Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.02.2023 – 15 ZB 22.2506
Titel:

Berufungszulassung bei Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts

Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 34, § 35
Leitsatz:
Bei Einwendungen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) des Verwaltungsgerichts kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist. (Rn. 6)
Schlagworte:
Abgrenzung Außenbereich, Innenbereich, Verwaltungsverfahren, Berufung, Zulassung, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit, Beweiswürdigung, Bauvorhaben, Abgrenzung Außenbereich vom Innenbereich
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 13.10.2022 – 5 K 22.287
Fundstellen:
BayVBl 2023, 453
LSK 2023, 1981
BeckRS 2023, 1981
DÖV 2023, 488

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur Errichtung von zuletzt drei Wohngebäuden.
2
Mit Unterlagen vom 19. Dezember 2020 beantragte der Kläger die Erteilung eines Vorbescheids für die Errichtung von vier Einzelhäusern auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W., zu dem die Gemeinde ihr Einvernehmen erteilte. Das Landratsamt Augsburg verortete die Lage der beabsichtigen Bebauung nach Durchführung eines Ortstermins teilweise im Außenbereich und regte eine Änderung der Planung an. Der Kläger reduzierte die Planung daraufhin auf nur mehr drei Wohngebäude. Mit Schreiben vom 9. August 2021 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass sich das dritte, südlichste Gebäude (Haus 3) im Außenbereich befinde und dort nicht genehmigungsfähig sei.
3
Mit Bescheid vom 4. Januar 2022 stellte das Landratsamt fest, dass das Grundstück FlNr. … Gemarkung W. mit zwei einzelnen Gebäuden aus bauplanungsrechtlicher Sicht bebaubar sei und für die Lage des im Außenbereich liegenden (dritten) Gebäudes der Antrag auf Erteilung eines Vorbescheids abgelehnt werde. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg, das seine Klage nach Durchführung eines Augenscheintermins am 22. August 2022 mit Urteil vom 13. Oktober 2022 abwies. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Standort des „südlichen Haus 3“ dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich zuzurechnen sei und das geplante Vorhaben dort öffentliche Belange beeinträchtige. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren auf Erteilung des beantragten Vorbescheids in vollem Umfang weiter.
4
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
5
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der vom Kläger allein geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht in einer Weise dargelegt, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt. Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
6
Der Kläger wendet sich mit seinem Zulassungsvorbringen zur Abgrenzung des Außenbereichs vom Innenbereich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) des Verwaltungsgerichts. In diesem Fall kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2017 – 9 ZB 17.766 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 16.9.2019 – 1 ZB 17.1690 – juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 26.10.2022 – 4 BN 22.22 – juris Rn. 16). Allein die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 15 ZB 22.1487 – juris Rn. 10). Derartige Mängel in der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung, die auf eine völlig unvertretbare Beweiswürdigung hinauslaufen, zeigt die Zulassungsbegründung nicht auf. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich das geplante dritte Gebäude (Haus 3) im planungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB und nicht – wie vom Kläger angeführt – im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB befindet.
7
Die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil voraus. Die Tatbestandsmerkmale „im Zusammenhang bebaut“ und „Ortsteil“ gehen dabei nicht ineinander auf, sondern sind kumulativer Natur. „Ortsteil“ im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Ein „Bebauungszusammenhang“ ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Ein Grundstück fällt nicht bereits deshalb unter § 34 Abs. 1 BauGB, weil es von einer zusammenhängenden Bebauung umgeben ist. Erforderlich ist vielmehr, dass das Grundstück selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, selbst also an dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Fehlt es hieran, so liegt das Grundstück zwar geographisch, nicht jedoch auch im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB „innerhalb“ eines Bebauungszusammenhangs (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – juris Rn. 11, 13 m.w.N.; BayVGH, B.v. 17.5.2022 – 15 ZB 22.832 – juris Rn. 8).
8
Einen Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können dabei nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – juris Rn. 6 f.; BayVGH, U.v. 17.11.2021 – 1 N 20.1182 – juris Rn. 18). Maßgeblich sind die konkreten örtlichen Verhältnisse und deren Würdigung (BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – juris Rn. 7); die Annahme eines Bebauungszusammenhangs im Einzelfall ist stets das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 6).
9
Von diesen o.g. Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen (UA S. 8 ff.). Nach dem beim erstinstanzlichen Augenschein am 22. August 2022 gewonnenen Eindruck kommt es unter Berücksichtigung der konkreten Örtlichkeiten, wie sie sich aus den beim Augenschein getroffenen Feststellungen und den gefertigten sowie vorgelegten Lichtbildern ergeben, zu dem Ergebnis, dass das geplante südlichste Gebäude (Haus 3) dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich zuzurechnen sei (UA S. 11 f.). Die Gegenüberstellung der lediglich gegenteiligen Bewertung der tatsächlichen Umstände durch den Kläger genügt nicht, substantiierte Zweifel an den tatsächlichen Feststellungen oder der rechtlichen Bewertung des Verwaltungsgerichts aufzuzeigen.
10
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die zahlreichen sich auf dem westlichen wie östlichen Grundstück befindlichen Nebenanlagen wie Schuppen, Lager und andere nicht der Wohnnutzung zuzuordnende, untergeordnete Nebengebäude, insbesondere auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W., weder ihrer Größe noch ihrer Funktion nach geeignet sind, maßstabsbildend zu sein. Der Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht habe die Nebengebäude nicht in der gebotenen Tiefe bewertet, lässt sich aus den Urteilsgründen nicht entnehmen. Vielmehr bezieht sich das Verwaltungsgericht mehrfach auf die vom Kläger genannten Grundstücke und bewertet die dort vorhandenen Nebengebäude. Die Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. werden vom Verwaltungsgericht als „Einfirsthof mit Nebengebäude, beide in Wohnnutzung“ mit einer Tiefe zur Orts straße von ca. 42 m berücksichtigt (UA S. 11). Allein das vom Kläger angeführte „flächenmäßig erhöhte Gewicht“ und eine optisch deutliche Sichtbarkeit des Nebengebäudes auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. genügen nach den o.g. Grundsätzen nicht, eine maßstabsbildende Wirkung nahe zu legen.
11
Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, denn das Verwaltungsgericht stellt zudem darauf ab, dass auch bei Berücksichtigung dieser Nebenanlagen das geplante Haus 3 nicht mehr innerhalb der entlang der Gebäude auf den Grundstücken FlNr. … und … Gemarkung W. zu ziehenden Grenze läge (UA S. 12). Demgegenüber will der Kläger die „Innenbereichsgrenze“ hinter der letzten Bebauung auf dem Grundstück FlNr. …3 Gemarkung W. und dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. ziehen. Das Verwaltungsgericht stellt hierzu – unabhängig von der planungsrechtlichen Lage (UA S. 13) – darauf ab, dass bei einer Linienziehung zwischen den Grundstücken FlNr. … und …2 (gemeint …3, da auf den dort befindlichen Pferdestall mit integrierter Wohnnutzung Bezug genommen wird; vgl. UA S. 13) Gemarkung W. aufgrund der Entfernung und dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck einer fehlenden Sichtbeziehung oder anderen Einwirkung nicht von einer Baulücke ausgegangen werden könne (UA S. 13 f.). Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Der bloße Verweis darauf, dass eine unbebaute Fläche von zwei bis drei Bauplätzen als Baulücke angesehen werden könne, steht dem aufgrund einer gleichwohl notwendigen Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. BVerwG, B.v. 30.8.2019 – 4 B 8.19 – juris Rn. 9), wie sie vom Verwaltungsgericht vorgenommen wurde, nicht entgegen.
12
Hinsichtlich der vom Kläger angeführten Schwimmhalle auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W. stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass diese nicht genehmigt sei. Zwar ist dem Kläger zuzustimmen, dass im Rahmen des § 34 BauGB auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen ist und eine nicht genehmigte Bebauung nur dann außer Betracht zu bleiben hat, wenn das Verhalten der zuständigen Behörde hinreichend klar ergibt, dass ihre Beseitigung im Hinblick auf die formelle und materielle Baurechtswidrigkeit absehbar ist, also kein Zweifel daran besteht, dass sich die zuständige Behörde mit dem Vorhandensein der Baulichkeit bzw. Nutzung nicht abgefunden hat (vgl. BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 12 m.w.N.). Der Kläger legt aber nicht dar, dass es sich bei der Schwimmhalle um ein zu berücksichtigendes, maßstabsbildendes Gebäude im oben genannten Sinne handelt und deren Funktion über die Funktion einer bloßen Nebenanlage hinausgeht.
13
Soweit das Zulassungsvorbringen aufgrund zahlreicher im Ortsgebiet vorhandener Nebenanlagen diese i.S.d. „Hausgarten-Rechtsprechung“ in den Bebauungszusammenhang einbeziehen will, setzt sich der Kläger nicht damit auseinander, dass es sich insoweit um „kleine“ Flächen handeln muss, die einer baulichen Hauptanlage ohne weiteres erkennbar zugeordnet sein müssen und Standorte von Nebengebäuden, die derart weit von Hauptgebäuden abgesetzt sind, dass sie außerhalb des näheren Umgriffs liegen, nicht mehr dem Innenbereich zugeordnet werden können (vgl. BayVGH, U.v. 13.1.2021 – 15 N 20.2018 – juris Rn. 19). Der pauschale Verweis in der Zulassungsbegründung auf die vorhandene Bebauung südlich der Orts straße wird dem nicht gerecht. Gegenteiliges lässt sich auch der vom Kläger angeführten Entscheidung (NdsOVG, U.v. 18.11.2021- 8 S 3331/19 – juris Rn. 27) nicht entnehmen. Da es auf Grundstücksgrenzen nicht entscheidend ankommt (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.1992 – 4 B 88.92 – juris Rn. 5), kann ein Grundstück aufgrund seiner Abmessungen eben auch nur teilweise dem Innenbereich zugeordnet werden (vgl. BayVGH, B.v. 9.6.2021 – 1 ZB 18.2158 – juris Rn. 9); es wird mithin nicht automatisch insgesamt in den Bebauungszusammenhang, der regelmäßig am letzten Baukörper endet (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 6), gezogen.
14
Auf die Ausführungen des Beklagten, das Bauvorhaben sei auch im Innenbereich unzulässig, da es als Wohnbebauung in dritter Reihe bodenrechtliche Spannungen auslöse, kommt es nicht mehr an. Die Richtigkeit der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass das Vorhaben als nicht privilegiertes Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig sei, weil es öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtige, wird vom Kläger nicht angegriffen.
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.1.1, 9.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).