen bewertet, sondern ist bei seiner summarischen Prüfung tragend zu dem Ergebnis gelangt, dass die in der Hauptsache erhobene Drittanfechtungsklage keinen Erfolg hat (vgl. BA S. 13 f.).
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B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem unterlegenen Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO).
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C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 Satz 1 Alt. 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 (vgl. auch BayVGH, B.v. 4.4.2022 – 8 CS 21.2389 – juris Rn. 29). Der Haupt- und der Hilfsantrag (Annex) betreffen denselben Gegenstand, sodass sich der Hilfsantrag nicht streitwerterhöhend auswirkt (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung ist entsprechend abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).