Inhalt

OLG München, Hinweisbeschluss v. 27.07.2023 – 35 U 5534/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen Verwendung eines Thermofensters

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motorentyp EA 189 um den Vorgängermotor zum Typ EA 288 handelt, kann nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Messwerte, denen ein Realbetrieb zugrunde lag, stellen keine greifbaren Anhaltspunkte dar, die für ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln des Automobilherstellers sprechen könnten, da etwaige Abweichungen der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet sind. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV folgt kein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens. Das vom Bundesgerichtshof zur Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entwickelte Konstrukt des sog. Differenzschadens, der durch einen Geldanspruch in einer Höhe zwischen 5 und 15 Prozent des Kaufpreises kompensiert werden soll, vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen, da es dem Hauptschutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 S. 1 EG-FGV und der diesen Vorschriften zugrundeliegenden europäischen Normen widerspricht (entgegen BGH BeckRS 2023, 15117). (Rn. 39 – 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, Abschalteinrichtung, Differenzschaden, Thermofenster, unzulässige Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 06.09.2022 – 7 O 615/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19539

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 06.09.2022, Az. 7 O 615/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
3. Binnen selber Frist können die Parteien zur Höhe des Streitwerts Stellung nehmen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder weist der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung auf noch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.
2
Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt. Ob diese im konkreten Fall für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 179/21, BeckRS 2021, 38634 Rn. 9). Selbiges gilt für die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (BGH, Urteile vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22, juris; Urteil vom 10. Juli 2023 – VIa ZR 1119/22, juris).
3
Das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. April 2021, Az.: 8 U 68/20, führt zu keiner anderen Betrachtung und hindert eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht, da der dortige Senat die seiner Rechtsprechung zugrunde liegenden maßgeblichen Gründe in Bezug auf die Fahrkurve bei Motoren des Typs EA 288 ausdrücklich aufgegeben hat (OLG Naumburg, Urteile vom 10. Dezember 2021 – 8 U 63/21, juris Rn. 11; vom 16. Dezember 2021 – 8 U 36/21, juris Rn. 16; vom 17. Dezember 2021 – 8 U 1/21, juris Rn. 61; 8 U 11/21, juris Rn. 60; 8 U 54/21, juris Rn. 67; 8 U 58/21, juris Rn. 67, vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, juris Rn. 14).
II.
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Im Übrigen ist Folgendes auszuführen:
5
1. Nach dem vom Erstgericht insoweit als unstreitig festgestellten Sachverhalt erwarb die Klagepartei am 16. Juni 2017 bei einem Dritten einen gebrauchten Passat zum Preis vom 46.980 €. Der Pkw ist mit einem von der Beklagten hergestellten Motor mit der Bezeichnung EA 288 ausgestattet. Einen Rückrufbescheid des Kraftfahrtbundesamts gibt es für die streitgegenständlichen Fahrzeugtypen und den dort verbauten Motorentyp nicht.
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Aufgrund des unstreitigen Parteivortrags ist weiter davon auszugehen, dass das Fahrzeug der Schadstoffklasse Euro 6 unterliegt. Der Stickstoffausstoß der Fahrzeuge wird durch ein Abgasrückführungssystem (AGR) geregelt; zusätzlich ist ein SCR-Katalysator Stickstoffspeicherkatalysator (NSK) verbaut. Die Abgasrückführung wird temperaturabhängig gesteuert, was dazu führt, dass die Abgasreinigung bei gewissen Temperaturen reduziert wird (sog. Thermofenster). Die Bedatung des Thermofensters ist zwischen den Parteien streitig.
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2. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
8
Der Senat hat bereits mehrfach durch Hinweisbeschluss ausgeführt und – sofern nicht daraufhin eine Rücknahme der Berufung erklärt worden ist – durch Zurückweisungsbeschluss entschieden, dass bezüglich des Motors EA 288 weder in der Ausführung Euro 5 noch in der Ausführung Euro 6, sei es mit NOx-Speicher-Katalysator (NSK) oder SCR-Katalysator (SCR), Schadensersatzansprüche von Käufern in Betracht kommen.
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Die Rechtsprechung des Senats steht im Einklang mit derjenigen weiterer Senate des Oberlandesgerichts München (OLG München, Urteil vom 30. Juli 2021 – 24 U 6281/20, juris; Urteil vom 15. Juni 2021 – 9 U 5466/20, BeckRS 2021, 47470) und anderer Oberlandesgerichte (vgl. etwa: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteile vom 16. Dezember 2021 – 8 U 41/21 vom 17. Dezember 2021 – 8 U 54/21; OLG Dresden, Urteile vom 5. November 2021 – 9a U 2510/20; vom 22. Dezember 2022 – 4 U 1415/22 [Euro 6, SCR]; OLG Frankfurt, Urteil vom 8. Oktober 2021 – 11 U 153/20; Beschluss vom 4. Januar 2023 – 24 U 24/22; OLG Koblenz, Urteile vom 5. August 2021 – 1 U 632/20; vom 4. Januar 2023 – 13 U 1428/22 [Euro 6, NSK]; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteile vom 22. Juli 2021 – 11 U 125/20; vom 11. Januar 2022 – 7 U 84/21; OLG Köln, Urteil vom 21. Juli 2021 – 5 U 183/20; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Februar 2022 – 8 U 143/21; OLG Saarbrücken, Urteil vom 5. Januar 2022 – 2 U 61/21). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesgerichtshof gebilligt worden (vgl. neben zahlreichen dem Senat bekannten, allerdings unveröffentlichten Verwerfungen von Nichtzulassungsbeschwerden: BGH, Beschlüsse vom 1. August 2022 – VIa ZR 110/21 [Euro 6, SCR-Katalysator], vom 9. Mai 2022 – VIa ZR 303/21 [Euro 6]; BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21 [Euro 6, NSK]).
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Die Berufung der Klagepartei enthält keine neuen Gesichtspunkte, die eine Abweichung von der bisherigen Entscheidungspraxis des Senats veranlassen. Auch die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22 stehen einem Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht entgegen.
Im Einzelnen:
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a) Der Klagepartei ist es nicht gelungen, das Vorhandensein einer Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug in prozessual erheblicher Weise darzulegen.
12
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (siehe: BGH, Beschluss vom 25. Juli 2022 – VIa ZR 622/21, juris Rn. 10 m.w.N.). Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 21 m.w.N.). Ein auf Vermutungen gestützter Sachvortrag einer Partei ist allerdings dann unbeachtlich, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 22 m.w.N.). Zwar ist bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte wird sie allerdings in der Regel vorliegen (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 22 m.w.N.).
13
Soweit die Klagepartei der Bewertung ihres Vortrags als prozessual beachtlich die in dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19 angewandten Maßstäbe zugrunde legt, ist darauf hinzuweisen, dass es in dem dortigen Fall um die Darlegung eines Sachmangels im Rahmen gewährleistungsrechtlicher Ansprüche gegangen ist. Dies ist auf die Darlegungserfordernisse in dem vorliegenden Fall, in dem Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826, 823 BGB inmitten stehen, nicht übertragbar. Denn die Darlegungs- und Beweislast richtet sich nach den jeweils einschlägigen Regeln des materiellen Rechts und kann daher sogar bei mehreren, auf demselben Lebenssachverhalt beruhenden Ansprüchen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 – XI ZR 254/10, juris Rn. 6). Was für die Darlegung eines Sachmangels ausreichend gewesen sein mag, stellt daher nicht auch einen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale der §§ 823, 826 BGB dar (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 30).
14
In seinem Urteil vom 26. Juni 2023 hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass es Sache der Klagepartei sei, das Vorliegen einer Abschalteinrichtung als solcher im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darzulegen und zu beweisen, wobei die Klagepartei auch hier nicht willkürlich, aufs Geratewohl und ohne greifbare Anhaltspunkte vortragen darf (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 53). Ist eine Abschalteinrichtung in diesem Sinne unstreitig oder festgestellt, läge es an der Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass diese ausnahmsweise gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zulässig sei.
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„Abschalteinrichtung“ ist in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 legaldefiniert als „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Daraus folgt, dass die Klagepartei greifbare Anhaltspunkte dafür vorzutragen hat, dass in ihrem Fahrzeug ein Konstruktionsteil vorhanden ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert.
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Mit Blick auf eine Haftung gemäß § 826 BGB trifft die Klagepartei zudem die Darlegungslast dafür, dass – wie es bereits der objektive Tatbestand der Norm voraussetzt – die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16).
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bb) Daran gemessen, hat die Klagepartei auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufungsbegründung – vor dem Hintergrund des substantiierten Vortrags der Beklagten – keine ausreichend greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte vorgetragen, die dafürsprechen könnten, dass die diversen von ihr behaupteten technischen Einrichtungen auch in ihrem Fahrzeug verbaut sind und dass diese eine Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, geschweige denn eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB darstellen.
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Bei der Bewertung des Vortrags der Klagepartei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in einer Vielzahl von Verfahren, die denselben Motortyp betreffen, in amtlichen Auskünften erklärt hat, es habe „insgesamt sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit Motoren der Reihe des Entwicklungsauftrags (EA) 288“ durchgeführt und sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass bei keinem Fahrzeug, welches ein Aggregat des EA 288 aufweist, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei (OLG Dresden, Urteil vom 22. Dezember 2022 – 4 U 1415/22, juris Rn. 24 f. m.w.N.; vgl. auch: BGH, Beschluss vom 9. Mai 2022 – VIa ZR 303/21, juris). Des Weiteren wird auf die von der Beklagten vorgelegten Auskünfte (insbesondere Anlage B 48) verwiesen, die konkret den streitgegenständlichen Motorund Fahrzeugtyp betreffen.
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Solche behördlichen Auskünfte der mit der Typgenehmigung und der Marktüberwachung befassten Fachbehörde sind nicht nur bei der Frage zu berücksichtigen, ob die Klagepartei ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bzw. einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung vorgetragen hat. Sie sind auch auf der Beweisebene relevant, da sie in der Lage sind, einen Sachverständigenbeweis zu ersetzen (MüKoZPO/Zimmermann, 6. Auflage, § 402 Rn.11 mwN) und insoweit gemäß § 411a ZPO verwertet werden können. Dies hat zur Folge, dass die Klagepartei einerseits bereits auf der Darlegungsebene gehalten war, sich mit den Inhalten dieser Auskünfte auseinanderzusetzen; das bloße Bestreiten der Richtigkeit der Auskünfte oder eine Erklärung mit Nichtwissen hierzu ist nicht geeignet, schlüssigen und berücksichtigungsfähigen Sachvortrag zu begründen. Mit Blick auf die Beweisebene hätte die Klagepartei zudem zu den Voraussetzungen des § 412 Abs. 1 ZPO vorzutragen gehabt.
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Vor diesem Hintergrund stellt klägerischer Vortrag zu Fahrzeugen und Motoren anderer Hersteller, zu anderen Modellen und Motoren der Beklagten oder zu anderen technischen Abgasbehandlungsverfahren als den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug dar. Denn behauptete Manipulationen bei anderen Motoren und/oder anderen technischen Emissionsreduzierungsverfahren, die in das streitgegenständliche Fahrzeug gar nicht verbaut sind, lassen für sich genommen keine tragfähigen Rückschlüsse darauf zu, dass dies auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug so sei, insbesondere wenn diesen behaupteten Manipulationen bei anderen Motoren ihrerseits keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte zugrunde liegen (so auch: OLG München; Beschlüsse vom 29. November 2022 – 8 U 8798/21; vom 22. März 2022 – 24 U 209/22; OLG Dresden, Beschluss vom 21. Februar 2023 – 4 U 2359/22, juris Rn. 17; vgl. auch: BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZB 33/21, juris Rn. 9) . Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass die Rückrufdatenbank des KBA bis heute keine Rückrufe für Modelle Passat Variant mit Motoren des Typs EA 288 wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen aufweist.
Im Einzelnen:
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(1) Aus dem Umstand, dass es sich bei dem Motorentyp EA 189 um den Vorgängermotor zum streitgegenständlichen Typ EA 288 handelt, kann nicht geschlossen werden, dass auch in dem Nachfolgemodell eine unzulässige Abschalteinrichtung enthalten ist (OLG Nürnberg, Urteil vom 22. September 2021 – 12 U 4034/20, juris Rn. 21, vgl. auch den Hinweis auf die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde: BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, juris).
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(2) Messwerte der Deutschen Umwelthilfe (DUH), des KBA, der Fa. FAKT und sonstiger Institutionen, denen ein Realbetrieb zugrunde lag, stellen keine greifbaren Anhaltspunkte dar, die für ein vorsätzliches sittenwidriges Handeln der Beklagten sprechen könnten, da sich ihnen zum einen „schon kein konkreter Bezug zu dem hier streitgegenständlichen Fahrzeug entnehmen“ lässt und zum zweiten „die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet“ ist (BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – VII ZR 2/21, juris Rn. 30, siehe auch: BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20, juris Rn. 23).
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(3) In Bezug auf Thermofenster hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 i.V.m. deren Art. 5 Abs. 1 dahin auszulegen sei, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15° und 33° C liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstelle (EuGH, Urteile vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 58; vom 14. Juli 2022 – C-134/20, juris Rn. 19 u. 24 f.). Dabei obliegt es den nationalen Gerichten festzustellen, ob in dem konkret streitgegenständlichen Fahrzeug ein solches Thermofenster verbaut ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 67).
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Vorliegend hat die Klagepartei keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass auch in ihrem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut ist, das als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren wäre. Denn die Darlegungslast dafür, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug ein Konstruktionsteil vorhanden ist, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert, trifft sie. Die bloße Behauptung, die AGR sei lediglich bei Außentemperatur zwischen 15° und 33° C aktiv, ist dafür nicht ausreichend. Denn sie vermag in der Sache bereits deshalb keine unzulässige Abschalteinrichtung zu begründen, da es gemäß Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für die Wirkung der Funktionsänderung auf das Emissionskontrollsystem in seiner Gesamtheit, etwa auf die kombinierte Wirkung von Abgasrückführung und -reinigung, ankommt und nicht allein auf die Funktionsänderung von Teilen des Emissionskontrollsystems (auf dem Prüfstand) abgestellt werden kann (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 51).
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Bei der Bewertung des Klagevortrags als prozessual unerheblich ist zudem zu berücksichtigen, dass die Beklagte substantiiert und unter Mitteilung des Ergebnisses der vor dem Landgericht Landshut durchgeführten Beweisaufnahme vorgetragen hat, dass die Abgasrückführung im klägerischen Fahrzeug in einem Außentemperaturbereich zwischen -24 °C und +70 °C zu 100% aktiv ist, was nicht dem Bereich entspricht, für den der Europäische Gerichtshof ein Thermofenster als unzulässig im Sinne des Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung Nr. 715/2007 erachtet hat (EuGH, Urteile vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 58 u. 67; vom 14. Juli 2022 C-134/20, juris Rn. 19 u. 24 f.). Da der Maßstab für die Frage der Zulässigkeit einer Funktionsveränderung die Wirksamkeit des unverändert funktionierenden Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 51), geht der Senat davon aus, dass eine Veränderung unterhalb von -24 °C und oberhalb von + 70 °C keine (unzulässige) Abschalteinrichtung darstellt.
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Dem in diesem Zusammenhang ausführlichen und gehaltvollen Vortrag der Beklagten und dem diesbezüglichen Verweis auf die Angaben des in einem Verfahren vor dem Landgericht Landshut als Zeugen vernommenen Leiter der Abgasabteilung (Herr K.) ist die Klagepartei nicht entgegengetreten.
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(4) Die Inhalte des Dokuments „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien & Freigabevorgaben EA 288“ vom 18. November 2015 (im Folgenden: Applikationsrichtlinie) vermögen ebenfalls keine greifbaren Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer „Umschaltlogik“ bzw. einer unzulässigen Abschalteinrichtung darzustellen (OLG Nürnberg, Urteil vom 22. September 2021 – 12 U 4034/20, juris Rn. 23; vgl. auch den Hinweis auf die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde: BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21, juris). Denn diese waren von der Beklagten mit dem KBA abgestimmt, ohne dass deswegen, anders als bei dem Motortyp EA 189, ein Rückruf durch das KBA angeordnet worden wäre.
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Die Applikationsrichtlinie stellt insbesondere keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür dar, dass die Beklagte eine Zykluserkennung in den Motor EA 288 mit dem Ziel installiert hat, die Abgasreinigung auf dem Prüfstand zu optimieren, nicht aber im realen Betrieb. Die in der Applikationsrichtlinie genannten Aspekte sind mit dem KBA abgestimmt, so dass ein Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nicht, jedenfalls nicht mehr im Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Pkw durch die Klagepartei, erhoben werden kann. Aus der Applikationsrichtlinie ergibt sich auch nicht, dass nur im Prüfstand die AGR-Rate bis zum Erreichen der Betriebstemperatur des SCR-Katalysators erhöht wird, nicht aber im Realbetrieb. Dasselbe gilt für die Behauptung, dass lediglich auf dem Prüfstand AdBlue zu einem Zeitpunkt vor Erreichen der Arbeitstemperatur zugeführt werde.
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(5) Hinsichtlich der von der Klagepartei behaupteten Fahrkurve(nerkennung) gilt Folgendes:
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Es bestehen keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die dafürsprechen könnten, dass im klägerischen Fahrzeug eine Fahrkurve(nerkennung) verbaut sein könnte. Die von der Klagepartei selbst in Bezug genommene Applikationsrichtlinie spricht dagegen, da dort geschrieben steht, dass nur vor der 22. Kalenderwoche 2016 produzierte Fahrzeuge mit SCR-Katalysator eine Fahrkurvenerkennung enthalten. Weiter heißt es, dass bei Fahrzeugen mit einem Produktionsstart ab der 22. Kalenderwoche 2016 die Fahrkurven aus der Software entfernt seien. Der Umstand, dass das klägerische Fahrzeug erst am 29. Juni 2017 erstzugelassen wurde, spricht daher sogar für die Behauptung der Beklagten, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine Fahrkurve(nerkennung) verbaut.
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Im Übrigen ließe der Umstand, dass der Prüfstand des NEFZ anhand einer Fahrkurve erkannt wird, für sich genommen nicht den Schluss auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu (so auch: OLG Frankfurt, Beschluss vom 4. Januar 2023 – 24 U 24/22, juris Rn. 12; vgl. auch: BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 48). Denn das Erkennen des Prüfstandes, das im Übrigen auch bei Fahrzeugen mit Otto-Motoren zum Einsatz kommt, die gar kein NOx emittieren, kann – wie aufgrund zahlreicher Verfahren senatsbekannt ist – dazu dienen, gewisse Funktionalitäten wie beispielsweise dynamische Schaltprogramme, elektronische Stabilitätsprogramme oder adaptive Fahrwerksregelungen auf dem Prüfstand in zulässiger Weise ein- bzw. auszuschalten, um eine sichere und einheitliche Messung zu gewährleisten (vgl. etwa: Senatsbeschlüsse vom 28. März 2022 – 35 U 7538/21; vom 1. April 2022 – 35 U 6957/21). Eine Fahrkurvenerkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 823, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 48).
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Das KBA hat zudem darauf hingewiesen, dass die Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung (und die damit bei SCR-Katalysatoren verbundene erhöhte AGR bis zum Erreichen einer bestimmten Betriebstemperatur) keine Auswirkungen auf die Grenzwerte in den Prüfverfahren hat. Bereits dieser Umstand spricht dafür, dass die Behauptung einer emissionsrelevanten Umschaltung, sei es der Abgasrückführung oder der AdBlue-Dosierung, entgegen den Erkenntnissen des KBA in umfangreichen Feldversuchen aufgestellt wird.
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(6) Entgegen der Ansicht der Klagepartei kann aus dem Umstand, dass das OBD keine Fehlermeldung bei einer Überschreitung der NOx-Grenzwerte anzeigt, nicht auf ein vorsätzlich sittenwidriges Verhalten der Beklagten geschlossen werden, da es nicht Aufgabe des OBD-Systems ist, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (OLG Karlsruhe, Urteil vom 23. Juni 2021 – 6 U 142/20, juris Rn. 115, OLG Hamm, Urteil vom 28. Januar 2021 – 18 U 21/20, juris Rn. 164). Im Übrigen ist der Vortrag ungeeignet, um Anhaltspunkte für eine manipulative Ausgestaltung der Abgasbehandlung zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2021 – ZR 2/21, juris Rn. 18).
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b) Die Klagepartei hat keinen Anspruch gemäß § 826 BGB.
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Bereits der objektive Tatbestand der Norm setzt voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16). Daher reicht der Umstand, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert wird und die Abgasreinigung bei gewissen Temperaturen nicht mehr voll funktionsfähig ist, nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 15; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, juris Rn. 18). Dies gilt auch dann, wenn eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, juris Rn. 16).
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Ähnliche Erwägungen gelten für die Fahrkurve(nerkennung). Auf der Grundlage der Feststellungen des KBA, dass die Grenzwerte in den Prüfverfahren auch dann eingehalten werden, wenn die Fahrkurvenerkennung zuvor deaktiviert wurde, und des Umstandes, dass die Fahrkurvenerkennung auch bei Fahrzeugen mit Otto-Motoren zum Einsatz kommt, die kein NOx emittieren, ist der Schluss zu ziehen, dass die handelnden Personen nicht vorsätzlich und/oder sittenwidrig gehandelt haben.
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c) Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergibt sich kein Anspruch der Klagepartei.
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aa) Ein Anspruch auf (Rück-)Abwicklung des (mit einem Dritten geschlossenen) Kaufvertrags (sog. „großer Schadensersatz), wie ihn die Klagepartei mit ihrem Antrag geltend macht, ergibt sich aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen nicht (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 19 ff.).
39
bb) Nach Ansicht des Senats folgt aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV – insoweit entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 28 ff.) – allerdings auch kein Anspruch auf Ersatz des „Differenzschadens“.
40
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
41
(1) Mit dem Bundesgerichtshof ist davon auszugehen, dass die § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2023 im Verfahren C-100/21 europarechtskonform dahin auszulegen sind, dass sie einen Anspruch auf Ersatz des Schadens begründen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 32; EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 96).
42
(2) Das vom Bundesgerichtshof zur Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs entwickelte Konstrukt des sog. Differenzschadens, der durch einen Geldanspruch in einer Höhe zwischen fünf und 15 Prozent des Kaufpreises kompensiert werden soll (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 28 ff. [insb. Rn. 44 u. 74 f.]), vermag jedoch im Ergebnis nicht zu überzeugen, da es dem Hauptschutzzweck der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV und der diesen Vorschriften zugrundeliegenden europäischen Normen widerspricht.
43
Ausgangspunkt der Überlegungen ist dabei, dass der Gerichtshof selbst keine Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung eines (nationalen) Schadensersatzanspruchs gemacht, sondern vielmehr ausgeführt hat, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, die Modalitäten des europarechtlich geforderten Schadensersatzanspruchs festzulegen (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 C-100/21, juris Rn. 92. u. 96). Auch hat er nicht dargelegt, worin konkret ein etwaiger Schaden zu erblicken und worauf der sich aus dem Europarecht ergebende Anspruch auf Ersatz eines (festgestellten) Schadens gerichtet ist. Seinen Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, dass der Schadensersatzanspruch dazu dienen soll, den sich im Wesentlichen aus der Übereinstimmungsbescheinigung ergebenden Anspruch des Käufers darauf sicherzustellen, dass das gekaufte Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 89). Die Art und Weise wie eine Verletzung dieses Anspruchs zu kompensieren ist kann von den Mitgliedsstaaten frei bestimmt werden, solange der Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht. Daraus folgt, dass die nationalen Gerichte die nationalen Schadensersatzvorschriften europarechtskonform dahin auszulegen zu haben.
44
Im deutschen Schadensersatzrecht wird die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt (BGH, Urteile vom 9. Dezember 2020 – VIII ZR 238/18, juris Rn. 26; vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, juris Rn. 10; vom 21. November 2019 – III ZR 244/18, juris Rn. 27; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29; BeckOGK/Brand, BGB [1.3.2022], § 249 Rn. 249; Staudinger/Höpfner, BGB [2021], § 249 Rn. 28; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 122) . Die Lehre vom Schutzzweck der Norm ist seit jeher anerkannt für die Konkretisierung des Haftungsumfangs bei § 823 Abs. 2 BGB (MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 249 Rn. 122; BeckOGK/Brand, BGB [1.3.2022], § 249 Rn. 249) sie gilt mittlerweile jedoch unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird (BGH, Urteile vom 9. Dezember 2020 – VIII ZR 238/18, juris Rn. 26; vom 20. Mai 2014 – VI ZR 381/13, juris Rn. 10). Im Deliktsrecht gilt sie für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität gleichermaßen (BeckOGK/Brand, BGB [1.3.2022], § 249 Rn. 249; Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29). Diese weitere, normative Einschränkung der äquivalenten und adäquaten Kausalität („wertende Betrachtung“) führt dazu, dass der geltend gemachte Schaden nur dann zu ersetzen ist, wenn er nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt (Grüneberg, BGB, 81. Aufl., Vorb v § 249 Rn. 29; BGH, Urteile vom 9. Dezember 2020 – VIII ZR 238/18, juris Rn. 26; vom 21. November 2019 – III ZR 244/18, juris Rn. 27).
45
Auch wenn der Europäische Gerichtshof aus den Regelungen in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und der RL 2007/46/EG schließt, dass sie auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen sollen (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 85), verfolgen diese Vorschriften vorrangig doch das Ziel, ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 C-100/21, juris Rn. 71). Dies ergibt sich sowohl aus den Erwägungsgründen 1 („um ein hohes Umweltschutzniveau sicherzustellen“), 4 („Strategie zur Luftreinhaltung“ und „Erreichung der Luftqualitätsziele der EU“) und 6 („Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte“) der Verordnung, als auch aus den Erwägungsgründen 3 („hohen Gesundheits- und Umweltschutz“), 6 („Umweltschutz deutlich verbessern“) und 14 („hohes Umweltschutzniveau bieten“) der Richtlinie.
46
Der vom Bundesgerichtshof entwickelte, auf Geldzahlung gerichtete Differenzschadensersatzanspruch konterkariert diesen weiteren, wenn nicht gar Hauptschutzzweck der (europäischen) Zulassungsnormen. Denn Geldzahlungen der Hersteller an die Käufer von mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen Fahrzeugen führen mitnichten, jedenfalls nicht unmittelbar dazu, dass zukünftig ausschließlich solche Fahrzeuge am Straßenverkehr teilnehmen, die die abgasrechtlichen Vorgaben einhalten. Die Geldzahlungen haben vielmehr zur Folge, dass der europarechtswidrige Zustand perpetuiert wird und die Eigentümer bzw. Besitzer „schmutziger Autos“ für das weitere Umherfahren mit „ihren Dreckschleudern“ auch noch bezahlt werden (so schon: Senat, Beschlüsse vom 18. Januar 2023 – 35 U 4627/22, juris Rn. 33; vom 23. November 2022 – 35 U 6675/21, juris Rn. 34).
47
Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, § 249 ff. BGB ausschließlich die Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung zuzusprechen. Diese – im Vergleich zu dem vom Bundesgerichtshof ebenfalls angenommenen Ausschluss des großen Schadensersatzes (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 19 ff.) weitergehende – Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten rechtfertigt sich aus dem Hauptschutzzweck der Zulassungsnormen.
48
Dass solche weitergehenden Schutzzweckerwägungen dem deutschen Schadensrecht nicht fremd sind, zeigt ein Vergleich mit § 16 UmweltHG. § 16 Absatz 1 UmweltHG präzisiert für den Fall, dass die Beschädigung einer Sache auch eine Beeinträchtigung der Natur oder der Landschaft darstellt, § 251 Abs. 2 BGB dahin, dass die Aufwendungen für die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes nicht allein deshalb unverhältnismäßig sind, weil sie den Wert der Sache übersteigen. Aus dem auf die tatsächliche Beseitigung des Umweltschadens gerichteten Sinn und Zweck der Norm wird weiter gefolgert, dass dem Geschädigten mit Blick auf Geldzahlungen (gemäß § 249 Abs. 2 BGB) – insoweit entgegen dem Grundsatz – keine Verwendungsfreiheit zugutekommt (BeckOGK/Brand, BGB [1.3.2022], § 249 Rn. 187; MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl., § 249 Rn. 283; Staudinger/Kohler, BGB [2017], § 16 UmweltHG Rn. 15). Auch wenn § 16 UmweltHG aus systematischen Gründen unmittelbar nur für die nach dem UmweltHG begründeten Schadensersatzansprüche gilt (Staudinger/Kohler, BGB [2017], § 16 UmweltHG Rn. 5), sollten die ihm zugrundeliegenden Erwägungen bei der richterrechtlichen Ausgestaltung des vom Europäischen Gerichtshof geforderten Schadensersatzanspruch aufgrund des Hauptschutzzwecks der Zulassungsvorschriften nicht unberücksichtigt bleiben.
49
Zwar können zum Zeitpunkt der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung bereits eingetretene Umweltschäden nicht wieder gutgemacht werden; diese Maßnahme führt aber wenigstens dazu, dass keine weiteren rechtswidrigen Beeinträchtigungen der Umwelt mehr stattfinden. Da mit der Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung auch dem Anspruch des Käufers darauf, dass das gekaufte Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 89), Genüge getan wird, verdient ein solcher Anspruch den Vorzug gegenüber einem auf Geldzahlung gerichteten Differenzschadensersatzanspruch. Denn nur hierdurch kann (auch) dem Hauptschutzzweck des Umweltschutzes unmittelbar Rechnung getragen werden.
50
Ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung hat zudem den Vorteil, dass ein (gewisser) Gleichlauf zwischen den zivil- und öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen der Fahrzeughersteller hergestellt wird. Denn er führt zu nichts weniger als zur Herstellung der Konformität der Fahrzeuge mit den europarechtlichen Zulassungsvorschriften. Eine solche zivilrechtliche Verurteilung entspricht im Wesentlichen den von Verwaltungsgerichten ausgesprochenen Urteilsformeln, etwa wie der des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts, das das dort verklagte KBA verpflichtet hat, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um im Hinblick auf die vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtungen die Übereinstimmung der Fahrzeuge mit den Vorschriften der Verordnung (EU) Nr. 2018/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.05.2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2007 und (EG) Nr. 595/2009 und zur Aufhebung der RL 2007/46/EG herzustellen (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 20. Februar 2023 – 3 A 113/18, juris).
51
(3) Das vom Senat gefundene Ergebnis erfüllt die Voraussetzungen des europarechtlichen Effektivitätsgrundsatzes (siehe dazu Schlussanträge des Generalanwalts vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 55 u. 65).
52
Dass § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB etwaige Ersatzansprüche von einem Verschulden abhängig macht, verstößt nicht gegen europarechtliche Grundgedanken. Auch der Generalanwalt geht davon aus, dass die RL 2007/46/EG die Mitgliedstaaten zur Verfügungstellung von Ersatzansprüchen des Erwerbers gegen den Hersteller nur insoweit verpflichtet, als der Hersteller ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug schuldhaft in Verkehr gebracht hat (Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 54).
53
Der vom Senat als möglich erachtete Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung ist eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen den Hersteller. Der Richtliniengeber hat den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Art der Sanktionen freie Hand gegeben. Daraus folgt, dass wenn ein Mitgliedstaat mehrere Sanktionen ergriffen hat, bei der Beurteilung der Effektivität der Maßnahmen das rechtliche Gesamtgefüge maßgeblich ist. Der Blick darf nicht darauf verengt werden, ob ein Erwerber einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs nur ausnahmsweise dann geltend machen darf, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat.
54
Die in der Bundesrepublik Deutschland zur Erfüllung der Verpflichtung gemäß Art. 46 der RL 2007/46/EG zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten sind ausreichend effektiv. Abgesehen davon, dass § 37 Abs. 1 EG-FGV vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen § 27 Abs. 1 Satz 1 FG-FGV mit einem Bußgeld belegt, sehen die §§ 29a, 30 OWiG die Möglichkeiten vor, Geldbußen gegen juristische Personen zu verhängen und Taterträge einzuziehen. Die deutschen Gerichte haben im Zusammenhang mit dem sog. „Dieselskandal“ von diesen Vorschriften Gebrauch gemacht und gegen die V. AG eine Geldbuße und eine Einziehung in Höhe von einer Milliarde Euro sowie gegen die A. AG solche in Höhe von 800 Millionen Euro angeordnet. Über diese strafrechtlichen Vorschriften hinaus sieht das deutsche Gewährleistungsrecht bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen – sogar z. T. verschuldensunabhängige – kaufvertragliche Ansprüche gegen den Fahrzeugverkäufer vor (vgl. zum Motor EA 189: BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 – VIII ZR 254/20; zum Motor OM 651: BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19). Vor dem Hintergrund der in § 445a BGB geregelten Rückgriffmöglichkeit des Verkäufers stellt dies auch mit Blick auf die Fahrzeughersteller, einen – von dem Generalanwalt geforderten, in seiner Stellungnahme jedoch unberücksichtigt gebliebenen – Anreiz dar, die Unionsvorschriften penibel einzuhalten, um eine Haftung zu vermeiden (vgl. Schlussanträge vom 2. Juni 2022 – C-100/21 Rn. 58).
55
In dieses Bündel an Maßnahmen fügen sich die gemäß § 826 BGB auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags und gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung gerichteten Schadensersatzansprüche ein, so dass in Deutschland – jedenfalls in ihrer Gesamtheit – wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen im Sinne des Art. 46 der Richtline 2007/46/EG gegen die Hersteller vorgesehen sind.
56
cc) Selbst wenn man mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV (auch) einen auf Geldzahlung gerichteten Differenzschadensersatzanspruch folgern möchte, lägen dessen inhaltliche Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht vor.
57
(1) Es fehlt an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB (i.V.m. § 37 Abs. 1 EG-FGV) erforderlichen Verschulden der Beklagten.
58
(a) Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB setzt schuldhaftes Handeln voraus, wobei sich das Verschulden nach h. M. nur auf die Verletzung des Schutzgesetzes und nicht auch auf die Verletzung des betroffenen Rechtsguts beziehen muss (Staudinger/Hager, BGB [2021], § 823 G, Rn. 34). Mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad wäre im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln ausreichend (Staudinger/Hager, BGB [2021], § 823 G, Rn. 37). Eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB scheidet allerdings aus, wenn feststeht, dass die für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständige Behörde die ex post als irrtümlich erkannte Rechtsauffassung des Schädigers bestätigt hätte, selbst wenn dieser eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt haben sollte (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB [2021], § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
59
Auf diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof auch in seinem Urteil vom 26. Juni 2023 VIa ZR 335/21 hingewiesen und unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Genehmigung ausgeführt, dass der Fahrzeughersteller dann nicht schuldhaft gehandelt hat, wenn die für die EG-Typgenehmigung zuständige Behörde die konkret verwendete Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten in dem konkreten Motor einer bestimmten Baureihe genehmigt hätte (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 66 f.). Aus einer bestimmten, hinreichend konkreten Verwaltungspraxis kann gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 67).
60
(b) Dies zugrunde gelegt ist ein Verschulden der Beklagten zu verneinen.
61
Wie sich aus den dem Verfahren C-134/20 des Europäischen Gerichtshofs zugrundeliegenden Feststellungen ergibt, genehmigte das KBA das Software-Update, das auf Fahrzeuge mit dem Motor EA 189 aufgespielt wurde. Dieses Update enthielt ein Thermofenster, das einen schadstoffarmen Modus nur dann gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 °C liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1.000 Höhenmetern erfolgt (EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-134/20 Rn. 19 u. 24 f.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA, das – insoweit entgegen dem EuGH – bis heute von der generellen Zulässigkeit der Thermofenster ausgeht, ein ebenso bedatetes auch beim EA 288 genehmigt hätte.
62
Dieser Schluss wird durch die zahlreichen in „Parallelverfahren“ erteilten amtlichen Auskünfte des KBA bestätigt. In diesen hat es erklärt, dass es – u. A. im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“, des Software-Updates im Zusammenhang mit dem „Nationales Forum Diesel“ sowie spezifischer Feldüberwachungstätigkeiten – sehr umfassende Untersuchungen an Fahrzeugen mit EA 288-Motoren durchgeführt (u. A. Softwareanalysen und Messungen) und dabei auch mit Blick auf das Thermofenster keine Unzulässigkeit festgestellt habe. Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster mag diese Bewertung des KBA inhaltlich falsch sein. Die Auskünfte belegen jedoch, dass das KBA die temperaturabhängige Steuerung der Abgasreinigung (Thermofenster) – auch in der engen Bedatung – im Gesamttypgenehmigungsverfahren nicht beanstandet, sondern die Typgenehmigung erteilt hätte (vgl. auch die den EA 288 betreffenden Feststellungen des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Urteil vom 15. Dezember 2021 – 2 U 68/21, juris Rn. 36; gleichlautende Auskünfte sind dem Senat u. A. auch aus den hiesigen Verfahren 35 U 9412/21 und 35 U 7269/21 bekannt).
63
Dies wird bestätigt durch die vom KBA in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart für Fahrzeuge des Volkswagenkonzerns mit dem Motor V6-TDI Euro 5 Generation 2 allgemeingültige Mitteilung, dass ihm die Verwendung von Thermofenstern prinzipiell bekannt war. Auf ausdrückliche Frage des dortigen Senats hat es weiter erklärt, dass ihm der exakte Wirkbereich zum Zeitpunkt der Erteilung der Typgenehmigung zwar nicht bekannt gewesen war, es die Genehmigung jedoch auch bei einer Angabe der konkreten Parameter erteilt hätte (Auskunft des KBA vom 11. September 2020 im Verfahren 16a U 194/19 des Oberlandesgerichts Stuttgart; vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Januar 2023 – 16 U 3122/19, juris Rn. 25).
64
Aus alledem ist der Schluss zu ziehen, dass das KBA auch hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Fahrzeugtyps eine Typengenehmigung erteilt hätte, hätte die hiesige Beklagte die konkrete Bedatung ihres Thermofensters offengelegt. Die Beklagte handelte daher nicht schuldhaft (so auch: OLG Frankfurt, Urteil vom 22. September 2022 – 4 U 230/20, juris Rn. 38 ff. [EA 288, Euro 6, NSK]; OLG Köln, Beschluss vom 10. Januar 2023 – 19 U 66/22, juris Rn. 12 ff. [EA 288, Euro 6, SCR]; OLG Dresden, Beschluss vom 21. Februar 2023 – 4 U 2359/22, juris Rn. 34 [EA896 Gen2 Euro 5]; OLG Koblenz, Urteil vom 24. November 2022 – 7 U 1038/22, juris Rn. 53 ff. [EA 288, Euro 6, SCR]; OLG Hamm, Beschluss vom 9. August 2022 – I-34 U 177/21, juris Rn. 24 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2022 – 23 U 492/21, juris Rn. 49 ff. [OM 651, Euro 6]; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. April 2023 – 1 U 1472/22, juris Rn. 34 [OM 651, Euro 5]).
65
(2) Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, dass der Klagepartei ein Schaden entstanden ist.
66
(a) Für die Ermittlung der gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu schätzenden Höhe des Differenzschadens gilt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 72 ff.):
67
Der geschätzte Schaden kann aus Gründen unionsrechtlicher Effektivität und der Verhältnismäßigkeit nicht geringer als fünf und nicht höher als 15 Prozent des gezahlten Kaufpreises sein. Bei der Schätzung des Schadens innerhalb dieses Rahmens sind bei der Bestimmung des objektiven Werts des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die mit der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Nachteile, insbesondere das Risiko behördlicher Anordnungen, zu berücksichtigen. Umfang der in Betracht kommenden Betriebsbeschränkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit sind mit Rücksicht auf die Einzelfallumstände in den Blick zu nehmen. Über diese originär schadensrechtlichen Gesichtspunkte hinaus ist das Gewicht des der Haftung zugrundeliegenden konkreten Rechtsverstoßes für das unionsrechtliche Ziel der Einhaltung gewisser Emissionsgrenzwerte sowie der Grad des Verschuldens nach Maßgabe der Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls zu bewerten. Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens ist der Senat bei seiner Schätzung innerhalb des genannten Rahmens nicht gehalten. Vortrag der Parteien, dass sich der Schaden im konkreten Fall auf weniger als 5% oder mehr als 15% des gezahlten Kaufpreises belaufe, sind ohne Relevanz.
68
Eine schadensmindernde Berücksichtigung später eintretender Umstände im Wege der Vorteilsausgleichung ist geboten, wobei insofern die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zum „kleinen“ Schadensersatz nach § 826 BGB sinngemäß gelten. Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs sind erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, kann damit eine Schadensminderung verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert. Im Ergebnis kann die Vorteilausgleichung auch der Gewährung eines Differenzschadensersatzes entgegenstehen, wenn der Differenzschaden vollständig ausgeglichen ist.
69
(b) Dies zugrunde gelegt ergibt sich – eine Haftung dem Grunde nach unterstellt – für die Bemessung des Schadens im vorliegenden Fall Folgendes:
70
Der Senat geht davon aus, dass der Differenzschaden fünf Prozent beträgt. Bei der Bemessung ist insbesondere berücksichtigt worden, dass die Wahrscheinlichkeit des Eintritts behördlicher Beschränkungen äußerst gering war und ist. Dies ergibt sich aus dem bisherigen Verhalten des KBA, das – wie oben dargelegt – den EA 288 mehrfach und intensiv überprüft und von betriebseinschränkenden Maßnahmen abgesehen hat.
71
Mit Blick auf die Vorteilsausgleichung ist bei der Bemessung der Nutzungsentschädigung auch dann vom Bruttokaufpreis auszugehen, wenn der geschädigte Käufer vorsteuerabzugsberechtigt ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. Januar 2022 – 8 U 85/20, juris Rn. 41; OLG Koblenz, Urteil vom 24. September 2021 – 8 U 1778/20, juris Rn. 21; OLG Hamm, Urteil vom 5. Juli 2021 – I-8 U 201/20, juris Rn. 57; OLG Oldenburg, Urteil vom 4. März 2021 – 14 U 185/20, juris Rn. 52; vgl. auch: BGH, Urteile vom 26. Juni 1991 – VIII ZR 198/90, juris Rn. 13; vom 9. April 2014 – VIII ZR 215/13, juris Rn. 11). Die Gesamtaufleistung schätzt der Senat regelmäßig auf 250.000 km (siehe insoweit: BGH, Urteile vom 27. Juli 2021 – VI ZR 480/19, juris Rn. 25 ff.; vom 27. April 2021 VI ZR 812/20, juris Rn. 16; vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20, juris Rn. 56 ff.).
72
Danach ergeben sich für den vorliegenden Fall folgende Beträge:
73
Auszugehen ist von einem Kaufpreis von 46.980 € und einem sich daraus ergebenden möglichen Differenzschaden von 2.349 €. Aus dem sich aus Anlage K1 ergebenden Anfangskilometerstand von 6.505 km und dem im Urteil mitgeteilten Kilometerstand von 205.381 km am 7. August 2022, ergibt sich ein durchschnittlicher täglicher „Verbrauch“ von 105,84 km, so dass davon auszugehen ist, dass die Klagepartei bis heute weitere 37.573 km gefahren ist. Daraus ergibt sich ein aktueller Kilometerstand von 242.954 km und eine Nutzungsentschädigung in Hohe von 45.620,54 €. Der mögliche Differenzschaden reduziert sich bereits aus diesem Grund auf 1.359,46 €. Von diesem Betrag ist nun der Restwert des Fahrzeugs abzuziehen, der deutlich höher zu schätzen sein dürfte. Eine Recherche bei mobile.de hat einen Mindestpreis von 12.500 € ergeben, so dass davon auszugehen ist, dass die Klagepartei keinen Schaden erlitten hat.
74
(3) Mit Blick auf die grundsätzlich von der Klagepartei nachzuweisende Erwerbskausalität ist fraglich, ob ihr dieser Nachweis gelingen wird.
75
Der vom Bundesgerichtshof aufgestellte Erfahrungssatz, dass der Käufer den Kaufvertrag in Kenntnis des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu einem (fünf Prozent) günstigeren Kaufpreis geschlossen hätte, gilt dann nicht, wenn der Fahrzeughersteller sein Verhalten vor dem Abschluss des konkreten Erwerbsgeschäfts dahin geändert hat, dass er die Ausrüstung der Fahrzeuge mit Motoren einer dem erworbenen Fahrzeug entsprechenden Baureihe mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf eines solchen Kraftfahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 57).
76
Mit Blick auf das Thermofenster und die Fahrkurvenerkennung ist davon auszugehen, dass dem KBA deren technische Funktionen in allen Motoren des Typs EA 288 (Euro 5, Euro 6, NSK, SCR) spätestens seit Ende 2015 bekannt waren und über die Zulässigkeit dieser Einrichtungen eine breite öffentliche Diskussion stattfand. Die Klagepartei hat das Fahrzeug am 16. Juni 2017, also danach erworben.
77
d) Schließlich scheidet auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB aus, da nach den oben dargelegten Umständen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für den subjektiven Tatbestand des § 263 StGB vorgetragen worden sind. Im Übrigen scheitert ein solcher Anspruch – da es sich vorliegend um einen Gebrauchtwagenkauf handelt – an der fehlenden Stoffgleichheit (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 19 ff.).
III.
78
Der Senat regt daher an, die Berufung zur Meidung weiterer Kosten zurückzunehmen, im Fall der Rechtsmittelrücknahme ermäßigen sich die zweitinstanziellen Gerichtsgebühren um die Hälfte.
79
Den Streitwert für das Berufungsverfahren beabsichtigt der Senat auf 15.145,75 € festzusetzen.