Inhalt

LG München I, Urteil v. 25.01.2023 – 12 KLs 257 Js 217947/19 (2)
Titel:

Dissoziale Persönlichkeitsstörung als schwere andere seelische Störung und Berücksichtigung in der Strafzumessung (Urteil nach Zurückverweisung)

Normenkette:
StGB § 20, § 21, § 46
Leitsatz:
Der Angeklagte litt zum Tatzeitpunkt an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2), die nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung erfüllte. Es konnten keine Besonderheiten der Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten festgestellt werden, die sich nicht mehr „normalpsychologisch“ und nicht mit der Dissozialität erklären lassen, die der (mehrfachen) Begehung von schweren Straftaten immanent ist. Dennoch war in die Strafzumessungserwägungen einzustellen, dass die Vorahndungen wie auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit trotz Führungsaufsicht durch die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten begünstigt worden waren. (Rn. 52 – 55 und 66) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafzumessung, dissoziale Persönlichkeitsstörung, schwere andere seelische Störung
Vorinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2022 – 1 StR 447/21
LG München I, Urteil vom 15.07.2021 – 19 KLs 257 Js 217947/19
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2023 – 1 StR 132/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.07.2023 – 1 StR 132/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19476

Tenor

I. Der Angeklagte K, geboren am …, ist aufgrund des Urteils des Landgerichts München I vom 15.07.2021 des besonders schweren Raubes schuldig. Darüber hinaus wurde eine Einziehungsentscheidung getroffen.
II. Er wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren 2 Monaten verurteilt.
III. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Revision.

Entscheidungsgründe

1
Das Landgericht München I, 19. Strafkammer, verurteilte den Angeklagten am 15.07.2021 wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren.
2
Die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 500 Euro wurde angeordnet.
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Auf die Revision des Angeklagten hob der Bundesgerichtshof dieses Urteil mit Beschluss vom 11.01.2022, Az.: 1 StR 447/21, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf. Die weitergehende Revision des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen.
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Der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes ist damit bindend. Auch bindend ist die Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB bzw. deren Nichtanordnung.
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Ebenso bindend ist die Einziehungsentscheidung.
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Die 12. Strafkammer des Landgerichts München I verurteilte den Angeklagten vorliegend unter Berücksichtigung der in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aufgezeigten Mängel des Ersturteils zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren 2 Monaten.
7
Die Kammer gelangte nach umfangreicher Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass die dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) des Angeklagten nicht das Eingangsmerkmal der krankhaft seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB erfüllt. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21 StGB war zum Tatzeitpunkt gegeben. Er war nicht vermindert schuldfähig i.S.d. § 21 StGB.
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Dem Verfahren liegt keine Verständigung nach § 257c StPO zugrunde.
A. Persönliche Verhältnisse
I. Werdegang
II. Körperliche und psychische Gesundheit
III. Alkohol- und Drogenkonsum
IV. Vorstrafen
B. Festgestellter Sachverhalt
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Über die bindenden Feststellungen aus dem Urteil der 19. Strafkammer des Landgerichts München I vom 15.07.2021 hinaus hat die Kammer ergänzend folgende Feststellungen getroffen.
I. Folgen der Tat beim Geschädigten V. R.
10
Der Geschädigte V. R kann auch heute, d.h. mehr als 2 Jahre nach der Tat am 28.11.2019, nicht allein im Teppichladen seines Bruders arbeiten. Wenn er allein im Teppichladen ist, wird er nach spätestens 5 Minuten nervös, unruhig und hat Angst. Er kann seinen Bruder nur unterstützen, wenn dieser gleichzeitig mit ihm auch im Teppichladen ist. Anfragen seines Bruders, ob er im Teppichladen aushelfen kann, wenn er allein dort ist, muss er deshalb ablehnen. Anhaltende psychische Schäden sind beim Geschädigten V. R nicht eingetreten.
II. Schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) und Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21)
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Zum Tatzeitpunkt lag beim Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) vor, der keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB darstellt. Die nicht ausschließbar vorliegende Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21) stellt keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB dar. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21 StGB war zum Tatzeitpunkt gegeben. Allerdings war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt alkohol- und drogenbedingt enthemmt.
III. Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2)
12
Zum Tatzeitpunkt lag beim Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) vor. Die dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) des Angeklagten erfüllte jedoch nicht das Eingangsmerkmal der krankhaft seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21 StGB war zum Tatzeitpunkt gegeben.
C. Beweiswürdigung
I. Zu den persönlichen Verhältnissen und Vorstrafen
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Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf dessen Angaben in der Hauptverhandlung und den Angaben des Sachverständigen Dr. M, der den Angeklagten bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung im Rahmen der Begutachtung exploriert hatte. Die vom Sachverständigen wiedergegebenen Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen ihm gegenüber, bestätigte der Angeklagte in der Hauptverhandlung selbst.
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Die Feststellungen zu den Vorstrafen des Angeklagten beruhen auf dem Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 09.01.2023 und den entsprechenden Urteilen. Der Angeklagte bestätigte jeweils die Richtigkeit.
II. Zu den ergänzenden Feststellungen der 12. Strafkammer zu den Folgen der Tat beim Geschädigten V. R
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Die Feststellungen beruhen auf den Angaben des geschädigten Zeugen V. R.
16
Der glaubwürdige Zeuge V. R sagte glaubhaft aus, dass er noch heute nicht allein im Teppichladen seines Bruders arbeiten könne. Wenn er allein im Teppichladen sei, werde er nach spätestens 5 Minuten nervös, unruhig und habe Angst. Er könne seinen Bruder nur unterstützen, wenn dieser gleichzeitig mit ihm auch im Teppichladen sei. Anfragen seines Bruders, ob er im Teppichladen aushelfen könne, wenn er allein dort sei, müsse er deshalb ablehnen.
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Professionelle Hilfe in Form von einer psychologischen Behandlung habe er nach der Tat allerdings nicht in Anspruch genommen. Dies habe er nicht für notwendig erachtet, da er mit seiner Familie über das Erlebte habe sprechen können.
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Der Zeuge V. R sagte ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer aus. Er neigte insbesondere nicht zur Übertreibung der Tatfolgen. Anlass zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Zeugen ergab sich nicht.
III. Zu den ergänzenden Feststellungen der 12. Strafkammer zu den psychischen Erkrankungen und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten
1. Schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) und Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten
Bedingungen (ICD 10: F 19.21)
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Die Feststellungen beruhen auf den Angaben des Angeklagten, den Angaben des Zeugen V. R sowie des Zeugen S, den Ausführungen der toxikologischen Sachverständigen Dr. P und den Ausführungen der psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. S. und Dr. M, denen sich die Kammer nach eigener Überzeugung jeweils anschloss, und dem eigenen Eindruck der Kammer von dem Angeklagten.
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Aus diesen Angaben ergab sich, dass beim Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) zum Tatzeitpunkt bestand, der aber keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB darstellt. Es ergab sich auch, dass beim Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21) zum Tatzeitpunkt vorlag, die keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB darstellt.
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Es ergab sich, dass die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21 StGB zum Tatzeitpunkt gegeben war. Zugunsten des Angeklagten nahm die Kammer eine alkohol- und drogenbedingte Enthemmung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt an.
a. Angaben des Angeklagten
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Der Angeklagte ließ sich dahingehend ein, dass er sich nicht mehr genau an seinen Konsum am Tattag erinnere. Er könne diesen aber anhand seines Konsums zu dieser Zeit und seiner noch vorhandenen Erinnerungen an den Tattag rekonstruieren. Am Tattag habe er gleich nach dem Aufstehen einen Joint (0,4 g Marihuana) geraucht. Das Rauchen von Joints sei zu dieser Zeit für ihn so normal gewesen wie das Rauchen von Zigaretten. Vor dem Kauf der Softairpistole im Waffengeschäft „Waffen K“ am Ostbahnhof gegen 11.00 Uhr habe er eine Dose Whiskey-Cola getrunken. Danach sei er zur S-straße gefahren, wo er sich Drogen und Alkohol besorgt habe. Von dort aus sei er mit der S-Bahn nach Pasing gefahren. Auf der Toilette in den P Arkaden habe er dann Kokain (0,4 g) geschnupft. Gleich im Anschluss habe er mehrere Schlucke Whiskey pur aus einer Flasche (Fassungsvermögen: 0,75 l) genommen. Sodann habe er sich zu Fuß zum Teppichladen des Bruders des Zeugen V. R begeben.
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Die Kammer hat erkannt, dass die Angaben des Angeklagten in dieser Hauptverhandlung von denen in der vorherigen Hauptverhandlung deutlich nach unten abwichen. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte sich zu seinem Konsumverhalten am Tattag wahrheitsgemäß eingelassen hat. Der Angeklagte hat seine Konsumangaben in der Hauptverhandlung anhand seiner Erinnerung nachvollzogen und im Vergleich zu seinen Angaben in der letzten Hauptverhandlung deutlich nach unten korrigiert. Wie die toxikologische Sachverständige auch bestätigte, sind die Konsumangaben – anders als in der vorangegangenen Hauptverhandlung – plausibel.
b. Angaben des Zeugen V. R
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Der Zeuge V. R ist der Geschädigte und der Enkel der Tante des Angeklagten. Der glaubwürdige Zeuge V. R gab glaubhaft an, dass der Angeklagte auf ihn nicht alkoholisiert gewirkt habe. Er habe weder gelallt noch gestottert. Der Angeklagte sei ungepflegt gewesen, Alkoholgeruch habe er aber nicht wahrnehmen können. Auch habe der Angeklagte sicher auf den Beinen gewirkt. Da der Angeklagte gesagt habe, dass er ihn mit der Spritze drogensüchtig machen werde wie ihn selbst, habe er es für möglich gehalten, dass der Angeklagte unter Drogen gestanden habe. Während der Tat hätten sich er und der Angeklagte vom Vorderraum des Teppichladens in den Hinterraum des Teppichladens und wieder zurück bewegt. Der Angeklagte habe ihm folgen können. Verlangsamte Reaktionen habe er beim Angeklagten nicht wahrnehmen können.
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Mit dem Angeklagten sei ein Gespräch möglich gewesen. Auch habe der Angeklagte verstanden, was er gesagt habe. Während der Tat seien ihm Stimmungsschwankungen beim Angeklagten aufgefallen. So sei der Angeklagte beim Betreten des Teppichladens in einer (noch) normalen Stimmungslage gewesen. Dann sei er zunehmend nervöser und aggressiver geworden. Er habe ihn angeschrien, wo sein Großvater, d.h. der Großvater des Zeugen V. R, sei. Er habe Bargeld verlangt. Nachdem der Angeklagte die Softairpistole durchgeladen und auf ihn gerichtete habe, sei es ihm gelungen, beruhigend auf den Angeklagten einzureden. Der Angeklagte habe sich dann zumindest vorübergehend beruhigt. Kurzzeitig sei der Angeklagte dann traurig geworden. So habe der Angeklagte über seinen verstorbenen Vater gesprochen und dabei Tränen in den Augen gehabt. Dann sei der Angeklagte aber wieder aggressiv geworden. Manchmal sei der Angeklagte auch laut geworden. Außer der Lautstärke habe sich in diesen Momenten aber nichts geändert. Mit dem Angeklagten sei ein Gespräch jederzeit möglich gewesen. Seiner Meinung nach habe der Angeklagte jederzeit verstanden, was er gesagt habe. Angaben dahingehend, ob der Angeklagte sich anders verhalten habe als sonst oder anders gewirkt habe, seien ihm nicht möglich, denn er kenne den Angeklagten nicht näher und habe daher keine Vergleichsmöglichkeit.
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Der Zeuge V. R sagte ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer aus. Auch insoweit ergab sich kein Anlass zu Zweifeln.
c. Angaben des Zeugen S
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Der glaubwürdige Zeuge S, der Inhaber des an den Teppichladen angrenzenden Handyladens, gab glaubhaft an, nach Beendigung seiner Mittagspause gegen 14 Uhr habe er sich aus westlicher Richtung vom P-platz kommend auf dem Rückweg zu seinen Handyladen befunden. Er sei gerade in die B-straße eingebogen und habe sich ca. 3 m vor seinem Handyladen befunden, als er den Angeklagten gesehen habe, der direkt an ihm vorbei aus der Richtung des Teppichladens kommend in Richtung des P-platzes gelaufen sei. Der Angeklagte habe dabei körperlich angestrengt und hektisch gewirkt. Er habe schwer geatmet und eine komische Laufart gehabt. Ein Bein habe sich anders bewegt. Er habe sich beim Laufen ersichtlich schwergetan und sei humpelnd gelaufen. Er habe einen Rucksack am Rücken getragen, dessen Träger runtergerutscht gewesen seien. Für ihn habe der Angeklagte körperlich nicht fit gewirkt. Er habe aber auf ihn sicher auf den Beinen gewirkt und nicht geschwankt. Er, der Zeuge, habe nicht den Eindruck gehabt, dass der Angeklagte angetrunken gewesen sei. Er sei sehr zielstrebig gelaufen. Da am P-platz viele Verkehrsmittel verkehrten, habe er gedacht, der Angeklagte beeile sich, um den Bus oder die S-Bahn noch zu erwischen. Er könne sich nur deswegen so genau erinnern, weil der Angeklagte so ungewöhnlich gelaufen sei. Dies sei für ihn einprägsam gewesen.
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Der Zeuge S sagte ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer aus. Anhaltspunkte für Zweifel an den glaubhaften Aussagen bzw. der Glaubwürdigkeit des Zeugen S, der zum Angeklagten nicht in einer persönlichen Beziehung steht, sind nicht ersichtlich.
d. Angaben der Sachverständigen Dr. P
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Die toxikologische Sachverständige Dr. P erstattete in der Hauptverhandlung ihr Gutachten mit großer Fachkunde. Sie führte aus, dass sie sich in ihrem Gutachten hinsichtlich des Konsums von Alkohol und Drogen vor der Tat nur auf die Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung stützen könne. Weitere Angaben oder sonstige Erkenntnisse diesbezüglich lägen nicht vor. Auffallend sei, dass die Angaben des Angeklagten in dieser Hauptverhandlung vor der 12. Strafkammer des Landgerichts München I von denen des Angeklagten in der letzten Hauptverhandlung vor der 19. Strafkammer des Landgerichts München I abwichen. Die nunmehrigen Angaben des Angeklagten zu seinem Konsum von Alkohol und Drogen an diesem Tag seien aus toxikologischer Sicht plausibel. Sie gehe für ihre sachverständige Beurteilung davon aus, dass der Angeklagte gleich nach dem Aufstehen einen Joint geraucht habe. Weiter gehe sie davon aus, dass der Angeklagte gegen 11 Uhr eine Dose Whiskey-Cola, d.h. 0,33 l, getrunken habe, dann Kokain geschnupft und sodann mehrere Schlucke, d.h. großzügig geschätzt 150 ml, Whiskey pur getrunken habe. Unklar sei, welches Körpergewicht der Angeklagte zum Tatzeitpunkt gehabt habe. Sie gehe von 95 kg aus, da der Angeklagte in der Hauptverhandlung dies als sein Gewicht angegeben habe. Die von ihr durchgeführte Berechnung der Blutalkoholkonzentration ergebe, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt höchstens eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille, ohne Abbau, bei einem Resorptionsdefizit von 10%, gehabt haben könne. Wahrscheinlich erscheine ihr eine Blutalkoholkonzentration von 0,89 Promille bei einem Resorptionsdefizit von 20% und ohne Berücksichtigung eines Abbaus. Das Kokain habe zum Tatzeitpunkt noch seine akute Wirkung entfaltet. Es sei davon auszugehen, dass es beim Angeklagten E. und Wohlbefinden ausgelöst habe sowie den Antrieb des Angeklagten gesteigert habe. Die sedierende Wirkung des Alkohols sei durch das Kokain unterdrückt worden. Der Konsum von THC spiele eine untergeordnete Rolle und habe keinen Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit.
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Dass keine erheblich akute Intoxikation beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt vorgelegen habe, lasse sich anhand der folgenden Parameter im Rahmen einer Gesamtschau feststellen. Ausfallerscheinungen des Angeklagten seien nicht feststellbar gewesen. So sei die Erinnerung des Angeklagten zu seinem Zustand zum Tatzeitpunkt erhalten. Auch die Kommunikationsfähigkeit sei zum Tatzeitpunkt erhalten gewesen. Der Angeklagte habe mit dem Zeugen V. R ein Gespräch führen können. Auch die Motorik sei unauffällig gewesen. Weder der Zeuge V. R noch der Zeuge S hätten von motorischen Ausfallerscheinungen berichtet. Der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt zum Ort und zur Zeit orientiert gewesen. Dies ergebe sich daraus, dass der Angeklagte extra aus der Schweiz angereist sei, die Scheinwaffe gekauft habe und auch den Teppichladen gefunden habe. Auch sei der Angeklagte zur Person orientiert gewesen. So habe er ausdrücklich nach dem Großvater des Zeugen V. R, dem Zeugen W. R, verlangt. Auch liege aufgrund des Waffenkaufs ein planvolles Handeln des Angeklagten vor. Ebenso habe der Angeklagte U. und Sorgfalt walten lassen. Dies zeige sich in der Abnahme des Handys und des Schlüssels, womit der Angeklagte das Eintreffen der Polizei zumindest verzögern wollte. Der Angeklagte sei in der Lage gewesen, Widerstände zu überwinden. Die vom Zeugen V. R beschriebenen Stimmungsschwankungen könnten bei Alkohol- und Drogenkonsum grundsätzlich auftreten und seien damit grundsätzlich durchaus erklärbar, stellten aber keine alkohol- und drogentypische Ausfallerscheinung dar, die Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit habe. Solche Stimmungsschwankungen könnten im Übrigen auch anders erklärt werden, nämlich mit der vorliegenden Konfliktsituation und dem damit verbundenen Stress.
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Eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat gemäß §§ 20, 21 StGB aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums habe aus toxikologischer Sicht nicht vorgelegen. Eine gewisse Enthemmung des Angeklagten aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums sei zwar nicht ausschließbar, da nicht genau bekannt und verifizierbar sei, was und in welchen Mengen der Angeklagte konsumiert habe. Jedoch reiche eine solche etwaige Enthemmung nicht aus, um eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat gemäß §§ 20, 21 StGB aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums beim Angeklagten bejahen zu können.
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Die Ausführungen der Sachverständigen Dr. P waren schlüssig und nachvollziehbar. Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen der toxikologischen Sachverständigen Dr. P aus eigener Überzeugung an. Zugunsten des Angeklagten geht das Gericht davon aus, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 Promille hatte.
e. Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. S.
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Der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. S. erstattete in der Hauptverhandlung sein Gutachten mit großer Fachkunde. Beim Angeklagten liege ein schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) vor. Eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21) könne nicht ausgeschlossen werden. Eine erhebliche akute Intoxikation habe beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt allerdings nicht vorgelegen. Eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat gemäß §§ 20, 21 StGB aufgrund des Alkohol- und Drogenkonsums des Angeklagten könne nicht bejaht werden. Er schließe sich der toxikologischen Sachverständigen Dr. P auch für sein Fachgebiet an. Kognitiv hätten keine wesentlichen Beeinträchtigungen beim Angeklagten vorgelegen. Der Angeklagte habe die Tat geplant und sein Vorhaben, Geld zu erhalten, umsetzen können. Auch motorische Beeinträchtigungen hätten nicht vorgelegen; solche seien weder vom Zeugen V. R noch vom Zeugen S beschrieben worden. Ausgehend von 1,0 Promille seien solche auch nicht zu erwarten gewesen, insbesondere dann, wenn eine Alkoholgewöhnung bestehe. Aus psychiatrischer Sicht sei der toxikologischen Sachverständigen Dr. P zuzustimmen, dass die vom Zeugen V. R beschriebenen Stimmungsschwankungen des Angeklagten bei der Tat keine Ausfallerscheinung im Rahmen einer Intoxikation darstelle, sondern auf die Konfliktsituation mit familiärem Hintergrund zurückzuführen sei, in der sich der Angeklagte befunden habe.
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Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. waren schlüssig und nachvollziehbar. Die Kammer schließt sich dessen überzeugenden Ausführungen aus eigener Überzeugung an.
f. Angaben des Sachverständigen Dr. M
35
Der psychiatrische Sachverständige Dr. M erstattete in der Hauptverhandlung sein Gutachten mit großer Fachkunde. Er führte aus, dass beim Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) vorliege. Hierbei sei festzustellen, dass die Angaben des Angeklagten zu seinem Alkohol- und Drogenkonsum unkonkret und schwer greifbar seien. Objektive Befunde seien in den Akten nicht enthalten. Allerdings habe der Angeklagte in Haft, d.h. an einem Ort, an dem es grundsätzlich erschwert sei, Alkohol und Drogen zu konsumieren, konsumiert. Aus den Akten ergebe sich aber auch, dass der Angeklagte in der Lage sei, in der Haft nicht zu konsumieren. Festzustellen sei aber auch, dass der Angeklagte außerhalb der Haft konsumiere. Eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21) könne jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.
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Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M waren schlüssig und nachvollziehbar. Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen aus eigener Überzeugung an.
g. Würdigung durch die Kammer
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Die Kammer ist davon überzeugt, dass keine erhebliche akute Intoxikation zum Tatzeitpunkt vorlag. Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an. Die Kammer geht zugunsten des Angeklagten aber davon aus, dass beim Angeklagten zum Tatzeitpunkt eine alkohol- und drogenbedingte Enthemmung vorlag.
38
Die Kammer ist davon überzeugt, dass zum Tatzeitpunkt keine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vorlag. Die Kammer ist davon überzeugt, dass beim Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von multiplen Substanzen (ICD 10: F 19.1) zum Tatzeitpunkt bestand, der aber keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB darstellt. Die Kammer ist davon überzeugt, dass beim Angeklagten eine Abhängigkeit von multiplen Substanzen und eine Abstinenz nur unter geschützten Bedingungen (ICD 10: F 19.21) zum Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann. Diese stellt aber keine krankhafte seelische Störung i.S.d. § 20 StGB dar.
39
Abweichend von dem vorangegangenen Urteil erachtet das Gericht, sachverständig beraten, die Angabe des Angeklagten, er habe am Tattag Alkohol und Drogen konsumiert, als glaubhaft, insbesondere deshalb, weil der Angeklagte – anders als in der vorherigen Hauptverhandlung – nunmehr einigermaßen realistisch erscheinende Mengen angegeben hat, die zu einem schädlichen Gebrauch von multiplen Substanzen passen, auch wenn diese unter Vorbehalt zu sehen sind, zumal diese vom Angeklagten, wie er selbst einräumte, auch nicht genau erinnert werden können. Die Sachverständigen haben zutreffende und nachvollziehbare Umstände dargelegt, warum eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht vorlag, welche auch die Kammer so sieht. Schon das an den Tag gelegte Handeln und Verhalten des Angeklagten spricht deutlich gegen eine erhebliche akute Intoxikation des Angeklagten bei Tatausführung, unabhängig von der exakten Menge des vorangegangenen Konsums von Alkohol/Drogen.
2. Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2)
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Die Feststellungen beruhen auf den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. M, der den Angeklagten exploriert hatte, welchen die Kammer sich aufgrund eigener Überzeugung anschließt, und dem eigenen Eindruck der Kammer von dem Angeklagten.
41
Aus den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. M folgt, dass beim Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) zum Tatzeitpunkt bestand.
42
Indes ist das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB nicht erfüllt. Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. §§ 20, 21 StGB zum Tatzeitpunkt war gegeben. Eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war auszuschließen.
a. Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. S.
43
Der psychiatrische Sachverständige Prof. Dr. S. erstattete in der Hauptverhandlung sein Gutachten mit großer Fachkunde. Er führte aus, dass der Angeklagte sich nicht von ihm habe explorieren lassen. Sein Gutachten beruhe auf den ihm zur Verfügung gestellten Akten sowie seinen Eindrücken aus den beiden Hauptverhandlungen.
44
Beim Angeklagten liege eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) vor. Die Persönlichkeit des Angeklagten sei dadurch geprägt, dass der Angeklagte bereits seit seinem Jugendalter soziale Normen missachte und sich seinen Mitmenschen gegenüber verantwortungslos verhalte. Seine Impulskontrolle sei deutlich herabgesetzt. Der Angeklagte verfüge über eine geringe Frustrationstoleranz. In Konfliktsituationen reagiere er mit Beleidigungen. Er sei nicht in der Lage, aus – teils harter – Bestrafung zu lernen.
45
Bei der Frage, ob das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB erfüllt sei, handle es sich um eine normative Frage, die das Gericht beantworten müsse. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sehe er durchaus mögliche Anhaltspunkte bzw. in die Erwägung einzubeziehende Gesichtspunkte für eine etwaige Bejahung des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Störung des § 20 StGB, ohne dass er dies abschließend beurteilen wolle.
46
So seien beim Angeklagten psychosoziale Leistungseinbußen in ausgeprägter Form festzustellen. Dem Angeklagten sei keine altersgerechte biographische Entwicklung gelungen. Er habe weder eine Ehefrau und Kinder noch habe er einen Schulabschluss oder einen Beruf erlernt. Beim Angeklagten lägen erhebliche Auffälligkeiten affektiver Regulation vor. Dies äußere sich darin, dass der Angeklagte seine Impulse nur schwer kontrollieren könne, und über eine geringe Frustrationstoleranz verfüge. Auch sei beim Angeklagten eine Stereotypisierung von Verhaltensmustern und Einengung der Lebensführung festzustellen. Diese bestünden in der jeweiligen sofortigen Delinquenz nach Haftentlassung. Beim Angeklagten seien keine intakte Realitätskontrolle und keine reifen Abwehrmechanismen festzustellen. Der Angeklagte sei aufgrund seines gestörten Selbstwertgefühls leicht kränkbar und könne mit Zurücksetzungserfahrungen daher nicht umgehen. Inwieweit dem Angeklagten vielfältige Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung standen, könne er nach den ihm vorliegenden Erkenntnissen nicht wirklich beurteilen, solche könne er auch nicht ausschließen.
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In jedem Fall sei die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt auch nicht aufgrund der zu diagnostizierenden dissozialen Persönlichkeitsstörung erheblich vermindert, sondern voll erhalten gewesen. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei daher von einer vollen strafrechtlichen Verantwortlichkeit auszugehen.
b. Angaben des Sachverständigen Dr. M
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Der psychiatrische Sachverständige Dr. M erstattete in der Hauptverhandlung sein Gutachten mit großer Fachkunde. Er führte aus, dass der Angeklagte an einer Exploration mitgewirkt habe. So habe er den Angeklagten über mehrere Stunden in der Justizvollzugsanstalt … ausführlich explorieren können. Weiterhin hätten ihm die gesamte Krankenakte des Angeklagten mit dessen Einverständnis sowie die Ermittlungsakte mit den Beiakten zur Verfügung gestanden. Bei der Exploration habe sich ein weitgehend unauffälliger psychopathologischer Befund gezeigt.
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Der Sachverständige Dr. M schilderte, dass bei dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) vorliege. So liege ein Versagen vor, sich in Bezug auf gesetzmäßiges Verhalten gesellschaftlichen Normen anzupassen. Beim Angeklagten sei eine Falschheit feststellbar, die sich in wiederholtem Lügen oder Betrügen anderer zum persönlichen Vorteil äußere. Auch liege eine Impulsivität mit Versagen, vorausschauend zu planen, vor. Der Angeklagte sei reizbar und aggressiv. Es liege auch eine durchgängige Verantwortungslosigkeit vor, die sich im Versagen eine dauerhafte Tätigkeit auszuüben zeige, und eine fehlende Reue, die sich in Gleichgültigkeit oder Rationalisierung bei schädigendem Verhalten gegenüber anderen äußere. Der Angeklagte habe sich bisher unfähig gezeigt, aus Erfahrung zu lernen. Angesichts seines dokumentierten Verhaltens gegenüber Mitgefangenen könne auch eine deutliche Gefühlsarmut festgestellt werden. Dem Angeklagten sei es nicht möglich gewesen, längere Beziehungen zu führen, wobei dies angesichts der Tatsache, dass er sich viele Jahre seiner Jugend und Adoleszenz in Haft befunden habe, nicht überrasche.
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Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB nicht erfüllt. Bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung sei zwischen einem eingeübten, dissozialen Lebensstil mit antisozialen Verhaltens- und Denkmustern oder dem Vorliegen tatsächlicher psychopathologischer Störungen zu differenzieren. Bei dem Angeklagten liege die erste Variante des eingeübten Lebensstils vor, die aus forensisch-psychiatrischer Sicht nicht unter das Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Störung des § 20 StGB zu subsumieren sei.
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Um zwischen einem eingeübten, dissozialen Lebensstil mit antisozialen Verhaltens- und Denkmustern einerseits und dem Vorliegen tatsächlicher psychopathologischer Störungen andererseits differenzieren zu können, habe er in der Exploration beim Angeklagten die Psychopathie-Checklist Revised (PCL-R) angewandt. Bei dem Faktor 1 erfülle der Angeklagte 4 der möglichen 8 Faktoren. Bei den erfüllten Faktoren handle es sich um: übersteigertes Selbstwertgefühl, pathologisches Lügen, Mangel an Reue oder Schuldgefühle und fehlende Verantwortungsübernahme für eigenes Verhalten. Bei dem Faktor 2 erfülle der Angeklagte 20 von 24 möglichen Faktoren. Bei den erfüllten Faktoren handle es sich um: Bedürfnis nach Stimulation, parasitärer Lebenswandel, schwache Verhaltenskontrolle, frühe Verhaltensauffälligkeiten, Mangel an realistischen und langfristigen Zielen, Sprunghaftigkeit, Verantwortungslosigkeit, Jugenddelinquenz, Widerruf einer bedingten Entlassung und kriminelle Vielseitigkeit. Die Auswertung habe also ergeben, dass der Angeklagte vor allem Kriterien des Faktors 2 erfülle. Damit sprächen die Ergebnisse der PCL-R für einen eingeübten, dissozialen Lebensstil mit antisozialen Verhaltens- und Denkmustern. Dies stimme auch mit seinem übrigen Ergebnis der Exploration überein. Beim Angeklagten fehle die Zwanghaftigkeit. In der Exploration habe er die Bereitschaft gezeigt, über seine Biographie zu reflektieren. Der Angeklagte sei durchaus in der Lage, sein Verhalten adäquat an die jeweilige soziale Situation anzupassen. So verfüge der Angeklagte durchaus über die Fähigkeit, soziale Beziehungen zu knüpfen. Ihm sei es in der Subkultur gelungen, Beziehungen zu knüpfen. Auch sein positives Verhalten bei seiner Tätigkeit als Küchenhelfer in der Justizvollzugsanstalt …, die bei ihm Zufriedenheit erzeuge und ihn stolz mache, dass er dies mache und schaffe, zeige, dass er sein Verhalten steuern könne. Aktuell gebe es für den Angeklagten keine Konflikte, er komme gut in der JVA zurecht. Mit der Veränderung des Umfelds habe er positiv mit einer Verhaltensänderung reagiert. Letztlich reagiere der Angeklagte danach, ob man gut oder schlecht auf ihn zugehe. Er könne schon anders, wenn er wolle. Auch in der Exploration und schließlich in der Hauptverhandlung sei es dem Angeklagten gelungen, sich sozialadäquat zu verhalten.
c. Würdigung durch die Kammer
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Nach eigener kritischer Überprüfung kam die Kammer zur Überzeugung, dass die normative Frage, ob das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB erfüllt ist, zu verneinen ist. Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) zum Tatzeitpunkt litt. Diese erfüllt jedoch nicht das Eingangsmerkmal der krankhaft seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB. Der Angeklagte hat aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F. 60.2) nicht aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2022 – 1 StR 447/21 Rn. 6, vom 22.09.2021 – 1 StR 305/21 Rn. 11 mwN, vom 06.05.2021 – 3 StR 350/20 Rn. 17 f. und vom 11.01.2021 – 1 StR 447/21 Rn. 6). Die Gesamtschau ergab, dass die dissoziale Persönlichkeitsstörung des Angeklagten keine Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2022 – 1 StR 447/21 Rn. 6; vom 22.01.2020 – 2 StR 562/19 Rn. 23; vom 16.03.2016 – 1 StR 402/15 Rn. 12 und vom 11.02.2015 – 4 StR 498/14 Rn. 6; Urteile vom 21.01.2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. und vom 22.05.2019 – 2 StR 530/18 Rn. 14; je mwN).
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Die Kammer hat den Ausprägungsgrad der Störung und den Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit berücksichtigt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2022 – 1 StR 447/21 Rn. 6; vom 22.01.2020 – 2 StR 562/19 Rn. 23; vom 16.03.2016 – 1 StR 402/15 Rn. 12 und vom 11.02.2015 – 4 StR 498/14 Rn. 6; Urteile vom 21.01.2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f. und vom 22.05.2019 – 2 StR 530/18 Rn. 14; je mwN). Die Kammer konnte keine Besonderheiten der Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten erkennen, die sich nicht mehr „normalpsychologisch“ und nicht mit der Dissozialität erklären lassen, die der (mehrfachen) Begehung von schweren Straftaten immanent ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11.01.2022 – 1 StR 447/21 Rn. 6 und vom 22.05.2019 – 1 StR 651/18 Rn. 14 mwN).
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Die Kammer stützt sich insbesondere auf das in der Hauptverhandlung vom psychiatrischen Sachverständigen Dr. M erstattete Gutachten (siehe unter b.). Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Sachverständige Prof. Dr. S. eine Tendenz zu erkennen gab, dass nach seiner Einschätzung gute Argumente für die Annahme sprächen, das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB sei eher erfüllt als nicht.
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Die Kammer ist nicht davon überzeugt, dass die dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) des Angeklagten das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB erfüllt. Anders als der Sachverständige Dr. M konnte der Sachverständige Prof. Dr. S. den Angeklagten nicht explorieren. Der Sachverständige Prof. Dr. S. räumte selbst ein, dass eine solche Exploration im Falle einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) aber von erheblicher Bedeutung für die sachverständige Beurteilung ist. Auch der Sachverständige Dr. M betonte nachvollziehbar die besondere Bedeutung der Exploration bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2) und erläuterte, dass insbesondere das Gespräch mit dem Angeklagten für ihn eine sehr wichtige, wenn nicht sogar die zentrale, Erkenntnisquelle bot. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M waren schlüssig und nachvollziehbar. Die Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. M aus eigener Überzeugung an. Der Sachverständige Dr. M konnte aufgrund der durch ihn erfolgten, ausführlichen Exploration einen tiefgehenden und umfassenden Eindruck vom Angeklagten gewinnen. Insbesondere ist von Bedeutung, dass dem Angeklagten die Zwanghaftigkeit fehlt. Er hat durchaus vielfältige Handlungsoptionen, kann sich auf Situationen adäquat einstellen, wenn er will, was er davon abhängig macht, wie auf ihn zugegangen wird bzw. wie er eine Situation wahrnimmt. Eine herabgesetzte Frustrationstoleranz begründet noch keine Zwanghaftigkeit des Verhaltens. Die Fähigkeit, sich sozialadäquat verhalten zu können, hat der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung gezeigt, in welcher er freundlich und im Großen und Ganzen angenehm und angepasst auftrat. Besondere Vorkommnisse gab es in der Hauptverhandlung nicht.
D. Strafzumessung
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Grundlage für die Strafzumessung war die Schuld des Angeklagten, wobei auch diejenigen Wirkungen berücksichtigt wurden, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 StGB).
I. Strafrahmen
1. Regelstrafrahmen
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Der Regelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB beträgt Freiheitsstrafe von 5 Jahren bis zu 15 Jahren.
2. Kein minder schwerer Fall gemäß § 250 Abs. 3 StGB
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Ein minder schwerer Fall gemäß § 250 Abs. 3 StGB war unter Berücksichtigung aller relevanter Umstände nicht anzunehmen.
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Ein minder schwerer Fall liegt nur dann vor, wenn die Gesamtwürdigung von Tat und Täter unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der Tat, des Verhaltens des Opfers und der Persönlichkeit des Täters ergibt, dass die mildernden Umstände deutlich überwiegen, so dass das in der Tat zum Ausdruck kommende Unrecht deutlich unter dem sonst bei der Verwirklichung des Tatbestands auftretenden liegt (BGH, Beschluss vom 10.01.2006 – 4 StR 545/05, NStZ-RR 2006, 140). Dabei waren vorliegend sämtliche Umstände zu berücksichtigen, die für und gegen den Angeklagten sprechen.
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Im Rahmen der Gesamtwürdigung war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er überwiegend geständig war. Weiter war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass der Geschädigte V. R durch die Tat keine körperlichen Folgen erlitt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums enthemmt war und dass die Tat nun bereits längere Zeit zurücklag. Zugunsten des Angeklagten war in Form eines „fiktiven Härteausgleichs“ zu berücksichtigen, dass die der abgeurteilten Tat nachfolgende Verurteilung (BZR Nr. …) in der Schweiz erfolgt ist und deshalb die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nicht möglich ist. Zu seinen Gunsten war auch zu berücksichtigen, dass aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten dessen Hemmschwelle herabgesetzt war, auch wenn das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung gemäß § 20 StGB nicht erfüllt ist.
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Zulasten des Angeklagten war im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass dieser bereits vielfach – teilweise einschlägig – strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und dass eine hohe Rückfallgeschwindigkeit nur kurze Zeit nach der letzten Haftentlassung vorliegt, dass er die Tat während der Dauer der Führungsaufsicht, der er noch bis zum 10.01.20xx (siehe BZR Nr. …) unterstellt ist, beging, weiterhin, dass er bei der Tatausführung drei verschiedene Nötigungsmittel (Softwarepistole, Spritze und Faustschlag) einsetzte. Schließlich waren zu seinen Lasten durch die Tat verursachten psychischen Folgen beim Geschädigten V. R zu berücksichtigen. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Vorahndungen wie auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit trotz Führungsaufsicht durch die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten begünstigt worden sind, auch wenn das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung gemäß § 20 StGB nicht erfüllt ist.
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Bei einer Gesamtbetrachtung aller vorgenannten Umstände ist daher nach Überzeugung der Kammer die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens das § 250 Abs. 3 StGB aufgrund des Überwiegenden der strafschärfenden Umstände über die strafmilderden Umstände nicht geboten.
3. Keine Milderung gemäß § 21 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB
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Eine Milderung des Regelstrafrahmens gemäß § 21 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB war nicht vorzunehmen. Die Einsicht- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war nicht aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert.
II. Strafzumessung im engeren Sinne
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Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte erachtet die Kammer daher eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren 2 Monaten für tat- und schuldangemessen aber auch zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich.
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Im Rahmen der Gesamtwürdigung war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er überwiegend geständig war. Weiter war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass der Geschädigte V. R durch die Tat keine körperlichen Folgen erlitt, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums enthemmt war und dass die Tat nun bereits längere Zeit zurücklag. Zugunsten des Angeklagten war in Form eines „fiktiven Härteausgleichs“ zu berücksichtigen, dass die der abgeurteilten Tat nachfolgende Verurteilung (BZR Nr. …) in der Schweiz erfolgt ist und deshalb die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe nicht möglich ist. Zu seinen Gunsten war auch zu berücksichtigen, dass aufgrund der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten dessen Hemmschwelle herabgesetzt war, auch wenn das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung gemäß § 20 StGB nicht erfüllt ist.
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Zulasten des Angeklagten war im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass dieser bereits vielfach – teilweise einschlägig – strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und dass eine hohe Rückfallgeschwindigkeit nur kurze Zeit nach der letzten Haftentlassung vorliegt, dass er die Tat während der Dauer der Führungsaufsicht, der er noch bis zum 10.01.20xx (siehe BZR Nr. …) unterstellt ist, beging, weiterhin, dass er bei der Tatausführung drei verschiedene Nötigungsmittel (Softwarepistole, Spritze und Faustschlag) einsetzte. Schließlich waren zu seinen Lasten durch die Tat verursachten psychischen Folgen beim Geschädigten V. R zu berücksichtigen. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Vorahndungen wie auch die hohe Rückfallgeschwindigkeit trotz Führungsaufsicht durch die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten begünstigt worden sind, auch wenn das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Störung gemäß § 20 StGB nicht erfüllt ist.
III. Keine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB
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Eine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB war nicht zu bilden.
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Gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB ist eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Im Falle der Aufhebung durch das Revisionsgericht und Zurückverweisung der Sache an das Tatgericht ist die Gesamtstrafenbildung gem. § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB in der neuen Verhandlung nach Maßgabe der Vollstreckungssituation zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vorzunehmen (stRspr., vgl. BGH, Beschluss vom 3.11.2009, – 3 StR 427/09, BeckRS 2009, 87425; BGH, Beschluss vom 20.12.2011 – 3 StR 374/11, NStZ-RR 2012, 106), d.h. der 15.07.2021. Etwaige Erledigungen der Strafvollstreckung nach dem 15.07.2021 bleiben außer Betracht.
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Die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB mit den Strafen aus den Vorverurteilungen des Amtsgericht K vom 28.03.20xx (BZR Nr. …) und des Amtsgerichts K vom 28.11.2018 (BZR Nr. …) war nicht vorzunehmen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB liegen nicht vor. Zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vor dem Landgericht München I am 15.07.2021 war die aus diesen beiden Strafen nachträglich gebildete Gesamtstrafe (Beschluss des Amtsgerichts K vom 29.03.20xx, BZR Nr. …) bereits vollständig vollstreckt (Erledigung der Strafvollstreckung am 22.10.20xx) und der der Angeklagte hat den besonders schweren Raub am 28.11.2019, also nach und nicht vor den früheren Verurteilungen begangen.
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Auch mit den Strafen aus den Vorverurteilungen des Amtsgerichts M vom 16.08.20xx (BZR Nr. …) und des Amtsgerichts K vom 21.10.20xx (BZR Nr. …) war keine nachträgliche Gesamtstrafe gemäß § 55 Absatz 1 Satz 1 StGB zu bilden.
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Die Strafe aus der Vorverurteilung des Amtsgerichts M vom 16.08.20xx (BZR Nr. …) ist noch nicht vollstreckt. Auch die Strafe aus der Vorverurteilung des Amtsgerichts K vom 21.10.20xx (BZR Nr. …) war zum Zeitpunkt der ersten tatrichterlichen Verhandlung vor dem Landgericht München I am 15.07.2021 noch nicht vollständig vollstreckt. Jedoch hätte das Amtsgericht K die Strafe aus der Verurteilung des Amtsgerichts M in eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung einbeziehen können. Somit geht von der Verurteilung des Amtsgerichts M eine Zäsurwirkung aus (vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.1983 – 1 StR 148/83, NJW 1984, 375, 376). Die Zäsurwirkung der Verurteilung des Amtsgerichts M ist auch nicht entfallen, da die damit verhängte Strafe noch nicht im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 07.12.1983 – 1 StR 148/83, NJW 1984, 375, 376).
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Mit der Strafe aus der Vorverurteilung der Staatsanwaltschaft Z, Z, Schweiz vom 10.12.20xx, Az.: … (BZR Nr. …) war die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nicht vorzunehmen, da es sich um eine ausländische Strafe handelt. Eine solche ist nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2009- 2 StR 386/08, NStZ 2010, 30).
E. Kosten
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 Abs. 1 StPO. Die Kammer geht nicht von einem wesentlichen Teilerfolg des unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels des Angeklagten aus, der eine Quotelung der Rechtsmittelkosten billig erscheinen lässt, § 473 Abs. 4 StPO, denn die Revision war unbeschränkt eingelegt, richtete sich gegen den Schuldspruch, das Strafmaß, die Einziehungsentscheidung und das Absehen von einer Unterbringung nach § 64 StGB. Der Erfolg liegt lediglich darin, dass das Strafmaß in relativ geringem Maße abgesenkt wurde.