Titel:
Kein Ersatzanspruch wegen Flugverspätung
Normenkette:
Fluggastrechte-VO Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 lit. c
Leitsatz:
Der Ausgleichsanspruch wegen Flugverspätung ist ausgeschlossen, da die Beklagte nachweisen konnte, dass die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen ist und sie alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung ergriffen hat, Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechte-VO. (Rn. 23 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Flugverspätung, außergewöhnliche Umstände, VO (EG) 261/2004
Fundstellen:
RRa 2024, 27
BeckRS 2023, 19566
LSK 2023, 19566
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 1.200,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ausgleichszahlungen gem. der Verordnung (EG) 261/2004 aus abgetretenem Recht in Anspruch.
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I. S. und U. S. verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für einen Flug am 21.04.2022 von München über Charlotte nach Fort Lauderdale. Beide Flugabschnitte sollten von der Beklagten ausgeführt werden.
3
Der Flug von München nach Charlotte mit der Flugnummer XX sollte planmäßig am 21.04.2022 um 09:15 Uhr Ortszeit starten und am 21.04.2022 um 13:05 Uhr Ortszeit landen. Der Flug von Charlotte nach Fort Lauderdale mit der Flugnummer XX sollte planmäßig am 21.04.2022 um 14:40 Uhr Ortszeit starten und am 21.04.2022 um 16:32 Uhr Ortszeit landen.
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Der Flug XX war jedoch verspätet. Er rollte um 11:33 Uhr vom Gate in Richtung Startbahn, befand sich um 11:51 Uhr in der Luft und erreichte Charlotte um 15:11 Uhr Ortszeit, mithin mit einer Ankunftsverspätung von 2 Stunden und 6 Minuten. Durch die Verspätung konnte die anschließende Verbindung mit XX nicht erreicht werden.
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Den Fluggästen wurde eine Ersatzbeförderung mit XX von Charlotte nach Fort Lauderdale angeboten. Mit dieser erreichten sie Fort Lauderdale mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden.
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Die Distanz zwischen dem Abflug- und Ankunftsort beträgt 8.027 Kilometer.
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Die Fluggäste haben die ihnen gegen die Beklagte zustehenden Ausgleichsansprüche an die Flugrecht GmbH abgetreten, die ihrerseits die Ansprüche an die Klägerin abgetreten hat.
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Die Klägerin hat der Beklagten mit Schreiben vom 03.05.2022 die Abtretungen angezeigt und die Beklagte unter Vorlage der Abtretungserklärungen und Fristsetzung zum 17.05.2022 zur Zahlung der Ausgleichsansprüche aufgefordert.
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Eine Zahlung erfolgte nicht.
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Die Klägerin behauptet, mit der angebotenen Ersatzbeförderung hätten die Fluggäste ihr Endziel am 21.04.2022 um 23:25 Uhr Ortszeit, mithin mit einer Verspätung von 6 Stunden und 53 Minuten, erreicht.
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Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.05.2022 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte behauptet, die Zedenten hätten das Endziel mit der Ersatzbeförderung um 22:15 Uhr Ortszeit, mithin mit einer Verspätung von 5 Stunden und 43 Minuten erreicht. Die Verspätung des Fluges XX beruhe allein auf einem gänzlichen Ausfall des sog. SITA-Netzwerkes am Flughafen München am Tag des Fluges von 03:46 Uhr bis 13:50 Uhr. Dieses IT-Datenwerk sei verantwortlich für den Datenaustausch zwischen den Fluggesellschaften und dem Flughafenbetreiber. Ein störungsfreier Datenaustausch sei in dem genannten Zeitraum nicht mehr möglich gewesen. Sämtliche Flüge im Terminal 1 des Flughafens München hätten durch die Fluggesellschaften manuell abgefertigt werden müssen. Dies habe zu starken Verzögerungen und Störungen des gesamten Betriebsablaufs geführt.
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Die Beklagte ist der Auffassung, bei dem Ausfall des Datennetzwerkes handele es sich um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) 261/2004.
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Die Beklagte behauptet, sie habe alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Verspätung so kurz wie möglich zu halten. Sie habe die Zedenten auf die nächst verfügbare Verbindung umgebucht und befördert. Eine frühere Ersatzverbindung mit freien Sitzplätzen habe es nicht gegeben.
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Es habe einen Flug der Beklagten um 16:38 Uhr von Charlotte nach Fort Lauderdale gegeben, auf den die Fluggäste auch um 10:02 Uhr Ortszeit Frankfurt umgebucht worden seien. Die Fluggäste hätten diesen Flug jedoch vor Ort bis zum Ende des Boardingvorgangs nicht erreicht. Es habe dann lediglich die Möglichkeit gegeben, die Fluggäste auf den letzten Flug des Tages mit der Flugnummer XX umzubuchen.
17
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin N.N..
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.04.2023 sowie die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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I. Der Klägerin stehen die aus abgetretenem Recht geltend gemachten Ausgleichsansprüche aus Art. 7 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) 261/2004 nicht zu.
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1. Zwar hat die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin unstreitig gestellt und ist der Anwendungsbereich der Verordnung gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) 261/2004 eröffnet, da der streitgegenständliche Flug vom Flughafen München und damit einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates, das den Bestimmungen der Verordnung unterliegt, angetreten werden sollte und die Zedenten je über eine bestätigte Flugbuchung verfügten.
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Die Beklagte war auch ausführendes Luftfahrtunternehmen und die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass Fluggäste von Flügen mit großer Verspätung die gleiche Ausgleichsleistung wie Fluggäste annullierter Flüge beanspruchen können (vgl. EuGH, NJW 2010, 43 Rdnr. 61 – Sturgeon u. a., EuGH (Große Kammer), Urt. v. 23. 10. 2012 – C-581/10, C-629/10 (Emeka Nelson u. a./Deutsche Lufthansa AG und The Queen/Civil Aviation Authority).
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2. Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, da die Beklagte nachweisen konnte, dass die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand zurückzuführen ist und sie alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Verspätung ergriffen hat, Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) 261/2004.
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2.1 Außergewöhnliche Umstände sind Vorkommnisse, die aufgrund ihrer Natur oder Ursache nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen sind, wie beispielsweise Naturkatastrophen, versteckte Fabrikationsfehler oder terroristische Sabotageakte (vgl. EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-549/07 Wallentin-Herman/Alitalia; BGH, Urteil vom 12.11.2009 – Xa ZR 76/07). In den Erwägungsgründen 14 und 15 der Verordnung (EG) 261/2004 sind als außergewöhnliche Umstände beispielsweise politische Instabilität, schlechte Wetterbedingungen, unerwartete Sicherheitsrisiken und Flugsicherheitsmängel, beeinträchtigender Streik und Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements genannt, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist.
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Umstände, die im Zusammenhang mit einem den Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten, können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) 261/2004 qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten Ereignisse nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (vgl. hierzu beispielsweise BGH, Urteil vom 15.01.2019, Az.: X ZR 15/18).
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Der Bundesgerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände begründen, sondern Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens sind. Technische Probleme können indes außergewöhnliche Umstände begründen, soweit sie auf ein Vorkommnis zurückzuführen sind, das außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegt und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Die Außergewöhnlichkeit der Umstände kann sich insoweit daraus ergeben, dass der technische Defekt bewirkt, dass der Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen kommen, beispielsweise weil die technischen Einrichtungen eines Flughafens versagen oder ein versteckter Fabrikationsfehler die gesamte oder einen wesentlichen Teil der Flotte des Luftverkehrsunternehmens betrifft.
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Im Rahmen der Beweisaufnahme konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind. Eine von allen Zweifeln freie Überzeugung setzt das Gesetz dabei nicht voraus. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Diesen Grad an Gewissheit konnte sich das Gericht vorliegend verschaffen.
28
Die Zeugin N.N., Sachbearbeiterin im Kundenservice der Beklagten, sagte hierzu im Wesentlichen Folgendes aus:
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Der Start der XX habe nicht wie geplant geklappt. Um 5 Uhr morgens Ortszeit sei am Flughafen München das SITA-System vollständig zusammen gebrochen. Sie habe einen Global Operations Report bekommen, demnach sei nachts ein Upgrade für den Server gelaufen; danach habe es im Gebälk geknirscht. Laut Report der SITA habe es sich um einen „Airport Hub Router Down“ gehandelt.
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Der Münchner Flughafen habe sich sofort bei der SITA gemeldet und es dort an die höchste Stelle gegeben. Von dort sei jedoch informiert worden, dass die Installation nicht von SITA selbst, sondern von einem Partner durchgeführt worden sei; aber man wolle sich darum kümmern und den Fehler beheben. Es habe dann aber noch Stunden gedauert. Um 9.26 Uhr sei ein neuer Router eingebucht worden, im Testlauf habe aber etwas nicht geklappt. Erst um 13.50 Uhr sei das System wieder auf 100 Prozent Kapazität gelaufen.
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Die SITA sei die Datenschnittstelle mit den Servern des Münchner Flughafens. Dort würden sich alle Fluggesellschaften einwählen, um überhaupt Zugriff auf ihre Systeme zu haben. Wenn die Server der SITA nicht funktionieren, kämen die Fluggesellschaften auch nicht an ihre eigenen Daten.
32
Ihr sei das so erklärt worden: Die Server seien die Motoren eines Autos, die Programme der Fluggesellschaften die Scheibenwischer. Wenn der Motor nicht gehe, gingen auch die Scheibenwischer nicht.
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Das SITA System sei ein Fremdsystem. Darauf habe die Beklagte keinen Einfluss. Sie habe nicht einmal gewusst, dass ein Upgrade gefahren werde.
34
Über die USA hätten sie Daten zur Verfügung gestellt bekommen. So habe zumindest der Check-In per Hand vorgenommen werden können; es sei aber alles viel langsamer als sonst gegangen. Was gar nicht gegangen sei, sei der Gepäcktransport. Dieser funktioniere unterirdisch komplett maschinell. Ohne Datenabgleich gebe es hier keinen Transport.
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Wer Vertragspartner der SITA BV ist, wisse sie nicht; sie würde vermuten, der Flughafen München.
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Von ihnen sei an diesem Tag ein Flug betroffen gewesen. Sie hätten nur diesen Flug gehabt. Vom Flughafen München sei aber die Rede gewesen, dass sämtliche Flüge am Terminal 1 betroffen gewesen seien. Wie viele Flüge genau betroffen gewesen seien, könne sie nicht sagen.
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Ob es ein Backup System bei SITA gebe, wisse sie nicht. Sie würde aber vermuten, sie hätten es genutzt, wenn es ein solches gegeben hätte.
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SITA werde von allen Fluggesellschaften am Flughafen München genutzt; sie denke, es gebe nur dieses eine System dort.
39
Die Aussage der Zeugin N.N. ist glaubhaft. Zwar steht sie als Angestellte der Beklagten nahe. Dies führt jedoch nicht per se zu Zweifeln an ihren Angaben. Die Zeugin machte in ihrer Aussage deutlich, woher sie ihre Informationen hat (bspw. Auskunft Flughafen, Global Operations Report). Wenn sie etwas nicht erinnern konnte oder wusste, machte sie dies deutlich, ebenso, welche Umstände sie lediglich vermutete. Im Übrigen sind die Schilderungen der Zeugin detailliert, sachlich und widerspruchsfrei.
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Ein mehrstündiger Ausfall des SITA-Systems im Terminal 1 des Flughafens München, von dem alle Luftverkehrsunternehmen, die dort ihre Flüge abfertigen, betroffen sind, der einen erhöhten Aufwand bei der deshalb erforderlichen manuellen Abfertigung der Fluggäste zur Folge hat und damit den planmäßigen Start eines Fluges verhindert, kann außergewöhnliche Umstände begründen.
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Wenn die Fluggesellschaft aufgrund technischer Probleme an der Schnittstelle zum Flughafenbetreiber erst gar nicht an ihre Daten kommt, kann dies nicht mit einem technischen Problem gleichgestellt werden, das seiner Natur nach auf ein einziges Flugzeug beschränkt ist. Das Problem ist nicht als untrennbar mit dem Betrieb des Flugzeugs, das den verspäteten Flug durchführte, verbunden anzusehen. Daher kann es weder seiner Natur noch seiner Ursache nach ein Vorkommnis darstellen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist (vgl. hierzu auch das Urteil des EuGH vom 07.07.2022, Rs. C – 308/21).
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Vorliegend ist der Router-Ausfall der SITA auch ein für das Luftverkehrsunternehmen nicht beherrschbarer Umstand. Insoweit sind Vorkommnisse mit im Hinblick auf das ausführende Luftfahrtunternehmen „interner“ Ursache von solchen mit „externer“ Ursache zu unterscheiden. Unter den Begriff fallen als sogenannte „externe“ Ereignisse diejenigen, die auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen.
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Dementsprechend ist der Ausfall der Schnittstelle zur Übermittlung der Daten aller Fluggesellschaften eines Terminals an den Flughafenbetreiber als ein Vorkommnis mit im Hinblick auf das Luftfahrtunternehmen externer Ursache anzusehen, das nicht beherrschbar ist, vgl. hierzu auch das Urteil des EuGH vom 07.07.2022, Az.: C – 308/21. Dies gilt letztlich unabhängig davon, ob die Beklagte selbst mit dem Unternehmen in vertraglicher Beziehung steht.
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Der Defekt ist nicht in dem unternehmseigenen Datensystem begründet, sondern an der Schnittstelle zur Übermittlung dieser Daten an den Flughafenbetreiber. Hier endet der Verantwortungsbereich der Beklagten.
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2.2 Die Beklagte hat alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) 261/2004 ergriffen, um die Verspätung des von der Klägerin gebuchten Flugs zu vermeiden bzw. möglichst gering zu halten. Entscheidend ist dabei auf die am Endziel, hier Fort Lauderdale, eingetretene Verspätung abzustellen.
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Der Bundesgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 10.11.2022, Az.: X ZR 97/21 unter anderem aus:
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder dass der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommt.
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Welche Maßnahmen einem Luftfahrtunternehmen in diesem Zusammenhang zumutbar sind, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Es kommt zum einen darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftfahrtunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftfahrtunternehmen außerstande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten. Zum anderen muss das Luftfahrtunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert.
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Es gehört danach zu den gebotenen Maßnahmen, dem Fluggast eine mögliche anderweitige direkte oder indirekte Beförderung mit einem Flug anzubieten, den das betroffene oder ein anderes Luftfahrtunternehmen durchführt und der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommt, es sei denn, die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung stellt für das betreffende Unternehmen angesichts seiner Kapazitäten zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dar.
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Im Rahmen der Beweisaufnahme konnte sich das Gericht davon überzeugen, dass auch diese Voraussetzungen erfüllt sind.
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Hierzu führte die Zeugin N.N. aus:
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Über die USA hätten sie Daten zur Verfügung gestellt bekommen. So habe zumindest der Check-In per Hand vorgenommen werden können. Es sei aber alles viel langsamer als sonst gegangen. Was gar nicht gegangen sei, sei der Gepäcktransport gewesen. Dieser funktioniere unterirdisch komplett maschinell. Ohne Datenabgleich gebe es hier keinen Transport.
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Man habe den Flug XX von Charlotte nach Fort Lauderdale angeboten und die Passagiere auch, während die Verspätung noch in München gelaufen sei, auf diesen Flug umgebucht, um das zu erwartende Verpassen des Anschlussfluges möglichst aufzufangen.
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In Charlotte selbst sei dann aber absehbar gewesen, dass die Passagiere die Maschine nicht bekommen und sie seien erneut umgebucht worden, diesmal auf die XX; mit diesem Flug seien sie dann auch tatsächlich nach Fort Lauderdale befördert worden, wo sie um 22.15 Uhr angekommen seien.
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Die XX hätte um 16.38 Uhr in Charlotte starten sollen, die Umbuchung auf die XX sei um 16.07 Uhr erfolgt.
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Die Ursache sei vermutlich die Wartezeit bei Einreise und Zoll gewesen, welches beides bereits bei der ersten Landung durchzuführen sei. Man brauche dafür ca. 70 – 90 Minuten.
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Von Charlotte aus habe es an diesem Tag einen weiteren Flug nach Fort Lauderdale gegeben, nämlich mit N.N., XX. Planmäßiger Abflug wäre um 19.40 Uhr gewesen. Planmäßige Ankunft um 21.40 Uhr. Dem gegenüber sei die XX um 20.32 Uhr gestartet und tatsächlich um 22.15 Uhr, früher als geplant (22.28 Uhr) in Fort Lauderdale gewesen. Die N.N. sei jedoch kein Vertragspartner (der Beklagten). Die Kunden hätten raus gemusst, hätten erneut einchecken müssen und auch ihr Gepäck neu abgeben und für den Transport zahlen müssen. Das hätten sie voraussichtlich bis zum Abflug nicht geschafft. Dieser Flug sei den Passagieren aber auch gar nicht angeboten worden. Die Wahrscheinlichkeit sei sehr gering, dass sie es schaffen würden. Vermutlich hätte eine Umbuchung auch nicht geklappt, da kein Ticketvertrag mit dieser Airline besteht.
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Sie könne nicht sagen, ob vor Ort geprüft worden sei, ob ein Platz auf diesem Flug frei gewesen wäre.
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Es handelt sich um einen low cost carrier. Dort sei alles separat zu bezahlen. Es gebe keine Sitzplatzreservierung, dort herrsche first come, first serve. Es sei eher wie Busfahren.
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Auch diese Angaben sind aus den bereits dargelegten Gründen glaubhaft.
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Mit der vor Ort manuell und mit den über ihre Mitarbeiter in USA telefonisch erhaltenen Daten durchgeführten Abfertigung der Fluggäste, hat die Beklagte zunächst vor Ort in München alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um den durch den Ausfall des Systems bedingten Beeinträchtigungen entgegenzuwirken und den Abflug der XX möglichst zeitnah zur geplanten Zeit zu ermöglichen. Da die manuelle Bearbeitung, wenn auch verzögert, möglich war, war die Beklagte nicht gehalten, bereits zu diesem Zeitpunkt nach anderweitigen Beförderungsmöglichkeiten für die Fluggäste des XX zu suchen; sie durfte vielmehr die weitere Entwicklung abwarten.
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Als absehbar war, dass die Zedenten ihren Anschlussflug in Charlotte nicht mehr erreichen können, hat die Beklagte eine Umbuchung der Zedenten auf den Flug XX von Charlotte nach Fort Lauderdale vorgenommen. Auch dies stellt zum damaligen Zeitpunkt eine ausreichende Maßnahme dar, um die eingetretene Verzögerung möglichst gering zu halten.
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Erst als sich vor Ort in Charlotte herausstellte, dass die Zedenten diesen Flug wegen der von der Beklagten nicht zu vertretenden Dauer bei der Einreise und beim Zoll auch nicht erreichten, war die Beklagte gehalten, nach einer weiteren frühestmöglichen und zumutbaren Ersatzverbindung zu suchen.
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Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Beklagte diese Ersatzverbindung für die Fluggäste auch tatsächlich wählte. Zwar gab es noch einen Flug von N.N., der planmäßig 48 Minuten vor dem Flug der Beklagten in Fort Lauderdale landete. Hierbei handelte es sich jedoch laut Angaben der Zeugin N.N. um einen sog. low cost carrier, der kein Ticketvertragspartner der Beklagten ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Beförderung auf diesem Wege hätte klappen können, schätzte die Zeugin als gering ein. Bei dieser Sachlage und insbesondere einer möglichen Zeitersparnis von allenfalls 48 Minuten kann von der Beklagten nicht verlangt werden, dass sie eine solche Umbuchung versucht. Hätte sich die Gefahr der Nichtbeförderung erst kurzfristig realisiert, wäre am Ende auch noch die sichere Beförderung mit dem Flug XX gefährdet gewesen. Es ist der Beklagten zuzugestehen, dass sie sich in diesem Fall für die sichere Ersatzbeförderung entscheidet.
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II. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
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IV. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.