Inhalt

VG München, Beschluss v. 14.06.2023 – M 31 M 23.2138
Titel:

Kostenerinnerung, Erledigungsgebühr

Normenketten:
VwGO §§ 165, 151
VV-RVG Nr. 1002, 1003
Schlagworte:
Kostenerinnerung, Erledigungsgebühr
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19460

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. April 2023 im Verfahren M 31 K … wird geändert. Die Festsetzung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002, 1003 VV-RVG wird abgelehnt.
Die Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses nach Maßgabe dieses Beschlusses wird dem Urkundsbeamten bzw. der Urkundsbeamtin des Gerichts übertragen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 4. April 2023, soweit darin eine Erledigungsgebühr als erstattungsfähig angesehen wird.
2
Das Verfahren M 31 K … wurde durch Einstellungsbeschluss vom 23. September 2022 nach Erledigungserklärung der Beteiligten (Schreiben der Beklagten – hier Antragstellerin – vom …7.2022, Schreiben der Klägerin – hier Antragsgegnerin – vom …9.2022) beendet. Gemäß Ziffer II. des Beschlusses trug die Beklagte – ihrer Kostenübernahmeerklärung folgend – die Kosten des Verfahrens.
3
Im Kostenfestsetzungsantrag vom 15. Februar 2023 beantragten die Bevollmächtigten der Antragsgegnerin für das Klageverfahren insbesondere die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG, einer Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV-RVG und einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 f. VV-RVG. Als Begründung der Erledigungsgebühr wurde im Wesentlichen angeführt, dass die Umsetzung der angekündigten Abhilfe in Form des Erlasses des begehrten Verwaltungsakts und entsprechender Zahlung an die Klägerin – hier Antragsgegnerin – unabdingbare Voraussetzung für die Erledigung der Klage gewesen sei. Diese Umsetzung sei erst nach mehreren Telefonaten der Klägerbevollmächtigten mit den Vertretern der Beklagtenseite erfolgt.
4
Unter Verzicht auf eine Anhörung der Gegenseite zu dem Kostenfestsetzungsantrag setzte die Urkundsbeamtin mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. April 2023 die Kosten antragsgemäß, also insbesondere unter Berücksichtigung der beantragten Erledigungsgebühr, fest. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ging der Antragstellerin am 12. April 2023 zu.
5
Am 26. April 2023 beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten hiergegen
6
die Entscheidung des Gerichts.
7
Zur Begründung wird ausgeführt, die Festsetzung einer Erledigungsgebühr sei nicht gerechtfertigt. Die Mitwirkung bei der Erledigung im Sinne der Gebührenvorschriften setze eine besondere, auf Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten voraus, die zu Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat. Im konkreten Fall habe die Antragstellerin unabhängig von einer Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin schriftsätzlich bereits am 19. Juli 2022 mitgeteilt, dass sie der Klage durch Erlass eines Bewilligungsbescheids abhelfen werde. Die darauf erfolgten Sachstandsanfragen stellten sich als bloße prozessuale Reaktion darauf dar.
8
Die Antragsgegnerin tritt dem mit Schriftsatz vom 17. Mai 2023 entgegen. In dem Schreiben der Antragstellerin vom 19. Juli 2022 liege lediglich eine reine Absichtserklärung, der noch kein prozessuales Gewicht oder eine Bindungswirkung zukomme. Für die Erledigung komme es – hier – auf den tatsächlichen Erlass des Abhilfebescheides und die darauf beruhende Erledigungserklärung an. Ohne das Tätigwerden der Bevollmächtigten der Antragstellerin wäre keine zeitnahe Erledigung erfolgt, dies habe sich insbesondere aus der monatelangen Untätigkeit der Antragstellerin ergeben.
9
Die Urkundsbeamtin half dem Antrag nicht ab und legte ihn dem Gericht zur Entscheidung vor.
10
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 31 K 21. … verwiesen.
II.
11
Die gemäß §§ 165, 151 VwGO zulässige Kostenerinnerung ist begründet. Angegriffen ist ausweislich der Antragsschrift der anwaltlich vertretenen Antragstellerin ausdrücklich lediglich die Festsetzung einer Erledigungsgebühr, so dass die Kostenfestsetzung nur teilweise angefochten ist (vgl. nur Happ, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 165 Rn. 2). Die Urkundsbeamtin hat im angegriffenen Beschluss vom 4. April 2023 zu Unrecht eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1003, 1002 VV-RVG festgesetzt. Entsprechend ist der Kostenfestsetzungsbeschluss antragsgemäß zu ändern.
12
Über den Antrag der Antragstellerin auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 4. April 2023 entscheidet der Berichterstatter als Einzelrichter, da das Gericht in derselben Besetzung entscheidet wie im Erkenntnisverfahren (vgl. Übertragungsbeschluss gem. § 6 Abs. 1 VwGO vom 29.6.2022).
13
Die Urkundsbeamtin hat in unzutreffender Weise eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1003 i.V.m. Nr. 1002 VV-RVG angesetzt. Diese Gebühr entsteht dann, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt.
14
Hintergrund und Rechtfertigung der zur Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV-RVG) hinzutretenden Erledigungsgebühr ist, dass ein Rechtsanwalt, der besondere Mühe darauf verwandt hat, die aus einem Verwaltungsakt folgende Belastung von seinem Mandanten abzuwenden, ohne es auf eine gerichtliche Entscheidung ankommen zu lassen, im Erfolgsfalle dem Mandanten in besonderer Weise genützt hat, weil er ihm die mit einem Prozess verbundene Unsicherheit sowie den Zeit- und Kostenaufwand erspart (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 19 C 15.1844 – juris Rn. 16 m.w.N.).
15
Eine Mitwirkung bei der Erledigung i.S.d. Nr. 1002 VV-RVG setzt mithin eine besondere, auf Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten voraus, die zur Erledigung nicht unwesentlich beigetragen hat. Der Bevollmächtigte muss die Erledigung dabei nicht überwiegend oder allein herbeigeführt, sondern lediglich einen nicht ganz unerheblichen oder untauglichen Beitrag dazu geleistet haben. Dies ist dann der Fall, wenn seine Tätigkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass es zu einer streitigen Erledigung des Rechtsstreits gekommen wäre. Dabei muss die anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung in einer besonderen Tätigkeit des Bevollmächtigten liegen, die über die bereits mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG abgegoltene Einlegung und Begründung hinausgeht und auf die Beilegung des Rechtsstreits ohne streitige Entscheidung gerichtet ist. Eine Tätigkeit eines Bevollmächtigten, die lediglich auf die allgemeine Verfahrensförderung gerichtet ist, reicht hingegen nicht aus (vgl. BayVGH, aaO Rn. 17; ebenso etwa aktuell OVG NRW, B.v. 24.5.2023 – 10 E 834/22 – juris Rn. 15; HmbOVG, B.v. 15.3.2023 – 6 So 112/22 – juris Rn. 17).
16
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze ist vorliegend eine solche besondere Mitwirkung der Bevollmächtigten der Klägerin – hier Antragsgegnerin – bei der Verfahrensbeendigung nicht gegeben.
17
Im Ausgangspunkt ist festzustellen, dass ausschlaggebend für die Erledigung des Rechtsstreits zunächst die schriftsätzliche Mitteilung der Beklagtenseite – hier Antragstellerin – vom 19. Juli 2022 war, wonach diese der Klage durch den Erlass eines Bewilligungsbescheides kurzfristig vollumfänglich abhelfen werde. Bis zu diesem Zeitpunkt ist eine auf Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht gegeben, da eine derartige Beilegung – zumal kurz vor dem anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung – überhaupt nicht im Raum stand. Im Gegenteil hat sich die Klagepartei – hier Antragsgegnerin – nach Ladung zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 5. Juli 2022 noch mit Blick auf eine streitige Entscheidung geäußert.
18
Entgegen der schriftsätzlichen Darstellung der Antragsgegnerin handelte es sich bei dem Schriftsatz der Beklagten – hier Antragstellerin – vom 19. Juli 2022 ferner nicht nur um eine Absichtserklärung ohne prozessuales Gewicht oder Bindungswirkung. In diesem Schriftsatz wurde neben der Ankündigung der vollumfänglichen Abhilfe bereits einer Erledigungserklärung der Klägerin (vorab) zugestimmt und die Übernahme der Verfahrenskosten erklärt. Diese Erklärungen waren in der Folge auch Grundlage der gerichtlichen Verfahrenseinstellung und Kostenentscheidung. Übereinstimmende Erledigungserklärungen sind prozessuale Bewirkungshandlungen, die darauf gerichtet sind, den Rechtsstreit unmittelbar zu beenden; sie gestalten die Prozesslage abschließend (vgl. nur Clausing, in: Schoch/Schneider, VwGO, 43. EL August 2022, § 161 Rn. 14). Ob die Zustimmung zu einer Erledigungserklärung durch die Antragstellerin, wie durch die Antragsgegnerin in den Raum gestellt, jederzeit und ohne weiteres hätte widerrufen werden können, kann offen bleiben (vgl. zur Frage der Widerruflichkeit einer Erledigungserklärung der Klagepartei etwa Zimmermann-Kreher, in: BeckOK VwGO, 65. Ed. 1.4.2023, § 161 Rn. 9; vgl. grundlegend BVerwG, B.v. 7.8.1998 – 4 B 75/98 – juris Rn. 3). Denn jedenfalls auf prozessualer Ebene war mit dem Schriftsatz der Antragstellerin vom 19. Juli 2022 für die Erledigung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung bereits alles Erforderliche erklärt. Ob insoweit eine Möglichkeit für die Antragstellerin bestanden hätte, von diesen Erklärungen wieder Abstand zu nehmen, ist für die Frage eine Mitwirkung der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am Zustandekommen dieser Erklärung nicht von Belang.
19
Entscheidend für die Frage einer Mitwirkung des Anwalts bei der Erledigung i.S.d. Nr. 1002 VV-RVG ist indes die materiell-rechtliche Erledigung des Rechtsstreits; die Mitwirkung an der bloß formellen Beendigung genügt nicht (vgl. OVG NRW, B.v. 13.4.2023 – 5 E 306/22 – juris Rn. 7; im Ergebnis ebenso BayVGH, B.v. 28.5.2020 – 6 C 20.371 – juris Rn. 6; B.v. 18.5.2015 – 2 C 14.2703 – juris Rn. 15). Eine dergestalt materielle Erledigung des Rechtsstreits (vgl. zur Begrifflichkeit auch BayVGH, B.v. 5.4.2017 – 19 C 15.1844 – juris Rn. 18) trat vorliegend – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist – erst mit Erlass des begehrten Bewilligungsbescheids am 1. September 2022 bzw. jedenfalls der entsprechenden Auszahlung der Dezemberhilfe am 20. September 2022 ein (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin im Verfahren M 31 K 21. … vom 21.9.2022).
20
Auch mit Blick auf die materielle Erledigung des Rechtsstreits ist indes eine besondere Mitwirkung der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht gegeben. Zunächst ist auch hier festzustellen, dass entgegen der abweichend nuancierten Darstellung der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 17. Mai 2023 es sich bei dem Schriftsatz der Beklagten – hier Antragstellerin – vom 19. Juli 2022 nicht lediglich um eine bloße Absichtserklärung handelte, sondern die Prozessbevollmächtigten der Beklagten – hier Antragstellerin – gegenüber dem Gericht ohne Einschränkung oder Relativierung verbindlich mitteilten, dass die Beklagte „der Klage durch den Erlass eines Bewilligungsbescheides kurzfristig vollumfänglich abhelfen wird“. Die Entscheidung der Beklagtenseite zur Abhilfe stand nach dieser Einlassung bereits inhaltlich fest, sodass insoweit eine Mitwirkung der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht (mehr) erforderlich war. Auch in Richtung der eigenen Mandantschaft war vor dem Hintergrund der vorgesehenen vollumfänglichen Abhilfe, mit der das Klageziel ohne Kostenbelastung vollständig erreicht wurde, eine besondere Mitwirkung an oder ein hinwirken auf eine Erledigung etwa im Sinne einer Einigung oder eines teilweisen Nachgebens objektiv nicht erforderlich.
21
Unabhängig davon und selbstständig tragend liegt jedenfalls in der vorgetragenen telefonischen Kontaktaufnahme der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin (vgl. insbesondere Kostenfestsetzungsantrag vom 15.2.2023) mit dem Ziel des Erlasses des begehrten Verwaltungsakts und erneut nach dessen Erlass mit dem Ziel der Zahlung keine Tätigkeit, die über eine allgemeine Verfahrensförderung hinausgeht. Wie ausgeführt, bestand bereits eine im gerichtlichen Verfahren erklärte, inhaltliche Festlegung der Antragstellerin auf eine vollumfängliche Abhilfe. Dass diese im Nachgang infrage gestellt worden wäre oder noch weiterer inhaltlicher Auseinandersetzung bedurft hätte, ist nicht ersichtlich und auch nicht von Antragsgegnerseite vorgetragen. Mithin beschränkte sich die Tätigkeit nach der erfolgten Zusage einer Abhilfe vom 19. Juli 2022 darauf, deren formeller Umsetzung nachzugehen. Diese Tätigkeit wurde im Übrigen auch von Seiten des Gerichts wahrgenommen (Gerichtsschreiben vom 1.8.2022 und 15.9.2022 im Verfahren M 31 K 21. …*). Eine besondere, auf Beilegung des Rechtsstreits ohne gerichtliche Entscheidung gerichtete Tätigkeit des Bevollmächtigten, die zur materiellen Erledigung in der Sache nicht unwesentlich beigetragen hat, liegt in den vorgetragenen direkten Kontaktaufnahmen der Bevollmächtigten der Antragsgegnerin nicht.
22
Das Gericht überträgt die infolge dieser Entscheidung erforderliche Neufassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses dem Urkundsbeamten bzw. der Urkundsbeamtin gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 573 Abs. 1 Satz 3 und § 572 Abs. 3 ZPO (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2003 – 1 N 01.1845 – juris Rn. 20).
23
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO).