Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 09.03.2023 – 84 O 1768/21 Die
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenketten:
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Leitsätze:
1. Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der Regelung der § 6, § 27 EG-FGV bezweckte der nationale Normgeber nicht den Schutz des Interesses eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erscheint im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Normen gestellt sind, weder sinnvoll noch tragbar. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 288, illegale Abschalteinrichtung, Schutzgesetz, Schädigungsvorsatz, Thermofenster
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 25.07.2023 – 34 U 1617/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19538

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wird abgewiesen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 28.192,26 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei begehrt Rückzahlung des Kaufpreises für ein angeblich mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenes Fahrzeug nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs an die Beklagte.
2
Die Klagepartei erwarb am 07.12.2019 einen VW Sharan 2,0l TDI, Abgasnorm EU6, mit einer Leistung von 135 kW zu einem Kaufpreis von 28.800,00 € brutto. Das Fahrzeug war ein Gebrauchtwagen und wies zum Kaufzeitpunkt einen Kilometerstand von 39.503 km auf. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 ausgestattet. Bei der Baureihe EA 288 handelt es sich um die Nachfolgebaureihe zu der vom sog. „Abgasskandal“ betroffenen Baureihe EA 189. Das Fahrzeug ist von keiner Maßnahme des KBA betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.
3
Das Fahrzeug wies am 11.02.2023, einen Kilometerstand von 62.701 km auf.
4
Die Klagepartei behauptet im Wesentlichen,
das Fahrzeug sei vom sog. „Abgasskandal“ betroffen. Es sei mit einer illegalen Abschalteinrichtung versehen, um im Falle eines Abgastests die zulässigen Abgaswerte zu erreichen. Auch das in der Baureihe EA 288 vorhandene sog. Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung einzuordnen. Die Klagepartei habe darauf vertraut, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Die Beklagte sei daher zum Schadensersatz verpflichtet, unter anderem aus § 826 BGB.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 28.192,26 nebst Zinsen aus Euro
28.192,26 hieraus in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 06.01.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Volkswagen Sharan, FIN: …98.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 06.01.2021 in Verzug befindet.
III. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.564,26 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt im Wesentlichen vor, dass der Motor des Fahrzeugs keine unzulässige Abschalteinrichtung enthalte. Der Vortrag der Klagepartei sei insoweit unsubstantiiert und ins Blaue hinein. Das KBA habe die EA 288 – Motoren untersucht und festgestellt, dass diese nicht die aus den EA 189 – Motoren bekannte Umschaltlogik enthielten. Es werde auf dem Prüfstand auch kein optimierter Modus angewendet. Auch das eingesetzte Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar.
8
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
9
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
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I. Die Klage ist zulässig.
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Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts folgt aus § 32 ZPO.
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II. Die Klage ist aber unbegründet.
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, auch nicht Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs und Anrechnung einer Nutzungsentschädigung. Auch die Feststellungsansprüche, einschließlich des Hilfsantrags, sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren sind ohne Erfolg.
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Der Klagepartei stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer mangels vertraglicher Beziehung zwischen den Parteien allein denkbaren deliktischen Haftung der Beklagten sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen.
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1. Ein Anspruch nach § 826 BGB besteht nicht.
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Nach § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die Klagepartei hat die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Anspruchs nach § 826 BGB nicht schlüssig vorgetragen.
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Sowohl der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, als auch der Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug enthalte ein unzulässiges Thermofenster, begründen keine Ansprüche gegen die Beklagte, weil er als Vortrag „ins Blaue hinein“ anzusehen ist bzw. weil die Klagepartei den Vorsatz der Beklagten nicht dargelegt hat.
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a) Die Klagepartei bringt vor, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalte eine illegale Abschalteinrichtung.
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Hierzu verweist die Klagepartei auf die Funktionsweise einer Software, die den Schadstoffausstoß gezielt manipuliere, in dem sie erkenne, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im allgemeinen Straßenverkehr betrieben werde, und bei einer Fahrzeugnutzung auf einem Prüfstand den Schadstoffausstoß zur gezielten Veränderung des Prüfergebnisses durch Umschaltung auf einen hierfür programmierten Modus verringere. Die Klagepartei verkennt dabei, dass es auch begründet zulässige Zykluserkennungen und Abschalteinrichtungen geben kann.
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Dieser Sachvortrag weist daher keine Substanz auf und ist willkürlich aus der Luft gegriffen. Er rechtfertigt daher nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v.18.06.2019, Az. 3 U 416/19 m.w.N.).
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Grundsätzlich ist bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Es muss einer Partei möglich sein, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält.
22
Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69, 70).
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Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt für den Einsatz einer unzulässigen Manipulationssoftware, wie z.B. aus den EA 189 – Motoren bekannt, in dem EA 288 – Motor im Fahrzeug der Klagepartei fehlt.
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aa) Die Klagepartei beschränkt sich mit Blick auf die Beschaffenheit der behaupteten Steuerungssoftware darauf die Unzulässigkeit zu behaupten. Hierin liegt kein hinreichender Sachvortrag.
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Es kann auch nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass eine bestimmte illegale Manipulationssoftware vorhanden ist, weil die Vorgängergeneration über eine solche verfügt hat (vgl. dazu auch OLG Köln, Beschluss vom04.07.2019, Az.3 U 148/18). Es gibt keinen Erfahrungssatz, der einen Generalverdacht gegenüber sämtlichen Dieselmotoren eines Konzerns begründen kann. Dagegen spricht auch, dass das KBA unstreitig eine Rückrufaktion für den streitgegenständlichen Motor nicht angeordnet hat.
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bb) Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei den EA 288 – Motoren folgen auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Klagepartei.
27
Die Beklagte hat detailliert ausgeführt, dass die implementierte Fahrkurvenerkennung und das Thermofenster insoweit keinerlei Einfluss auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte hatte. Die in der Software des Motors EA 288 hinterlegten Fahrkurven führten insoweit nicht zu einer Optimierung der NOx – Emissionen im Prüfstandbetrieb, wie beim EA 189.
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Soweit die Klagepartei mit anderweitig ergangenen Urteilen dagegen argumentiert genügt dies nicht, zumal nicht bekannt ist ob diese überhaupt rechtskräftig wurden.
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Die Klagepartei übersieht, dass eine Zykluserkennung / Umschaltlogik generell nicht unzulässig ist, soweit sie die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems nicht unter Bedingungen verringert, die bei normalem Fahrzeugbetrieb zu erwarten sind. Substantiierte Ausführungen dazu erfolgen nicht, sondern nur der unzulässige Zirkelschluss, dass eine vorhandene Abschalteinrichtung eine Manipulation der Emissionswerte belege.
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Konsequent geht die Klagepartei auf den mit zahlreichen Anlagen belegten Vortrag der Beklagten, dass das KBA nach eingehender Überprüfung bestätigt habe, dass in den Motoren EA 288 keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, im Weiteren auch nicht überzeugend ein. Insoweit ist zu sehen, dass trotz Vorlage der Applikationsrichtlinie an das KBA dort bis heute keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt bzw. ein entsprechender Rückrufbescheid erlassen worden wäre.
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cc) Auch aus einer möglichen Überschreitung der Grenzwerte auf der Straße folgt ebenfalls nicht das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
32
Es ist gerichtsbekannt, dass Emissionswerte wie auch Kraftstoffverbrauch branchenweit im normalen Fahrbetrieb höher sind als im NEFZ-Prüfzyklus. Der NEFZ-Prüfuyklus soll insofern vor allem ein Vergleichbarkeit verschiedener Fahzeugmodelle und Motoren gewährleisten. Dies war auch der Grund für die Einführung anderer, normalbetriebsähnlicherer Prüfzyklen wie RDE und WLTP. In diesem Zusammenhang ist ferner der Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen, wonach hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs bzw. der streitgegenständlichen Motorenbaureihe kein Rückruf vorliege. Schließlich hat die Beklagte vorgetragen, dass der streitgegenständliche Fahrzeugtyp einschließlich des Motors nach Bekanntwerden des Abgasskandals beim KBA vorgestellt und untersucht worden sei und dass es gleichwohl zur Anordnung eines Rückrufs nicht gekommen sei. Auch dies hat die Klagepartei nicht substantiiert widerlegt.
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Nach alledem liegen die strengen Anforderungen eines rechtsmissbräuchlichen und damit unzureichenden Sachvortrags vor (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v. 18.06.2019, Az.3 U 416/19 m.w.N.).
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b) Auch der Vorwurf der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einem als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehenden sog. Thermofenster ausgestattet, begründet keinen Anspruch aus § 826 BGB gegen die Beklagte.
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Ob es sich bei dem konkreten Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, kann im Ergebnis dahinstehen.
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Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein sollte, geht damit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einher. Thermofenster sind allgemein anerkannte und von sämtlichen Herstellern eingesetzte technische Einrichtungen. Sie werden branchenweit bei allen Dieselmotoren eingesetzt. Ihr Zweck besteht darin, eine „Versottung“ zu verhindern. Sie dienen daher dem Motorschutz und können auch zulässig sein. Nicht jedes Thermofenster stellt zwingend eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Von der Manipulationssoftware beim Motortyp EA 189 unterscheidet sich das von der Klagepartei behauptete Thermofenster zudem grundlegend. Beim Thermofenster handelt es sich anders als bei der Manipulationssoftware der EA 189 – Motoren nicht um eine Programmierung zum Erkennen des Betriebs des Fahrzeugs auf dem Prüfstand. Das Thermofenster arbeitet gleichermaßen im Straßenbetrieb und auf dem Prüfstand.
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Zudem fehlt es in diesem Zusammenhang an einer Darlegung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen.
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Das bloße Vorhandensein einer (behaupteten) objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung allein ist nicht geeignet, Ansprüche der Klagepartei aus § 826 BGB zu begründen. Ein Schädigungsvorsatz kann nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde.
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Es ist aber weder ersichtlich noch von der Klagepartei dargelegt, dass die Beklagte mit der Unzulässigkeit des eingesetzten Thermofensters gerechnet hätte. Ein Thermofenster kann durchaus zulässig sein. Bei der gegebenen Sachlage kann – anders als beim Einsatz einer versteckten Software – nicht ohne weiteres von einem vorsätzlichen Rechtsverstoß ausgegangen werden. Im vorliegenden Fall kann insofern bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte ein Vorsatz der Beklagten nicht ohne weiteres unterstellt werden. Vielmehr kann dann eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Eine Verkennung der Rechtslage begründet aber selbst im Falle eines fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Handelns keinen Schädigungsvorsatz.
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Soweit behauptet wird, die Beklagte habe im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens wichtige Informationen vorenthalten oder unzutreffende Behauptungen u.a. zum Thermofenster gemacht, ist dies erkennbar eine Vermutung ins Blaue hinein. Erforderlich um hier zu einer sekundären Darlegungslast oder weiterer Aufklärungspflicht seitens des Gerichts kommen zu können wäre zumindest erforderlich gewesen, zu benennen, was genau gegenüber wem aufgrund welcher Verpflichtung aufzuklären gewesen wäre bzw. welche Informationen vorenthalten wurden.
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2. Deliktische Ansprüche, bei denen eine fahrlässige Begehungsweise ausreichend ist, sodass es auf den Vorsatz der Beklagten nicht ankommt, sind nicht ersichtlich. Insbesondere haftet die Beklagte im Hinblick auf das sog. Thermofenster auch nicht gem. § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder i.V.m. Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008, da diese keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind. Denn der Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts in Form des Schutzes des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs vor Abschluss eines ungewollten Vertrages liegt weder im Aufgabenbereich der Vorschriften, noch ergibt sich dies aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinie. (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 72 ff; BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 – VII ZR 268/21 –, juris; BGH, Beschluss vom 4. Mai 2022 – VII ZR 656/21 –, juris).
42
Auch die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21(abrufbar unter: https://curia.europa.eu und vorgelegt als Anlage K D 24) führen zu keiner anderen Bewertung und veranlassen insbesondere nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und eine Aussetzung des Verfahrens analog § 148 ZPO:
„Selbst wenn entsprechend der in diesen Schlussanträgen (dort Rn. 50 und Rn. 78 Nr. 1) vertretenen Auffassung zu Argumentationszwecken unterstellt würde, die RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Der VO (EG) Nr. 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst der Generalanwalt selbst keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu.
(1) Eine Rechtsnorm ist ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie dasjenige der Allgemeinheit im Auge haben. Nicht ausreichend ist aber, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm nur als ihr Reflex objektiv erreicht wird; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen. Außerdem muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen, wobei in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, zu prüfen ist, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 Rn. 73 m.w.N.).
(2) Diese Voraussetzungen sind bezogen auf §§ 6, 27 EG-FGV nicht gegeben. Denn mit diesen Vorschriften bezweckte der nationale Normgeber nicht den Schutz des Interesses eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (dazu (a)), und die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erschiene im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Normen gestellt sind, weder sinnvoll noch tragbar (dazu (b)).
(a) Mit der Verordnung über die EG-Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbstständige technische Einheiten für die Fahrzeuge (EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung – EG-FGV) – einer gemeinsamen Verordnung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und des Bundesministeriums des Innern – bezweckte der nationale Normgeber in Umsetzung der RL 2007/46/EG in nationales Recht die Harmonisierung des öffentlich-rechtlichen Zulassungsrechts von Kraftfahrzeugen, nicht jedoch den Schutz der Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist. Die letztgenannte Zielrichtung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der nationalen Normen noch aus sonstigen Umständen. Vielmehr ist den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 42) im Gegenteil zu entnehmen, die Bundesregierung habe – in Übereinstimmung mit der allgemeinen Ansicht (vgl. dazu oben aa) – die Auffassung zum Ausdruck gebracht, die RL 2007/46/EG diene nicht dem Zweck, auch die Interessen eines individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zu schützen.
(b) Auch in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die §§ 6, 27 EG-FGV gestellt sind, erschiene es weder sinnvoll noch tragbar, dem individuellen Erwerber eines Kraftfahrzeugs gestützt auf die genannten Normen einen Schadensersatzanspruch bereits dann einzuräumen, wenn ein Hersteller – gegebenenfalls bloß fahrlässig – ein Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet hat.
(aa) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das Gemeinschaftsrecht möglichst wirksam anzuwenden (effet utile), und nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (richtlinien- bzw. unionsrechtskonforme Auslegung, vgl. EuGH, Urteil vom 10.12.2020 – C-735/19 Rn. 75; BGH, Urteil vom 18.11.2020 – VIII ZR 78/20 Rn. 25; jeweils m.w.N.).
Einer Umsetzung von Richtlinien bedarf es allerdings nur insoweit, wie der bestehende Rechtszustand nicht bereits den Vorgaben der Richtlinie entspricht. Im Falle der Übereinstimmung von Richtlinienauftrag und nationalem Rechtszustand bedarf es weder einer Umsetzung noch eines Hinweises, dass die bestehenden nationalen Rechtsnormen nunmehr durch eine Richtlinienbestimmung festgeschrieben und in deren Licht zu interpretieren sind (vgl. Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand: Januar 2022, Art. 288 AEUV Rn. 119 m.w.N.).
(bb) Nach diesen Maßstäben bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der §§ 6, 27 EG-FGV als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, angemessen zu schützen.
1 Bereits das bestehende Recht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die das Interesse des Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben bzw. nutzen zu müssen, und auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bieten, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten.
So ist ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung gemäß § 826 BGB (i.V.m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB) gegen den Hersteller eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Motors zwar von strengen Voraussetzungen abhängig; diese wurden allerdings bereits in vielen tausenden Fällen mit der Folge einer Haftung des Motorenherstellers bejaht. Überdies stehen dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs in aller Regel – verschuldensunabhängig – vertragliche Ansprüche zu, die insbesondere auf Nacherfüllung gerichtet sind und gegebenenfalls – falls es sich bei dem Verkäufer des Fahrzeugs nicht um den Motorenhersteller handeln sollte – zu Regressansprüchen gegen den Hersteller des Motors führen. Schließlich sind auch die nach deutschem Recht vorgesehenen Strafen und Bußgelder (u.a. § 37 Abs. 1 EG-FGV) und die hoheitlichen Befugnisse der Aufsichtsbehörden (vgl. § 25 EG-FGV) zu berücksichtigen. Die in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58) wiedergegebene Auffassung des vorlegenden Gerichts, Hersteller hätten „nach derzeitigem Rechtsstand keine Inanspruchnahme zu befürchten“, trifft nach alledem erkennbar nicht zu.
2 Das auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Voraussetzungen basierende bestehende System zeichnet sich dadurch aus, dass die den Hersteller treffenden Sanktionen und die dem Erwerber zustehenden Ansprüche erheblich davon abhängen, welcher Verschuldensvorwurf dem Hersteller zu machen ist. So ist beispielsweise ein Hersteller, der i.S.v. § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat, nicht nur inhaltlich, sondern – aufgrund differenzierter Verjährungsvorschriften – auch zeitlich deutlich weitergehenden Rechtsfolgen ausgesetzt als ein solcher, den lediglich der Vorwurf leichter Fahrlässigkeit trifft.
3 Dieses abgestufte und interessengerechte System würde im Ergebnis zerstört, wenn die §§ 6, 27 EG-FGV in der Weise als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ausgelegt würden, dass beispielsweise schon ein auf leichter Fahrlässigkeit beruhender Verstoß gegen sich aus der VO (EG) Nr. 715/2007 ergebende Verpflichtungen einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten deliktischen Schadensersatzanspruch eines Fahrzeugerwerbers zur Folge hätte, der noch viele Jahre nach Herstellung des Motors geltend gemacht werden könnte.
Eine derartig weitgehende, den Grad des Verschuldens nicht ausreichend berücksichtigende Haftung von Motorenherstellern stellte einen durch nichts gerechtfertigten Fremdkörper in der deutschen Rechtsordnung dar, der den – unter anderem in Art. 5 Abs. 4 EUV verankerten – Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Grundsätze des Vertrauensschutzes (vgl. dazu Streinz/Huber, EUV/AEUV, 3. Aufl., Art. 19 EUV Rn. 23 m.w.N.) verletzte und in Hinblick auf Regelungen des Kaufrechts und die Haftung für sonstige Konstruktionsfehler Wertungswidersprüche mit sich brächte. So ergäben sich auch für weit zurückliegende Produktionszeiträume erhebliche Haftungsrisiken, mit denen Fahrzeug- und Motorenhersteller bislang nicht rechnen mussten und für die sie keine Rückstellungen bilden konnten. Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb unzulässige Abschalteinrichtungen anders als alle anderen Konstruktionsfehler von Fahrzeugen behandelt werden sollten (z.B. vorzeitig alternde Bremsschläuche), die im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht auffallen, die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge aber gleichwohl gefährden, so dass der weitere Betrieb des Fahrzeuges untersagt werden müsste, falls sich der Erwerber der Nachrüstung widersetzt. Schließlich ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein Fahrzeughersteller gegenüber einem Erwerber, mit dem er keinen Vertrag geschlossen hat, bereits bei leichter Fahrlässigkeit umfassender haften müsste als nach den Regelungen des Kaufrechts, das einerseits die Möglichkeit der Nacherfüllung und andererseits eine kenntnisunabhängige zweijährige Verjährung von Mängelansprüchen ab Ablieferung vorsieht (§ 438 BGB), während Ansprüche aufgrund Schutzgesetzverletzungen gegebenenfalls erst in zehn Jahren von ihrer Entstehung an verjähren (vgl. § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB).
4 Solche Wertungswidersprüche und die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und der Grundsätze des Vertrauensschutzes werden mit der RL 2007/46/EG nicht angestrebt und sind zu ihrer Umsetzung nicht erforderlich. Das gilt auch dann, wenn man – entsprechend den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Nr. 1) – unterstellte, die Richtlinie diene (auch) dem Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist.
Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich – und auch aufgrund der weiteren Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 nicht anzunehmen –, dass die Richtlinie bezogen auf das genannte Interesse des Fahrzeugerwerbers ein bestimmtes Rechtsschutzniveau vorgäbe, das in Deutschland unterschritten wäre, falls die §§ 6 und 27 EG-FGV nicht als Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB angesehen würden. Soweit der Generalanwalt in den Schlussanträgen vom 02.06.2022 (dort Rn. 65 und Rn. 78 Nr. 2) die Ansicht vertritt, die Mitgliedstaaten müssten vorsehen, dass „ein Erwerber eines Fahrzeugs einen Ersatzanspruch gegen den Fahrzeughersteller hat, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 12 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist“, kann damit sinnvollerweise nicht gemeint sein, ein solcher Ersatzanspruch müsse unabhängig von weiteren Voraussetzungen eingeräumt werden. Vielmehr ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Voraussetzungen schon aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, und sie wird auch in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 dadurch angedeutet, dass dort (Rn. 59) die Auffassung des vorlegenden Gerichts wiedergegeben wird, „auch fahrlässige Verstöße“ sollten einen Anspruch begründen – was nahelegt, dass Ansprüche von einem Verschulden des Herstellers abhängig gemacht werden dürfen. Soweit in den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 02.06.2022 (dort Rn. 58 und 59) zum Ausdruck kommt, die dem Erwerber eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung derzeit nach deutschem Recht zustehenden Ansprüche seien unzureichend, handelt es sich nicht um eine eigene Bewertung des Generalanwalts, sondern um eine Wiedergabe der „Auffassung des vorlegenden Gerichts“, die ihrerseits auf falschen Annahmen beruht (vgl. dazu schon oben unter [1]).“
(OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022 – 24 U 115/22 –, Rn. 89 – 103, juris)
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Das Gericht schließt sich der Rechtsauffassung des OLG Stuttgart an (wie auch OLG München, Beschluss vom 04.07.2022, Az. 28 U 16/22).
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3. Mangels Anspruchs in der Hauptsache sind auch die (hilfsweisen) Feststellungsanträge sowie die Nebenforderungen unbegründet.
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4. Es besteht kein Anlass, das Verfahren im Hinblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts Rantos im Verfahren C-100/21 vor dem EuGH auszusetzen. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens liegt, wenn die Voraussetzungen des § 148 ZPO erfüllt sind, im Ermessen des Gerichts. Abzuwägen sind das Interesse der Beklagtenpartei an einer zeitnahen Entscheidung gegen das Interesse der Klagepartei, keine klageabweisende Entscheidung wegen einer vorgreiflichen Rechtsfrage zu erhalten. Ferner sollen widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden (vgl. BGH I ZR 228/12 Rn 17). Das Gericht hat sich nach Abwägung der genannten Umstände gegen eine Aussetzung entschieden.
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Selbst wenn von einer drittschützenden Wirkung der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 VO 715/2007 bzw. Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB ausgegangen würde, müsste als Mindestvoraussetzung das entsprechende Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sein und der Fahrzeughersteller hätte dies zum Zeitpunkt des Verbaus der Einrichtung erkennen müssen. Dies ist vorliegend jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit anzunehmen.
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Die Diskussion um die Zulässigkeit des Thermofensters zeigt jedoch, dass es zum Zeitpunkt des Verbaus desselben gerade nicht eindeutig war, ob es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Aus dem Bericht der Untersuchungskkommission „Volkswagen“ vom April 2016 (abzurufen auf der Homepage des KBA) ist zu entnehmen, dass Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchs. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigunngen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI,Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur betriebene erhebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (vgl. BGH III ZR 263/20).
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Im Übrigen hat die Beklagte nachvollziehbar dargelegt und mittels vorgelegter Schreiben des KBA dargelegt, dass diesem der Verbau des Thermofensters bei der Erteilung der Typgenehmigung (bzw. bei EA 189: bei Freigabe des Softwareupdates) bekannt war.
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Zudem bleibt die Prüfung der Frage, ob ein bestimmtes Interesse dem sachlichen Schutzbereich einer Norm unterfällt, den nationalen Gerichten vorbehalten, vgl. BGH III ZR 87/21 Rn 11. Der BGH hat aber unter anderem in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19 Rn 76) klargestellt, dass die europarechtlichen Bestimmungen nicht dem (vermögensrechtlichen) Interesse dienen, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Demnach würde sich ein etwaiger Drittschutz des Typgenehmigungsrechts allenfalls auf Schäden erstrecken, die durch eine verzögerte Erstzulassung oder ein erforderlich gewordenes Software-Update entstanden sind. Der auch hier fragliche Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsinteresses hingegen liegt nicht im Aufgabenbereich der Norm.
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Im Übrigen wird auch hier auf die bereits zitierte Entscheidung des OLG Stuttgart (s.o.) verwiesen.
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Die Klagepartei hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.