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AG Erding, Endurteil v. 06.03.2023 – 112 C 2734/22
Titel:

Kein Schadensersatz bei Flugverspätung wegen störendem Fluggast

Normenkette:
Fluggastrechte-VO Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 lit. c
Leitsätze:
Eine Flugverspätung, die darauf beruht, dass das Flugzeug wegen des nicht vorhersehbaren, sicherheitsgefährdenden Verhaltens eines Fluggastes an den Abflugort zurückkehrt, ist unvermeidbar. (Rn. 10 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verhalten eines "unruly passengers" an Board eines Fluges stellt einen außergewöhnlichen Umstand iSv Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Flugverspätung, außergewöhnliche Umstände, Unruly-Passenger, VO (EG) 261/2004
Fundstellen:
LSK 2023, 19568
BeckRS 2023, 19568
NJW-RR 2023, 1282

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird festgesetzt auf 1200,00 €.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ausgleichsansprüche nach der Fluggastrechteverordnung.
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Die Passagiere … verfügten über eine bestätigte Buchung für die Flugverbindung am … von Punta Cana nach München. Die Flugdistanz zwischen Punta Cana und München beträgt mehr als 3.500 km. Geplante Startzeit des Fluges …in Punta Cana war am 25.03.2022 um 19:45 Uhr, geplante Ankunftszeit in München war am 26.03.2022 um 10:25 Uhr Ortszeit. Der von der Beklagten durchzuführende Flug … war verspätet und erreichte München erst am 26.03.2022 um 14:20 Uhr Ortszeit. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 29.03.2022 zur Zahlung einer Ausgleichsleistung von 1.200,00 € unter Fristsetzung bis zum 12.04.2022 auf. Die Beklagte leistete keine Zahlung.
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Die Kläger beantragen,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 1.200,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.04.2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klagepartei. Sie behauptet, die Verspätung sei auf außergewöhnliche Umstände, nämlich einen „unruly passenger“ zurückzuführen. Die Maschine habe nach Punta Cana zurückkehren und den Passagier „abladen“ müssen. Die Maschine sei um 03:09 Uhr in Punta Cana gelandet und um 04:09 Uhr erneut in Richtung München gestartet. Der Passagier sei bereits während des Boardings auffällig geworden, beispielsweise habe man ihn mehrfach zum Tragen des Mund-Nasen-Schutzes auffordern müssen. Der Purser habe ihn mehrfach gebeten, den Boardkartenabriss sehen zu dürfen.
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Auch nach dem Take-Off sei der Passagier nicht willens gewesen, seinen Mund-Nasen-Schutz korrekt zu tragen. Der Passagier sei auch mehrfach in der vorderen Galley vorstellig geworden, habe lautstark herum krakelt und den Purser mit seinem Finger auf die Brust gestoßen. Der Passagier sei zunächst für den Alkoholausschank gesperrt worden, woraufhin der Passagier laut geworden sei und auch andere Passagiere belästigt habe. Die direkte Sitznachbarin sei daraufhin in Tränen ausgebrochen. Nach etwa einer Stunde Flugzeit sei ihm das vom Kapitän unterschriebene „Unruly Pax-Formular“ übergeben würden, jedoch sei keine Verhaltensänderung eingetreten. Nach ca. 1,5 Stunden Flugzeit und mehrfachem Überlegen habe die Crew die Entscheidung getroffen, nach Punta Cana zurückzukehren und den Passagier dort auszuladen. Das Fehlverhalten des Passagiers sei über Intercom kommuniziert worden, sämtliche Gäste seien informiert worden. Zumutbare Maßnahmen seien nicht ersichtlich gewesen. Der Flughafen Punta Cana werde fast ausschließlich zu touristischen Zwecken angeflogen, weshalb keine anderen Möglichkeiten der schnelleren Beförderung bestanden hätten.
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Die Klägerin bestreitet, dass die Beklagte die eingetretene Verspätung nicht mitverursacht habe bzw. das Verhalten des „unruly passengers“ nicht hätte vorhersehen können, insbesondere weil sich dieser schon beim Einstieg auffällig gezeigt habe. Sie bestreitet ferner, dass eine Beförderung der Passagiere mit einer geringeren Verspätung nicht möglich gewesen sei.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Einvernahme der Passagiere … In der mündlichen Verhandlung vom 13.02.2023 wurde Beweis erhoben durch uneidliche Einvernahme der Zeugin … Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 13.02.2023 verwiesen. Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 13.02.2023 und die weiteren Aktenbestandteile Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
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Der Klägerin steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf eine Ausgleichszahlung aus Art. 5 Abs. 3, 7 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 261/2004 iVm § 398 BGB zu. Denn die Beklagte kann sich nachweislich darauf berufen, dass die Verspätung des Fluges .. von Punta Cana nach München auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht und sich die Verspätung auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, Art. 5 Abs. 3 VO (EG) 261/2004.
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1. Außergewöhnliche Umstände sind Vorkommnisse, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, wie beispielsweise Naturkatastrophen, versteckte Fabrikationsfehler oder terroristische Sabotageakte, vgl. EuGH (4. Kammer), Urteil vom 22.12. 2008 – C-549/07 Wallentin-Herman/Alitalia – Linee Aeree Italiana SpA, NJW 2009, 347 und BGH, Urteil vom 12.11.2009 -Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070. In den Erwägungsgründen (14) und (15) der VO (EG) 261/2004 sind als außergewöhnliche Umstände beispielsweise politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, unerwartete Sicherheitsrisiken und Flugsicherheitsmängel, beeinträchtigender Streik und Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements genannt, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist.
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2. Vorliegend beruhte die Verspätung des Fluges … von Punta Cana nach München am 25.03.2022 nach den schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben der Zeugin … in ihrer Zeugenaussage vom 13.02.2023 auf dem Verhalten eines Passagiers, so dass die Maschine nach Punta Cana zurückkehren musste. Die Zeugin hat nachvollziehbar geschildert, dass sich an Board der Maschine ein Passagier befand, der schon beim Boarden des Flugzeuges durch pöbelndes und provokantes Verhalten auffiel. Der Passagier weigerte sich mehrfach, seinen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, der zum damaligen Zeitpunkt aus Infektionsschutzgründen noch verpflichtend an Board zu tragen war. Da der Gast auch im weiteren Verlauf des Fluges sein Verhalten nicht änderte und die Crew auch von den Gästen auf den umliegenden Plätzen auf das Verhalten des Passagiers angesprochen wurde, musste der Gast für den Alkoholausschank gesperrt werden. Daraufhin erschien der Gast in der vorderen Galley (Boardküche), stupste den Purser gegen die Brust und beschwerte sich lautstark. Obwohl dem Passagier infolgedessen ein sogenanntes Unruly-Passenger-Formblatt ausgehändigt wurde, setzte dieser sein störendes Verhalten fort, so dass die Crew letztlich die Entscheidung traf, nach Punta Cana zurückzukehren, um den Passagier den lokalen Sicherheitsbehörden zu übergeben.
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3. Das Gericht hat keinen Anlass, am Wahrheitsgehalt der Angaben der Zeugin …, die für die Beklagte als Flugdienstberaterin tätig ist, zu zweifeln. Die Aussage der Zeugin ist nicht deshalb als Beweismittel ungeeignet, da sie eine Mitarbeiterin der Beklagten ist. Die bloße Firmenzugehörigkeit der Zeugin zu der Beklagten führt ohne weitere Indizien nicht zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zeugin. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin ein persönliches Interesse an dem Ausgang des Rechtsstreits hat. Die Zeugin hat nachvollziehbar die der Verspätung zugrunde liegenden Umstände geschildert. Sie hat dargelegt, dass die ursprüngliche Flugdauer mit 9 Stunden 40 Minuten angesetzt war und es über dem Atlantik keine geeignete Ausweichmöglichkeit gegeben hätte. Die Crew hat deshalb - auch unter Berücksichtigung der zulässigen Dienstzeiten – die Entscheidung getroffen, nach Punta Cana zurückzukehren, da das Verhalten des Passagiers auch sicherheitsrelevant war.
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Das Verhalten des unruly passengers an Board des streitgegenständlichen Fluges stellt nach Auffassung des Gerichts einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 dar.
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4. Der Einordnung als außergewöhnlicher Umstand steht im vorliegenden Fall auch nicht entgegen, dass der Passagier schon beim Boarden des Flugzeuges ein auffälliges Verhalten an den Tag legte. Nach der Entscheidung des EuGH vom 11.06.2020, Az. C-74/19 liegt ein außergewöhnlicher Umstand nicht vor, wenn das betreffende Luftfahrtunternehmen zum Auftreten des störenden Verhaltens des Passagiers beigetragen hat oder wenn das Unternehmen imstande war es vorauszusehen und angemessene Maßnahmen zu ergreifen, als es dies ohne bedeutende Folgen für den Ablauf des betreffenden Fluges tun konnte. Zwar hat die Zeugin … angegeben, dass der Passagier schon beim Boarden des Fluges auffällig wurde, indem er beispielsweise an die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes erinnert werden musste. Jedoch war zum damaligen Zeitpunkt das Verhalten des Passagiers - nach den Ausführungen der Zeugin … – noch unter Kontrolle. Das Gericht ist der Überzeugung, dass zum Zeitpunkt des Boardens für die Beklagte das Verhalten des Passagiers noch nicht vorhersehbar war. Zum einen war es im März 2022 nicht ungewöhnlich, dass einzelne Personen an das Tragen einer Maske erinnert werden mussten. Zum anderen betrat der unruly passenger als letzter Passagier das Flugzeug, so dass die Beklagte den Passagier vor dem Abflug auch nur kurz beobachten konnte. Dass ein Passagier der Business-Class erwartet, dass ein Flugbegleiter ihn zu seinem Sitz begleitet, ist nicht per se ungewöhnlich, da dies bei anderen Fluggesellschaften möglicherweise so praktiziert wird. Das Gericht ist auch nicht der Auffassung, dass das Verhalten der Crew zu dem störenden Verhalten des Passagiers beigetragen hat. Die Zeugin … hat bestätigt, dass man dem Passagier zunächst ein unruly passenger Formblatt aushändigte, durch das man den Passagier auf sein Verhalten aufmerksam machen und zu einer Verhaltensänderung bringen wollte. Zum anderen hat die Zeugin ausführt, dass die Flugbegleiter eine Schulung zur Deeskalation bekommen haben und auch mehrfach Rücksprache mit dem Kapitän gehalten haben. Für das Gericht ergeben sich daher keine Anhaltspunkte, dass die Beklagte durch ihr Verhalten zu dem störenden Verhalten des Passagiers beigetragen hat.
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5. Das Gericht ist nach den Bekundungen der Zeugin … zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte auch alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Die Zeugin hat ausgesagt, dass die Maschine nach Punta Cana zurückkehrte, wo sie um 03:09 Uhr landete. Angesichts des Umstands, dass das Gepäck des betreffenden Passagiers ausgeladen werden und die Maschine wieder aufgetankt werden musste, sind für das Gericht keine Maßnahmen ersichtlich, die zu einer kürzeren Verweildauer am Boden geführt hätten. Dieser Vortrag ist für das Gericht nachvollziehbar und ausreichend. Angesichts der Verspätung von 4 Stunden und 6 Minuten ist das Gericht auch davon überzeugt, dass eine Umbuchung nicht zu einer schnelleren Beförderung geführt hätte. Die Zedenten mussten die streitgegenständliche Maschine nicht verlassen. Im Falle einer Umbuchung hätten die Passagiere zunächst das Fluggerät verlassen müssen. Sie hätten ihr Gepäck entgegennehmen und für einen Ersatzflug neu einchecken müssen. Angesichts des Umstands, dass die Maschine bereits um 04:09 Uhr erneut nach München startete, hätte eine Umbuchung keinen zeitlichen Vorteil gebracht.
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6. Mangels Bestehens der Hauptforderung haben die Kläger auch keinen Anspruch auf Verzugszinsen gemäß §§ 280 Abs. 1 und Abs. 2, 286, 288 BGB.
II.
18
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
III.
19
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.