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OLG München, Beschluss v. 04.08.2023 – 37 U 1709/23 e
Titel:

Kein Ersatz des Differenzschadens in Dieselfall bei nachträglicher Installation eines Thermofensters durch Software-Update

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Leitsatz:
Die Übereinstimmungsbescheinigung des Herstellers ist gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV zu dem Zeitpunkt auszustellen, zu dem das Fahrzeug in den Verkehr gebracht wird. Die spätere Installation eines Software-Updates führt nicht dazu, dass der Hersteller eine neue Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen hat. Wird durch ein nach Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung installiertes Software-Update eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung installiert, liegt darin somit kein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 EG-FGV. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatz, Schutzgesetz, Kfz-Hersteller, Dieselskandal, unzulässige Abschalteinrichtung, Differenzschaden, Typgenehmigung, Übereinstimmungsbescheinigung, Software-Update, Thermofenster
Vorinstanz:
LG Kempten, Urteil vom 04.04.2023 – 22 O 1425/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19946

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.04.2023, Az. 22 O 1425/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das in Ziffer 1) genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar,
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 16.224,35 EUR.

Gründe

1
Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin eines von ihm erworbenen Dieselfahrzeugs wegen geltend gemachter Abgasmanipulationen auf Schadenersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 31.05.2017 bei einem Autohändler einen Gebrauchtwagen der Marke VW Sharan mit einer seinerzeitigen Laufleistung von 58.710 km zu einem Kaufpreis von 23.500,00 EUR. Das Fahrzeug, dessen Erstzulassung am 09.04.2013 erfolgt war, ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet, der der Schadstoffklasse Euro 5 unterfällt. In der Motorsteuerungssoftware war ursprünglich eine Funktion installiert, die erkannte, ob sich das Fahrzeug zur Messung der Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) befand. War dies der Fall, wurde in einen gesonderten Modus mit optimierter Abgasrückführung umgeschaltet, durch die der Stickstoffausstoß reduziert wurde (sog. „Umschaltlogik“). Im normalen Fahrbetrieb war die Abgasrückführung dagegen reduziert und der Emissionsausstoß entsprechend höher.
3
Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung der entsprechenden Motorsteuerungssoftware ein. Nach einem bestandskräftigen Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) vom Oktober 2015 handelt es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte bzw. deren Konzerntöchter wurden verpflichtet, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte zu gewährleisten. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das vom KBA freigegeben wurde. Durch Installation des Software-Updates wurde bei betroffenen Fahrzeugen die ursprüngliche „Umschaltlogik“ beseitigt, zugleich wurde eine unter anderem von der Außentemperatur abhängige Steuerung der Abgasrückführung in der Motorsteuerung implementiert (sog. Thermofenster). Das Software-Update wurde bei dem hier in Rede stehenden Fahrzeug bereits vor dessen Erwerb durch den Kläger installiert.
4
Der Kläger macht geltend, dass es sich bei dem Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Er behauptet zudem, dass durch das Update neuerlich Funktionen in der Motorsteuerung implementiert worden seien, durch die die Abgasreinigung auch prüfstandsbezogen intensiviert werde.
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Das Landgericht hat die Klage durch Endurteil vom 04.04.2023 abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in jenem Urteil wird Bezug genommen.
6
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 05.04.2023 zugestellte Urteil über diese mit Schriftsatz vom 13.04.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel wurde mit weiterem Schriftsatz der Klägervertreter vom 04.07.2023 innerhalb verlängerter Frist begründet. Auf die Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
7
Der Kläger hat im Berufungsverfahren beantragt,
1.
Die Entscheidung des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.04.2023, zugestellt am 05.04.2023, Az. 22 O 1425/22, wird abgeändert.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer an die Klagepartei 23.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich 7.275,65 € zu zahlen.
8
Für den Fall, dass der Senat eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung und damit einen Anspruch auf „Rückabwicklung des Kaufvertrages“ verneinen sollte, beantragt der Kläger insoweit hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 3.525,00 EUR (= 15% des Kaufpreises i. H. v. 23.500,00 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer in Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.687,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
10
Der Senat hat die Parteien mit Beschluss vom 07.07.2023 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Die Klägervertreter haben hierauf mit Schriftsatz vom 28.07.2023 erwidert.
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Die Zurückweisung der Berufung beruht auf § 522 Abs. 2 ZPO. Im Einzelnen: 1) Die Berufung hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
12
Wie unter 1) des Hinweisbeschlusses ausgeführt, scheiden Ansprüche wegen der ursprünglich in der Motorsteuerung implementierten prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) schon deshalb aus, weil jene Funktion nach den Tatsachenfeststellungen des Landgerichts zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das Fahrzeug erwarb, bereits durch das Software-Update beseitigt worden war.
13
De geltend gemachten Ansprüche lassen sich auch nicht auf das Software-Update stützen. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenerklärung der Klägervertreter geben keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Im Einzelnen:
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a. Ein Anspruch aus § 826 BGB würde – wie im Hinweisbeschluss unter 2) a. erläutert – voraussetzen, dass die Beklagte in dem Software-Update neuerlich eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 installiert hätte und dieser Umstand dem KBA als zuständiger Behörde bewusst verschwiegen worden wäre, um eine Freigabe des Updates zu erschleichen (Beschluss vom 19.01.2021 – ZR 433/19, juris Rn. 13 bis 19; Beschluss vom 09.03.2021 – ZR 889/20, juris Rn. 27 f.).
15
Der Kläger hat der ihm als Anspruchssteller obliegenden Darlegungslast für diese Voraussetzungen nicht entsprochen. Soweit er behauptet, durch das Software-Update sei eine sog. Akustikfunktion in der Motorsteuerung installiert worden, die „in derselben Weise wie die ursprüngliche Umschaltlogik funktioniert“, würde es sich zwar um eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung handeln, bei deren tatsächlichem Vorliegen eine arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde indiziert wäre (BGH, Beschluss vom 29.09.2021, ZR 126/21).
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Wie im Einzelnen unter 2 a (1) des Hinweises vom 07.07.2023 erläutert, fehlt für die neuerliche Implementierung einer solchen prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung durch das Software-Update indes jeder greifbare Anhaltspunkt. Entgegen der Berufung ergibt sich ein diesbezüglicher Anhalt auch nicht aus dem als Anlage K2 vorgelegten Schreiben der Beklagten an das Kraftfahrt-Bundesamt vom 29.12.2015. Darin führt die Beklagte vielmehr aus, dass „die sogenannte Akustikfunktion aus allen neuen mit SCR-Technologie ausgestatteten Aggregatprojekten entfernt“ werde und man „Vergleichbares (…) für die Abstellmaßnahme des Aggregates EA189 EU5/EU4 umsetzen“ werde.
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b. Ein Anspruch auf den mit Hilfsantrag geltend gemachten Differenzschaden aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Ausführungen im Schriftsatz der Klägervertreter vom 07.07.2023 ebenfalls nicht.
18
Der BGH hat mit Urteil vom 26.06.2023 (Az.: VIa ZR 335/21) zwar im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 die Möglichkeit einer Haftung von Fahrzeugherstellern auf Ersatz des sog. Differenzschadens aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bejaht, wenn das durch die Erteilung der Übereinstimmungsbescheinigung nach § 6 Abs. 1 EG-FGV begründete Vertrauen des Erwerbers, dass das Fahrzeug die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einhalte, enttäuscht wird.
19
Ein solcher Anspruch scheidet hier aber aus mehreren Gründen selbst dann aus, wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass das unstreitig durch das Software-Update in der Motorsteuerung installierte Thermofenster mit Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 unvereinbar ist:
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(1) Die Installation einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch ein nachträgliches Software-Update begründet keinen Verstoß gegen § 6 Abs. 1 EG-FGV.
21
Die Übereinstimmungsbescheinigung, mit der der Hersteller zu bestätigen hat, dass das Fahrzeug dem genehmigten Typ entspricht und somit die Zulassungsvorschriften einhält, ist gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV zu dem Zeitpunkt auszustellen, zu dem das Fahrzeug in den Verkehr gebracht wird. Die spätere Installation eines Software-Updates führt nicht dazu, dass der Hersteller eine neue Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen hat.
22
Wird durch ein nach Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung installiertes Software-Update eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Motorsteuerung installiert, liegt darin somit kein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 EG-FGV.
23
Soweit die Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug wegen der ursprünglich in der Motorsteuerung installierten „Umschaltlogik“ bereits anfänglich unrichtig war, kommen diesbezügliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1 EG-FGV – wie klarstellend nochmals anzumerken ist – deshalb nicht in Betracht, weil jene Funktion zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger das Fahrzeug erwarb, unstreitig nicht mehr vorhanden war, er hierdurch also keinen Schaden erlitten hat.
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(2) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB schiede im Übrigen auch mangels Verschuldens aus.
25
Wie im Hinweis unter 2 b) erläutert ist eine Schutzgesetzverletzung nicht als schuldhaft i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Normadressaten beruht, die von der für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständigen Behörde bestätigt wurde (BGH, a. a. O., Rn 62 ff., zitiert nach beck-online).
26
Danach wäre ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 durch Installation des Thermofensters hier deshalb nicht schuldhaft, weil das Kraftfahrt-Bundesamt das Software-Update in Kenntnis des darin enthaltenen Thermofensters und seiner konkreten Konfigurierung freigegeben hat. Der diesbezügliche Einwand der Klägervertreter, es sei nicht nachvollziehbar, auf welche Tatsachen der Senat diese Feststellung stütze, weil die Beklagte ihre Kommunikation mit dem KBA nicht offengelegt habe, greift nicht durch. Richtig ist zwar, dass der jeweilige Fahrzeughersteller beweisen muss, dass er sich in einem Verbotsirrtum befand und dieser unvermeidbar war. Aus den in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20.02.2023 (Az.: 3 A 113/18) enthaltenen Tatsachenfeststellungen ergibt sich indes allgemeinkundig, dass die Beklagte ihrem Antrag auf Freigabe des Software-Updates Unterlagen beigefügt hatte, in denen detaillert geschildert wurde, dass das Update aus Gründen des Motorschutzes eine Funktion enthielt, durch die die Abgasrückführungsrate bereits bei Außentemperaturen von unter 15 Grad und über 33 Grad Celsius schrittweise reduziert wurde (vgl. a. a. O. Rn 47 – zitiert nach beck-online). Da das Kraftfahrt-Bundesamt das Update in Kenntnis dieser Umstände freigab, konnte und durfte die Beklagte darauf vertrauen, dass jene Funktion mit Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 vereinbar sei. Sie befand sich demgemäß in einem unvermeidbaren Rechtsirrtum.
27
Die Rechtsauffassung der Berufung, wonach die Beklagte sich nicht auf die Bewertung des KBA hätte verlassen dürfen, weil „die Auslegung europäischer Normen in Rede (steht), die einer deutschen Behörde (…) nicht abschließend zukommt“, teilt der Senat nicht. Das Kraftfahrt-Bundesamt war und ist die in der Bundesrepublik für den Vollzug der in Rede stehenden Typzulassungsvorschriften zuständige Behörde. Auf die Rechtsauffassung der für den Vollzug eines Gesetzes zuständigen Behörde muss der Normadressat auch in Bezug auf unionsrechtliche Vorschriften vertrauen dürfen. Eine Obliegenheit der Beklagten, sich der Richtigkeit des Normverständnisses des KBA durch eine Rückfrage bei der Europäischen Kommission zu versichern, bestand nicht.
28
Der Umstand, dass das Verwaltungsgericht Schleswig den Freigabebescheid des KBA für das in Rede stehende Software-Update der Beklagten mit dem oben genannten Urteil vom 20.02.2023 aufgehoben hat, ändert nichts daran, dass sich die Beklagte im hier maßgebenden Zeitpunkt der Installation des Updates in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden hätte und deshalb das für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB erforderliche Verschulden entfiele.
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2) Die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung im Wege eines Beschlusses liegen nach einstimmiger Überzeugung des Senats ebenfalls vor: Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Eine Entscheidung des Senats durch Urteil ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 522 Abs .2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).
30
3) Da Gründe, von der Soll-Regelung des § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO abzuweichen, nicht bestehen, war die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, Satz 2, 713 ZPO und die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren auf §§ 47, 48 GKG i. V. m. § 3 ZPO.