Titel:
Kein Anspruch auf Differenzschaden in Dieselfall wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums hinsichtlich des eingebauten Thermofensters
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs.1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5
Leitsatz:
Da der beklagte Fahrzeughersteller bei einer entsprechenden Nachfrage beim Kraftfahrt-Bundesamt die Auskunft bekommen hätte, das Thermofenster des verbauten Motors falle unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007, ist von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum auszugehen, so dass dem Erwerber kein Anspruch auf den Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zusteht. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Typgenehmigung, Thermofenster, Differenzschaden, Verbotsirrtum, hypothetische Behördenauskunft
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 05.05.2023 – 42 O 1970/22 Die
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19950
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 05.05.2023, Az. 42 O 1970/22 Die, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
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Das Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
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1. Ein Anspruch aus § 826 BGB ist nicht gegeben. Dabei kann offen bleiben, ob beim streitgegenständlichen Fahrzeug objektiv eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist oder der Motor ein Thermofenster aufweist. Daher ist eine Beweisaufnahme des Landgerichts zu diesem Punkt zu Recht unterblieben. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Überspannung der Anforderungen an einen substantiierten Vortrag ist nicht gegeben.
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a) Die Beklagte hat schlüssig dargelegt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (künftig: KBA) betroffen war (Klageerwiderung, S. 28; Auskunft des KBA vom 12.07.2022, Anlage B 2); dieser Vortrag blieb unbestritten (vgl. Schriftsatz vom 28.03.2023, S. 5/6). Aus dem Verweis auf die Rückrufaktion 23X6 des KBA (Berufungsbegründung, S. 4) kann ein solcher Rückruf ebenfalls nicht entnommen werden. Betroffen von diesem Rückruf 23X6 sind ausschließlich Fahrzeuge mit der Abgasnorm EU 6. Im Fahrzeug des Klägers ist unstreitig ein Motor EA 896 gen2 mit der Abgasnorm EU 5 verbaut (Klageschrift, S. 2, 7; Klageerwiderung, S. 3). Auch durch den Vortrag zur sogenannten Aufheizstrategie (Klageschrift, S. 8) vermag der Kläger nicht nachzuweisen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Zutreffend weist der Kläger einerseits darauf hin, dass bezüglich der von der Aufheizstrategie betroffenen Fahrzeugen ein verpflichtender Rückruf durch das KBA angeordnet wurde. Andererseits wird zu einem das Fahrzeug des Klägers betreffenden Rückrufbescheid nicht vorgetragen. Schließlich weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass im Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“ festgestellt wird, der im Fahrzeug des Klägers verbaute Motor weise keine Abschalteinrichtung auf (Klageerwiderung, S. 11; Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, S. 119).
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b) Auch wenn man das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu Gunsten des Klägers unterstellt, begründet dieser Gesetzesverstoß nicht automatisch die Qualifizierung des Verhaltens der Beklagten als besonders verwerflich. Dazu wären weitere Umstände erforderlich. Die Annahme der Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlichen Personen bei der Entwicklung oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein gehandelt haben, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az: ZR 433/19).
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Dieses Bewusstsein ist insbesondere dann gegeben, wenn das KBA getäuscht wird. Eine solche Täuschung durch die Beklagte über eine Prüfstandserkennung oder ein Thermofenster, ist vorliegend nicht ersichtlich. Das KBA kam nach Prüfung des hier eingesetzten Motortyps zu dem Ergebnis, dass unzulässige Abschalteinrichtungen nicht verbaut sind (Auskunft des BKA vom 12.07.2022, Anlage B 2). Das festgestellte Thermofenster wird ausdrücklich nicht als unzulässig eingestuft. In diesem Zusammenhang wurde explizit das Vorliegen einer Ausnahme gemäß Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 bejaht (Auskunft des KBA vom 11.09.2020, Anlage B 1). Das BKA weist darauf hin, dass für den vorliegenden Motorentyp eine freiwillige Serviceaktion verfügbar ist, die nur für Fahrzeuge angeboten wird, bei denen keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde (Auskunft des KBA vom 25.08.2020, Anlage B 7). Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung des KBA kann nicht belegt werden, dass die für die Beklagte Handelnden im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens des Fahrzeugs positiv wussten, dass bezüglich der eingesetzten Abschalteinrichtung eine Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 nicht eingreift. Eine möglicherweise falsche aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten muss in Betracht gezogen werden. Vor dem Hintergrund der vorgenannten Einschätzung des KBA hätte die Fehlvorstellung der Beklagten auch nicht durch eine dorthin gerichtete Anfrage vermieden werden können. Das Urteil des EuGH vom 14.07.2022 (Az: C-128/20), in dem der Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 genauer definiert wird, lag im Zeitpunkt des Handelns der Beklagten noch nicht vor. Bei dieser Sachlage kann auch nicht von zumindest bedingtem Vorsatz bezüglich dieser Umstände ausgegangen werden.
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c) Aus dem Geständnis von früheren Vorstandsmitgliedern der Beklagten im Rahmen eines Strafverfahrens kann – entgegen der Auffassung des Klägers (Berufungsbegründung, S. 11) – ein sittenwidriges und bedingt vorsätzliches Verhalten nicht hergeleitet werden. Die Vorwürfe im Strafverfahren beziehen sich nach dem Vortrag des Klägers ausschließlich auf Motoren mit der Abgasnorm EU 6. Rückschlüsse auf ein sittenwidriges Verhalten mit Hinblick auf den hier verbauten Motor mit der Abgasnorm EU 5, können auf dieser Grundlage nicht gezogen werden.
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Auch ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB besteht nicht. Der BGH hat zwar mit Urteil vom 26.06.2023, Az: VIa ZR 335/21, entschieden, dass dem Käufer, dessen Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 der Verordnung (EG) 715/2007 ausgestattet ist, ein Anspruch auf den Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zusteht.
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a) Das hierfür erforderliche, zumindest fahrlässige Verhalten der Beklagten, ist nicht gegeben. Die Beklagte hat – entgegen der Einschätzung des Klägers (Berufungsbegründung, S. 17/18) – in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gehandelt. Die Beklagte selbst trägt vor, sie sei zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs davon ausgegangen, dass das Fahrzeug die rechtlichen Anforderungen erfülle. Soweit dieser Umstand nun anders beurteilt werde, beruft sich die Beklagte ausdrücklich auf einen Irrtum (Klageerwiderung, S. 35), der als unvermeidbarer Verbotsirrtum einzustufen sei (Klageerwiderung, S. 42/43). Eine Vermeidbarkeit dieses Irrtums ergibt sich auf Grundlage des bisherigen Parteivortrags nicht. Auch bei einer entsprechenden Nachfrage beim KBA, hätte die Beklagte die Auskunft bekommen, das Thermofenster des verbauten Motors, falle unter die Ausnahme des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007. Diesen Standpunkt hat das KBA zu dem hier eingesetzten Motorentyp ausdrücklich auf gerichtliche Anfrage mitgeteilt (Auskunft des KBA vom 11.09.2020, Anlage B 1). Dabei hat es explizit darauf hingewiesen, dass sich die dortige Aussage nicht nur auf das damals verfahrensgegenständlichen Fahrzeug bezieht, sondern für alle Fahrzeuge gilt, die mit dem Motor V6-TDI (entspricht der Motorengeneration EA 896), 2. Generation, EU 5 ausgestattet sind. Das KBA hat darauf hingewiesen, dass ihm die Problematik des Thermofensters im Jahr 2013 bekannt war und nach seiner Einschätzung das bei dem hier verwendeten Motor festgestellte Thermofenster zulässig war. In diesem Zusammenhang kann der Rechtsauffassung des Klägers, auf die Einschätzung des KBA komme es wegen dessen Nähe zur Industrie nicht an (Berufungsbegründung, S. 18), nicht gefolgt werden. Der BGH hat entschieden, dass von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum auszugehen sein kann, wenn bei einer Erkundigung die zuständige Behörde die Fehlvorstellung des Fahrzeugherstellers bestätigt hätte (BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 65).
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b) Darüber hinaus umfasst die bisherige Antragstellung des Klägers diesen Anspruch nicht. Diese ist weiter auf den großen Schadensersatz gerichtet. Entgegen der Rechtsauffassung der Klagepartei (Berufungsbegründung, S. 14), kann die Bemessung des Schadensersatzes nicht dem Gericht überlassen werden. Eine bestimmte Antragstellung erfordert bei einer auf Geldzahlung gerichteten Klage die Angabe des begehrten Betrags (Greger in Zöller ZPO 34. Auflage § 253, Rn. 14).
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Der Senat empfiehlt daher dringend, aus Kostengründen die Berufung zurückzunehmen. Im Fall der Rücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses).