Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 27.07.2023 – AN 17 S 23.50448
Titel:

Dublin-Verfahren (Frankreich)

Normenketten:
Dublin III-VO Art. 12 Abs. 4 UAbs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 1
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsatz:
Für Dublin-Rückkehrer sind weder im französischen Asylsystem noch in den Aufnahmebedingungen systemische Mängel, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, erkennbar. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Rückkehrer, Zuständigkeit Frankreichs aufgrund eines erteilten Visums, Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbewerbern in Frankreich, Situation für Folgeantragsteller, keine systemischen Mängel im französischen Asylsystem, Abschiebungsanordnung, systemische Mängel, Aufnahmebedingungen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19915

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Frankeich.
2
Der 1999 geborene Antragsteller, beninischer Staatsangehörigkeit, reiste am 8. Januar 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, vom dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) durch behördliche Mitteilung am 23. März 2023 schriftlich Kenntnis erlangte. Der Antragsteller stellte am 4. April 2023 einen förmlichen Asylantrag.
3
Die vom Bundesamt eingeholte VIS-Auskunft ergab, dass dem Antragsteller von der Französischen Botschaft in Benin ein Schengenvisum, gültig vom 17. Dezember 2022 bis 10. Februar 2023, ausgestellt wurde. Das Bundesamt richtete daraufhin mit Schreiben vom 5. April 2023 ein an die französischen Behörden gerichtetes Übernahmeersuchen nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO. Die französischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 5. Juni 2023 ihre Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Antragstellers gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO.
4
Im Rahmen seiner Befragungen und Anhörungen vor dem Bundesamt am 4. und 19. April 2023 gab der Antragsteller an, dass er am 28. Dezember 2022 sein Herkunftsland verlassen und am 29. Dezember 2022 in Frankreich eingereist sei. Er sei mit einem französischen Visum eingereist. Er sei professioneller Fußballspieler. In Frankreich habe er keinen Asylantrag gestellt. Er sei nach Frankreich gekommen, um Fußball zu spielen, was aber nicht geklappt habe. Auch in Deutschland habe er ein Testspiel gehabt. Dieses sei positiv verlaufen. Er habe angefangen zu spielen. Nach Ablauf des Visums habe er hier einen Asylantrag gestellt. Nachdem der Antragsteller zunächst angab, dass er in Frankreich keinen Asylantrag habe stellen wollen, gab er später an, dass er bei Ablauf des Visums in Deutschland gewesen sei, die Reise mit Flixbus nach Frankreich, wo er einen Asylantrag habe stellen wollen, wegen des abgelaufenen Visums storniert worden sei. Auch habe er in Frankreich keine Familie, während in Deutschland ein Cousin lebe, der ihm helfen könne.
5
Mit Bescheid vom 23. Juni 2023, dem Antragsteller zugestellt am 29. Juni 2023, wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vorliegen (Ziffer 2) und seine Abschiebung nach Frankreich angeordnet (Ziffer 3). Unter Ziffer 4 des Bescheides wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
6
Die Antragsteller erhob per Fax, hier eingegangen am 3. Juli 2023, „Einspruch“ gegen den Bescheid vom 23. Juni 2023. Er legte zur Begründung dar, dass er sich im Berufsfeld der Pflege eine Karriere aufbauen möchte. Er habe sich aktiv um eine Ausbildungsstelle als Pflegefachhelfer beworben und sei zu einer Probearbeit eingeladen. Eine Abschiebung würde verhindern, dass er die Probearbeit absolvieren und seine Eignung für den Beruf zeigen könne. Eine Arbeit in Bereich der Pflege würde sowohl seinen Lebensunterhalt sichern als auch einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Eine konkrete Antragstellung erfolgte nicht.
7
Die Antragsgegnerin beantragt;
den Antrag abzulehnen, und bezog sich zur Begründung auf den ablehnenden Bescheid.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte zum Eil- und Klageverfahren sowie die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
9
Der „Einspruch“ gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juni 2023 wird unter sachgerechter Auslegung des Gemeinten dahingehend ausgelegt, dass der Antragsteller hiermit sowohl Klage gegen den Bescheid vom 23. Juni 2023 erhoben als auch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt hat. Dies wurde dem Antragsteller mit Schreiben des Gerichts vom 7. Juli 2023 bereits mitgeteilt.
10
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
11
1. Der Antrag ist zulässig.
12
Der fristgerechte erhobene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich bei sachgerechter Auslegung allein gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG richtet, ist insbesondere auch statthaft. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. In diesem Fall kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anordnen.
13
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheids getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
14
Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Diese Voraussetzungen liegen nach summarischer Prüfung vor.
15
a) Frankreich ist für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig. Frankreich hat dem Antragsteller ein Schengen-Visum mit Gültigkeit vom 17. Dezember 2022 bis 10. Februar 2023 erteilt. Bei Stellung des Asylgesuchs (Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) am 23. März 2023 – maßgeblich ist der Zeitpunkt der ersten Stellung eines Gesuchs auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat (Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO), nicht hingegen die förmliche Asylantragstellung – besaß der Antragsteller demnach kein gültiges, von Frankreich ausgestelltes Visum im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Die Zuständigkeit Frankreichs ergibt sich jedoch aus Art. 12 Abs. 4 Unterabs. 1 Dublin III-VO, denn der Antragsteller besaß bei Stellung des Asylgesuchs ein von Frankreich ausgestelltes Visum, welches seit weniger als sechs Monaten abgelaufen war, aufgrund dessen er in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen konnte. Der Antragsteller hat das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auch nicht verlassen.
16
Die Antragsgegnerin hat das Aufnahmegesuch am 5. April 2023 und damit innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Dublin III-VO gestellt, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III VO, so dass die Zuständigkeit nicht gemäß Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf Deutschland übergegangen ist. Frankreich hat mit Schreiben vom 5. Juni 2023 im Rahmen des Aufnahmeverfahrens seine Zustimmung zur Rückübernahme der Antragsteller fristgerecht innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Gesuchs erklärt, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO. Frankreich ist verpflichtet, den Antragsteller aufzunehmen, Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin III-VO, und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft zu treffen.
17
Die Zuständigkeit ist auch nicht zwischenzeitlich auf Deutschland übergegangen, insbesondere nicht aufgrund der Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO, wonach die Überstellung spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat, hier Frankreich, oder der endgülti-gen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen hat (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO). Der vor Ablauf der Überstellungsfrist gestellte zulässige Eilantrag gegen die Abschiebungsanordnung hat den Lauf der Überstellungsfrist unterbrochen, weil dann bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine Überstellung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist.
18
b) Umstände, die ausnahmsweise die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen, liegen nicht vor.
19
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung kann widerlegt werden, weshalb den nationalen Gerichten die Prüfung obliegt, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O. sowie Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch, ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
20
An die Feststellung systemischer Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen. Einzelne Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK der zuständigen Mitgliedstaaten genügen nicht. Von systemischen Mängeln ist vielmehr erst dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; B.v. 6.6.2014, 10 B 25/14 – juris). Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Ein systemischer Mangel liegt nur dann vor, wenn er im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt ist oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägt. Derlei Mängel treffen den Einzelnen nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft, sondern lassen sich wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris Rn. 9). Grundrechtsverletzungen in Einzelfällen sind daher nicht geeignet, systemische Schwachstellen zu begründen. Systemische Schwachstellen können aber lediglich eine bestimmte, z. B. nur besonders schutzbedürftige Personengruppe betreffen.
21
Diesen strengen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt sind systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, im französischen Asylsystem für den Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht gegeben.
22
In Frankreich ist ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit gegeben (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 6; sehr detailliert zum Verfahren: Asylum Information Database (AIDA), Country Report: France, Update 2022, S. 33 ff.). Asylanträge von Dublin-Rückkehrern werden wie jeder andere Asylantrag behandelt. Kommt der Betreffende aus einem sicheren Herkunftsstaat, wird das beschleunigte Verfahren angewandt (vgl. BFA, a.a.O., S. 6). Hat der Rückkehrer bereits eine bestandskräftige ablehnende Entscheidung der Asylbehörde (OFPRA) oder eine ablehnende Entscheidung des Cour Nationale du Droit d‘Asile (CNDA) erhalten, kann er einen Folgeantrag stellen. OFPRA entscheidet innerhalb von acht Tagen, ob der Folgeantrag zulässig ist. Hierzu bedarf es neuer Elemente, die geeignet sind, eine günstige Entscheidung zu treffen. Bei Zulässigkeit des Folgeantrags erfolgt eine Entscheidung in der Sache durch OFPRA im beschleunigten Verfahren. Der Vollzug einer bereits erlassenen etwaigen Ausreiseanordnung wird bis zur Entscheidung der Asylbehörde über den Folgeantrag ausgesetzt (vgl. AIDA, a.a.O., S. 60 f., 86 f., auch zu weiteren Folgeantragskonstellationen).
23
Rücküberstellte Dublin-Rückkehrer werden von der Grenzpolizei in Empfang genommen. Diese informiert sie, welcher Präfektur (Verwaltung eines Départements) sie zugeteilt werden; bei Ankunft am Flughaften Roissy Charles de Gaulle in Paris bietet das Rote Kreuz (PAUH) Beratung und Unterstützung. Die Antragsteller müssen selbständig und ohne finanzielle Unterstützung in die für sie zuständige Präfektur gelangen (vgl. Raphaelswerk e.V., Informationen für Geflüchtete, die nach Frankreich rücküberstellt werden, November 2021, S. 3 f.; BFA, a.a.O., S. 7).
24
Einige Präfekturen registrieren die Anträge der Rückkehrer umgehend und veranlassen deren Unterbringung durch das Büro für Immigration und Integration (OFII) (vgl. BFA, a.a.O., S. 7), in anderen muss man sich zunächst an eine Koordinationsstelle für Asylsuchende (SPADA oder PADA) wenden. Diese Stellen vereinbaren einen Termin bei der zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende (GUDA). Anschließend muss sich der Antragsteller zum vereinbarten Termin bei GUDA registrieren lassen und erhält eine Bescheinigung, dass ein Asylantrag gestellt ist (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 5 f.) sowie ein Angebot für eine Unterkunft (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 10). Der ausgefüllte Asylantrag ist innerhalb von 21 Tagen (bei Folgeanträgen innerhalb von acht Tagen) nach Registrierung und Erhalt der Asylantragsbescheinigung an die eigentliche Asylbehörde OFPRA zu senden (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 6). Aufgrund der mehrstufigen Registrierung kann es zu langen Wartezeiten kommen, bis Asylsuchende Unterstützung erhalten (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 5). Vulnerable Personen werden im Verfahren und bei der Unterbringung allerdings priorisiert behandelt (vgl. BFA, a.a.O., S. 8 f.).
25
Dublin-Rückkehrer erhalten nach ihrer Registrierung als Asylantragsteller wie reguläre Asylbewerber Zugang zum finanziellen Beihilfeprogramm für Asylbewerber (ADA – Allocation pour demandeurs d’asile). Dessen Höhe ist von verschiedenen Faktoren wie der Art der Unterkunft, dem Alter, der Anzahl der Kinder usw. abhängig. In der Regel erhalten untergebrachte Asylbewerber monatlich eine finanzielle Unterstützung von 204,00 EUR. Sind sie nicht staatlich untergebracht, erhöht sich der Betrag auf 426,00 EUR pro Monat. Zum Erhalt des Geldes ist die Eröffnung eines Bankkontos nicht nötig. ADA wird den Asylbewerbern vielmehr monatlich auf eine Karte, ähnlich einer Debitkarte, ausbezahlt. Allerdings kann die Karte nur für Zahlungen in Läden oder Online-Shops benutzt werden. Es kann damit kein Geld abgehoben werden (vgl. AIDA, a.a.O., S. 97 ff.).
26
Für Dublin-Rückkehrer sind keine besonderen Unterkünfte vorgesehen. Sie werden – abgesehen von vulnerablen Personen – den Zentren der Notfall-Unterbringung zugewiesen (vgl. BFA, a.a.O., S. 7, 9; Raphaelswerk, a.a.O., S. 10). Besonders Schutzbedürftige (vulnerable Gruppen), zu denen (unbegleitete) Minderjährige, Schwangere, behinderte Personen, ältere Personen, alleinerziehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Personen, welche Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen schwerer psychischer, physischer oder sexueller Gewalt ausgesetzt waren sowie Opfer von Menschenhandel gehören, haben Anspruch auf besondere Aufnahmebedingungen. Sie werden einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesen, die den Bedürfnissen der Person entsprechen sollte (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 14), meist einer CADA-Einrichtung. Vulnerable werden, wie ausgeführt, bei der Unterbringung priorisiert (vgl. BFA, a.a.O., S. 9).
27
Außerdem kann die Asylbehörde OFPRA informiert werden, damit entsprechende Vorkehrungen getroffen werden können (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 14). Gegebenenfalls kann es dennoch zu Problemen kommen, etwa wenn eine Schutzbedürftigkeit nicht erkannt wird (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 14). Ein Monitoring für die Berücksichtigung spezieller Unterbringungsbedürfnisse ist nicht vorgesehen, allerdings stehen die Sozialarbeiter in den Unterbringungen in ständigem Austausch mit den zu Versorgenden und können die Behörden ggf. informieren (vgl. BFA, a.a.O., S. 9).
28
Was die Zahl der Unterbringungsplätze angeht, verfügte Frankreich Ende 2022 dank verstärkter Bemühungen des französischen Staates als Reaktion auf die zu geringen Kapazitäten über insgesamt 105.414 Unterbringungsplätze. 2023 sollen es 108.814 sein (vgl. AIDA, a.a.O, S. 105 f.). Anfang 2017 waren es im Vergleich hierzu nur ca. 56.000 Plätze (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 29.1.2018, S. 9). Nachdem 2020 hinsichtlich des Verhältnisses von (Erst-)Asylbewerbern und zur Verfügung stehenden Plätzen die Situation erreicht wurde, dass mehr Unterbringungsplätze als Bewerber zur Verfügung standen, hat sich dies wieder gewandelt. Seit Ende 2021 übersteigt die Zahl der (Erst-)Asylbewerber die Zahl der Unterbringungsplätze. Es wird berichtet, dass Ende 2022 nur 62% der Asylbewerber, die Anspruch auf eine Unterbringung hatten, auch untergebracht waren. Komplementär hierzu gibt es größere informelle Camps insbesondere in Paris und Calais. Auch leben Asylbewerber etwa in Nantes, Grande Synthe und Metz auf der Straße (AIDA, a.a.O., S. 103 ff.). Nichtsdestotrotz waren Ende 2022 2% der Unterbringungsplätze frei (vgl., AIDA, a.a.O., S. 103 f.). Daneben bietet der Jesuitische Flüchtlingsdienst befristete Unterbringung bei Gastfamilien an (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Frankreich, Stand: 25.6.2021, S. 11), ebenso Bürgerinitiativen. Weiter können Antragsteller für einige Nächte in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht werden. Die Plätze sind allerdings begrenzt (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 10).
29
Während einerseits berichtet wird, dass Folgeantragsteller nur dann Zugang zur Versorgung haben, wenn ihr Antrag zulässig ist (vgl. BFA, a.a.O., S. 11), kann neueren Quellen zufolge die staatliche Unterstützung für Folgeantragsteller ausgesetzt, verweigert oder reduziert werden kann, wobei Rechtschutz gegeben ist (vgl. AIDA; a.a.O., S. 86, 96, 99 f.). Es wird berichtet, dass es in einigen Präfekturen auch zur systematischen Leistungsreduzierung bis hin zum Leistungsentzug kommt (vgl. AIDA, a.a.O., S. 100). Besonders schutzbedürftige Folgeantragsteller müssen untergebracht werden (vgl. Raphaelswerk, a.a.O., S. 10).
30
Dublin-Rückkehrern steht der Zugang zum französischen Arbeitsmarkt offen, wenn die Asylbehörde nicht binnen sechs Monaten seit der Antragstellung über den Asylantrag entschieden hat und wenn die Verzögerung nicht dem Asylbewerber anzulasten ist. An die nötige Arbeitserlaubnis zu kommen, erweist sich in der Praxis als kompliziert (vgl. AIDA a.a.O., S. 110; BFA a.a.O., S. 10).
31
Was die medizinische Versorgung anbelangt, so können Asylbewerber (und somit auch Dublin-Rückkehrer) den allgemeinen Krankenversicherungsschutz (PUMA) in Anspruch nehmen. Sie haben drei Monate nach Antragstellung die Möglichkeit, sich hierfür anzumelden. Während der ersten drei Monate besteht Zugang zu medizinischer Notfallversorgung in Krankenhäusern. Abgelehnte Asylbewerber verlieren nach sechs Monaten die Berechtigung, den genannten allgemeinen Krankenversicherungsschutz in Anspruch zu nehmen. Danach können sie von der sog. staatlichen medizinischen Hilfe profitieren, welche medizinische Behandlung in Krankenhäusern und bei Ärzten ermöglicht (AME). Asylbewerber, auch solche im beschleunigten und im Dublin-Verfahren, haben Zugang zu den in Krankenhäusern eingerichteten Bereitschaftsdiensten zur ärztlichen Versorgung der Bedürftigsten. Von PUMA und AME umfasst ist auch die Behandlung psychischer Erkrankungen (vgl. BFA a.a.O., S. 12).
32
Zusammenfassend sind systemische Schwachstellen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK mit sich bringen, für den Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht ersichtlich (vgl. auch: VG Karlsruhe, B.v. 27.1.2021 – A 8 K 1948/20 – juris; VG Ansbach, U.v. 17.8.2020 – AN 17 K 19.51230 – juris; VG München, U.v. 22.7.2020 – M 2 K 19.50619 – BeckRS 2020, 18796; VG Würzburg, B.v. 15.6.2020 – W 8 S 20.50166 – juris; B.v. 2.3.2020 – W 8 S 20.50081 – juris, sogar für eine Mutter eines knapp drei Monate alten Säuglings). Nach Überzeugung des Gerichts ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Antragsteller in Frankreich unabhängig von seinem Willen und persönlichen Entscheidungen in eine Situation extremer materieller Not geraten und seine Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ nicht wird befriedigen können. Zwar werden Asylbewerber und auch Dublin-Rückkehrer in Frankreich durch bürokratische Vorgänge und aufgrund der Tatsache, dass sie erst ab ihrer Registrierung als Asylbewerber Zugang zur staatlichen finanziellen Unterstützung und auch Unterkunft erhalten, anfänglich durchaus vor Probleme gestellt. Dem Antragsteller als jungen, gesunden und alleinstehenden Mann, der nur für sich selbst sorgen muss und zudem die Landessprache spricht, ist es aber zuzumuten, falls erforderlich, Unterschlupf in Obdachlosenunterkünften zu suchen und die Hilfe von Bürgerinitiativen und NGOs in Anspruch zu nehmen, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, teils auch in der Unterbringung, aktiv sind (eine Übersicht findet sich in: Raphaelswerk, a.a.O., S. 15 ff.). Auch über diese Anfangszeit hinaus sind nach den vorliegenden Erkenntnismitteln in Frankreich durchaus Schwierigkeiten bei der Unterbringung von Asylbewerbern, auch Dublin-Rückkehrern, sichtbar. Gleichwohl bemüht sich der französische Staat kontinuierlich und erfolgreich Unterbringungskapazitäten aufzubauen. Zwar haben Antragsteller, sofern sie nicht staatlich untergebracht sind, Anspruch auf erhöhte finanzielle Unterstützung (ADA – monatlich i.d.R. 426,00 EUR statt 204,00 EUR). Jedoch macht der Umstand, dass eine Barauszahlung mit der Karte nicht möglich ist, sondern nur in Läden oder Online-Shops bezahlt werden kann, die Zahlung von Miete schwierig bis unmöglich. Im Bedarfsfall ist es dem Antragsteller jedenfalls zuzumuten, sich an Obdachlosenunterkünfte, Bürgerinitiativen und NGOs zu wenden. In einer Gesamtschau ist nach Überzeugung des Gerichts eine Obdachlosigkeit des Antragstellers nicht beachtlich wahrscheinlich. Auch der Umstand, dass im Falle einer etwaigen zukünftigen Folgeantragstellung die Möglichkeit der (überprüfbaren) Leistungsaussetzung, -einschränkung bis hin zum Ausschluss besteht, begründet ebenso wenig einen systemischen Mangel wie die Tatsache, dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben. Vielmehr ist nach der Auskunftslage davon auszugehen, dass in Frankreich ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird.
33
Persönliche Vorlieben für oder gegen ein Land spielen für die Zuständigkeit keine Rolle. Dies gilt auch, wenn diese auf beruflichen Ambitionen beruhen. Auch der Umstand, dass der Antragsteller in Deutschland einen Cousin hat, ist nicht relevant.
34
c) Dem Antragsteller droht nach Überzeugung des Gerichts auch nach einer etwaigen Anerkennung als international Schutzberechtigter in Frankreich keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist bei der Prüfung, ob eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den an sich zuständigen Mitgliedstaat die Gefahr einer gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung birgt, nicht nur in den Blick zu nehmen, ob diese Gefahr im Rahmen des Asylverfahrens droht, sondern auch ob nach einer etwaigen Anerkennung als Asylberechtigter eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten ist (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 87 ff.).
35
Auch im Falle der Zuerkennung eines internationalen Schutzstatutes in Frankreich sind keine systemischen Mängel in Frankreich gegeben. Anerkannte Flüchtlinge bekommen einen Aufenthaltstitel mit einer Gültigkeit von zehn Jahren, subsidiär Schutzberechtigte eine für vier Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung, die verlängert werden kann. Weiter können Personen, die während des Asylverfahrens untergebracht waren, auch nach der Gewährung eines Schutzstatus weitere drei Monate (um drei Monate verlängerbar) und im Falle der Ablehnung des Asylantrags einen Monat lang weiterhin in der ursprünglichen Unterkunft bleiben. Des Weiteren können sie einen Willkommens- und Integrationsvertrag unterschreiben, welcher der Integration in die französische Gesellschaft durch maßgeschneiderte Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt und Spracherwerb dient. Im Rahmen des Integrationsvertrags besteht die Möglichkeit auf eine temporäre Unterbringung für neun Monate mit einer Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei Monate. Nichtregierungsorganisationen bieten weitere Integrationsprogramme. International Schutzberechtigte haben unter denselben Bedingungen Zugang zu sozialen Rechten wie französische Staatsbürger. Dazu gehören Krankenversicherung, Familien- und Wohngeld, Mindesteinkommen und Zugang zu Sozialwohnungen. Durch den Aufenthaltstitel sind Schutzberechtigte auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt französischen Bürgern gleichgestellt (vgl. BFA, a.a.O., S. 13 f.).
36
d) Auch die übrigen Voraussetzungen nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen vor. So muss feststehen, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Dies bedeutet nach der Rechtsprechung u.a. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427; B.v. 28.10.2013 – 10 CE 13.2257; ebenso OVG Lüneburg, U.v. 4.7.2012 – 2 LB 163/10; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 1.2.2012 – OVG 2 S 6.12, alle juris), dass die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung zu prüfen ist.
37
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 Aufenth liegen nicht vor. Die obigen Ausführungen unter b), c) gelten entsprechend. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die im Rahmen der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ebenso zu prüfen sind, sind auch nicht gegeben, insbesondere liegen keine Anhaltspunkte für eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers vor. Weiter hat sich Frankreich hat zur Aufnahme des Antragstellers bereit erklärt.
38
3. Die Kostenentscheidung des damit erfolglosen Antrags beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG
39
4. Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.