Titel:
Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung von drei Reihenhäusern
Normenketten:
VwGO § 173 S. 1
ZPO § 264 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung mit der Maßgabe, dass die geltenden Abstandsflächen eingehalten werden, ist auf ein materiell-rechtlich unzulässiges Ziel gerichtet. Eine Baugenehmigung mit einer Nebenbestimmung, die dem Kläger eine Mannigfaltigkeit der Ausführungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Abstandsflächen überlässt, ist dem Baurecht wesensfremd. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist durch die Versagung einer Schriftsatzfrist nur dann verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten infolge dessen nicht die Möglichkeit hatten, sich sachgemäß und erschöpfend zu einem bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Änderung eines Bauantrags im laufenden gerichtlichen Verfahren ist nur zulässig, wenn die Änderungen nicht erheblich sind. Erheblich sind Änderungen, die Anlass zu einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens durch die Baugenehmigungsbehörde bieten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klageänderung, Änderung eines Bauantrags im gerichtlichen Verfahren, Schriftsatzfrist, Rechtliches Gehör, Rechtsschutzbedürfnis, Abstandsfläche
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 08.07.2021 – M 11 K 19.3278
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1968
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 30.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau von drei Reihenhäusern nebst Garagen und Stellplätzen unter Abbruch eines bestehenden Wohn- und Betriebsgebäudes auf den Grundstücken FlNr. …156, …314, …315, …322, …323 und …324, Gemarkung K.
2
Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der für die Vorhabengrundstücke ein Mischgebiet festsetzt. Der Kläger reichte im Genehmigungsfreistellungsverfahren Unterlagen und Pläne für die Errichtung von drei Reihenhäusern mit Garagen und Stellplätzen auf den Vorhabengrundstücken ein. Der Beigeladene verweigerte sein Einvernehmen hierzu und teilte dem Landratsamt mit, dass ein Genehmigungsverfahren durchgeführt werden solle. Das Landratsamt lehnte die Baugenehmigung mit Bescheid vom 4. Juni 2019 ab. Das Vorhaben entspreche nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Durch die Ersetzung des Bestandsgebäudes, das als Dentallabor genehmigt worden sei, mit drei Reihenhäusern werde der Mischgebietscharakter verletzt. Das Durchmischungsverhältnis verschiebe sich durch das geplante Vorhaben sowohl im Verhältnis der Grundflächen, der Geschossflächen als auch der Anzahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden übergewichtig in Richtung der Nutzungsart „Wohnen“. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage.
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Das Verwaltungsgericht wies die Beteiligten mit Schreiben des Berichterstatters vom 29. Juni 2021 darauf hin, dass vor dem Hintergrund der zum 1. Februar 2021 in Kraft getretenen Neuregelung in der Bayerischen Bauordnung ein Abstandsflächenverstoß in Betracht komme. Den in der mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2021 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung einer Schriftsatzfrist von drei Wochen, um vom Architekten neu gezeichnete, den geänderten abstandsrechtlichen Vorschriften angepasste Bauvorlagen dem Gericht vorzulegen, lehnte das Verwaltungsgericht ab. Der Kläger beantragte zuletzt, den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids zu verurteilen, die abgelehnte Baugenehmigung mit der Maßgabe zu erteilen, dass die nach der seit dem 1. Februar 2021 geltenden BayBO einzuhaltenden Abstandsflächen zur Grundstücksgrenze zum Grundstück FlNr. …28 eingehalten werden. Der Beklagte und die Beigeladene stimmten der Klageänderung nicht zu.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Änderung des Klagebegehrens stelle eine Klageänderung da, die mangels Einwilligung der Beteiligten und mangels Sachdienlichkeit unzulässig sei. Die ursprüngliche Klage wäre unbegründet, da das Vorhaben wegen eines Verstoßes gegen die Abstandsflächen nicht genehmigungsfähig sei.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und des Vorliegens eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Dies ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen.
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Es kann dabei offenbleiben, ob hier die Änderung des Antrags während des laufenden gerichtlichen Verfahrens wegen geänderter rechtlicher Rahmenbedingungen der Regelung des § 264 Nr. 3 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO unterfällt. Denn der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag (§ 103 Abs. 3 VwGO) auf Erteilung einer Baugenehmigung mit der Maßgabe, dass die geltenden Abstandsflächen eingehalten werden ist, ist auf ein materiell-rechtlich unzulässiges Ziel gerichtet, sodass ihm jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Durch eine Baugenehmigung wird ein konkretes Bauvorhaben zugelassen, das durch den Bauantrag des Bauherrn zur Genehmigung gestellt wird. Die Vorgaben an den Bauantrag (vgl. Art. 64 Abs. 2 BayBO), insbesondere, dass die zur Genehmigung gestellten Pläne die vermaßten Umrisse und Höhen enthalten müssen, ergeben sich aus der auf Art. 80 Abs. 4 BayBO beruhenden BauVorlV. Anhand dieser Unterlagen wird die Genehmigungsbehörde in die Lage versetzt, die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den im vereinfachten Genehmigungsverfahren maßgeblichen Vorschriften (Art. 59 BayBO), insbesondere die Einhaltung nachbarschützender abstandsflächenrechtlicher Vorschriften, prüfen zu können. Die Prüfung ist Bestandteil des Baugenehmigungsverfahrens und muss daher grundsätzlich vor Erteilung der Baugenehmigung abgeschlossen sein (vgl. zur Legalisierungs- bzw. Tatbestandswirkung der Baugenehmigung NdsOVG, B.v. 16.11.2022 – 1 ME 70/22 – juris Rn. 16; SächsOVG, B.v. 10.6.2021 – 1 B 217/21 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 7.2.2020 – 15 CS 19.2013 – juris Rn. 29). Eine Baugenehmigung mit einer Nebenbestimmung, die dem Kläger eine Mannigfaltigkeit der Ausführungsmöglichkeiten im Hinblick auf die Abstandsflächen überlässt, ist dem Baurecht wesensfremd.
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2. Die vom Kläger als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage, ob § 264 Nr. 3 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO bei Gesetzesänderungen einschlägig sei, ist aus den vorstehenden Gründen bereits nicht entscheidungserheblich.
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3. Die vom Kläger behaupteten Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt.
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Der Kläger sieht sinngemäß einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) darin, dass entgegen § 139 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 173 Satz 1 VwGO der richterliche Hinweis zur Abstandsflächenproblematik erst unmittelbar vor der mündlichen Verhandlung ergangen sei und es ihm daher nicht möglich gewesen sei, hierauf angemessen zu reagieren und die Ablehnung der Schriftsatzfrist zu Unrecht erfolgt sei.
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Mit diesen Ausführungen wird ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Unabhängig davon, dass § 139 Abs. 1 ZPO im Verwaltungsprozess keine Anwendung findet, da mit § 86 Abs. 3 VwGO eine im Wesentlichen entsprechende, eigenständige Regelung besteht, zeigt das Zulassungsvorbringen hierzu keinen Verfahrensfehler auf. Das Verwaltungsgericht hat den Kläger im unmittelbaren Vorfeld der mündlichen Verhandlung auf die Abstandsflächenthematik hingewiesen. Die auf die Versagung einer Schriftsatzfrist gestützte Rüge einer Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) greift nicht durch. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in diesem Zusammenhang nur dann verletzt, wenn die Verfahrensbeteiligten infolge der Ablehnung einer Schriftsatzfrist nicht die Möglichkeit hatten, sich sachgemäß und erschöpfend zu einem bis zur Entscheidung nicht erörterten rechtlichen Gesichtspunkt zu äußern, den das Gericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der der davon betroffene Verfahrensbeteiligte nach dem bis zu diesem Zeitpunkt gegebenen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, B.v. 18.8.2010 – 1 BvR 3268/07 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 36).
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Hieran gemessen liegt in der Versagung der Schriftsatzfrist kein Gehörsverstoß. Die Schriftsatzfrist sollte nach dem Vortrag des Klägers dazu dienen, dass er die Planunterlagen im Hinblick auf die geänderten Abstandsflächenvorschriften durch seinen Architekten überarbeiten lassen und angepasste Pläne vorlegen könne. Unabhängig davon, dass der anwaltlich vertretene Kläger hinreichend Zeit hatte, seine Planung an die seit 1. Februar 2021 geltenden abstandsflächenrechtlichen Bestimmungen anzupassen, konnte das Verwaltungsgericht zu Recht den Antrag auf Nachlass einer Schriftsatzfrist ablehnen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Änderung des Bauantrags im laufenden gerichtlichen Verfahren nur zulässig ist, wenn die Änderungen nicht erheblich sind. Erheblich sind Änderungen, die Anlass zu einer erneuten Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens durch die Baugenehmigungsbehörde bieten (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2001 – 2 B 99.933 – BayVBl 2002, 22; U.v. 25.8.1989 – BayVBl 1990, 597). Hier stand eine wesentliche Änderung des Bauantrags im Raum, da eine erneute Überprüfung der Einhaltung der Abstandsflächen auf der Grundlage der geänderten Planung zu erwarten ist. Da der geänderte Antrag in zulässiger Weise ohnehin nicht ins Verfahren einbezogen werden konnte, erfolgte die Ablehnung der hierauf gerichteten Schriftsatzfrist zu Recht.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).