Titel:
Dieselabgasskandal - Kein Ersatz des Differenzschadens mangels Erwerbskausalität
Normenketten:
ZPO § 522 Abs. 2
StGB § 263 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Damit dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kfz unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV grundsätzlich ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann, wird vorausgesetzt, dass der Kaufvertragsabschluss durch den Käufer die kausale Folge der fahrlässig eingesetzten unzulässigen Abschalteinrichtung(en) ist. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Fahrzeughersteller die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, ist die grds. Vermutung der Erwerbskausalität in Frage gestellt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Käufer den Erwerb trotz der Kenntnis von den damit einhergehenden Risiken getätigt hat, ist die Erwerbskausalität zu verneinen. (Rn. 8 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Hinweisbeschluss, Abschalteinrichtung, Abgasproblematik, Ersatz des Differenzschadens, Erwerbskausalität, Motor EA189
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 14.01.2021 – 64 O 1884/19
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19959
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt weiterhin, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.01.2021, Az. 64 O 1884/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 25.08.2023.
Gründe
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Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 20.04.2022 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 14.01.2022, Az. 64 O 1884/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen (Bl. 481/489 d. A.).
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Auch die Ausführungen im Schriftsatz vom 11.07.2022 (Bl. 628/636 d. A.) unter Berücksichtigung der kürzlich zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023, Az. C-100/21, ergangenen Urteile des Bundesgerichtshofs vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 1031/22, VIa ZR 355/21, VIa ZR 335/21, geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Der Kläger hat aus den im Hinweisbeschluss vom 20.04.2022 genannten Gründen keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB oder aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
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2. Dem Kläger steht gegen die Beklagte überdies auch unter Berücksichtigung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
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2.1. Zwar hat der Bundesgerichtshof in den oben genannten Urteilen vom 26.06.2023 entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV grundsätzlich ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann.
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Voraussetzung ist hierzu aber, dass der Kaufvertragsabschluss durch den Kläger die kausale Folge der fahrlässig eingesetzten unzulässigen Abschalteinrichtung(en) ist (BGH Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21 Tz. 55).
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Diese Erwerbskausalität wird grundsätzlich zugunsten des Klägers vermutet, weil und soweit sich der Kläger auf den Erfahrungssatz stützen kann, dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte (BGH Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21 Tz. 55). Hat jedoch der Fahrzeughersteller sein Verhalten nachweislich vor Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts, das wie in den Fällen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung das gesetzliche Schuldverhältnis nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst begründet, dahin geändert, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss, kann die Verhaltensänderung die Anwendung des Erfahrungssatzes in Frage stellen (BGH Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21 Tz. 57; Urteil vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 533/21 Tz. 35).
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2.2. Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend eine Erwerbskausalität zu verneinen.
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2.2.1. Grundsätzlich trägt die Klagepartei die Beweislast für ihre Behauptung, sie hätte den Kaufvertrag in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung zu diesem Kaufpreis nicht abgeschlossen. Der erwähnte Erfahrungssatz des Bundesgerichtshofs stellt eine tatsächliche Vermutung dar, die sich auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nicht auswirkt (BGH NJW 2010, 363).
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2.2.2. Die Beklagte hat die Erwerbskausalität bestritten und den vorgenannten Erfahrungssatz durch Hinweis auf eine relevante Verhaltensänderung entkräftet.
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Die Beklagte hat noch vor dem Kauf des Fahrzeugs durch den Kläger am 19.04.2016 ihr Verhalten in Bezug auf die in dem streitgegenständlichen Motor EA189 entscheidend geändert. Sie und ihre Konzernmutter, die Volkswagen AG, haben, wie bereits im Hinweisbeschluss vom 20.04.2022 ausgeführt, die Betroffenheit des Motors EA 189 von der Abgasproblematik bekannt gemacht und so eine umfassende Presseberichterstattung darüber samt damit einhergehender Diskussion in einer breiten Öffentlichkeit (mit) angestoßen (Hinweisbeschluss vom 20.04.2022 S. 3, Bl. 483 d. A.). Zudem hatten sowohl die Volkswagen AG wie auch die Beklagte im Oktober 2015 eine Informationsplattform im Internet freigeschaltet, auf der potenzielle Fahrzeugkäufer prüfen konnten, welches Auto von der Problematik betroffen war. Hierüber hat die Beklagte am 02.10.2015 in einer Pressemitteilung informiert (Hinweisbeschluss vom 20.04.2022 S. 3, Bl. 483 d. A.).
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Auf diese Weise gab die Beklagte im Zusammenwirken mit ihrer Konzernmutter die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem streitgegenständlichen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen musste. Folglich kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Kläger das Fahrzeug in Unkenntnis dieser Risiken erworben hat und er es bei entsprechender Kenntnis nicht erworben hätte. Vielmehr ist nicht ausschließbar, dass der Kläger den Erwerb trotz der Kenntnis von den damit einhergehenden Risiken getätigt hat.
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2.2.3. In der vom Landgericht durchgeführten informellen Anhörung des Klägers hat dieser im Übrigen eingeräumt, schon im September 2015 wahrgenommen zu haben, dass es einen Dieselskandal gab. Im Februar 2016 habe er von der Beklagten ein Schreiben mit der Bitte um Rückruf und Aufspielung eines Updates erhalten (Protokoll vom 27.02.2020 S. 2, Bl. 276 d. A.). Zu dieser Zeit hatte der Beklagte das Fahrzeug aufgrund eines früheren Leasingverhältnisses bereits in Besitz. Hieraus hat das Landgericht zutreffend gefolgert, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt seiner Kaufentscheidung am 19.04.2016 die Betroffenheit seines Fahrzeugs von dem sog. Dieselabgasskandal kannte und diese für seine Kaufentscheidung keinerlei Bedeutung hatte (LGU S. 4). Jedenfalls steht das Gegenteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest (§ 286 Abs. 1 ZPO). Der Nachweis einer Kausalität ist damit nicht erbracht.
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2.3. Eine Haftung der Beklagten für die Einbringung eines – unterstellt unzulässigen – Thermofensters scheidet unter dem Gesichtspunkt eines kaufvertraglichen Minderwertes schon deshalb aus, weil diese Software zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (19.04.2016) noch nicht vorhanden war, sondern erst am 04.08.2017 aufgespielt wurde.
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Ausgehend von den obigen Ausführungen legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. gez.