Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.01.2023 – 22 CS 22.2288
Titel:

Keine materiellen Rechtswirkungen der Freistellungserklärung gemäß § 15 BImSchG

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 92 Abs. 3, § 161 Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 173 S. 1
ZPO § 269 Abs. 3 S. 1
BImSchG § 15 Abs. 2, § 20 Abs. 2, § 67
Leitsätze:
1. Mit der Freistellungserklärung gem. § 15 BImSchG wird keine Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit bzw. über die materielle Gesetzeskonformität der angezeigten Änderung getroffen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Freistellungserklärung hat lediglich zur Folge, dass eine Betriebsuntersagung nicht auf § 20 Abs. 2 BImSchG gestützt werden könnte, wohingegen nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG unberührt bleiben. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
immissionsschutzrechtliche Freistellungserklärung, formelle Legalität, Eilantrag, Rechtsschutzbedürfnis, Erledigungserklärung, Kosten
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 05.10.2022 – M 28 S 22.2565
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1991

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Oktober 2022 ist in Tenornr. I. und II. wirkungslos geworden.
III. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
VI. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage betrifft die in Nr. 3 des Bescheides vom 10. März 2022 verfügte Untersagung des über bestimmte Betriebszeiten hinausgehenden Betriebs ihres Jagdparcours.
2
Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Oktober 2022 ab, weil der Klage insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Jagdparcours sei nur im Umfang der am 22. Juli 1982 erfolgten Anzeige nach § 67 Abs. 2 BImSchG immissionsschutzrechtlich genehmigt. Die im Bescheid vom 10. März 2022 genannten Öffnungszeiten gingen darüber hinaus, so dass insoweit die Antragstellerin begünstigt werde. Auch die Änderungsanzeige nach § 15 Abs. 2 BImSchG vom 13. Juli 2022 führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch eine dem Anlagenbetreiber erteilte Freistellungserklärung kläre lediglich die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit und nicht der Genehmigungsfähigkeit. Zudem würde der Erlass einer Freistellungserklärung bzw. der Eintritt der Freistellungsfiktion den Vorhabenträger begünstigen. Für die Einlegung eines Rechtsbehelfs bestünde dann grundsätzlich kein Anlass mehr.
3
Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin am 21. Oktober 2022 Beschwerde ein. Mit Schreiben vom 11. November 2022 erklärte sie „das in der Beschwerdeinstanz anhängige Eilverfahren in der Hauptsache“ für erledigt. Der Antragsgegner habe mit E-Mail vom 9. November 2022 bestätigt, dass durch die Erteilung der Anzeigebestätigung nach § 15 BImSchG am 13. Oktober 2022 die Betriebszeitenbeschränkung in Nr. 3 des Bescheids vom 10. März 2022 gegenstandslos geworden sei. Es werde beantragt, die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen dem Antragsgegner aufzuerlegen, da er ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses nach summarischer Prüfung unterlegen wäre. Für die Reglung unter Nr. 3 des Bescheids existiere bereits keine Rechtsgrundlage. Zudem wäre spätestens mit Erteilung der Bestätigung vom 13. Oktober 2022, mit der der Antragsgegner die Gegenstandslosigkeit dieser Regelung bestätigt habe, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen gewesen. Selbst wenn die bis dahin geltende materiell-rechtliche Genehmigungslage den Betrieb mit den beabsichtigten erweiterten Betriebszeiten nicht abgedeckt hätte, hätte sich die materiell-rechtliche Genehmigungslage spätestens mit Zugang der Mitteilung des Antragsgegners geändert. Hätte der Antragsgegner den Nichtvollzug der Nr. 3 des Bescheids vom 10. März 2022 nicht zugesichert, stünde – trotz materiell-rechtlicher Gestattungswirkung hinsichtlich der angezeigten Änderung – nach wie vor die sofortige Vollziehbarkeit einer formal weiter existenten, die materiell geltende Rechtslage jedenfalls aufgrund der Gestattungswirkung des § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG widerrechtlich einschränkenden Anordnung im Raum.
4
Der Antragsgegner hat der Erledigterklärung zugestimmt und ausgeführt, dass die Auffassung der Antragstellerin zur Kostentragung nicht geteilt werde. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheids sei der Zeitpunkt des Bescheidserlasses. Die nach Erlass eingegangene Änderungsanzeige habe damit keinen Einfluss auf die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage. Die Freistellungserklärung lasse im Übrigen die bestehende Genehmigung unberührt.
5
Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
II.
6
Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben mit übereinstimmenden Erledigterklärungen das in der Beschwerdeinstanz anhängige Eilverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Berichterstatter geht davon aus (§ 122 Abs. 1, 88 Abs. 1 VwGO), dass die Erledigungserklärung der Antragstellerin sich nicht auf das Beschwerdeverfahren beschränkt hat, weil sich die beantragte Kostenentscheidung über die Verfahrenskosten in beiden Instanzen damit nicht hätte in Einklang bringen lassen. Einer Zustimmung des Beigeladenen bedurfte es nicht (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 161 Rn. 6).
7
Das Verfahren war daher in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
8
Außerdem war gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO (analog) festzustellen, dass der erstinstanzliche Beschluss vom 5. Oktober 2022 mit Ausnahme des Streitwertbeschlusses wirkungslos geworden ist.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Danach ist unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands über die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen zu entscheiden. Die Verfahrenskosten sind grundsätzlich demjenigen aufzuerlegen, der bei Fortsetzung des Verfahrens voraussichtlich unterlegen wäre. Zudem entspricht es in der Regel der Billigkeit, den Verfahrensbeteiligten mit den Kosten zu belasten, der durch eigenen Willensentschluss die Erledigung veranlasst hat.
10
Billigem Ermessen entspricht es im vorliegenden Fall, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen der Antragstellerin aufzuerlegen.
11
Wäre das Verfahren fortgesetzt worden, hätte die Antragstellerin auch im Beschwerdeverfahren mit ihrem Antrag, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen Nr. 3 des Bescheids wiederherzustellen, keinen Erfolg gehabt. Auch nach Ergehen der Freistellungserklärung gemäß § 15 Abs. 2 BImSchG am 13. Oktober 2022, mit der entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin lediglich die formelle Legalität der angezeigten Änderung festgestellt wird, fehlt es der Antragstellerin am Rechtsschutzbedürfnis für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Denn an den mit der Anzeige nach § 67 BImSchG „genehmigten“ Betriebszeiten ändert die Freistellungserklärung nichts, mit der Freistellungserklärung wird keine Entscheidung über die Genehmigungsfähigkeit bzw. über die materielle Gesetzeskonformität der angezeigten Änderung getroffen (Jarass, BImSchG, 14. Aufl. 2022, § 15 Rn. 40). Die Freistellungserklärung hat lediglich zur Folge, dass eine Betriebsuntersagung nicht auf § 20 Abs. 2 BImSchG gestützt werden könnte (Büge/Ziegler in BeckOK Umweltrecht, Stand 1.7.2021, BImSchG, § 13 Rn. 62). Nachträgliche Anordnungen nach § 17 BImSchG bleiben unberührt. Die Betriebszeitenregelung in Nr. 3 des Bescheids vom 10. März 2022 stellt sich daher nach wie vor als Begünstigung dar, weil der darin „zugelassene“ Betrieb über die durch die Anzeige nach § 67 BImSchG genehmigten Betriebszeiten hinausgeht.
12
Die Bestätigung des Antragsgegners vom 9. November 2022 (welche die Antragstellerin nicht vorgelegt hat), wonach durch die Freistellungserklärung vom 13. Oktober 2022 u.a. die streitgegenständliche Nr. 3 des Bescheids vom 10. März 2022 gegenstandslos geworden sei, rechtfertigt es nach billigem Ermessen ebenfalls nicht, dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Selbst wenn der Antragsgegner damit bestätigen wollte, dass der Jagdparcours mit den geänderten Betriebszeiten aus der Änderungsanzeige vom 28. September 2022 auch materiell gesetzeskonform betrieben werden kann, liegt darin weder eine Anpassung der als immissionsschutzrechtliche Genehmigung fortgeltenden Genehmigungen aus den Jahren 1972 und 1978 mit den durch die Anzeige vom 22. Juli 1982 festgelegten Betriebszeiten noch eine Zusage, dass Nr. 3 des Bescheids aufgehoben werden wird.
13
Zudem beruht diese Bestätigung des Antragsgegners auf der Änderungsanzeige der Antragstellerin vom 28. September 2022, die die Antragstellerin erst im Klageverfahren bzw. vorläufigen Rechtsschutzverfahren beim Antragsgegner eingereicht hat. Die Ursache für die Äußerung des Antragsgegners, die unter Nr. 3 des Bescheids vom 10. März 2022 verfügte Betriebszeitenregelung nicht mehr vollziehen zu wollen, und damit für die „Erledigung“ hat die Antragstellerin somit selbst gesetzt, so dass es auch unter diesem Gesichtspunkt billigem Ermessen entspricht, ihr die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
14
Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
15
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.