Titel:
Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung in einem ausländerrechtlichen Verfahren
Normenkette:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente einer Entscheidung begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit von deren Ergebnis, wenn sie sich aus anderen Gründen als richtig darstellt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausreiseaufforderung, Abschiebungsandrohung, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel, Ergebnisrichtigkeit
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 28.10.2022 – AN 5 K 21.1950
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1989
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Die am ... 1990 geborene, nach eigenen Angaben am 6. Mai 2021 mit einem von der lettischen Botschaft in B. ausgestellten nationalen Arbeitsvisum mit einer Gültigkeit von 25. April 2021 bis 24. Oktober 2021 zu ihrem (zuletzt bis zum 31. Dezember 2017 eine Aufenthaltserlaubnis besitzenden) Ehemann in das Bundesgebiet eingereiste, seit 11. August 2021 im Bundesgebiet gemeldete und am 5. November 2021 (auch für den Kläger zu 2) eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beantragende Klägerin zu 1 und der am ... 2021 im Bundesgebiet geborene Sohn der Klägerin zu 1, der Kläger zu 2, beide aserbaidschanische Staatsangehörige, wenden sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2022, durch das ihre Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2021 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid forderte die Beklagte die Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb von 30 Tagen ab Zustellung des Bescheides zu verlassen (Nr. 1 des Bescheids), drohte für den Fall der nicht fristgerechten freiwilligen Ausreise die Abschiebung insbesondere nach Aserbaidschan an (Nr. 2 des Bescheids) und erließ für den Fall der Abschiebung ein dreijähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot (Nr. 3 des Bescheids).
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Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht unter Verweis auf seine Ausführungen im die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid vom 15. Oktober 2021 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage ablehnenden Beschluss vom 15. November 2021 aus, die Kläger seien gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da sie keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besäßen. Zwar sei die Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise in das Bundesgebiet im Besitz eines gültigen lettischen Visums gewesen. Dieses sei aber am 25. Oktober 2021 abgelaufen. Im Übrigen sei ein nationales Visum eines Drittstaates kein Aufenthaltstitel im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Der am ... 2021 im Bundesgebiet geborene Kläger zu 2 sei ebenfalls aktuell nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels. Am 9. November 2021 hätten die Kläger zwar eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beantragt, eine Entscheidung über diesen Antrag stehe aber noch aus. Die Ausreisepflicht der Kläger sei nach § 58 Abs. 2 AufenthG auch vollziehbar. Insbesondere stehe der Vollziehbarkeit nicht entgegen, dass über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden worden sei. Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 3. Alt. AufenthG stehe ein gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nämlich nur dann entgegen, wenn der Antrag die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 3 AufenthG ausgelöst habe. Vorliegend habe das lettische Arbeitsvisum die Klägerin zu 1 zwar nach Art. 21 Abs. 2a i.V.m. Art. 18 SDÜ dazu berechtigt, sich bis zu 90 Tage in einem 180-Tage-Zeitraum frei im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates zu bewegen. Sie habe sich damit nach ihrer Einreise 90 Tage rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Da die Einreise der Klägerin zu 1 nach ihren eigenen Angaben am 6. Mai 2021 erfolgt sei, habe diese 90-Tage-Frist aber am 4. August 2021 geendet. Die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis habe erst nach Ablauf dieses Zeitraums am 9. November 2021 geendet und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Klägerin zu 1 nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Zwar vermittle ein verspätet gestellter Antrag bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde einen Duldungsgrund (§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG), die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bleibe davon nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aber unberührt. Vor diesem Hintergrund könne auch dahinstehen, ob die Kläger aktuell (auch) aus familiären oder sonstigen humanitären Gründen zu dulden seien. Ersteres sei jedenfalls zu verneinen, da auch der Ehemann bzw. Vater des Klägers zu 2 vollziehbar ausreisepflichtig sei und somit eine Trennung der familiären Lebensgemeinschaft nicht im Raum stehe. Bezüglich der vorgetragenen Verfolgung der Klägerin zu 1 in ihrem Heimatland wäre vor einer Abschiebung § 72 Abs. 2 AufenthG zu beachten. Auch die für den Fall der Abschiebung verfügte Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von drei Jahren sei nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Ermessensfehler der Beklagten seien nicht ersichtlich. Sie habe die persönlichen und familiären Bindungen der Kläger im Bundesgebiet berücksichtigt und sei beanstandungsfrei zu dem Ergebnis gekommen, dass für den Fall der Abschiebung eine Befristung von drei Jahren angemessen sei. Es bestünden – mit Ausnahme des ebenfalls ausreisepflichtigen Ehemannes der Klägerin zu 1 bzw. Vaters des Klägers zu 2 – keinerlei schützenswerte Bindungen zum Bundesgebiet, die in die Ermessensentscheidung einzustellen wären. Insbesondere führe die Beklagte zurecht aus, dass die Kläger dieser Einreisesperre durch freiwillige Ausreise entgehen könnten. Dass nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert angeordnet werden müsse, mache den Bescheid vom 15. Oktober 2021 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage sei in der behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots enthalten. Im Übrigen folge das Gericht der Begründung des angefochtenen Bescheides. Die den Klägern nach Auskunft der Beklagten in der mündlichen Verhandlung erteilte Duldung lasse die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung unberührt (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).
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Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der ausschließlich (sinngemäß) geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegt nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen der Kläger auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
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Zur Begründung ihres Zulassungsantrags lassen die Kläger vortragen, der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater des Klägers zu 2 sei bis 31. Dezember 2017 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen. Eine Verlängerung seines Aufenthalts sei von der Beklagten abgelehnt worden. Dies sei unverständlich gewesen, zumal der Ehemann der Klägerin zu 1 schon seit Jahren erwerbstätig gewesen sei. Die Klägerin zu 1 habe versuchen wollen, über ein lettisches Arbeitsvisum und die Arbeitsaufnahme in Lettland die rechtlichen Voraussetzungen für einen Weiterzug innerhalb der EU in die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen. Das Visum sei demnach nicht allein aus familiären Gründen beantragt worden. Unabhängig davon sei zu sehen, dass die Klägerin zu 1 ein Kind mit ihrem Ehemann habe. Es sei deshalb ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG, dass die Klägerin zu 1 nunmehr aufgefordert werde, aus dem Bundesgebiet auszureisen, obwohl hier familiäre Bindungen bestünden. Die Familienbindungen seien höher zu bewerten, als die Außerorts-Verpflichtung aus rein formalen Gründen. Die Ausreiseverpflichtung hätte eine Trennung der Familie zur Folge. Dieser Zustand wäre für die Familie insbesondere deshalb unerträglich, weil sie mittlerweile aus vier Personen bestehe. Die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann seien im ... 2022 Eltern eines weiteren Kindes geworden, sodass von der Klägerin zu 1 aus physischen und psychischen Gründen nicht verlangt werden könne, zum jetzigen Zeitpunkt das Bundesgebiet zu verlassen. Die Entscheidung verstoße daher gegen Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und sei damit rechtswidrig.
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Die Rüge zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf.
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Es spricht bereits viel dafür, dass das Zulassungsvorbringen dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gerecht wird. Dies kann letztlich dahinstehen.
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Die Kläger haben nichts vorgebracht, was die verwaltungsgerichtliche Auffassung zur Ausreisepflicht und zur Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht erschüttern würde. Die Kläger waren weder zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch zum Beschlusszeitpunkt im Besitz eines Aufenthaltstitels. Zum Zeitpunkt der Beantragung des Aufenthaltstitels war deren Aufenthalt mangels entgegenstehenden Vorbringens auch nicht (mehr) rechtmäßig. Aus einem früheren Aufenthaltstitel des Ehemanns der Klägerin zu 1 und Vater des Klägers zu 2 können die Kläger insoweit nichts für sich ableiten.
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Auf das klägerische Vorbringen, die Klägerin zu 1 habe versuchen wollen, über ein lettisches Arbeitsvisum und die Arbeitsaufnahme in Lettland die rechtlichen Voraussetzungen für einen Weiterzug innerhalb der EU in die Bundesrepublik Deutschland zu schaffen, kommt es vorliegend nicht entscheidungserheblich an. In Anbetracht der (nach eigenen Angaben) am 6. Mai 2021 erfolgten Einreise in das Bundesgebiet kurz nach Beginn des Gültigkeitszeitraums des lettischen Visums am 25. April 2021 und des Umstands, dass die Schwangerschaft der Klägerin zu 1 zum Zeitpunkt der Einreise bereits sehr weit fortgeschritten war, ist es aber nicht glaubhaft.
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Darüber hinaus setzt sich das Zulassungsvorbringen mit der zutreffenden verwaltungsgerichtlichen Auffassung, dem Erlass der Abschiebungsandrohung stehe das Vorliegen von Abschiebungsverboten und (insbesondere familiären) Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), nicht substantiiert auseinander.
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Unabhängig davon, dass das Zulassungsvorbringen auch keine substantiierten Ausführungen hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots enthält, begegnen die diesbezüglichen verwaltungsgerichtlichen Ausführungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 2 GKG.