Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.01.2023 – 19 ZB 22.2327
Titel:

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einem isolierten PKH-Antrag

Normenketten:
VwGO § 60, § 67 Abs. 4 S. 1, § 124a Abs. 4
ZPO § 78b, § 117, § 121
Leitsätze:
1. Ein nicht postulationsfähiger Beteiligter kann keinen wirksamen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist einer Partei wegen ihrer Mittellosigkeit die fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt nicht zuzumuten, so darf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann gewährt werden, wenn die Partei bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht hat und dieses lediglich nicht innerhalb der Frist verbeschieden worden ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. ZU der Frage, ob die Angabe eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwaltes bei einem isolierten PKH-Antrag zur Durchführung eines dem Anwaltszwang unterliegenden Berufungszulassungsverfahrens zu den Anforderungen gehört, die innerhalb der Rechtsmittelfrist erfüllt werden müssen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anwaltszwang, Antrag auf Zulassung der Berufung, Auslegung als isolierter PKH-Antrag, Fehlende PKH-Unterlagen, Wiedereinsetzung, Notanwalt, fehlende PKH-Unterlagen
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 20.09.2022 – AN 11 K 21.327
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1988

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
2
1. Gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO muss sich ein Beteiligter vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch einen Prozessbevollmächtigten – namentlich durch einen Rechtsanwalt – vertreten lassen. Dies gilt auch hinsichtlich der Einleitung des Verfahrens (§ 67 Abs. 4 Satz 2 VwGO). Ein nicht postulationsfähiger Beteiligter kann keinen wirksamen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen.
3
Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. September 2022 wurde dem Kläger am 30. September 2022 zugestellt. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2022, bei dem Verwaltungsgericht am 26. Oktober 2022 eingegangen, hat der Kläger persönlich ohne Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes „Beschwerde gegen den Beschluss vom 29. September 2022“ eingelegt und unter Verweis auf seine dialysepflichtige Nierenerkrankung – aufgrund derer ihm in seinem Herkunftsland mangels ausreichender Behandlungsmöglichkeit der sichere Tod drohe – beantragt, das auf fünf Jahre befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot (im Bescheid des Beklagten vom 19.1.2021, in welchem der Kläger unter Ziffer 1 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde, unter Ziffer 2 ein auf fünf Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen wurde sowie unter Ziffer 3 die sofortige Vollziehbarkeit der Ziffer 2 angeordnet wurde) aufzuheben. Mit einem weiteren Schreiben vom 24. Oktober 2022, bei dem Verwaltungsgericht am 26. Oktober 2022 eingegangen, hat der Kläger unter Verweis auf fehlende eigene finanzielle Mittel die Beiordnung eines „Pflichtverteidigers“ beantragt. Der Kläger wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 7. November 2022 auf den Vertretungszwang durch einen Prozessbevollmächtigten nach § 67 Abs. 4 VwGO sowie auf den Umstand, dass die Zuteilung eines „Pflichtverteidigers“ bzw. Rechtsanwaltes auf Staatskosten vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht möglich ist, hingewiesen. Es wurde ihm die Rücknahme des Antrags bis zum 17. November 2022 anheimgestellt. Weiterer Vortrag durch den Kläger bzw. einen Prozessbevollmächtigten ist nicht erfolgt.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde damit, trotz insoweit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung, nicht fristgerecht gestellt (§§ 67 Abs. 4 Satz 1, 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO). Nachdem die einmonatige Frist nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO für den Antrag auf Zulassung der Berufung am 31. Oktober 2022 (Montag) abgelaufen ist (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1, 2 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2, § 193 BGB), kann der Mangel der Vertretung nicht mehr behoben werden. Offenbleiben kann, ob die Begründung des Klägers dem Darlegungserfordernis gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt (vgl. zu den bei unvertretenen Klägern ggf. reduzierten Darlegungsanforderungen BVerfG, B.v. 29.4.2015 – 2 BvR 804/14 – juris Rn. 5; B.v. 5.11.2013 – 1 BvR 2544/12 – juris Rn. 7; B.v. 20.10.1993 – 1 BvR 1686/93 – juris Rn. 1; Toussaint, NJW 2014, 3209/3210 m.w.N.).
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2. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) wurde nicht gestellt. Dem Kläger ist auch nicht gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren. Sollte die eingelegte „Beschwerde“ als isoliertes Prozesskostenhilfegesuch für einen noch zu stellenden Antrag auf Zulassung der Berufung auszulegen sein, so fehlt es an der Vorlage der erforderlichen Unterlagen gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch den Kläger. Ist einer Partei wegen ihrer Mittellosigkeit – wie von dem Kläger geltend gemacht – die fristgerechte Einlegung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt nicht zuzumuten, so darf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO nur dann gewährt werden, wenn die Partei bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht hat und dieses lediglich nicht innerhalb der Frist verbeschieden worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PKH 15.03 – NVwZ 2004, 888, juris Rn. 5 m.w.N.; OVG Bremen, B.v. 26.10.2021 – 1 B 393/21 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 17.10.2017 – 4 A 1898/17 – juris Rn. 2; B.v. 11.1.2012 – 12 B 5/12 – juris Rn. 4; Zimmermann-Kreher in Posser/Wolff, VwGO, 63. Ed., Stand 1.10.2022, § 166 Rn. 39; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 166 Rn. 32, 42 m.V.a. BVerfG, B.v. 5.11.2013 – 1 BvR 2544/12 – juris Rn. 10; B.v. 11.3.2010 – 1 BvR 290/10 – juris Rn. 17). Denn nur unter diesen formellen Voraussetzungen hat die Partei alles getan, was von ihr zur Wahrung der Frist erwartet werden konnte, und ist es gerechtfertigt, die dennoch eingetretene Fristversäumnis als unverschuldet anzusehen. Das der Rechtsverfolgung entgegenstehende Hindernis der Mittellosigkeit entfällt, wenn das Gericht dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stattgibt, weil die mittellose Partei dadurch in die Lage versetzt wird, das Rechtsmittel einzulegen und zu diesem Zweck einen Prozessvertreter zu beauftragen. Zugleich beginnt die in § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestimmte Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen zu laufen, innerhalb derer gem. § 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO die Einlegung des Rechtsmittels nachgeholt werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PKH 15.03 – juris Rn. 5 m.w.N.). Welche Unterlagen und Angaben der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe enthalten muss, ergibt sich aus § 117 ZPO. Danach ist dem Antrag eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Belegen beizufügen (§ 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Dabei hat die mittellose Partei sich eines Vordrucks zu bedienen (§ 117 Abs. 3 ZPO). Außerdem ist in dem Antrag das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Diesen Anforderungen hat der Kläger nicht genügt.
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Offenbleiben kann deshalb, ob überdies die Angabe eines zur Vertretung bereiten Rechtsanwaltes bei einem isolierten PKH-Antrag zur Durchführung eines dem Anwaltszwang unterliegenden Berufungszulassungsverfahrens zu den Anforderungen gehört, die innerhalb der Rechtsmittelfrist erfüllt werden müssen (vgl. OVG NRW, B.v. 14.3.2001 – 12 B 1962/00 – juris Rn. 5 f.), oder ob die Benennung im Unterschied zu dem ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfeantrag, der innerhalb der Klage- bzw. Rechtsmittelfrist zu stellen ist, noch innerhalb der durch die Prozesskostenhilfebewilligung ausgelösten Wiedereinsetzungsfrist (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO) nachgeholt werden kann (vgl. BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PKH 15.03 – juris Rn. 9 m.w.N.; Riese in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 166 Rn. 36 f.) bzw. ob die für eine Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Vorsitzenden des Gerichts nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 5 ZPO erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung des Klägers, trotz zumutbarer Bemühungen (innerhalb der Rechtsbehelfsfrist) keinen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden zu haben, auch noch innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist erfolgen kann (BVerwG, B.v. 28.1.2004 – 6 PKH 15.03 – juris Rn. 13) oder bereits innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgen muss (vgl. OVG NRW, B.v. 14.3.2001 – 12 B 1962/00 – juris Rn. 8).
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Eine Beiordnung eines Notanwalts durch den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. 78b ZPO entspricht angesichts der vorgetragenen Mittellosigkeit nicht dem wohlverstandenen Rechtsschutzbegehren des Klägers, da auch der beigeordnete Notanwalt die Übernahme der Vertretung gemäß § 78c Abs. 2 ZPO von einer Vorschusszahlung abhängig machen dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2022 – 19 ZB 22.787 – nicht veröffentlicht; B.v. 25.2.2021 – 19 ZB 20.2278 – nicht veröffentlicht – m.V.a. B.v. 8.1.2018 – 10 ZB 17.2361 – juris Rn. 6; B.v. 24.7.2017 – 20 ZB 17.984 – juris Rn. 5).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
10
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).