Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.01.2023 – 7 CE 22.10035
Titel:

Anwaltliche Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs

Normenkette:
VwGO § 55a Abs. 5 S. 2, § 60 Abs. 1
Leitsatz:
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Dazu gehört insbesondere die Kontrolle, ob die Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 55a Abs. 5 S. 2 VwGO erteilt worden ist (vgl. VGH München BeckRS 2022, 8519 Rn. 4). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, automatisierte Bestätigung über den Zeitpunkt des Eingangs., elektronischer Rechtsverkehr, Fristenkontrolle, beA, Ausgangskontrolle, Eingangsbestätigung, anwaltliche Sorgfaltspflicht, Dienstanweisung zur Behandlung von Fristen
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 18.10.2022 – RO 1 E Z 22.10016
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1995

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

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Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig.
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1. Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Der von der Antragstellerin angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. Oktober 2022, der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen war, wurde ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Oktober 2022 zugestellt. Die Frist zur Einlegung einer Beschwerde endete damit am 3. November 2022 (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde weder beim Verwaltungsgericht noch beim Verwaltungsgerichtshof (vgl. § 147 Abs. 2 VwGO) eine Beschwerde eingelegt. Die von der Antragstellerin beim Verwaltungsgerichtshof vorgelegte Beschwerdebegründung ging erst am 16. November 2022 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ein.
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2. Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO vom 8. Dezember 2022 wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
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a) Die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin haben zur Begründung ihres Antrags auf Wiedereinsetzung unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihrer Angestellten Z. vorgetragen, die sachbearbeitende Rechtsanwältin habe am 2. November 2022 die Beschwerde diktiert. Die seit mehr als zehn Jahren in der Kanzlei beschäftigte erfahrene Angestellte Z. habe am selben Tag den Schriftsatz erstellt, diesen in die Prozessakte abgeheftet und die Frist aus dem Fristenkalender gestrichen, ohne den Schriftsatz in das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) der sachbearbeitenden Rechtsanwältin einzustellen. Diese habe am 16. November 2022 eine Beschwerdebegründung an den Verwaltungsgerichtshof übermittelt und erst durch einen Anruf der Geschäftsstelle am 30. November 2022 erfahren, dass keine Beschwerde vorliege. Für die Einhaltung von Fristen gelte in ihrer Kanzlei eine schriftliche Dienstanweisung (Stand: 3.9.2018). Danach dürften Fristen im Fristenkalender erst gestrichen werden, wenn sich die entsprechende Dienstkraft davon überzeugt habe, dass der Schriftsatz tatsächlich übermittelt worden sei. Es handele sich um ein Verschulden einer Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten, das der Antragstellerin nicht zuzurechnen sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 9. Januar 2023 wurde vorgebracht, die sachbearbeitende Rechtsanwältin habe die Beschwerdeschrift am 2. November 2022 diktiert und die Absendung verfügt. Ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten liege nicht vor. Zwar regele die Dienstanweisung noch nicht ausdrücklich die Versendung von Schriftstücken über das beA, diese entsprächen aber denjenigen für eine Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Die Mitarbeiter der Kanzlei seien zu Beginn der aktiven Nutzungspflicht für das beA ergänzend mündlich angewiesen worden, dass für die Versendung über das beA natürlich dieselben Anforderungen gälten, wie für die fristwahrende Versendung von Schriftsätzen per Fax und anstelle der Kontrolle anhand des Faxprotokolls eine Kontrolle anhand des Übertragungsberichts im beA-Web Client oder der Zugangsbestätigung der in der Kanzlei verwendeten Kanzleisoftware (RA-Micro) vorzunehmen sei.
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b) Damit hat die Antragstellerin nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden an der Frist zur Einlegung der Beschwerde gehindert war. Unabhängig davon, dass das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten schon offen lässt, ob der Schriftsatz überhaupt bereits durch die sachbearbeitende Rechtsanwältin elektronisch signiert war, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen und eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung unerlässlich ist (vgl. BGH, B.v. 24.5.2022 – XI ZB 18/21 – juris Rn. 10; B.v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 31.3.2022 – 11 ZB 22.39 – juris Rn. 4; OVG RhPf, B.v. 14.10.2021 – 8 B 11187/21 – juris Rn. 11; OVG Berlin-Bbg, B.v. 11.11.2020 – 6 S 49/20 – juris Rn. 8; BAG, B.v. 7.8.2019 – 5 AZB 17/19 – juris Rn. 20). Dazu gehört insbesondere die Kontrolle, ob die Bestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO über den Zeitpunkt des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht erteilt worden ist. Zudem ist – ebenfalls anhand dieser automatisierten Eingangsbestätigung – sicherzustellen, dass die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (vgl. ThürOVG, B.v. 22.6.2022 – 3 EO 553/21 – juris Rn. 7). Die Prüfung der automatisierten Eingangsbestätigung ermöglicht es dem Absender im elektronischen Rechtsverkehr, sich schnell und effektiv einen Nachweis des Zugangs der übersandten Dokumente beim Gericht zu verschaffen. Es fällt deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal anzuweisen, Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren. Die Einhaltung der entsprechenden organisatorischen Abläufe in der Kanzlei hat der Rechtsanwalt zumindest stichprobenweise zu überprüfen (BGH, B.v. 24.5.2022 – XI ZB 18/21 – juris Rn. 12; B.v. 11.5.2021 – l VIII ZB 9/20 – juris Rn. 24 m.w.N).
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aa) Hieran gemessen hat die Antragstellerin nicht ausreichend dargelegt, ohne Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten an der Einhaltung der Frist zur Rechtsmitteleinlegung gehindert gewesen zu sein. Die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin haben die Fristenkontrolle jedenfalls für die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze im elektronischen Rechtsverkehr nicht pflichtgemäß organisiert.
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Dies gilt ungeachtet der Frage, ob deren Vorbringen im Schriftsatz vom 9. Januar 2023, in dem sie darauf verweisen, dass die Dienstanweisung zur Behandlung von Fristen für die Versendung fristgebundener Schriftsätze über das beA mündlich ergänzt worden war, mit Blick auf § 60 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO überhaupt noch zu berücksichtigen ist (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 32). Denn den Darlegungen der Prozessbevollmächtigten lässt sich nicht entnehmen, dass hinsichtlich der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das beA eine hinreichende Anweisung an die mit der Ausgangskontrolle betrauten Kanzleikräfte dahingehend bestand, jeweils anhand der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO zu prüfen, ob eine im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Fristsache auch tatsächlich erledigt ist, insbesondere ob die fristgebundenen Schriftsätze auch tatsächlich und vollständig beim zuständigen Gericht eingegangen sind.
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Die vorgelegte schriftliche Dienstanweisung zur Behandlung von Fristen (Stand 3.9.2018) enthält hierzu unter III. („Das Streichen von Fristen“) ausdrücklich keine Anweisungen. Diese beschränken sich auf den Postversand und die Übermittlung per Fax. Mit ihrem Vorbringen, die Mitarbeiter seien mündlich angewiesen worden, bei Versand über das beA gälten „dieselben Anforderungen“ wie bei einer Versendung per Fax „und anstelle der Kontrolle anhand des Faxprotokolls sei eine Kontrolle anhand des Übertragungsberichts im beA-Web Client oder der Zugangsbestätigung in der in unserer Kanzlei verwendeten Kanzleisoftware“ vorzunehmen, vermögen die Prozessbevollmächtigten nicht darzulegen, dass die interne Fristenkontrolle insoweit pflichtgemäß organisiert war.
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Für eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle wäre von den Prozessbevollmächtigten zu erwarten gewesen, ausdrückliche und konkrete Anweisungen für die Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das beA zu formulieren. Insbesondere wären die Mitarbeiter dahingehend anzuweisen, dass der Eingang der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO zu kontrollieren sowie anhand dieser zu überprüfen ist, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Allein eine Bezugnahme auf die Anforderungen an die fristwahrende Versendung von Schriftsätzen per Fax genügt hierfür nicht. Ferner ist unzureichend, optional auf die Zugangsbestätigung der Kanzleisoftware abzustellen. Die Einlassungen der Mitarbeiterin Z. in deren eidesstattlicher Versicherung legen zudem nahe, dass sie Fristen regelmäßig bereits aus dem Kalender streicht, bevor sie fristgebundene Schriftsätze in die jeweiligen beA Postfächer der sachbearbeitenden Rechtsanwälte eingestellt hat („Ich erstellte am 02.11.2022 den Schriftsatz, heftete den Schriftsatz in der Prozessakte ab, strich die Frist aus dem Fristenkalender, ohne allerdings den Beschwerdeschriftsatz in das beA Postfach von Frau Rechtsanwältin D. einzustellen“). Der eidesstattlichen Versicherung ist gerade nicht zu entnehmen, dass Frau Z. bezüglich der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das beA sowohl angewiesen war, vor dem Streichen der Fristen aus dem Fristenkalender zu kontrollieren, ob die automatisierte Eingangsbestätigung nach § 55a Abs. 5 Satz 2 VwGO vorliegt und eine vollständige Übermittlung aller Dateien erfolgt ist, als auch, dass sie üblicherweise so vorgeht. Frau Z. nimmt in ihrer eidesstattlichen Versicherung auf eine derartige Anweisung nicht einmal Bezug.
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Dass in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten bezüglich der Ausgangskontrolle bei fristgebundenen Schriftsätzen über das beA zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchgeführt werden, wurde ebenfalls nicht dargelegt.
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Diese Organisationsmängel der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin waren für das Fristversäumnis ursächlich. Die Antragstellerin muss sich diese zurechnen lassen und hat damit die Frist zur Einlegung der Beschwerde aus § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht unverschuldet im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO versäumt.
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bb) Darüber hinaus haben die Prozessbevollmächtigten den Umstand, dass für den Versand von Schriftstücken über das beA eine mündliche Anweisung bestanden hat, nicht glaubhaft gemacht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 18.1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – abgedruckt in Eyermann, VwGO.