Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 03.07.2023 – 2 Ta 52/23
Titel:

Streitwert – Vergleichswert – Sozialplanabfindung – anzurechnende Beschäftigungszeit

Normenketten:
GKG § 42, § 63
KSchG § 9, § 10
Leitsatz:
Eine Abfindung entsprechend § 9, § 10 KSchG, die ergänzend zu den Ansprüchen aus dem Sozialplan zu zahlen ist, ist nicht streitwerterhöhend. Hingegen kann eine Vereinbarung über die zu zahlende Abfindung aus dem Sozialplan zu einer Werterhöhung führen. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, Sozialplanabfindung, Abfindung, Vergleichsmehrwert, Abgeltungsklausel, Anrechnung von Vordienstzeiten
Vorinstanz:
ArbG Nürnberg, Beschluss vom 02.05.2023 – 13 Ca 4022/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19720

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 02.05.2023, Az. 13 Ca 4022/22, abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Der Streitwert für das Verfahren wird auf 12.300,- € festgesetzt. Der Wert für den Vergleich wird auf 28.300,- € festgesetzt.

Gründe

A.
1
Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung zum 28.09.2022. Das monatliche Bruttoeinkommen hatte der Klägervertreter mit 4.100,- € angegeben.
2
Mit Beschluss vom 02.05.2023 wurde das Zustandekommen eines Vergleichs vom Gericht festgestellt. Der Vergleich lautet wie folgt:
„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 28.09.2022 unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.01.2023 beendet wurde.
2. Im Wege des Tatsachenvergleichs sind sich die Parteien darüber einig, dass als Eintrittsdatum für das zum 31.01.2023 beendete Arbeitsverhältnis der 01.11.2010 gilt.
3. Als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und ergänzend zu den Ansprüchen aus dem Sozialplan zwischen der Beklagten und dem dortigen Betriebsrat vom 28.02.2022 erhält der Kläger eine zusätzliche Abfindung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern, d.h. in Höhe von € 7.112,54 brutto.
4. Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit Erfüllung des vorstehenden Vergleichs sämtliche finanziellen Ansprüche gegeneinander aus dem Arbeitsverhältnis und anlässlich seiner Beendigung abgegolten und erledigt sind. Dies umfasst auch sämtliche Ansprüche des Klägers aus dem vorgenannten Sozialplan bei der Beklagten vom 28.02.2022 oder sonstigen, mit der Betriebsänderung bei der Beklagten zusammenhängenden Ansprüche.
5. Damit ist der Rechtstreit erledigt.
6. Die Kosten des Rechtstreits werden gegeneinander aufgehoben.“
3
Mit Beschluss vom 02.05.2023 wurde der Streitwert für das Verfahren auf 12.300,- € festgesetzt. Ein überschießender Vergleichswert wurde nicht festgesetzt.
4
Mit Schreiben vom 15.05.2023, beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen am selben Tag, legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Streitwertbeschwerde ein. Er ist der Ansicht, dass ein überschießender Vergleichswert anzusetzen sei, da die Parteien darüber gestritten hätten, ob die frühere Betriebszugehörigkeit des Klägers seit 01.01.2002 bei der Ermittlung der Abfindung zu berücksichtigen sei. Es sei davon auszugehen, dass die Abfindungsdifferenz 16.000,00 € brutto entsprochen hätte. Im Ergebnis hätten sich die Parteien auf 7.112,54 € in Ziffer 3 des Vergleichs geeinigt. Zu der Streitwertbeschwerde erhielt die Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme und teilte mit Schreiben vom 24.05.2023 mit, dass keine Einwände gegen die Ausführungen des Klägervertreters in seiner Streitwertbeschwerde bestünden.
5
Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 25.05.2023 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Ein überschießender Vergleichswert sei auch nicht wegen des Streits um die Beschäftigungsdauer festzusetzen. Denn auch bei einer Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9,10 KSchG sei als Bemessungskriterium die Beschäftigungsdauer genannt. Die Vereinbarung einer Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG erhöhe den Wert des Vergleichs jedoch nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
6
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Beklagtenvertreterin bestätigte mit Schriftsatz vom 12.06.2023 die Ausführungen des Klägervertreters in der Beschwerde. Die Parteien hätten sich außergerichtlich neben der Wirksamkeit der Kündigung auch über die Höhe der Sozialplanabfindung in Abhängigkeit von einer früheren Betriebszugehörigkeit auseinandergesetzt. Die Anrechnung dieser Betriebszugehörigkeit hätte zu einer Abfindungsdifferenz von ca. 16.000,- € geführt. Über diese Differenz sei mit der Erledigungsklausel in Ziffer 4 des Vergleichs eine Einigung erzielt worden. Der Klägervertreter schloss sich mit Schriftsatz vom 19.06.2023 dieser Auffassung an.
B.
7
I. Die Beschwerde ist zulässig.
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Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
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II. Die Beschwerde ist begründet. Es ist ein überschießender Vergleichswert von 16.000,- € anzusetzen.
10
1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498, im folgenden SWK). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
11
2. Den Wert für das Verfahren hat das Arbeitsgericht zutreffend mit dem Vierteljahreseinkommen bemessen (§ 42 Abs. 2 Satz 1 1.HS GKG; I.20 SWK). Dies ist auch nicht im Streit.
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3. Der Vergleich war allerdings mit einem zusätzlichen Wert von 16.000,- € zu bewerten.
13
a. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass die Vereinbarung der Abfindung in Ziffer 3 des Vergleichs nicht streitwerterhöhend wirkt. Denn es handelt sich insoweit um eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG (§ 42 Abs. 2 Satz 1 2.HS GKG; Ziff. I. Nr. 1 SWK), die nach dem Wortlaut des Vergleichs ergänzend zu den Ansprüchen aus dem Sozialplan zu zahlen ist.
14
b. Der Vergleich enthält aber auch eine Vereinbarung über die zu zahlende Abfindung aus dem Sozialplan. Eine solche Vereinbarung kann nach Ziff. I Nr. 1 SWK zu einer Werterhöhung führen.
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aa. Eine Einigungsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit fällt gem. Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages an, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis oder einen Rechtsanspruch beseitigt wird. Dem tragen die Regelungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert nur festzusetzen ist, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
16
bb. Zwischen den Parteien bestand Streit über die Dauer der Beschäftigungszeit, die auch für die Höhe der Sozialplanabfindung relevant war. Dies hatte die Beklagtenvertreterin bereits im Schriftsatz vom 06.03.2023 mitgeteilt. Die Anrechnung der Vorbeschäftigungszeiten ab 01.01.2002 trotz einer Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses von 13 Monaten auf Grund einer (streitigen) Zusage hätte zu einer um ca. 16.000,- € höheren Sozialplanabfindung geführt. Mit der Einigung auf den Beginn des Arbeitsverhältnisses im Wege des Tatsachenvergleichs auf den 01.11.2010, der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Vereinbarung der Erledigungsklausel in Ziffer 4 des Vergleichs haben die Parteien diesen außergerichtlichen Streit erledigt.
C.
17
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
18
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.