Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.02.2023 – 11 ZB 22.261
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens (Parkinsonsche Krankheit) – Berufungszulassung

Normenketten:
StVG § 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 S. 1, S. 3
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 6.3
Leitsätze:
1. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ist nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und nur bei erfolgreicher Therapie gegeben. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ist nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und bei erfolgreicher Therapie gegeben. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ist grundsätzlich dauerhaft ausgeschlossen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein konkreter Hinweis darauf, dass möglicherweise schon ein fortgeschrittenes Stadium der Parkinsonschen Krankheit erreicht ist, rechtfertigt die unmittelbare Anordnung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens. Bei einer ernsthaften Befürchtung, dass jedenfalls die Therapie zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgreich war oder aber mit Nebenwirkungen einherging, die ihrerseits die Fahreignung in Frage stellten, drängt es sich nicht auf, dass Nachfragen beim Betroffenen und Auskünfte seiner behandelnden Ärzte diese Zweifel auch für einen medizinischen Laien eindeutig und restlos ausräumen könnten (vgl. dazu VGH München BeckRS 2020, 4487 Rn. 12). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Obwohl für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensanordnung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich ist, ist sie aufzuheben, soweit die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt werden und keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben (vgl. VGH München BeckRS 2016, 44189 Rn. 13). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtbeibringung eines ärztlichen Gutachtens, Parkinsonsche Krankheit, Notwendigkeit einer Vorabklärung hinsichtlich Art und Schwere der Erkrankung (verneint), Fahreignung bei Parkinsonscher Krankheit, Notwendigkeit einer Vorabklärung, eindeutige Ausräumung der Fahreignungsbedenken, keinerlei Restzweifel
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 09.12.2021 – RO 8 K 20.1444
Fundstellen:
BeckRS 2023, 1972
ZfS 2023, 234
LSK 2023, 1972

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2021 für beide Rechtszüge auf jeweils 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer 1984 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
2
Mit Schreiben vom 25. März 2020 teilte die Polizei dem Landratsamt Ch.(Fahrerlaubnisbehörde) unter Bezugnahme auf einen konkreten Vorfall am 24. März 2020 mit, die Klägerin sei an Parkinson erkrankt und leide – möglicherweise aufgrund der Medikamente – unter Schwächeanfällen, fahre aber noch Auto. Augenscheinlich könne sie nur noch schlecht gehen und auch das nur, wenn sie Tabletten genommen habe. Zudem höre sie Stimmen.
3
Daraufhin forderte das Landratsamt die Klägerin mit Schreiben vom 8. April 2020 auf, bis zum 8. Juli 2020 ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Zu klären sei, ob die Klägerin trotz einer Erkrankung an Parkinson, die die Fahreignung in Frage stelle, (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden.
4
Am 16. April 2020 zeigte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegenüber dem Landratsamt seine Vertretung an.
5
Am 20. April 2020 erteilte die Klägerin ihr Einverständnis mit einer Begutachtung durch die TÜV ... L2. Service GmbH in Deggendorf.
6
Am 1. Juli 2020 wurde dem Landratsamt bekannt, dass die Klägerin am 30. Juni 2020 nach einem Verkehrsunfall und mit einer akuten Psychose notfallmäßig wegen Eigen- und Fremdgefahr ins Bezirksklinikum R. eingewiesen worden war. Eine ärztlich für geboten gehaltene stationäre Behandlung habe sie abgelehnt. Nach der polizeilichen Erstmeldung des Unfalls schilderte die Klägerin, sie habe bei der Fahrt mit dem Auto den Eindruck gehabt, als habe sie einen Stromschlag bekommen und könne das Auto explodieren. Sie sei dann in den Hof einer Zimmerei gefahren, aus dem Auto gestiegen, habe den Gang eingelegt und das Auto führerlos gegen einen dort abgestellten Container fahren lassen. Danach sei sie zu Fuß nach Hause gegangen, wo sie ein Bekannter in verwirrtem Zustand aufgefunden habe.
7
Nachdem innerhalb der gesetzten Frist kein Gutachten vorgelegt wurde, hörte das Landratsamt die Klägerin mit Schreiben an ihren Bevollmächtigten vom 9. Juli 2020 zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis an. Darauf erfolgte keine Reaktion.
8
Mit Bescheid vom 17. Juli 2020 entzog das Landratsamt der Klägerin unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und forderte sie auf, ihren Führerschein abzuliefern. Aus der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf mangelnde Eignung zu schließen.
9
Dagegen erhob die Klägerin Anfechtungsklage, die das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 9. Dezember 2021 abwies. Das Landratsamt habe nach § 11 Abs. 8 FeV auf mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen müssen, da die Klägerin das rechtmäßig angeforderte Gutachten nicht vorgelegt habe. Aus der polizeilichen Mitteilung vom 25. März 2020 hätten sich Bedenken gegen die Fahreignung der Klägerin ergeben, die die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigten. Das Landratsamt habe sein Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und sei nicht verpflichtet gewesen, zunächst eine Vorabklärung hinsichtlich der Erkrankung der Klägerin vorzunehmen. Bei Erkrankung an Parkinson könne Fahreignung nur in leichten Fällen und bei erfolgreichem Therapieverlauf gegeben sein, aber nur für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1. Hier habe nach der polizeilichen Angabe, die Klägerin könne nur schlecht und nach Einnahme von Tabletten gehen, ein konkreter Hinweis auf ein möglicherweise fortgeschrittenes Stadium der Krankheit bestanden. Ein durchgreifender Grund für die Nichtbeibringung des Gutachtens sei nicht ersichtlich. Die gesetzte Frist von drei Monaten sei ausreichend lang bemessen gewesen. Ein rechtfertigender Grund sei auch nicht in dem Klinikaufenthalt ab dem 30. Juni 2020 zu sehen. Selbst wenn die Klägerin vor dem Unfall bereits einen Begutachtungstermin in der verbleibenden Frist vereinbart hätte, wäre eine fristgerechte Fertigstellung des Gutachtens im verbleibenden Zeitraum unmöglich gewesen und hätte die Klägerin sich mit der Bitte um eine Fristverlängerung bereits zu diesem Zeitpunkt an das Landratsamt wenden müssen. Um eine Verlängerung der Frist hätten sich jedoch weder die Klägerin noch ihr Bevollmächtigter bemüht.
10
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sowie einen Verfahrensmangel geltend.
11
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
12
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt sind (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
13
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
14
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
15
a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310, 919), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2020 (BGBl I S. 1653), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch die zum Teil zum 1. Juni 2020 in Kraft getretene Verordnung vom 5. Dezember 2019 (BGBl I S. 2008), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 2 Abs. 8 StVG, § 46 Abs. 3 FeV).
16
Nach § 11 Abs. 2 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem eines Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen.
17
Nach Nr. 6.3 der Anlage 4 zur FeV ist Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und bei erfolgreicher Therapie gegeben. Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 ist grundsätzlich dauerhaft ausgeschlossen.
18
Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden, sofern die Untersuchungsanordnung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig, und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt ist (stRspr BVerwG, U.v. 12.3.1985 – 7 C 26.83 – BVerwGE 71, 93 = juris Rn. 16; U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19; OVG NW, B.v. 17.3.2021 – 16 B 22/21 – DAR 2021, 409 = juris Rn. 5).
19
b) Davon ausgehend stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Landratsamt habe aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf mangelnde Eignung schließen müssen, nicht ernstlich in Frage.
20
aa) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die polizeiliche Mitteilung vom 25. März 2020 zum maßgeblichen Zeitpunkt der Gutachtensanordnung (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016, a.a.O. Rn. 14) hinreichenden Anlass geboten hat, ein ärztliches Fahreignungsgutachten anzuordnen. Die von der Polizei genannte Erkrankung an Parkinson stellt die Fahreignung nach Nr. 6.3 der Anlage 4 zur FeV ohne Weiteres in Frage. Wenn das Zulassungsvorbringen, grundsätzlich stehe dem Autofahren bei einer Parkinsonerkrankung nichts im Wege, das Verwaltungsgericht hätte die Bemühungen der Klägerin zur Diagnose und Therapie ihrer Erkrankung berücksichtigen müssen und die Gutachtensanordnung sei jedenfalls nicht verhältnismäßig, darauf zielen sollte, das Landratsamt habe aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zunächst eine Vorabklärung hinsichtlich Art und Schwere der Erkrankung vornehmen müssen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 17 ff.), greift dies nicht durch.
21
Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ist, wie bereits erwähnt, nur in leichten Fällen der Parkinsonschen Krankheit und nur bei erfolgreicher Therapie gegeben. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Bericht der Polizei zu ausgeprägten motorischen Störungen der Klägerin sei ein konkreter Hinweis darauf, dass möglicherweise schon ein fortgeschrittenes Stadium der Krankheit erreicht sei. Dies rechtfertige die unmittelbare Anordnung eines Gutachtens. Diese Würdigung vermag die Klägerin, die dem nichts Substantielles entgegensetzt, nicht zu erschüttern (vgl. dazu Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018 S. 177). Unabhängig davon ließ die polizeiliche Mitteilung ernsthaft befürchten, dass jedenfalls die Therapie zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgreich war oder aber mit Nebenwirkungen einherging, die ihrerseits die Fahreignung in Frage stellten. Somit drängte es sich nicht auf, dass Nachfragen bei der Klägerin und Auskünfte ihrer behandelnden Ärzte diese Zweifel auch für einen medizinischen Laien eindeutig und restlos ausräumen könnten (vgl. dazu BayVGH, B.v. 20.3.2020 – 11 ZB 20.145 – ZfSch 2020, 295 = juris Rn. 12). Hinzu kam, dass hier nach dem Bericht der Polizei eine rasche Klärung der Fahreignung geboten erschien.
22
Hinsichtlich der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen C1, C1E und CE der Gruppe 2, auf die sich die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) der Klägerin erstreckt (vgl. § 6 Abs. 6 FeV i.V.m. Abschnitt A. I. Lfd. Nr. 18 der Anlage 3 zur FeV), gelten diese Erwägungen gleichermaßen. Insoweit wäre sogar die isolierte Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. dazu Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 3 StVG Rn. 36) ohne Begutachtung in Betracht gekommen, nachdem Gesichtspunkte für eine vom Regelfall abweichende Betrachtung i.S.d. Vorbemerkung 3 zur Anlage 4 zur FeV nicht vorgetragen wurden oder ersichtlich waren (vgl. BayVGH, B.v. 2.4.2020 – 11 CS 19.1733 – juris Rn. 16). Nachdem das Landratsamt zu Gunsten der Klägerin nicht von feststehender Ungeeignetheit ausging, bedurfte es jedenfalls einer ärztlichen Begutachtung dahin, ob insoweit ein Ausnahmefall vorliegt.
23
bb) Falls die vorgenannten Einwände und der Vortrag, die Klägerin habe Vorkehrungen und medizinische Maßnahmen zur zukünftigen Verhinderung eines Schwächeanfalls wie am 24. März 2020 sowie zur Erhaltung ihrer Fahreignung ergriffen, sich darauf richten sollten, dass die ursprünglichen Bedenken des Landratsamts bis zum Bescheiderlass beseitigt worden seien, kann dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung führen. Wenn für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gutachtensbeibringungsanordnung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich ist, bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Senats zwar nicht, dass eine Beibringungsanordnung trotz Vorliegens neuer Erkenntnisse, die die ursprünglichen Zweifel an der Fahrgeeignetheit des Betroffenen entkräften, aufrechtzuerhalten ist. Vielmehr ist, soweit die ursprünglich zu Recht bestehenden Bedenken gegen die Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers auch ohne die Vorlage des geforderten Gutachtens in sonstiger Weise vollständig und – auch für den (medizinisch und psychologisch nicht geschulten) Laien nachvollziehbar – eindeutig ausgeräumt werden, die Gutachtensbeibringungsanordnung aufzuheben, weil es dann einer medizinischen und/oder psychologischen Untersuchung und der Vorlage eines Fahreignungsgutachtens offensichtlich nicht mehr bedarf. Davon ist allerdings nur dann auszugehen‚ wenn keinerlei Restzweifel hinsichtlich der Fahreignung mehr verbleiben und die ursprünglichen Bedenken eindeutig widerlegt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2016 – 11 CS 16.260 – ZfSch 2016, 295 = juris Rn. 13; B.v. 4.9.2020 – 11 ZB 19.1178 – juris Rn. 18). Hier hat die Klägerin bis zum Erlass des angegriffenen Bescheids bereits keinerlei medizinische Unterlagen zu ihrer Parkinsonerkrankung vorgelegt, die die begründeten Fahreignungszweifel ausräumen könnten.
24
Wenn die Klägerin insoweit eine gerichtliche Überprüfung ihrer Vorkehrungen vermisst, übergeht dies ihre Mitwirkungsobliegenheit und den Gehalt des § 11 Abs. 8 FeV. Dieser beinhaltet der Sache nach eine Beweisregel, der zufolge bei Weigerung eines Beteiligten, seinen notwendigen Teil zur Sachaufklärung beizutragen, die behauptete bzw. als möglicher Fahreignungsmangel im Raum stehende und daher aufzuklärende Tatsache als erwiesen angesehen werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 18.1.2023 – 11 B 22.1153 – juris Rn. 25; NdsOVG, B.v. 6.4.2017 – 12 PA 199/16 – DAR 2017, 339 = juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 18.3.1982 – 7 C 70.79 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 63 = juris Rn. 26). Dies schließt eine Verpflichtung der Fahrerlaubnisbehörde wie des Gerichts zur Ermittlung alternativer Erkenntnisse zur Fahreignung aus. Vergleichbares gilt, wenn die Klägerin darüber hinaus meint, das Verwaltungsgericht hätte sich davon überzeugen müssen, dass sie sowohl motorisch als auch psychisch in der Lage sei, ein Fahrzeug zu steuern. Die Klärung von Eignungszweifeln ist nach der Systematik des Fahrerlaubnisrechts grundsätzlich im Behördenverfahren durch ein vom Betroffenen vorzulegendes Fahreignungsgutachten i.S.d. § 11 Abs. 2 FeV zu leisten. Dazu diente hier gerade die angeordnete, aber unterbliebene Beibringung eines ärztlichen Gutachtens.
25
cc) Soweit die Klägerin einwendet, sie habe alle notwendigen Maßnahmen zur fristgerechten Vorlage des Gutachtens ergriffen, sei dann jedoch durch den stationären Krankenhausaufenthalt daran gehindert worden, vermag sie damit nicht durchzudringen. An sich kann eine schwere Erkrankung zwar ein ausreichender Grund sein, um ein angefordertes Gutachten nicht fristgerecht vorzulegen (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.291 – ZfSch 2010, 594 = juris Rn. 34). Das Landratsamt hat im Eilverfahren jedoch vorgetragen, die Fertigstellung des Gutachtens benötige erfahrungsgemäß 10 bis 14 Tage ab dem Begutachtungstermin. Im Anschluss daran hat das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil angenommen, selbst dann, wenn zum Zeitpunkt des Unfalls am 30. Juni 2020 eine Begutachtung vor Fristablauf am 8. Juli 2020 vereinbart gewesen sein sollte, wäre die fristgerechte Vorlage des Gutachtens nicht sichergestellt gewesen. Daher hätte die Klägerin schon zu diesem Zeitpunkt eine Fristverlängerung beim Landratsamt beantragen müssen. Damit setzt sich der Antrag auf Zulassung der Berufung bereits nicht auseinander. Unabhängig davon fehlt es aber auch an substantiiertem Vortrag dazu, dass zum Zeitpunkt der stationären Unterbringung ein Begutachtungstermin abgesprochen war. Der Verweis auf eine Anmeldung bei der Begutachtungsstelle genügt insoweit nicht. Ferner hätte es jedenfalls dem Bevollmächtigten bei einer solchen Sachlage oblegen, vor Fristablauf und erst recht auf die Anhörung zu Fahrerlaubnisentziehung hin eine Fristverlängerung zu beantragen. Dies ist hier unterblieben.
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dd) Das Landratsamt war entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht gehalten, aufgrund seiner Kenntnis von der stationären Unterbringung der Klägerin die Beibringungsfrist ohne Antrag gemäß Art. 31 Abs. 7 BayVwVfG zu verlängern (vgl. zur Fristverlängerung auch BayVGH, B.v. 5.5.2022 – 11 CS 22.927 – juris Rn. 29). Nach dem Vorstehenden war nicht davon auszugehen, dass die Unterbringung und die zu Grunde liegende psychotische Symptomatik ursächlich für das Verstreichen der mit drei Monaten ohnehin großzügig bemessenen Frist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.11.2021 – 11 CS 20.1780 – BeckRS 2020, 32705 Rn. 30) war. Nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens war vielmehr nicht zu erwarten, dass die Klägerin zu einer Mitwirkung an der Klärung der Eignungszweifel noch bereit und in der Lage war. Ferner bekräftigte der Vorfall vom 30. Juni 2020 die Eignungszweifel und durfte das Landratsamt sich davon leiten lassen, dass Eignungszweifeln so zeitnah wie möglich nachzugehen ist, da insofern die Abwendung möglicher Gefahren auch für andere Verkehrsteilnehmer in Frage steht (BayVGH, B.v. 5.5.2022, a.a.O. Rn. 27).
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ee) Ohne Erfolg macht die Klägerin unter dem Gesichtspunkt der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend, es fehle an einer individuellen Begründung und Abwägung der widerstreitenden Interessen. Dieser Einwand zielt auf einen Begründungsmangel i.S.d. § 138 Nr. 6 VwGO und damit auf einen Verfahrensfehler. Damit vermag die Klägerin auch dann nicht durchzudringen, wenn man zu Grunde legt, dass auch Verfahrensfehler Richtigkeitszweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO begründen können (vgl. dazu Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 80; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 VwGO Rn. 8, 47; OVG Berlin-Bbg, B.v. 5.5.2004 – 2 A 805/01.Z – juris Rn. 5; aA Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 16). Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen im Urteil die Gründe schriftlich niedergelegt werden, die für die richterliche Überzeugungsbildung leitend gewesen sind. Sinn dieser Regelung ist es zum einen, die Beteiligten über die dem Urteil zu Grunde liegenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu unterrichten, und zum anderen, dem Rechtsmittelgericht die Nachprüfung der Entscheidung auf ihre inhaltliche Richtigkeit in prozessrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht zu ermöglichen. Nicht mit Gründen versehen im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO ist eine Entscheidung deshalb nur, wenn sie so mangelhaft begründet ist, dass die Entscheidungsgründe ihre doppelte Funktion nicht mehr erfüllen können. Das ist nur der Fall, wenn sie vollständig oder zu wesentlichen Teilen des Streitgegenstands fehlen oder rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst derart unbrauchbar sind, dass sie unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Hingegen liegt ein Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (st. Rspr., vgl. BVerwG, B.v. 5.6.1998 – 9 B 412.98 – NJW 1998, 3290 = juris Rn. 5, B.v. 25.9.2013 – 1 B 8.13 – juris Rn. 16; Kraft in Eyermann, VwGO, § 138 Rn 54 ff.). Ein solcher Mangel ist hier bereits nicht dargetan, aber auch nicht ersichtlich.
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ff) Mit dem Vorbringen, sie sei auf die Fahrerlaubnis angewiesen, vermag die Klägerin die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Zweifel zu ziehen. Da nach § 11 Abs. 8 FeV davon auszugehen ist, dass ihr die Fahreignung fehlt, ist die daran anknüpfende Entziehung der Fahrerlaubnis zum Schutz von Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer zwingend und verhältnismäßig. Im Hinblick auf den hohen Rang dieser Rechtsgüter haben das Mobilitätsbedürfnis der Klägerin und die Bedeutung der Fahrerlaubnis für ihre Lebensführung dahinter zurückzustehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris Rn. 6; B.v. 15.10.1998 – 2 BvQ 32/98 – BayVBl 1999, 463 = juris Rn. 5, zu einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO; BayVGH, B.v. 17.2.2020 – 11 CS 19.2220 – juris Rn. 17; OVG NW, B.v. 22.5.2012 – 16 B 536/12 – juris Rn. 33).
29
2. Schließlich liegt auch der gerügte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) nicht vor.
30
Die Klägerin sieht eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) darin, dass das Verwaltungsgericht schriftsätzlich benannte Zeugen für die Richtigkeit ihres Sachvortrags nicht einvernommen habe.
31
Da das Verwaltungsgericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 101 Abs. 2 VwGO) und die Klägerin nach dem Verzicht auf die mündliche Verhandlung schriftsätzlich keinen Beweisantrag gestellt hat (vgl. dazu BVerwG, U.v. 30.5.1989 – 1 C 57.87 – BVerwGE 82, 117 = juris Rn. 12), könnte das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht allein dann verletzt haben, wenn sich ihm von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus eine weitere Ermittlung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 4 = juris Rn. 9; B.v. 15.1.2008 – 9 B 7.07 – NVwZ 2008, 675 = juris Rn. 3; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, § 124 Rn. 191). Dies ist hier bereits nicht dargelegt, aber auch nicht der Fall. Dass die Klägerin auf eine mündliche Verhandlung verzichtet hat, konnte aus Sicht des Verwaltungsgerichts nur bedeuten, dass sie selbst sich von einer Zeugeneinvernahme nichts versprach (vgl. BFH, B.v. 16.2.2011 – X B 133/10 – BFH/NV 2011, 995 = juris Rn. 6 f.). Abgesehen davon hatte die Klägerin in der Klageschrift allein eine Beweiserhebung zu dem Thema angeregt, dass die Begutachtung innerhalb der Frist an dem stationären Aufenthalt der Klägerin scheiterte, ein neuer Termin jedoch ohne Probleme hätte vereinbart werden können. Darauf kam es nach dem insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Standpunkt des Verwaltungsgerichts jedoch nicht an. Dieses ging, wie ausgeführt, davon aus, dass eine fristgerechte Vorlage des Gutachtens auch bei einer geplanten Begutachtung zwischen dem Unfall am 30. Juni 2020 und dem Ablauf der Frist am 8. Juli 2020 nicht gewährleistet war und die Klägerin daher gehalten gewesen wäre, schon vorher eine Fristverlängerung zu beantragen.
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3. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
33
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 46.3, 46.5 des Streitwertkatalogs 2013. Gegenstand der Entziehung ist eine 1984 erteilte Fahrerlaubnis der Klasse 3. Diese umfasst nach Abschnitt A. I. Lfd. Nr. 18 der Anlage 3 zur FeV die Fahrerlaubnisklassen A, A1, AM, B, BE, C1, C1E, CE sowie L. Maßgeblich sind davon die Klassen B/BE sowie C1/C1E, für die nach den Nummern 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs jeweils der Auffangwert von 5.000,- Euro anzusetzen ist. Die Fahrerlaubnis der mit den Schlüsselzahlen 79.03, 79.04 versehenen Klassen A und A1 sowie die Führerscheinklasse CE mit der Schlüsselzahl 79 (C1E > 12 000 kg, L ≤ 3) wirken sich hingegen nicht streitwerterhöhend aus (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – BayVBl 2014, 373 = juris Rn. 22 ff.). Gleiches gilt für die nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 FeV von der Fahrerlaubnisklasse B eingeschlossenen Unterklassen AM und L. Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
34
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).