Titel:
Stufenklage und Auskunft betreffend Prämienanpassungen in der privaten Krankenversicherung
Normenketten:
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 254, § 260
VVG § 203
Leitsätze:
1. Eine Stufenklage gem. § 254 ZPO und damit die einstweilige Befreiung von der Bezifferungspflicht des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist nur statthaft, wo die in der ersten Stufe begehrte Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs, nicht der Beschaffung von Informationen zu dessen Bestehen dient. Eine solche Informationsbeschaffung stellt eine reine unzulässige Ausforschung dar (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2021, 40312; OLG Dresden BeckRS 2022, 8743; OLG Nürnberg BeckRS 2022, 7415; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 13737; OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 34651). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dient die nach der Konzeption des § 254 ZPO als bloßes Hilfsmittel für die (noch) ausstehende Bezifferung des Leistungsanspruchs anzusehende Auskunft dem alleinigen Zweck, die Prüfung und Durchsetzung etwaiger Erstattungsansprüche aus nicht bereits feststehenden, sondern lediglich in Betracht kommenden bzw. klägerseits vermuteten unwirksamen Beitragserhöhungen zu ermöglichen, ist für eine Umdeutung in eine objektive Klagehäufung mit isoliertem – zulässigem – Auskunftsantrag und weiteren unbestimmten – unzulässigen, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO – Klageanträgen kein Raum (Anschluss an OLG Stuttgart BeckRS 2022, 51512; Abgrenzung zu BGH BeckRS 2000, 2971). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Prämienanpassung, Stufenklage, Auskunftsklage, Umdeutung
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 18.05.2022 – 63 O 149/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19641
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 18.05.2022, Az. 63 O 149/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil nicht gegeben ist.
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Die trotz der verwendeten Textbausteine noch zulässige Berufung ist unbegründet.
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1. Die erhobene Klage ist insgesamt bereits unzulässig.
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a) Eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO und damit die einstweilige Befreiung von der Bezifferungspflicht des § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist nur statthaft, wo die in der ersten Stufe begehrte Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs, nicht der Beschaffung von Informationen zu dessen Bestehen dient (vgl. Greger in Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 254 Rn. 4; Becker-Eberhard in MünchKomm ZPO, 6. Auflage 2020, § 254 Rn. 6 f., jeweils m. w. N.).
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Vorliegend geht es dem Kläger indessen um den Erhalt von Unterlagen, die eine Anspruchsprüfung erst ermöglichen sollen. Eine solche Informationsbeschaffung stellt eine reine unzulässige Ausforschung dar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.1 1.2021, Az. 20 U 269/21, Rn. 5; OLG Dresden, Urteil vom 29.03.2022, Az. 4 U 1905/21, Rn. 62; OLG Nürnberg, Urteil vom 14. März 2022, Az. 8 U 2907/2, Rn. 33 f.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 04.05.2022, Az. 1 1 U 239/21, Rn. 3 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.11.2022, Az. 12 U 305/21, Rn. 35). Es fehlt dem klägerischen Vorbringen nicht lediglich an einer Bezifferung, sondern schon an einer hinreichend substantiierten Beschreibung der Grundlage eines Rückzahlungsanspruchs und demzufolge an der Bestimmtheit des Antrags (vgl. OLG München, Beschluss vom 24.1 1 2021, Az. 14 U 6205/21, Rn. 71).
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So hat der Kläger bereits nicht ausreichend konkret behauptet, in den Jahren 2013, 2016, 2018 und 2019, für die er (noch) in der ersten Stufe Auskunft begehrt, tatsächlich von Beitragserhöhungen der Beklagten betroffen gewesen zu sein. Auch hat er nicht schlüssig vorgetragen, dass es ihm nur um die Höhe der Anpassungen geht. Im Gegenteil: Erstinstanzlich hat der Kläger wie folgt vorgetragen (vgl. § 6 der Klageschrift vom 29.09.2021):
"Ohne die mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Auskunft kann die Klägerseite nicht beurteilen, ob Beitragsanpassungen in Jahren, in denen die Beklagte ordnungsgemäße Begründungen im Sinne von 203 Abs. 5 VVG erstellt hat, bereits einer wirksamen Ermächtigungsgrund/age ermangeln und daher aus anderen Gründen unwirksam sind. “
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In der Berufungsbegründung vom 21.11.2022 wird auf Seite 12 ausdrücklich ausgeführt, dass der Kläger anhand der von ihm geleisteten Zahlungen nicht feststellen könne, ob die Erhebung von etwaigen Mehrbeträgen auf einer Beitragsanpassung oder auf anderen Gründe beruhe. Die Ermöglichung dieser Feststellung betrifft aber gerade keine Frage der bloßen Bezifferung, sondern schon der Existenz eines Erstattungsanspruchs dem Grunde nach. Seitens des Klägers wird auch nicht substantiiert dargelegt, dass er bislang von einer tatsächlichen oder gerichtlich festgestellten Unwirksamkeit von Beitragsanpassungen betroffen gewesen wäre, von der auf eine Unwirksamkeit weiterer Beitragsanpassungen hätte geschlossen werden können. Auch hieraus ergibt sich der bloße Ausforschungscharakter der hier erhobenen Stufenklage. Aus diesem Grund liegt der in § 254 ZPO vorgesehene Ausnahmefall, in dem entgegen § 253 Abs. 2 ZPO von der Bezifferung eines Leistungsantrags abgesehen werden kann, nicht vor.
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Auch das wahllose Abdrucken von Tabellen/Screenshots (vgl. Berufungsbegründung S.7 f.) ändert nichts an dieser Bewertung. Zum einen ist schon zweifelhaft, ob es sich hier überhaupt um ausreichend substantiierten Sachvortrag handelt. Jedenfalls fehlt es hier an ausreichendem Beweisangebot (das angebotene Sachverständigen-Gutachten wird nicht zu einer Klärung führen) zum von der Beklagten ausreichend bestrittenen Sachvortrag. Überdies ist der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Vortrag auch verspätet erfolgt.
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b) Die Unzulässigkeit der Stufenklage hat in der konkreten Konstellation zudem zur Folge, dass sämtliche zugehörigen Anträge unzulässig sind und insbesondere der Auskunftsantrag nicht isoliert als zulässig aufrechterhalten zu werden vermag.
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aa) Zwar kommt bei einer unzulässigen Stufenklage grundsätzlich eine Umdeutung in eine ungestufte objektive Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in Betracht (vgl. Becker-Eberhard in MünchKomm ZPO, 6. Auflage 2020, § 254 Rn. 7; BGH, Urteil vom 02.03.2000, Az. ZR 65/99 = NJW 2000, 1645). Dies gilt jedoch nicht, wenn nach dem Rechtsschutzziel der Klagepartei die Verbindung von Auskunfts- und Leistungsantrag derartig eng sein sollte, dass die gesamte Rechtsverfolgung mit dieser Stufung „stehen und fallen“ sollte (vgl. BGH a.a.O., NJW 2000, 1645, 1646). So liegt es hier: Dient die nach der Konzeption des § 254 ZPO als bloßes Hilfsmittel für die (noch) ausstehende Bezifferung des Leistungsanspruchs anzusehende Auskunft dem alleinigen Zweck, die Prüfung und Durchsetzung etwaiger Erstattungsansprüche aus nicht bereits feststehenden, sondern lediglich in Betracht kommenden bzw. klägerseits vermuteten unwirksamen Beitragserhöhungen zu ermöglichen, ist für eine Umdeutung in eine objektive Klagehäufung mit isoliertem (zulässigem) Auskunftsantrag und weiteren unbestimmten (unzulässigen, § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO) Klageanträgen kein Raum. Für eine solch enge Verknüpfung von Auskunfts- und Leistungsantrag spricht auch der Umstand, dass die Rechtshängigkeit allein des Auskunftsantrags keine Verjährungshemmung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB für den Feststellungs- und den Leistungsanspruch herbeiführen würde; diese Wirkung kommt nur der Stufenklage zu (vgl. BGH, Urteil vom 24.01 .2019, Az. IX ZR 233/17, Rn. 12). Nachdem die Frage der Verjährung für die Erfolgsaussichten der nach Erhalt der Auskunft beabsichtigten Geltendmachung von Rückzahlungsansprüchen – gerade bei länger zurückliegenden Beitragsanpassungen – von essentieller Bedeutung ist, hat der Kläger ein erhebliches Interesse daran, den Feststellungs- und Leistungsantrag so früh wie möglich rechtshängig zu machen und die Auskunftsklage gerade nicht isoliert zu erheben. Dementsprechend bestand das mit der Stufenklage ursprünglich und eigentlich verfolgte Rechtsschutzziel neben der Beschaffung von Informationen fraglos darin, sich die Durchsetzbarkeit etwaiger Rückzahlungsansprüche aus Beitragsanpassungen der Jahre 2013 und 2016 bereits ab 01.01.2018 zu sichern. Dies wäre durch eine isolierte Auskunftsklage von vornherein nicht zu erreichen gewesen.
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Dass mit der begehrten Auskunft (auch) ein anderer Zweck verfolgt wird, als die tatsächlichen Grundlagen einer vermeintlichen und nicht feststehenden unwirksamen Beitragsanpassung auszuforschen, ist trotz des mit Verfügung vom 16.02.2023 erteilten Hinweises weder ausreichend vorgetragen noch ersichtlich. Ein Rechtschutzbedürfnis für die begehrte Auskunft ist daher auch bei isolierter Betrachtung nicht dargetan, auch nicht im Rahmen des Schriftsatzes vom 28.02.2022.
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bb) Ohne dass es hierauf entscheidend ankommt, fehlt es auch an einem Nachweis, dass der Kläger nicht mehr im Besitz der begehrten Unterlagen ist. Der Kläger hat einerseits (konkludent) behauptet, dass ihm die relevanten Unterlagen nicht mehr vorlägen, gleichzeitig jedoch vorgetragen, dass ihm eine Teilbezifferung möglich wäre, er dies aber bis zum Zeitpunkt der Auskunft zurückstelle (S. 3 und 19 ff. der Klageschrift) und er deshalb ausdrücklich wisse, dass die Beiträge in der Vergangenheit mehrfach aufgrund unzureichender Begründungen zu Unrecht erhöht worden seien (S. 3 der Klageschrift vom 29.09.2021, und LGU S. 7 f.). Er setzt sich damit zu seiner eigenen Erklärung (Unterlagen nicht mehr vorhanden) in Widerspruch. Der Kläger ist diesbezüglich jegliche Beweisangebote schuldig geblieben und die Beklagte dem ausreichend entgegengetreten, so dass unabhängig von obigen Erwägungen ein Rechtsschutzbedürfnis an der begehrten Auskunft jedenfalls nicht dargelegt wurde.
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cc) Im Übrigen ist der Auskunftsantrag als solcher auch zu weit gefasst und unbestimmt. Die Berufungsbegründung führt auf S. 7 f. selbst aus, von welchen Beitragsanpassungen der Kläger ausgeht. Es wäre dem Kläger damit möglich und zumutbar gewesen, die Anträge auf diese Anpassungen in diesen Tarifen zu beschränken. Im Übrigen nennt er in der Berufungsbegründung (dort S. 8) die Höhe der auslösenden Faktoren, so dass sich nicht erschließt, weshalb die Klage insoweit weiterverfolgt wird.
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dd) Überdies fehlt es dem Auskunftsantrag über die auslösenden Faktoren auch deshalb am Rechtsschutzbedürfnis, da die vom Kläger erstinstanzlich angeführte Begründung nicht ausreicht, um einen Auskunftsanspruch gegen die Beklagte über die jeweilige Höhe der auslösenden Faktoren für die Neukalkulation der Prämien zu begründen, da S 8b AVB eine wirksame Grundlage für die Anpassung der Kalkulation bei Vorliegen einer Abweichung von mehr als 5% bei den Versicherungsleistungen darstellt. Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
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Etwas Gegenteiliges vermag auch die Berufung nicht aufzuzeigen, die sich mit den Entscheidungsgründen bereits nicht ausreichend auseinandersetzt, zumal diese Rechtsfrage durch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 22.06.2022, Az. IV ZR 253/20, geklärt ist. Der Bundesgerichtshof hat mit dieser Entscheidung die von der Mehrzahl der mit dieser Problematik befassten Obergerichte vertretene Rechtsansicht (so auch vom erkennenden Senat, vgl. z. B. Urteil vom 12.05.2022, Az. 1 U 364/21) bestätigt und festgestellt, dass die Unwirksamkeit der mit S 8b Abs. 2 AVB vergleichbaren Regelung des S 8b Abs. 2 MB/KK nicht dazu führt, dass auch die Bestimmung in S 8b Abs. 1 AVB bzw. S 8b Abs. 1 MB/KK unwirksam ist, die eine Absenkung des für Versicherungsleistungen geltenden Schwellenwertes auf 5% vorsieht. Das Verbot geltungserhaltender Reduktion steht dem nicht entgegen, da es sich um inhaltlich trennbare Klauseln handelt (so zutreffend auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.02.2022, Az. 12 U 202/21, Rn. 107 ff., juris).
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c) Infolgedessen sieht der Senat die Stufenklage in der konkreten Konstellation unter Berücksichtigung der Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls insgesamt als unzulässig an (wie hier etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 18.08.2022, Az. 7 U 429/21).
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2. Auf die Frage, ob ein (isolierter) Auskunftsanspruch überhaupt besteht (verneinend etwa OLG München, Beschluss vom 24.11.2021, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 7 ff.; OLG Dresden, a. a.O. Rn. 63 ff.; OLG Nürnberg a.a.O.; Brandenburgisches Oberlandesgericht a.a.O.), kommt es daher nicht mehr an.
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Aus diesem Grund war auch eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Klärung der Rechtsfrage, ob in der vorliegenden Fallkonstellation ein Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO hergeleitet werden kann, nicht veranlasst.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (S. 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht erfüllt. Der Sache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, weicht der Senat nicht von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung ab. Es handelt sich letztlich – auch was die Problematik der Stufenklage betrifft – um eine im Rahmen tatrichterlicher Würdigung getroffene Entscheidung unter Berücksichtigung der Umstände und Besonderheiten des konkreten Einzelfalls.