Titel:
Disziplinarmaß bei Körperverletzung im Amt als Polizist
Normenketten:
BDG § 9, § 13 Abs. 1 S. 2, § 57 Abs. 1 S. 1
BBG § 61 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 77 Abs. 1 S. 1
StGB § 340 Abs. 1 S. 2
EMRK Art 6
Leitsätze:
1. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Polizeivollzugsbeamter verstößt in erheblicher Weise gegen seinen gesetzlichen Auftrag und verletzt den Kernbereich seine Dienstpflichten, wenn er die aus seiner Rechtsstellung erwachsende Machtbefugnis überschreitet und seine in der Öffentlichkeit bestehende besondere Vertrauensstellung zur Begehung von Straftaten nutzt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Objektivität der Aussagen in einem Persönlichkeitsprofil kann nicht mit dem pauschalen Hinweis bestritten werden, der Autor sei in seiner Funktion als Dienstvorgesetzter sowohl für die Führung des Disziplinarverfahrens als auch zugleich für die Erstellung des Persönlichkeitsprofils zuständig gewesen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung eines Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Disziplinarrecht des Bundes, Polizeivollzugsbeamter, Körperverletzung im Amt in einem minder schweren Fall, innerdienstliches Dienstvergehen, Begriff des Augenblicksversagens, Zurückstufung um eine Stufe in das Eingangsamt, Dauer des Disziplinarverfahrens, Verkürzung der Beförderungssperre, Beamter, Polizei, Körperverletzung, Dienstvergehen, innerdienstlich, Strafrahmen, Disziplinarverfahren, Bemessung, Milderungsgrund, Verfahrensdauer, Zurückstufung, Beförderungssperre
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 23.10.2020 – AN 12a D 19.1574
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1984
Tenor
I. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Dauer der Beförderungssperre auf zwei Jahre verkürzt wird.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der 1976 geborene Beklagte stand als Polizeioberkommissar (BesGr A 10) bis zu seiner Umsetzung im Vollzugsdienst einer Bundespolizeiinspektion. Die Klägerin strebt seine Zurückstufung (§ 9 BDG) an, nachdem er strafgerichtlich wegen eines minder schweren Falles einer Körperverletzung im Amt (§ 223 Abs. 1, § 340 Abs. 1 Satz 2 StGB) zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden war (AG Nürnberg, U.v. 3.2.2016 / LG Nürnberg-Fürth, U.v. 2.6.2016, rechtskräftig seit 10.6.2016).
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Hintergrund der Verurteilung war ein polizeilicher Einsatz am Hauptbahnhof in N. am 29. März 2014, in dessen Folge der Beklagte im Rahmen einer Auseinandersetzung von Anhängern zweier Fußballmannschaften eine Personalienfeststellung vornehmen wollte, der sich das spätere Opfer (A.) widersetzte und daher zu Boden gebracht sowie fixiert werden musste. Nachdem der nunmehr friedliche A. zur Dienststelle verbracht worden war, um die Sachbearbeitung zur vorangegangenen Widerstandshandlung vorzunehmen, stieß der Beklagte den an den Händen auf den Rücken gefesselten A. so gegen die Schulterblätter, dass er mit dem Gesicht gegen die Wand prallte; dann fasste der Beklagte den A. mit der rechten Hand am rechten Arm und trat ihm gleichzeitig mit einem Bein gegen die Füße, sodass dieser mit dem Oberkörper gegen einen Holzstuhl fiel, anschließend auf den Boden rutschte und hierdurch Schmerzen erlitt (II.A der Disziplinarklageschrift).
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Die Klägerin legte der Disziplinarklageschrift außerdem noch einen Vorgang vom 1. Dezember 2013 (II.B) zu Grunde, der erst im November 2014 zur Anzeige gebracht worden war. Der Beklagte soll damals den im Polizeigewahrsam befindlichen und erheblich alkoholisierten F., der sich zuvor in einem Dienstfahrzeug übergeben hatte, mittels Handschelle an einer Hand an ein Treppengeländer im Hof der Polizeiinspektion gefesselt haben; im Freien am Boden hockend habe F. bei Temperaturen im niedrigen einstelligen Bereich einen nicht näher bestimmten Zeitraum bis zur Übergabe an die Rettungskräfte zubringen müssen. Das wegen dieses Sachverhalts eingeleitete strafrechtliche Verfahren stellte die Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf das wegen des Vorfalls vom 29. März 2014 bereits anhängige Strafverfahren ein (Disziplinarakte Ordner II, Anl. 17 – 20), ohne den F. vernommen zu haben.
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Das am 5. Mai 2014 von der Klägerin eingeleitete Disziplinarverfahren wurde mit Verfügung vom 13. April 2017 fortgesetzt und ausgedehnt. Im Rahmen seiner Anhörung bestritt der Beklagte die ihm zur Last gelegten Vorgänge vom 1. Dezember 2013. Der Gesamtpersonalrat der Bundespolizei München sprach sich gegen seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis aus; die Vorgänge vom 1. Dezember 2013 seien nicht belegbar. Mit Schriftsatz vom 9. August 2019 erhob die Klägerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Zurückstufung. Im Klageverfahren legte der seit der Umsetzung des Beklagten am 11. November 2019 neu zuständige Dienstgruppenleiter ein aktuelles Persönlichkeitsbild des Beklagten vom 6. Juli 2020 vor. Vorangegangen war das vom Inspektionsleiter B. erstellte Persönlichkeitsbild vom 11. September 2018.
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Der Beklagte war vom 12. Juni 2014 bis 24. Januar 2018 durchgängig erkrankt, weiter vom 23. November 2018 bis 14. November 2019. Seine letzte dienstliche Beurteilung (Stichtag 1.10.2013) weist die Gesamtnote „übertrifft die Anforderungen durch häufig herausragende Leistungen“ aus.
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Mit Urteil vom 23. Oktober 2020 erkannte das Verwaltungsgericht gegen den Beklagten auf die Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung in das Amt eines Polizeikommissars (BesGr. A 9). Das Verwaltungsgericht beschränkte gemäß § 56 Satz 1 BDG das Disziplinarverfahren auf den Vorfall vom 29. März 2014 und schied die unter II.B angeklagte Handlung vom 1. Dezember 2013 nach Ermessensausübung aus, weil sie für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme nicht ins Gewicht falle und auch die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung dieses Vorfalls gemäß § 154 Abs. 1 StPO abgesehen habe. Das innerdienstlich begangene Dienstvergehen (vorsätzliche Körperverletzung im Amt) stehe nach den für das Gericht bindenden, vom Beklagten eingeräumten Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Nürnberg vom 2. Februar 2016 fest. Die Dienstpflichtverletzung des Beklagten stellte sich als sehr schwer dar, für den vom Landgericht angenommenen minder schweren Fall sehe § 340 Abs. 1 Satz 2 StGB einen Strafrahmen von einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe vor, weshalb der Orientierungsrahmen für die Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis gehe. Bei Übergriffen von Polizeibeamten auf im Gewahrsam befindliche Personen werde im Regelfall die Dienstentfernung für erforderlich erachtet (BayVGH, U.v. 6.6.2018 – 16a D 16. 1928 – juris Rn. 42; U.v 12.7.2017 – 16a 15. 368 – juris Rn. 52). Trotz der Schwere des Dienstvergehens sei hier mangels endgültigen Vertrauensverlusts des Dienstherrn und der Allgemeinheit nicht die Höchstmaßnahme auszusprechen. Maßgeblich seien die vom Landgericht im Strafurteil in den Blick genommenen Umstände, wonach das Verhalten des Beklagten als minder schweren Fall der Körperverletzung im Amt zu bewerten sei und eine Geldstrafe als strafrechtliche Sanktionierung ausreiche. Das Opfer sei vor der Tat durch eine Widerstandshandlung aufgefallen, habe keine körperlichen Beeinträchtigungen erlitten und kein Strafverfolgungsinteresse gezeigt. Der Beklagte habe die Tat nicht geplant, sondern im Zuge eines Augenblicksversagens und in einer Ausnahmesituation begangen. Gegen ihn spreche, dass er wegen eines Vorfalls am 9. Mai 2013, in dessen Verlauf er sich während eines Polizeieinsatzes gegenüber einer aufgegriffenen weiblichen Person zornig und unbeherrscht gezeigt habe, förmlich ermahnt worden sei. Dieser Vorgang beweise, dass er in Konfliktsituationen nicht immer mit der gebotenen Souveränität und Ruhe auftreten könne, ohne damals die Schwelle zur disziplinarrechtlichen Relevanz zu überschreiten. Eine mildere Maßnahme als die Zurückstufung komme nicht infrage. Insbesondere weise das Persönlichkeitsbild des Beklagten vom 11. September 2018 verschiedene Mängel (etwa hinsichtlich Kritikfähigkeit) auf. Auch die Dauer des am 5. Mai 2014 eingeleiteten Disziplinarverfahrens stelle keinen Milderungsgrund dar, weil das Strafverfahren erst zwei Jahre später rechtskräftig abgeschlossen worden sei und im anschließenden Disziplinarverfahren weitere aufwändige, teilweise wiederholte Einvernahmen einer Vielzahl von Zeugen erforderlich gewesen seien, soweit es den in das Verfahren mit einbezogenen Vorfall vom 1. Dezember 2013 betreffe. Eine überlange Dauer des behördlichen Disziplinarverfahrens liege nicht vor, zumal noch der Gesamtpersonalrat mitwirken habe müssen. Die Dauer des anschließenden gerichtlichen Verfahrens sei auch von der Pandemielage betroffen gewesen.
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Der Beklagte begründet die am 17. Februar 2021 eingelegte Berufung. Das Verwaltungsgericht übersehe, dass teilweise Zeugenbefragungen entgegen § 24 Abs. 4 Satz 1 BDG ohne Unterrichtung des Beklagten durchgeführt worden seien und ihm nicht sämtliche verfahrensrelevanten Schreiben vorgelegen hätten. Hinsichtlich der ausgeschiedenen Handlung habe aufgrund der aktenkundigen Beweislage keine relevante Wahrscheinlichkeit für einen Tatnachweis bestanden, sodass mit Blick auf § 37 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 BDG die Verfahrenskosten insoweit dem Dienstherrn hätten auferlegt werden müssen. Das Urteil wende die abstrakten Kriterien der Maßnahmenbemessung auf den konkreten Fall unzutreffend an. Zwar reiche der Orientierungsrahmen bei einer Strafandrohung von bis zu fünf Jahren bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Allerdings unterscheide das Bundesverwaltungsgericht zwischen „Regelmaßnahme“ und „Orientierungsrahmen“, letzterer bestimme nur die Obergrenze der angemessenen Disziplinarmaßnahme; wegen der Bandbreite der Begehungsformen einer Körperverletzung im Amt seien jedoch alle Disziplinarmaßnahmen in den Blick zu nehmen. Die Höchstmaßnahme sei als Ausgangspunkt der Zumessung bei der Deliktsgruppe der Körperverletzungen im Amt nur dann angezeigt, wenn es sich um sehr schwere Fälle handele, die etwa die Regelbeispiele des § 224 StGB verwirklichten oder beim Geschädigten längerfristige Folgen bewirkten. Die Bezugnahme des Verwaltungsgerichts auf das Urteil des Senats vom 12. Juli 2017 (16a D 15.368) sei nicht zielführend, weil es sich hier um drei tatmehrheitlich verwirklichte Fälle einer Körperverletzung mit erheblichen Verletzungen des Opfers, noch dazu von einem Leiter einer Polizeiinspektion begangen, gehandelt habe. Hingegen sei auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg (U.v. 18.3.2019 – 10a DK 18.936 – juris Rn. 76 f.) hinzuweisen, die bei einer Kombination eines minder schweren Körperverletzungsdelikts im Amt mit einer versuchten Nötigung als Ausgangspunkt nicht die Höchstmaßnahme angenommen und letztlich eine Bezügekürzung ausgesprochen habe. Das Verwaltungsgericht München (U.v. 23.8.2019 – 19 LDK 18.5696) habe in einer vergleichbaren Situation die Dienstentfernung als Ausgangspunkt der Zumessung bezeichnet, jedoch aufgrund verschiedener, für den Beamten sprechender Umstände eine Zurückstufung als ausreichend erachtet. Auch dort habe sich der Beamte in psychologische Behandlung begeben, wie dies der Beklagte über mehr als vier Jahren hinweg getan habe (vgl. nervenärztliche Bestätigung, Bl. 97 d. VG-Akte). Der gravierendste Fehler des Urteils sei aber, dass es die überlange Verfahrensdauer des Disziplinarverfahrens unberücksichtigt lasse. Nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens seien mehr als zehn Monate ohne Aktivitäten der Disziplinarbehörde bis zur Fortsetzung des Verfahrens vergangen. Unzutreffend sei der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf den Umfang der Ermittlungen hinsichtlich des später ausgeschiedenen Vorwurfs. Die überlange Verfahrensdauer ergebe sich entscheidend aus dem Zeitraum von deutlich mehr als drei Jahren (Juni 2016: Rechtskraft des Strafurteils, bis August 2019: Erhebung der Disziplinarklage), in dem zu Vorwürfen ermittelt worden sei, die das Verwaltungsgericht für derart wenig gewichtig gehalten habe, dass es für die Maßnahmenzumessung hierauf nicht angekommen sei. Die Durchführung von Ermittlungen, die kein verwertbares Ergebnis erbringen könnten, seien zur Begründung einer Verfahrensdauer von über drei Jahren nicht geeignet. Mit bloßen Scheinermittlungen könne das Beschleunigungsgebot des § 4 BDG nicht umgangen werden. Die reine Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sei nicht vorwerfbar überlang gewesen. Die lange Verfahrensdauer lasse auch eine Kürzung der Beförderungswartezeit angezeigt erscheinen. Der Beklagte sei faktisch bereits seit dem 5. Mai 2014 von einem Beförderungsverbot betroffen. Das Bundesverwaltungsgericht (U.v. 10.12.2015 – 2 C 50.13) habe eine Verfahrensdauer von etwa acht Jahren zwischen Einleitung des Disziplinarverfahrens und Entscheidung des Revisionsgerichts als unangemessen lang bewertet; außerdem hebe es ausdrücklich hervor, dass die gesetzlich vorgesehene Verkürzungsmöglichkeit um maximal fünf Jahre zur Kompensation der Verfahrensverzögerung nicht ausreichend sei. Jedenfalls liege die Annahme einer Überlänge nahe, wenn die Verfahrensdauer die Maximaldauer des Beförderungsverbots übersteige, was hier bereits alleine durch das von Mai 2014 bis August 2019 andauernde behördliche Disziplinarverfahren der Fall sei. Zur Bemessung der Überlänge könne auch auf die Dauer der polizeilichen Ermittlungen gegen den Beklagten wegen des Vorfalls zurückgegriffen werden, die innerhalb von drei Monaten abgeschlossen hätten werden können. Schließlich habe der Dienstherr versäumt, die Einhaltung des Beschleunigungsgebot durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, weil er lediglich einen einzigen Volljuristen mit der Wahrnehmung der disziplinarrechtlichen Aufgaben betreut habe, was angesichts des Personalkörpers im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizeidirektion München völlig unzureichend sei. Zuletzt sei auch die Auswertung des Persönlichkeitsbildes (vom 11.9.2018) des Beamten fehlerhaft, weil es mit einem zeitlichen Abstand von vier Jahren zur letzten Dienstverrichtung des Beamten an dieser Dienststelle erstellt worden und die Auskunftsperson mit der Person identisch sei, die das Disziplinarverfahren führe und daher durch sachfremde Erwägungen etwa infolge der laufenden Ermittlungen beeinflusst werde. Es sei unverständlich, warum das angefochtene Urteil nicht das aktuelle Persönlichkeitsbild (vom 6.7.2020) des Beklagten verwerte, mit dem diesem eine erwartungsgerechte Verhaltensweise attestiert werde, sondern es mit der Begründung außer Acht lasse, es erfasse nur einen Zeitraum von neun Monaten.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil vom 23. Oktober 2020 aufzuheben und eine mildere Disziplinarmaßnahme zu verhängen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Von den strafgerichtlichen Feststellungen seien zwei konkrete Handlungen umfasst: zunächst der Stoß in den Rücken des gefesselten Geschädigten mit der Folge, dass sein Gesicht gegen die Wand geprallt sei, sodann das Wegtreten der Beine mit der Folge des Sturzes. Hervorzuheben sei, dass der Geschädigte sich inzwischen „friedlich und an den Händen gefesselt in Polizeigewahrsam“ befunden habe und der Angriff für ihn nicht zu erwarten gewesen sei. Darin unterscheide sich der vorliegende Fall von dem vom Senat mit Urteil vom 6. Juni 2018 (16a D 16.1928) entschiedenen Fall, in dem es eine aufgeheizte Einsatzsituation mit unmittelbaren Gefahren für die Unversehrtheit der Polizisten gegeben habe. Der Beklagte habe in seiner Vorbildfunktion als Angehöriger des gehobenen Dienstes und als Führungskraft (Gruppenleiter) versagt. Von einer mildernd zu berücksichtigenden Ausnahmesituation könne nicht ausgegangen werden, da Auseinandersetzungen mit Fußballanhängern und deren Festnahmen zum polizeilichen Alltag gehörten. Die Tat passe auch zu dem damals bestehenden Persönlichkeitsbild. Der Beklagte sei wegen eines Vorfalls am 9. Mai 2013 schriftlich ermahnt worden, habe dazu noch am 23. Januar 2014 angegeben, falsch gehandelt zu haben, und dennoch nur zwei Monate später die Körperverletzung im Amt begangen. Die lange Verfahrensdauer beruhe insbesondere auf den notwendigen Ermittlungen zum Vorfall am 1. Dezember 2013, den die Staatsanwaltschaft so gut wie nicht untersucht habe; eine größere Anzahl von Zeugen habe angehört werden müssen, zum Teil auch wiederholt im Hinblick auf widersprüchliche Angaben. Hieran habe die Einstellung des Strafverfahrens nach § 154 StPO nichts geändert, weil disziplinarrechtlich eine zweite, mit der abgeurteilten Dienstpflichtverletzung gleichartige Verfehlung im Raum gestanden habe. Das spätere Ausscheiden dieses Komplexes durch das Verwaltungsgericht könne die Notwendigkeit dieser Ermittlungen nicht infrage stellen. Im Übrigen habe das Disziplinarverfahren zumindest bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts im Juni 2016 ausgesetzt werden müssen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Strafakten, die Disziplinarakten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung des Beklagten hat – abgesehen von der tenorierten Maßgabe zur Verkürzung der gesetzlichen Beförderungssperre – keinen Erfolg. Eine mildere Disziplinarmaßnahme als die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Zurückstufung (§ 9 BDG) in das Eingangsamt kommt nicht in Betracht.
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1. Das Disziplinarverfahren weist in formeller Hinsicht keine Mängel auf. Soweit der Bevollmächtigte des Beklagten moniert, nicht über alle Zeugeneinvernahmen im Rahmen des behördlichen Disziplinarverfahrens (§ 24 Abs. 4 Satz 1 BDG) informiert worden zu sein, liegt hierin kein die Verhängung der Disziplinarmaßnahme beeinflussender Verfahrensverstoß. Denn er bezieht sich nur auf die vom Verwaltungsgericht ausgeschiedenen Vorwürfe zum Vorgang am 1. Dezember 2013 (II.B der Disziplinarklageschrift) und damit nicht auf einen im gerichtlichen Verfahren noch gegenständlichen Vorwurf.
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Der Senat sieht im Übrigen keine Veranlassung, den ausgeschiedenen Vorwurf wieder in das Verfahren einzubeziehen (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 56 Satz 2 BDG). Dies wäre nur möglich, wenn die Voraussetzungen der Beschränkung nachträglich entfallen wären, etwa, weil sich die Grundannahmen der ursprünglichen Prognose des Verwaltungsgerichts im Verlaufe des weiteren Verfahrens als unzutreffend erwiesen haben (vgl. BVerwG, B.v. 20.8.2013 – 2 B 8.13 – juris). Derartiges behauptet auch die Klägerin nicht.
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2. Die dem Beklagten zur Last fallende Dienstpflichtverletzung ergibt sich aus dem Sachverhalt, der dem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 3. Februar 2016 zugrunde liegt und der mit den Senat bindender Wirkung feststeht (§ 65 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG). Der Schuldspruch ist durch die nachträglich erfolgte Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch mit den ihn tragenden tatsächlichen Feststellungen in Rechtskraft erwachsen (vgl. LG Nürnberg-Fürth, U.v. 2.6.2016, I.). Danach hat der Beklagte am 29. März 2014 gemäß § 340 Abs. 1 StGB eine Körperverletzung im Amt begangen, indem er den Kopf des mit auf den Rücken gefesselten Händen, in polizeilichem Gewahrsam befindlichen A. ohne rechtfertigenden Grund gegen die Wand des Durchsuchungsraums stieß und ihn unmittelbar darauf mittels eines „Fußfegers“ zu Fall brachte. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere der der Körperverletzung im Amt vorausgegangenen körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Anhängern zweier Fußballclubs am Hauptbahnhof Nürnberg und dem Eingreifen der Bundespolizei, macht sich der Senat die Darstellungen im angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts (UA S. 15) zu eigen.
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Der Senat hat keinen Anlass, sich von den tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil zum äußeren wie inneren Tatbestand zu lösen (§ 57 Abs. 1 Satz 2 BDG). Im Übrigen beruhen die Feststellungen des Amtsgerichts Nürnberg im Urteil vom 3. Februar 2016 auf einer umfassenden, ausführlichen und schlüssigen Beweiswürdigung nach mehrtägiger mündlicher Strafverhandlung.
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Der Beklagte hat durch sein Verhalten ein Dienstvergehen im Sinn von § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG verwirklicht, denn er hat durch die Begehung der abgeurteilten Körperverletzung im Amt gegen seine Pflicht zu ordnungsgemäßer Dienstausübung sowie gegen die Pflicht zur Achtung der Gesetze und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 61 Abs. 1 Satz 1, 3 BBG, § 340 Abs. 1 StGB) verstoßen. Das Dienstvergehen hat der Beklagte innerdienstlich begangen, weil sein pflichtwidriges Verhalten in sein Amt und in seine dienstlichen Pflichten eingebunden war und sich in den Räumen einer Polizeiinspektion abgespielt hat (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11 m.w.N.).
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3. Das Fehlverhalten des Beklagten wiegt schwer (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 BDG). Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 18.1.2017 – 16a D 14.1992; U.v. 12.7.2017 – 16a D 15.368; U.v.6.6.2018 – 16a D 16.1928 – jew. juris, zu Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG) zu von einem Polizeibeamten begangenen Körperverletzungen im Amt kommt vorliegend eine Milderung der vom Verwaltungsgericht verhängten Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 BDG) auf eine Kürzung der Dienstbezüge (§ 5 Abs. 1 Nr. 3 BDG), wie sie mit der Berufung angestrebt wird, nicht in Betracht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass zwar ein endgültiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit infolge der Dienstpflichtverletzung noch nicht eingetreten ist und damit eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht angemessen wäre; diese Aussage gilt unabhängig davon, dass im vorliegenden Berufungsverfahren eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mangels einer von der Klägerin angestrengten Anschlussberufung ohnehin nicht ausgesprochen werden könnte (§ 3 BDG i.V.m. § 129 VwGO). Jedoch trägt die Zurückstufung in das Eingangsamt der Laufbahn des gehobenen Polizeidienstes (BesGr A 9) der Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seinen Auswirkungen und dem Maß der Schuld unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten Rechnung. Eine bloße Kürzung der Dienstbezüge würde der disziplinarischen Relevanz des Verhaltens des Beklagten nicht gerecht werden.
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3.1 Maßgebendes Kriterium für die nach pflichtgemäßem Ermessen zu bestimmende Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens (§ 13 Abs. 1 Satz 1, 2 BDG). Sie ist richtungsweisend und beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte (BVerwG, B.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 16; B.v. 11.2.2014 – 2 B 37.12 – juris Rn. 20; B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).
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Bei der Anwendung des Bemessungskriteriums der Schwere ist das festgestellte Dienstvergehen nach seinem Gewicht einer der in § 5 Abs. 1 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Ausgehend davon kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob die bisherigen Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild des Beamten (§ 13 Abs. 1 Satz 3 BDG) mit dem im Zusammenhang mit der Tatbegehung gezeigten Persönlichkeitsbild des Beamten übereinstimmen oder ein davon abweichendes persönlichkeitsfremdes Verhalten (etwa in einer Notlage oder einer psychischen Ausnahmesituation) vorliegt, sodass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 2 C 59.07 – juris Rn. 14, 20). Entsprechendes gilt für das Kriterium „Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BDG), das eine Würdigung des Fehlverhaltens des Beamten im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion erfordert (BVerwG, U.v. 29.5.2008 a.a.O. Rn. 15, 20).
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3.2 Zur Bestimmung des Ausmaßes des Vertrauensschadens, der durch eine vom Beamten vorsätzlich begangene Straftat hervorgerufen worden ist, wird auch bei innerdienstlich begangenen Straftaten zunächst der Strafrahmen betrachtet (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 19). Der Beklagte hat durch die ihm vorgeworfene dienstpflichtverletzende Handlung eine schwere Dienstpflichtverletzung begangen. Dies ergibt sich schon daraus, dass für die Straftat der Körperverletzung im Amt nach § 340 Abs. 1 Satz 1, 2 StGB eine Höchststrafe von fünf Jahren verhängt werden kann, und zwar sowohl für den Regelfall wie für einen minder schweren Fall. Begeht ein Beamter innerdienstlich unter Ausnutzung seiner Dienststellung eine Straftat, für die das Strafgesetz als Strafrahmen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren – hier sind es sogar bis zu fünf Jahre – vorsieht, reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (BVerwG, U.v. 10.12.2015, a.a.O., juris Rn. 20; B.v. 30.3.2022 – 2 B 46.21 – juris Rn. 11). Die unterschiedlichen Untergrenzen der beiden Strafrahmen spielen für die Frage des Orientierungsrahmens keine Rolle.
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3.3 Ausgangspunkt für die Maßnahmezumessung im vorliegenden Fall war demnach die Höchstmaßnahme, also die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG). Ein Polizeivollzugsbeamter verstößt in erheblicher Weise gegen seinen gesetzlichen Auftrag und verletzt den Kernbereich seine Dienstpflichten, wenn er die aus seiner Rechtsstellung erwachsende Machtbefugnis überschreitet und seine in der Öffentlichkeit bestehende besondere Vertrauensstellung zur Begehung von Straftaten nutzt. Gerade von einem Polizeibeamten wird erwartet, dass er das hohe Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit eines ihm gegenübertretenden Bürgers achtet und nicht ohne rechtfertigenden Grund beeinträchtigt (BayVGH, U.v 6.6.2018, a.a.O. juris Rn. 42; UA S. 19, 4.2).
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Den festgestellten Orientierungsrahmen vermag auch der Vortrag des Beklagten nicht infrage zu stellen, wegen der Bandbreite möglicher Begehungsformen einer Körperverletzung im Amt dürfe die Höchstmaßnahme als Ausgangspunkt der Zumessung nur dann herangezogen werden, wenn es sich um sehr schwerwiegende Fälle handele, etwa solche mit erheblichen Verletzungsfolgen oder solchen, die ein Regelbeispiel des § 224 StGB verwirklichten. Eine derartige Unterscheidung ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht angelegt und wird nicht dem Zweck der Festlegung des Orientierungsrahmens gerecht, der darin besteht, das maßgebliche Tatverhalten in Anlehnung an die abstrakte Strafandrohung einer der vorgesehenen Disziplinarmaßnahmen zuzuordnen. Die Verhängung der so ermittelten höchsten Disziplinarmaßnahme ist gleichwohl nur zulässig, wenn sie dem Schweregehalt des vom Beamten konkret begangenen Dienstvergehens entspricht (BVerwG, U.v. 28.7.2011 – 2 C 16.10 – juris Rn. 29; U. v. 10.12.2015, a.a.O., juris Rn. 17; BayVGH, U.v.6.6.2018 – 16a D 16.1928 – juris Rn. 44). Dies setzt eine sorgfältige Würdigung sämtlicher Einzelfallumstände voraus, der Bedeutung gerade bei einem Straftatbestand mit erheblicher Variationsbreite zukommt und der deshalb einer Regeldisziplinarmaßnahme nicht zugänglich ist. Damit entspricht die vom Beklagten geforderte Einbeziehung der strafrechtlichen Bewertung als minder schwerer Fall schon bei der Ermittlung des Orientierungsrahmens nicht der geltenden Systematik.
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3.4 Die in Ausfüllung des Orientierungsrahmens nach Maßgabe des § 13 BDG zu treffende Bemessungsentscheidung führt dazu, dass der Beklagte um eine Stufe in das Amt eines Polizeikommissars (BesGr. A 9) zurückzustufen ist. Diese Disziplinarmaßnahme ist im Hinblick auf die Eigenart und Schwere des Dienstvergehens, seine Auswirkungen und das Maß der Schuld unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten zur Überzeugung des Senats jedenfalls erforderlich. Die Frage, ob nicht eine zweifache Herabstufung angemessen gewesen wäre, stellt sich im vorliegenden Verfahren deshalb nicht, weil mit Besoldungsgruppe A 9 bereits das Eingangsamt der Laufbahn des Beklagten erreicht wird und zudem das Verbot der Verschlechterung des Rechtsmittelführers entgegenstünde.
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Eine Gesamtwürdigung sämtlicher konkreter Umstände des Dienstvergehens und der Persönlichkeit des Beklagten ergibt, dass die zu seinen Lasten sprechenden Gesichtspunkte gewichtiger sind als die zu seinen Gunsten sprechenden.
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3.4.1 Nicht zu seinen Gunsten kann allerdings die vom Erstgericht (UA S. 21) vertretene Annahme gewertet werden, es habe zum Tatzeitpunkt der Körperverletzung eine Ausnahmesituation bestanden, die zu einem Augenblicksversagen des Beklagten geführt habe. Damit übernimmt das Verwaltungsgericht die Bewertung des Sachverhalts durch das Landgericht zur Begründung eines minder schweren Falles (§ 49 Abs. 1 Satz 2 StGB). Der Senat vermag jedoch ein Augenblicksversagen nicht zu erkennen, weil die Konfrontation am Bahnhof N. zwischen dem alkoholisierten A. und dem Beklagten im Rahmen einer Identitätsfeststellung längst beendet und der A. inzwischen in einen Durchsuchungsraum der Polizeiinspektion verbracht worden war, wo er sich in Handschellen unter Kontrolle der handelnden Beamten befand. Alle Zeugen im Strafverfahren berichten davon, dass er zu diesem Zeitpunkt „friedlich“ gewesen sei und seine Durchsuchung und andere polizeiliche Maßnahmen widerstandslos über sich habe ergehen lassen. Es gab daher eine klare zeitliche und räumliche Zäsur zu den vorangegangenen Auseinandersetzungen am Bahnhof und deren emotionalem Hintergrund. Erst geraume Zeit nach Abschluss der Konfrontation kam es auf der Polizeiwache ohne rechtfertigenden Grund zu der körperlichen Misshandlung in Form des überraschenden Angriffs von hinten. Zur Motivation seines Handelns hat der Beklagte selbst keinerlei Angaben gemacht, es kann jedoch vermutet werden, dass er den inzwischen kooperierenden A. dafür „bestrafen“ wollte, dass ihm dieser am Bahnhof sein Funkgerät aus der Hand geschlagen hatte. Zudem war dem Beklagten während der Auseinandersetzung von unbekannter Seite eine geringfügige Knieverletzung zugefügt worden. Vor diesem Hintergrund spricht alles gegen einen „im Eifer des Geschehens“ erfolgten oder von A. provozierten Kontrollverlust des Beklagten, der ihm als persönlichkeitsfremdes Verhalten mildernd angerechnet werden könnte.
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Den Beklagten entlastend ist festzuhalten, dass er bislang weder straf- noch disziplinarrechtlich auffällig geworden war und die begangene Körperverletzung zu keinerlei Körperschäden des A. geführt hat, die über die ihm zugefügten Schmerzen hinausgingen. Dementsprechend hatte dieser auch kein Interesse an einer Strafverfolgung des Beklagten. Zu dessen Gunsten ist weiter zu berücksichtigen, dass das aktuelle Persönlichkeitsbild vom 8. Dezember 2022, mit dem der Zeitraum ab 11. November 2019 abgebildet wird, in dem der Beklagte nunmehr als Streifenbeamter Verwendung findet, positiv ausfällt; auf sein korrektes Verhalten gegenüber polizeipflichtigen Personen wird besonders hingewiesen. Weiter hat der Beklagte eine „nervenärztliche Bestätigung“ vom 19. Oktober 2020 vorgelegt, wonach er sich vom März 2015 bis November 2019 „durchschnittlich alle 3-4 Wochen“ in – allerdings nicht näher dargestellter – nervenfachärztlicher Behandlung befunden habe. Schließlich wird dem Beklagten eine überdurchschnittliche fachliche Leistung bescheinigt.
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3.4.2 Demgegenüber fallen in belastender Weise zunächst Art und Weise der begangenen Körperverletzung aus, insbesondere die Form des Angriffs von hinten auf den mit Händen auf den Rücken gefesselten, mit dem Gesicht zur Wand stehenden Geschädigten, der sich keines Angriffs versah und im Übrigen damit rechnen durfte, im Polizeigewahrsam keinen körperlichen Übergriffen ausgesetzt zu sein. Dazu kommt, dass der Beklagte als Gruppenleiter eine Vorbildfunktion zu erfüllen hatte, der er mit seinem Verhalten nicht gerecht geworden ist. Zu seinen Ungunsten spricht weiter, dass er schon im Jahr zuvor (Mai 2013) ein unbeherrschtes Verhalten (Zornesausbruch, Anschreien) gegenüber einer aufgegriffenen, offenbar psychisch kranken weiblichen Person an den Tag gelegt hat. Dieses Verhalten hatte ihm dann im Januar 2014 eine dienstliche Ermahnung eingebracht, auf die er damals zwar mit Einsicht reagierte, nur um jedoch kurze Zeit später im März 2014 die hier maßgebliche schwerere Dienstpflichtverletzung zu begehen.
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Die in den beiden Verhaltensweisen zum Ausdruck kommende Unbeherrschtheit und die fehlende Fähigkeit zu angemessenem und deeskalierendem Verhalten kommt auch in dem „Persönlichkeitsprofil“ vom 21. September 2018 zum Ausdruck. Dieses kann hier entgegen der Auffassung des Beklagten herangezogen werden, obwohl er sich durchgängig vom 12. Juni 2014 bis 24. Januar 2018 im Krankenstand befand. Auch kann die Objektivität der dortigen Aussagen nicht mit dem pauschalen Hinweis bestritten werden, der Inspektionsleiter sei in seiner Funktion als Dienstvorgesetzter sowohl für die Führung des Disziplinarverfahrens als auch zugleich für die Erstellung des Persönlichkeitsprofils zuständig gewesen. Der Beklagte benennt für die sich hieraus angeblich ergebende Voreingenommenheit keine konkreten Feststellungen in dem Profil, die unzutreffend sein sollten.
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In dem Persönlichkeitsprofil heißt es, dem Beklagten seien „soziale Kompetenzen weitgehend“ abzusprechen; bei Konfliktsituationen sei er „immer wieder laut“ geworden, schreiend – teilweise beleidigend – durch die Dienststelle „getobt“, dabei habe er ein „äußerst jähzorniges und unbeherrschtes Verhalten“ gezeigt, welches sich gegen eigene Kollegen und gegen Bürger richte; auf Kritik reagiere er „verbal aggressiv“ (vgl. Ermittlungsbericht v. 27.9.2018, S. 35, 36). Auch wenn im aktuellen Persönlichkeitsbild des Beklagten vom 8. Dezember 2022 derartige Auffälligkeiten nach seiner Umsetzung in den Streifendienst einer anderen Inspektion nicht mehr angesprochen werden, können für die Bewertung der näheren Umstände des Dienstvergehens am 29. März 2014 die zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse über das Verhalten des Beklagten herangezogen werden, wie sie im Ermittlungsbericht vom 27. September 2018 zusammengefasst sind.
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3.4.3 Die nach alldem angemessene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung des Beklagten reiht sich in die Rechtsprechung des Senats ein (vgl. 3.; BayVGH, U.v. 6.6.2018, a.a.O.). Die beiden in der Berufungsbegründung zitierten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen führen zu keiner Abmilderung der Maßnahme. Auch das benannte Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 23. August 2019 (a.a.O.) sieht in einer durchaus vergleichbaren Sachverhaltsgestaltung einer Körperverletzung im Amt eine Zurückstufung als erforderlich, aber auch ausreichend an. Warum das Verwaltungsgericht Regensburg (U.v. 18.3.2019, a.a.O.) in der ihm vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Gehaltskürzung als angemessen betrachtet, kann aus der vorliegenden Begründung nicht nachvollzogen werden.
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3.4.4 Schließlich liegt auch der auf einer weiteren Stufe zu prüfende Milderungsgrund der überlangen Dauer des Disziplinarverfahrens nicht vor (hierzu etwa BVerwG, B.v. 11.5.2010 – 2 B 5.10 – juris Rn. 3; U.v. 16.2.2017 – 2 WD 14.16 – juris Rn. 49; Widmaier, PersV 2022, 444). Das Verwaltungsgericht hat die Frage, ob die hier eigentlich gebotene Disziplinarmaßnahme der Zurückstufung wegen der erheblichen Dauer des Disziplinarverfahrens auf eine Kürzung der Dienstbezüge (§ 8 BDG) abgemildert werden kann, zu Recht verneint.
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Ob die Dauer eines Verfahrens noch angemessen ist, ist unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls, insbesondere seiner Schwierigkeit, des Verhaltens des Betroffenen und das der zuständigen Behörden und Gerichte (BVerwG, U.v. 16.2.2017, a.a.O. Rn. 51; zu Art. 6 EMRK: EGMR, U.v. 16.7.2009 – 8453/04 – juris Rn. 49) zu beurteilen. Auf feste Zeitvorgaben oder abstrakte Orientierungswerte kann nicht abgestellt werden (zu § 198 Abs. 1 GVG: BVerwG, U.v. 11.7.2013 – 5 C 23.12 D – juris Rn. 29).
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Im vorliegenden Fall wurde das behördliche Disziplinarverfahren zwar zum Teil unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot des § 4 BDG betrieben. Gleichwohl lässt sich hieraus keine unangemessen große Belastung des Beklagten durch die bloße Verfahrensdauer ableiten. Nicht erklärbar ist allerdings der Stillstand des am 5. Mai 2014 eingeleiteten und ausgesetzten Disziplinarverfahrens nach Eintritt der Rechtskraft des maßgeblichen Strafurteils am 10. Juni 2016, der bis zur Fortsetzung und Ausdehnung des Verfahrens mit Verfügung vom 13. April 2017 andauerte. Die Disziplinarbehörde hat in diesem Zeitraum von etwa zehn Monaten keine Aktivitäten entfaltet und mit der erforderlichen Ladung und Einvernahme der Zeugen zum Sachverhaltskomplex vom 1. Dezember 2013 erst im April 2017 begonnen. Hierbei handelte es sich um arbeitsaufwändige und teilweise mehrfache Einvernahmen der Kollegen des Beklagten, die schließlich ihren Abschluss erst in der Vorlage des Ermittlungsberichts vom 27. September 2018 fanden. Diese mündete dann nach Anhörung des Beklagten im November 2018 in die Erhebung der Disziplinarklage am 9. August 2019. Zuvor wurde im Frühjahr 2019 noch der Personalrat angehört, dessen Stellungnahme zugunsten des Beklagten immerhin dazu führte, dass die Disziplinarbehörde ihr ursprünglich verfolgtes Ziel, ihn aus dem Dienst zu entfernen, fallen gelassen hat.
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Vor diesem Hintergrund kann der Beklagte mit seinem zentralen Vortrag, der gesamte Zeitraum ab Rechtskraft des Strafurteils bis zur Erhebung der Disziplinarklage (10.6.2016 bis 9.8.2019, also mehr als drei Jahre) führe zur Überlänge des behördlichen Disziplinarverfahrens, nicht durchdringen. Auch wenn man unterstellen wollte, dass an der einen oder anderen Stelle eine zügigere Sachbehandlung möglich gewesen wäre, kommt dem Hinweis auf den Zeitraum von mehr als drei Jahren bis zur Klageerhebung für sich allein noch keine Aussagekraft zu. Denn wie nicht zuletzt der 38-seitige Ermittlungsbericht beweist, waren tatsächlich umfangreiche Zeugeneinvernahmen zum angeklagten Sachverhaltskomplex (1.12.2013) erforderlich, die im Zeitraum vom 16. Oktober 2017 bis 19. März 2018 durchgeführt wurden und aufwendig gegeneinander abgeglichen werden mussten. Nach Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oblag es der Disziplinarbehörde, den entsprechenden Sachverhaltskomplex auszuermitteln. Jedenfalls vermag der Senat den Vorwurf des Beklagten, es habe sich angesichts der Nichterweislichkeit des vorgeworfenen Sachverhalts lediglich um „Scheinermittlungen“ gehandelt, nicht zu teilen; denn die Klägerin hat den aus ihrer Sicht erwiesenen Sachverhalt der Klageschrift vom 9. August 2019 zugrunde gelegt. Das Verwaltungsgericht hat ihn nur deswegen nach § 56 Satz 1 BDG aus dem Verfahren ausgeschieden, weil er für Art und Höhe der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht ins Gewicht fallen werde (UA S. 14, 15).
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Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch ein Gericht ist bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 6 EMRK zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen. Bei der Verfahrensgestaltung kommt den Gerichten ein Spielraum zu. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung eines Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie – auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums – sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (BVerwG, U.v. 11.7.2013 a.a.O. juris Rn. 42). Unter diesem Aspekt kann von einer überlangen Dauer des zwei Instanzen durchlaufenden Klageverfahrens (VG Ansbach: August 2019 bis Oktober 2020/BayVGH: Februar 2021 bis Januar 2023) nicht die Rede sein, auch wenn die – zum Teil der Pandemielage geschuldete – Dauer des Berufungsverfahrens überdurchschnittlich lang gewesen sein mag.
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Ohne dass es hierauf für die rechtliche Beurteilung der Dauer des Disziplinarverfahrens ankommt, sei noch angemerkt, dass dem Beklagten während der gesamten Dauer des Verfahrens immerhin die ungekürzten Bezüge aus der Besoldungsgruppe A 10 zustanden, nachdem die Klägerin von der zunächst beabsichtigten vorläufigen Dienstenthebung unter teilweisem Einbehalt der Bezüge abgesehen hatte.
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4. Die im Falle einer Zurückstufung vorgesehene Beförderungssperre von mindestens fünf Jahren nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Disziplinarentscheidung verkürzt der Senat auf zwei Jahre (§ 9 Abs. 3 Satz 1, 2 BDG). Grund hierfür ist die Berücksichtigung der durch die Dauer des Disziplinarverfahrens bereits eingetretenen faktischen Beförderungssperre sowie das positive Persönlichkeitsbild des Beklagten vom 8. Dezember 2022.
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5. Der Beklagte hat gemäß § 77 Abs. 1 BDG, § 154 Abs. 2 VwGO als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die zu seinen Gunsten ausgesprochene Verkürzung der Beförderungssperre ist von untergeordneter Bedeutung und rechtfertigt keine verhältnismäßige Kostenverteilung (vgl. § 77 Abs. 1 BDG, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). § 37 Abs. 1 Satz 2 BDG, der hinsichtlich von im behördlichen Disziplinarverfahren entstandenen Auslagen unter bestimmten Voraussetzungen eine Regelung zugunsten des Beamten ermöglicht, findet im Klageverfahren keine Anwendung.
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Die Revision war mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht zuzulassen (§ 69 BDG, § 132 VwGO, § 191 Abs. 2 VwGO).