Titel:
Erfolgloser Eilantrag der Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen Wohnnutzung
Normenketten:
VwGO § 123
BayBO Art. 76 S. 2
Leitsätze:
1. Allein aus einer möglichen Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs folgt keine besondere Dringlichkeit für eine vorläufige Regelung im Verfahren gem. § 123 VwGO. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die mit der Errichtung notwendiger Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sind grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarantrag auf bauaufsichtliches Einschreiten, Nutzungsuntersagung, Stellplatznutzung, einstweilige Anordnung, Gebietserhaltungsanspruch, Immissionen des Anwohnerverkehrs
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 08.12.2022 – RO 7 E 22.2690
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1978
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller begehren bauaufsichtliches Einschreiten des Landratsamts N. … … in Form einer Nutzungsuntersagung gegenüber den Beigeladenen.
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Die Beigeladenen sind Inhaber einer bestandskräftigen Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses mit sechs Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. …3 Gemarkung W. vom 6. Mai 2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 17. August 2020. Die Antragsteller sind Eigentümer des mit einem Wohngebäude bebauten östlich und nordöstlich angrenzenden Grundstücks FlNr. …1 Gemarkung W. Beide Grundstücke liegen im Gebiet des Bebauungsplans „N., Teilgebiet III, Am Pf.“ der Stadt W., der u.a. ein allgemeines Wohngebiet festsetzt.
3
Zuletzt mit Schreiben 22. Juli 2022 beantragten die Antragsteller beim Landratsamt N. … … „die Nutzung des Anwesens“ der Beigeladenen zu untersagen. Dieses teilte ihnen mit E-Mail vom 5. August 2022 mit, dass eine Nutzungsuntersagung „zum aktuellen Zeitpunkt“ unverhältnismäßig wäre.
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Mit Schriftsatz vom 2. September 2022 erhoben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RO 7 K 22.2167), über die noch nicht entschieden ist. Sie begehren insbesondere, den Antragsgegner unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 5. August 2022 zu verpflichten, die Nutzung des Wohngebäudes nebst Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. …3 Gemarkung W. zu untersagen, da dort keine genehmigte Wohnnutzung stattfinde. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. November 2022 beantragten die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Dezember 2022 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sei. Es liege weder eine Ermessensreduzierung auf null vor, noch bestünden hinreichende Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der Belastungen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.
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Die Antragsteller sind der Ansicht, durch den häufigen Mieterwechsel liege eine besonders qualifizierte Beeinträchtigung vor. Der Stellplatzverkehr finde unmittelbar an ihrer Grundstücksgrenze statt und es komme auch zur Nachtzeit zu Rangierverkehr. Dadurch seien sie unzumutbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgesetzt. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund, da es sich um eine exorbitante Lärmbelästigung gerade an der Grundstücksgrenze handle. Zudem sei die Grundflächenzahl deutlich überschritten, da mittlerweile der gesamte gepflasterte Bereich als Parkplatz benutzt werde.
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Ein ausdrücklicher Antrag wurde seitens der Antragsteller nicht gestellt.
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zu verwerfen.
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Die Beschwerde sei bereits unzulässig, da das Beschwerdevorbringen lediglich das erstinstanzliche Vorbringen wiederhole, ohne auf die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts einzugehen. Jedenfalls sei die Beschwerde unbegründet. Es sei nicht ersichtlich, weshalb ein im Vergleich zu unbefristeter Vermietung häufigerer Mieterwechsel oder die dargestellte Parksituation einen so erheblichen Grad an Beeinträchtigungen erreiche, dass eine Ermessensreduktion auf null vorliegen sollte. Die Nutzung der der genehmigten Wohnnutzung zugeordneten Stellplätze sei im Wohngebiet regelmäßig hinzunehmen. Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit seien nicht aufgezeigt worden. Privates Fehlverhalten oder Parkverstöße seien weder städtebaulich oder bodenrechtlich relevant noch mittels einer Nutzungsuntersagung des Gebäudes zu sanktionieren. Die Antragsteller hätten auch nicht dargelegt, weshalb ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar sei.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre.
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Unabhängig von der Frage, ob der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend besonders hohen Hürden unterliegt, weil die von den Antragstellern begehrte (sofort vollziehbare) Nutzungsuntersagung der Wohnnutzung eine Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten würde (vgl. HessVGH, B.v. 3.3.2016 – 4 B 403/16 – juris Rn. 10 f.), liegen die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung schon nach den allgemeinen Anforderungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vor. Die auf eine Veränderung des Status quo gerichtete Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist nur dann möglich, wenn eine vorläufige Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V. mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein materieller Anspruch (sog. Anordnungsanspruch) glaubhaft gemacht wird, auf den sich die vorläufige Regelung beziehen soll, und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine vorläufige Regelung im Wege einer gerichtlichen Eilentscheidung nötig machen (sog. Anordnungsgrund = erforderliche Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung bis zum rechtskräftigen Abschluss der Entscheidung über die Hauptsache; vgl. BayVGH, B.v. 16.2019 – 15 CE 18.2652 – juris Rn. 17). Es kann hier offenbleiben, ob ein Anordnungsanspruch, insbesondere im Hinblick auf eine geltend gemachte Ermessensreduktion auf null, besteht bzw. ob ein solcher von den Antragstellern überhaupt glaubhaft gemacht wurde, zumal es näher liegen dürfte, anstelle einer vollständigen Untersagung der genehmigten Wohnnutzung ggf. zunächst auf die Errichtung der – bislang offenbar nicht umgesetzten – vier Stellplätze auf dem westlich des Beigeladenengrundstücks liegenden Grundstück FlNr. … Gemarkung W. hinzuwirken. Es fehlt jedenfalls in Bezug auf einen von den Antragstellern behaupteten Anordnungsanspruch aus Art. 76 Satz 2 BayBO an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes.
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Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Dringlichkeit der Sache liegt in aller Regel nur dann vor, wenn es den Antragstellern im Verfahren gem. § 123 VwGO unter Berücksichtigung ihrer Interessen nicht zumutbar ist, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Allein aus einer möglichen Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs, auf den die Antragsteller mit dem Vortrag, das Gebäude werde entgegen der Baugenehmigung vom 6. Mai 2020 i.d.F. v. 17. August 2020 nicht zu Wohnzwecken genutzt, abzielen, folgt keine besondere Dringlichkeit für eine vorläufige Regelung (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 – 15 CE 18.2652 – Rn. 24). Soweit die Antragsteller auf unzumutbare Lärmbelästigungen durch die Parkplatzsituation auf dem Grundstück der Beigeladenen abstellen, lässt sich eine solche „exorbitante“ Lärmbelastung dem Beschwerdevorbringen auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Lichtbilder mit parkenden Kraftfahrzeugen nicht entnehmen. Im Übrigen setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht damit auseinander, weshalb ein Abwarten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, worauf das Verwaltungsgericht abstellt, nicht zumutbar sei. Die bloße Berufung auf Lärmbelästigungen genügt hierfür nicht, zumal das Fehlverhalten Dritter bzw. das Nichteinhalten genehmigter Parkflächen durch die Bewohner städtebaulich nicht relevant ist (vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – juris Rn. 5) und die mit der Errichtung notwendiger Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen sind (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 15 CS 22.1750 – juris Rn. 28). Darüber hinaus stellt nicht alles, was ggf. unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Nachbarrechtsschutzes als rücksichtslos und unzumutbar zu bewerten sein könnte, bereits einen für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht hinzunehmenden wesentlichen Nachteil im Sinn des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2019 a.a.O. Rn. 25).
14
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO. Da sich die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren nicht beteiligt haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selber tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie entspricht der Festsetzung des Streitwerts durch das Verwaltungsgericht, gegen die keine Einwendungen erhoben wurde.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).