Inhalt

VG München, Urteil v. 20.06.2023 – M 5 K 21.4421
Titel:

Ansteckung mit Corona als Dienstunfall – hier: mündliche Prüfung

Normenketten:
BayBeamtV Art. 46 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1
BKV Anl. 1 Nr. 3101
Leitsätze:
1. Bei einer Coronaerkrankung handelt es sich nicht um einen Dienstunfall, wenn sich der Zeitpunkt der Ansteckung (typischerweise) nicht genau feststellen lässt, was für die Bejahung eines Dienstunfallereignisses aber erforderlich ist, denn für die zeitliche Bestimmbarkeit genügt es nicht, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Corona-Infektion lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf die Teilnahme an einer praktisch-mündlichen Prüfung  mit später positiv getesteten Kollegen zurückführen; diese kommt lediglich als Möglichkeit in Betracht, was aber für die Anerkennung als Dienstunfall nicht ausreichend ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn es nicht möglich ist, mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, wann und wo bzw. bei welcher Person sich der Beamte angesteckt hat, geht das bei der Annahme eines Dienstunfalls zulasten des Beamten, da nach allgemeinen Beweisgrundsätzen den Beamten die materielle Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die Anerkennung eines Dienstunfalls trifft (stRspr BVerwG BeckRS 2011, 52562). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Dienstunfall kann nicht damit begründet werden, dass der Beamte nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt gewesen sei, da die Tätigkeit in einer Prüfung keine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich birgt und zugleich für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden ist (ebenso BVerwG BeckRS 1993, 8519). (Rn. 26 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Corona-Infektion, Streifenpartner, Praktisch-mündliche Prüfung, Polizei, Örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis (verneint), Besondere Ansteckungsgefahr (verneint), Ansteckung in praktisch-mündlicher Prüfung, Polizeibeamter, Dienstunfall, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis, Beweislast, besondere Gefährdung typisch für die dienstliche Verrichtung, Gefährdung in erheblich höherem Maße, besondere Ansteckungsgefahr (verneint)
Fundstellen:
BayVBl 2023, 824
BeckRS 2023, 19455
LSK 2023, 19455

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.     

Tatbestand

1
Der 1982 geborene Kläger steht als Polizeihauptmeister in Diensten des Beklagten. Er ist als Polizeivollzugsbeamter bei einer Bereitschaftspolizeiabteilung tätig.
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Der Kläger beantragte am 1. Oktober 2020 die Anerkennung seiner SARS-CoV-2/COVID-19 Erkrankung (im Folgenden: COVID-19 Erkrankung) als Dienstunfall. Das Unfallereignis habe am 20. März 2020 tagsüber im Rahmen der praktisch-mündlichen Prüfung eines Ausbildungsseminars einer Bereitschaftspolizeiabteilung stattgefunden. Er sei bei einer Prüfungskommission als Streifenpartner eingesetzt gewesen. Eine Ansteckung außerhalb des Dienstes könne er ausschließen, da er sich die Tage vor seiner Erkrankung aufgrund der Prüfungen nur bei der Bereitschaftspolizeiabteilung oder bei seiner Familie aufgehalten habe. Am 25. März 2020 habe er abends coronatypische Symptome festgestellt. Am 26. März 2020 habe er seine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit angezeigt, am 27. März 2020 sei er positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Die Quarantäne sei von 27. März bis 11. April 2020 angeordnet worden.
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Das Landesamt für Finanzen lehnte den Antrag auf Anerkennung als Dienstunfall bzw. auf Anerkennung als Berufskrankheit mit Bescheid vom 29. Oktober 2020 ab. Es liege kein Unfallereignis vor, denn der genaue Zeitpunkt der Infektion stehe nicht fest. Das Robert-Koch-Institut gehe von einer mehrtägigen Inkubationszeit aus, im Mittel zwischen fünf und sechs Tagen. Der Zeitraum von mehreren Tagen, während derer eine Ansteckung stattgefunden haben könne, sei für die zeitliche Bestimmbarkeit eines Unfallereignisses im Dienstunfallrecht nicht ausreichend. Auch fehle es am inneren Ursachenzusammenhang zwischen einem bestimmten Infektionsereignis und der dienstlichen Tätigkeit. Denn die Ausbreitung des Corona-Virus stelle eine Allgemeingefahr dar. Eine solche Erkrankung könne nur dann einen inneren Bezug zum Dienst haben, wenn aufgrund der Dienstausübung eine besondere, über die Allgemeingefahr einer Ansteckung hinausgehende Infektionsgefahr bestanden habe. Das sei bei der Teilnahme an der praktisch-mündlichen Prüfung nicht der Fall. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit lägen nicht vor. Denn es fehle an einer Tätigkeit im Einzelfall, bei der die Gefahr einer COVID-19 Erkrankung typischerweise besonders erhöht gewesen sei. Die allgemeine Ansteckungsgefahr während der praktisch-mündlichen Prüfung sei hierfür nicht ausreichend.
4
Gegen den am 5. November 2020 zur Post gegebenen Bescheid erhob der Kläger am 30. November 2020 Widerspruch. Das Landesamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2021 zurück.
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Am 19. August 2021 hat die Klagepartei Klage erhoben.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung für den Kläger im privaten Alltag vergleichsweise gering gewesen sei. Demgegenüber habe der Kläger im Rahmen der praktisch-mündlichen Prüfung nachweislich Kontakt zu mehreren später positiv auf SARS-CoV-2 getestete Personen gehabt, zumal bei erhöhter Ansteckungsgefahr in einem geschlossenen Raum. Nach dem Beweis des ersten Anscheins sei die Erkrankung während des Dienstes verursacht worden. Es lägen auch die Voraussetzungen für die Anerkennung der Corona-Infektion als Berufskrankheit vor. Durch die Teilnahme an der praktisch-mündlichen Prüfung in einem geschlossenen Raum, in dem sich mehrere bezüglich des Corona-Virus hochinfektiöse Personen befunden hätten, sei er der Gefahr einer Ansteckung mit dem Virus besonders ausgesetzt gewesen. Diese Ansteckungsgefahr habe ganz erheblich über der Gefahr gelegen, der die Bevölkerung im normalen Leben ausgesetzt gewesen sei.
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Die Klagepartei hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Oktober 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2021 zu verpflichten, die am 27. März 2020 erstmals diagnostizierte Erkrankung des Klägers an SARS-CoV-2 als Dienstunfall anzuerkennen.
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Das Landesamt für Finanzen hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es fehle bereits an einer genauen Bestimmung des Infektionszeitpunktes. Auch wenn die mittlere Inkubationszeit mit 5 bis 6 Tagen angegeben werde, so habe nach den wissenschaftlichen Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts für 95% der Infizierten die Inkubationszeit einer Covid-Erkrankung 10 bis 14 Tage ab der Ansteckung betragen. Es wäre genauso möglich, dass sich der Kläger während der mit 10 bis 14 Tagen anzunehmenden Inkubationszeit im Bereich der privaten Lebensführung angesteckt haben könnte und nicht nur während des begrenzten Zeitraums zwischen dem 20. und 24. März 2020. Im Übrigen fehle es an einem inneren Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Dienst, da sich die Infektion im Sinn einer Allgemeingefahr zu jeder Zeit und an jedem anderen Ort hätte ereignen können. Für einen Anscheinsbeweis bestehe kein Raum. Es lägen auch nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung der Infektion als Berufserkrankung vor. Aufgrund der Tätigkeit des Klägers sei er keinem Erkrankungsrisiko ausgesetzt gewesen, das mit der Infektionsgefahr bei einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege oder einem Laboratorium vergleichbar wäre.
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Das Gericht hat sich die tatsächlichen Verhältnisse der Prüfungssituation sowie des Infektionsgeschehens bei der Bereitschaftspolizeiabteilung durch Befragung von EPHK G. in der mündlichen Verhandlung am 1. März 2023 und PHK`in K. in der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2023 erläutern lassen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie die Niederschriften vom 1. März 2023 und 20. Juni 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung der bei ihm am 27. März 2020 erstmals diagnostizierten Erkrankung an SARS-CoV-2 als Dienstunfall. Der Bescheid des Landesamtes für Finanzen vom 29. Oktober 2020 und dessen Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).
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1. Die Infektion des Klägers mit SARS-CoV-2 stellt keinen Dienstunfall im Sinne des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) dar.
16
Nach dieser Vorschrift ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
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a) Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Anerkennung als Dienstunfall zwar nicht bereits entgegen, dass sich mit der COVID-Erkrankung des Klägers lediglich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht habe. Denn der Begriff des Dienstunfalls nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG setzt gerade nicht voraus, dass der Beamte bei seiner Tätigkeit einer höheren Gefährdung als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist oder sich in dem Körperschaden eine der konkreten dienstlichen Verrichtung innewohnende typische Gefahr realisiert hat (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81/08 – NVwZ 2010, 708, juris Rn. 11).
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b) Es fehlt im vorliegenden Fall aber an der Voraussetzung der örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit der Infektion.
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Grundsätzlich kann diese zwar auch bei der im Dienst erfolgten Ansteckung mit einer Infektionskrankheit gegeben sein. Diese stellt keine Folge einer schädlichen Dauerbelastung dar. Zwar steigt das Risiko einer Ansteckung, je länger sich eine Person in einem mit Aerosolen belasteten Raum aufhält und je höher die entsprechende Viruslast in der Luft ist. Dennoch erfolgt die Ansteckung selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt, in dem Viren beispielsweise durch respiratorische Aufnahme in den Körper des Betroffenen gelangen und sich dort vermehren (vgl. hierzu Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19; Stand: 26.11.2021, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief .html). Zu diesem Zeitpunkt liegt eine äußere Einwirkung vor. Jedoch lässt sich dieser Zeitpunkt bei einer Infektionskrankheit typischerweise nicht genau feststellen, was für die Bejahung eines Dienstunfallereignisses aber erforderlich wäre. Für die zeitliche Bestimmbarkeit genügt es nicht, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. Demnach reicht es bei Infektionen nicht aus, dass die Inkubationszeit und der Ort, an dem sich der Beamte während dieser Zeit aufgehalten hat, bekannt sind, um die Infektionserkrankung als einen Unfall zu bewerten. Es müssen die Angaben zu den Umständen des konkreten Ereignisses in zeitlicher und örtlicher Hinsicht in ihrer Gesamtheit so bestimmt sein, dass es Konturen erhält, auf Grund derer es von anderen Geschehnissen eindeutig abgegrenzt werden kann. Jede Verwechslung mit einem anderen Ereignis muss ausgeschlossen sein (BVerwG, U.v. 25.2.2010 – 2 C 81/08 – NVwZ 2010, 708, juris Rn. 14 und B.v. 19.1.2006 – 2 B 46/05 – juris Rn. 6).
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c) Eine diesem Maßstab entsprechende, hinreichend genaue Bestimmung des Ortes und des Zeitpunktes der Ansteckung lässt sich im vorliegenden Fall nicht vornehmen. Soweit der Kläger meint, er habe sich am 20. März 2020 durch den Aufenthalt mit später positiv getesteten Kollegen während der praktisch-mündlichen Prüfung angesteckt, kommt dies zwar als Möglichkeit in Betracht, steht aber keineswegs mit der erforderlichen Sicherheit fest. Beim Kläger selbst traten Symptome erstmals am 25. März 2020 abends auf, er wurde erstmals am 27. März 2020 positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Rückschlüsse auf einen genauen Ansteckungszeitpunkt lassen sich hieraus nicht ziehen. Vielmehr kann die Ansteckung zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der Inkubationszeit erfolgt sein. Diese beträgt im Median 5,8 Tage, kann aber auch deutlich über dieser Dauer liegen; die maximale Inkubationszeit für 95% der Infizierten wurde mit 11,7 Tagen angegeben (vgl. Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 26.11.2021, Tabelle 1 und Kapitel 5).
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Auch sonst gibt es keine Tatsachen, die Rückschlüsse auf den konkreten Zeitpunkt der Ansteckung zulassen. Insbesondere ergibt sich das nicht aus dem Vortrag des Klägers, dass die Kollegen bei der praktisch-mündlichen Prüfung die einzige Infektionsmöglichkeit gewesen wären. Nach dem Schreiben der Bereitschaftspolizeiabteilung vom 30. März 2023 war von dem Modul, dem der Kläger zugeteilt war, nur ein mitwirkender Stammbeamter an Corona erkrankt. Selbst bei angenommener Infektion über Aerosole im Raum und/oder über die Augen stünde kein bestimmter Zeitpunkt fest, weil der Kläger nach seinem Vortrag vom 20. bis 24. März 2020 als Streifenpartner der praktisch-mündlichen Prüfung eingesetzt war und immer wieder mit den Kollegen des Moduls zusammen war. Auch wenn der Kläger mit diesen häufigeren Kontakt in einem geschlossenen Raum hatte, hat er angegeben, in der Kantine mit anderen Kollegen während des Prüfungszeitraums gegessen zu haben. Auch bei dieser Gelegenheit war eine Ansteckung möglich, insbesondere da sich der Beamte mit einer größeren Anzahl von Beamten in einem Raum (noch) ohne Hygienemaßnahmen aufgehalten hat.
22
Ist es demnach nicht möglich, mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachzuweisen, wann und wo bzw. bei welcher Person der Kläger sich angesteckt hat, geht das im Anwendungsbereich des Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG zu Lasten des Beamten. Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen trägt der Beamte die materielle Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen für die Anerkennung eines Dienstunfalls (BVerwG, U.v. 28.4.2011 – 2 C 55/09 – ZBR 2012, 38, juris Rn. 12 ff.), also auch für die örtliche und zeitliche Bestimmbarkeit des Ereignisses, welches den Körperschaden verursacht hat. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass sich Ort und Zeitpunkt einer Infektion regelmäßig nicht mit der erforderlichen Genauigkeit feststellen lassen. Die Forderung eines örtlich und zeitlich bestimmbaren Schadensereignisses legt zum einen den Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge fest und dient zum anderen der Begrenzung des Risikos des Dienstherrn. Dieser soll nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Der Schwierigkeit, dass sich der Zeitpunkt der Ansteckung mit einer Infektionskrankheit fast ausnahmslos nicht mit der erforderlichen Genauigkeit feststellen lässt, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass Infektionskrankheiten, die in Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2623 – nachfolgend BKV) aufgeführt sind, fiktiv als Dienstunfälle gelten, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind (BVerwG, B.v. 19.1.2006 – 2 B 46/05 – juris Rn. 6; vgl. zum Ganzen auch: VG Regensburg, U.v. 29.11.2022 – RN 12 K 21.2496 – juris Rn. 18 ff.).
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Das Gericht sieht daher nicht die Notwendigkeit, dem Kläger im Anwendungsbereich von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 BayBeamtVG eine Beweiserleichterung in Form des prima-facie-Beweises (Anscheinsbeweis) einzuräumen oder gar eine Umkehr der Beweislast anzunehmen. Dies würde bedeuten, für die Anerkennung eines Dienstunfalls einen eingrenzbaren Zeitraum ausreichen zu lassen. Dies stünde der gefestigten Rechtsprechung entgegen, wonach es für die zeitliche Bestimmbarkeit eben nicht genügt, dass sich ein über mehrere Tage erstreckender Zeitraum nach Anfangs- und Schlusstag eingrenzen lässt. Soweit das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 25. Februar 2010 (2 C 81/08 – NVwZ 2010, 708, juris Rn. 14 ff.) eine Borreliose als Infektionskrankheit in der Folge eines Zeckenbisses anerkannt hat, lag der Sachverhalt anders, da sich in diesem Fall Ort und Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses hatten eindeutig feststellen lassen. Im Übrigen wurde in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf verwiesen, dass damit keine Änderung der bisherigen Rechtsprechung zur örtlichen und zeitlichen Bestimmbarkeit des schädigenden Ereignisses verbunden sei, das zu einer Infektionskrankheit geführt hat (vgl. hierzu auch VG Augsburg, U.v. 21.10.2020 – Au 2 K 20.2494 – juris Rn. 24).
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2. Auch die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Corona-Erkrankung des Klägers nach Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG liegen nicht vor.
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Nach dieser Vorschrift gilt als Dienstunfall auch die Erkrankung an einer in Anlage 1 der BKV genannten Krankheit, wenn der Beamte oder die Beamtin nach der Art seiner oder ihrer dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt war, es sei denn, dass der Beamte oder die Beamtin sich die Krankheit außerhalb des Dienstes zugezogen hat. Nach Anlage 1 Nr. 3101 BKV stellen Infektionskrankheiten dann eine Berufserkrankung dar, wenn die betroffene Person im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war.
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Zwar ist COVID-19 eine Infektionskrankheit, es liegt aber bezüglich der Tätigkeit des Klägers nicht die hier allenfalls in Betracht kommende vierte Alternative der Vorschrift vor. Der Kläger war aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeit der Infektionsgefahr nicht „in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt“.
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a) Der Beamte muss nach der Art seiner dienstlichen Verrichtung der Gefahr der Erkrankung besonders ausgesetzt gewesen sein. Diese Voraussetzung ist nur gegeben, wenn die zur Zeit der Infektion konkret ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß im Ganzen gesehen ihrer Art nach unter den besonderen zur Zeit der Krankheitsübertragung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen und Begleitumständen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung in sich birgt (vgl. BVerwG, U. v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 12 zu § 31 Abs. 3 Satz 1 des Beamtenversorgungsgesetze/BeamtVG, der mit Art. 46 Abs. 3 Satz 1 BayBeamtVG im Wesentlichen übereinstimmt). Diese besondere Gefährdung muss für die dienstliche Verrichtung typisch und in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung vorhanden sein. Art. 46 Abs. 3 BayBeamtVG setzt nicht voraus, dass die durch die Art der dienstlichen Verrichtung hervorgerufene Gefährdung generell den Dienstobliegenheiten anhaftet. Vielmehr genügt es, wenn die eintretende Gefährdung der konkreten dienstlichen Verrichtung ihrer Art nach eigentümlich ist, allerdings nur dann, wenn sich die Erkrankung als typische Folge des Dienstes darstellt; maßgebend kommt es darauf an, ob die von dem Beamten zum Zeitpunkt der Erkrankung ausgeübte dienstliche Tätigkeit erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gerade an dieser Krankheit mit sich bringt (BVerwG, U. v. 28.1.1993 – 2 C 22.90 – juris Rn. 11 f.; B. v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6; vgl. hierzu insgesamt auch: VG Regensburg, U.v. 29.11.2022 – RN 12 K 21.2496 – juris Rn. 28).
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Es ist also zu prüfen, ob dem Beamten die von ihm konkret auszuführende dienstliche Verrichtung der Gefahr der betreffenden Erkrankung besonders aussetzte, also eine hohe Wahrscheinlichkeit gerade dieser Erkrankung anhaftete (vgl. BVerwG B. v. 15.5.1996 – 2 B 106.95 – juris Rn. 6). Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um ein derart erhöhtes Ansteckungsrisiko handelt, ist daher nicht die der Tätigkeit generell anhaftende Gefährdung, sondern die Umstände des jeweiligen Einzelfalls (VG Augsburg, U.v. 21.10.2021 – Au 2 K 20.2494 – juris Rn. 26; VG Würzburg, U.v. 26.10.2021 – W 1 K 21.536 – juris Rn. 30; VG Frankfurt/Main, U.v. 7.4.2022 – 9 K 1895/21.F – Umdruck S. 12 f). Zu differenzieren ist in diesem Zusammenhang zwischen einer Gefährdung, die aus dem Tätigkeitsumfeld des jeweiligen Beamten herrührt, und einer Gefährdung, die aus der Tätigkeit selbst herrührt. Der Gesetzgeber hat sich in § 31 Abs. 3 S. 1 BeamtVG dafür entschieden, auf die Art der jeweiligen Tätigkeit abzustellen und nicht auf sonstige dienstliche Bedingungen, wie insbesondere die Beschaffenheit der Diensträume (BayVGH, U. v. 17.5.1995 – 3 B 94.3181 – ZBR 1996, 343, juris Rn. 19 ff.). Die generelle Ansteckungsgefahr, der ein Beamter ausgesetzt sein kann, wenn er im Dienst mit anderen Menschen in Kontakt kommt, genügt nicht (so auch VG Sigmaringen, U. v. 2.2.2022 – 5 K 1819/21 – NVwZ 2022, 496, juris Rn. 32 m.w.N.; vgl. hierzu insgesamt: VG Regensburg, U.v. 29.11.2022 – RN 12 K 20.3147 – NVwZ-RR 2023, 405, juris Rn. 52).
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Entscheidende Faktoren sind dabei vor allem der Grad der Durchseuchung des Tätigkeitsumfeldes des Beamten und die Übertragungsgefahr bei der konkreten Tätigkeit. Maßgeblich ist, ob der Kläger bei seiner konkreten Tätigkeit einem solchen erhöhten Risiko ausgesetzt war. In der (ober-)verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird von einer besonderen Ansteckungsgefahr und damit dem Vorliegen einer Berufserkrankung ausgegangen bei signifikant gehäuftem Auftreten einer Krankheit im Tätigkeitsbereich des Beamten. Vereinzelte Infektionsfälle reichen hingegen nicht, auch wenn es im privaten Umfeld des Beamten keine weiteren Infektionsfälle gab (vgl. insgesamt hierzu: VG Würzburg, U.v. 26.10.2021 – W 1 K 21.536 – juris Rn. 30 f. – dort bejaht für die Unterrichtstätigkeit eines Lehrers, wobei die Mehrzahl der Schüler der von ihm unterrichteten Klasse an COVID erkrankt war). Die Streifentätigkeit eines Polizisten, der zusammen mit seiner Streifenpartnerin, bei der die Krankheitssymptome gleichzeitig wie bei ihm aufgetreten sind, der länger als 15 Minuten intensiven Kontakt zu einer kontrollierten Person gehabt (unter anderem im Streifenwagen) und diese Person merkliche Erkältungssymptome gezeigt und keinen Mund-Nasen-Schutz getragen hatte, wurde nicht als Tätigkeit angesehen, die den Beamten der Gefahr der betreffenden Erkrankung besonders ausgesetzt habe (OVG LSA, B.v. 16.12.2022 – 1 L 123/22.Z – juris Rn. 7 – mit knapper Begründung).
30
b) Nach diesen Maßstäben lag beim Kläger aufgrund der Art der Tätigkeit als Prüfungshelfer in Form eines Streifenpartners nach Ansicht des Gerichts keine besondere Gefährdung vor, die ihn einem Erkrankungsrisiko an COVID-19 in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt hat.
31
Die als Prüfungshelfer in Form eines Streifenpartners vom Beamten zu verrichtenden Tätigkeiten bestanden im Wesentlichen darin, wie der Kammer geschildert wurde, dass der Kläger mit einem Prüfungskandidaten eine kurze Streifenfahrt unternahm und danach bei dem von ihm betreuten Prüfungsmodul eine Durchsuchung einer Verdachtsperson durchzuführen hatte, wobei es auch zu Festhaltesituationen kommen konnte. Diese Durchsuchungssituationen fanden im Freien statt. Weiter fand danach eine etwa 15-minütige Befragung der Kandidaten statt. Zudem gab es zu Beginn der praktisch-mündlichen Prüfung einen Workshop sowie Vor- und Nachbesprechungen zu den Prüfungen.
32
Das Gesamtbild der Tätigkeit des klagenden Beamten während der praktisch-mündlichen Prüfung zeigt sich in der Weise, dass ihn diese Tätigkeit mehrmals in Kontakt mit anderen Beschäftigten brachte. Das gilt aber auch für weite Teile der arbeitenden Bevölkerung. Eine dieser konkreten dienstlichen Tätigkeiten innewohnende Gefahr der Infizierung mit dem Corona-Virus, die in erheblich höherem Maße als bei der übrigen Bevölkerung bestanden hätte, kann in der Gesamtbewertung der Umstände nicht gesehen werden. Auch wenn es Durchsuchungs- und Festhaltesituationen gab, bei denen es situationsbedingt nur eine geringe Distanz zu anderen Personen gab, so fanden diese im Wesentlichen unter freiem Himmel statt. Der Aufenthalt im Kraftfahrzeugen war – so jedenfalls der Eindruck der Schilderungen des Klägers wie der Mitarbeiter der Bereitschaftspolizeiabteilung – jeweils nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt. Das jeweilige Prüfungsgespräch wie auch die Vor- und Nachbesprechungen stellten allgemeine Besprechungssituationen dar, von denen nach Ansicht des Gerichts kein erheblich erhöhtes Infektionsrisiko ausging. Denn bei diesen Situationen ist in den Blick zu nehmen, dass es innerhalb des Moduls, das vom Kläger mitbetreut wurde, kein gehäuftes Auftreten der Erkrankung an Corona gab. So ist von neun Personen des Stammpersonals, die die Prüfungsstation betreut haben, an der der Kläger eingesetzt war, außer dem Kläger nur eine weitere Person erkrankt. Ein signifikant gehäuftes Auftreten der Krankheit im Tätigkeitsbereich des Klägers (vgl. VG Würzburg, U.v. 26.10.2021 – W 1 K 21.536 – juris Rn. 30 f.) kann daher nicht gesehen werden.
33
Das gilt auch mit Blick auf die Zahl der Infektionen mit dem Corona-Virus in der Bereitschaftspolizeiabteilung im fraglichen Zeitraum insgesamt. Von den etwa 250 Beamtinnen und Beamten, die sich nach dem 17. März 2020 noch in der Polizeikaserne befunden haben, haben sich – soweit bekannt – nachweislich 21 Personen mit dem Corona-Virus angesteckt und Krankheitssymptome gezeigt. Wenn man aus dieser Anzahl 138 zu prüfende Beamtinnen und Beamte herausnimmt, über deren Infektionsgeschehen im weiteren Verlauf aufgrund deren Abordnung keine genauere Kenntnis bei der Bereitschaftspolizeiabteilung bestand, so stehen immer noch 21 Infektionsfälle einer Anzahl von 112 Beamten gegenüber. Auch dieses Verhältnis stellt kein gehäuftes Auftreten der Erkrankung im Bereich der Dienststelle des Klägers dar. Soweit die Klagepartei auf 21 Erkrankungsfälle einer am 21. März 2020 noch in der Kaserne befindlichen Anzahl von 57 Beamten gegenüberstellen will, so ist dieser Vergleich nicht zielführend. Denn in dieser Gesamtzahl sind auch Beamte enthalten, die sich in Quarantäne befanden, aber nicht an COVID-19 erkrankt waren. Schließlich ist auch der von der Klagepartei herangezogene Vergleich der Infektionsrate der Gesamtbevölkerung gegenüber der Infektionsrate in der Polizeikaserne nicht ausschlaggebend. Denn in der Gesamtbevölkerung bestand eine hohe Dunkelziffer an nicht erkannten Erkrankungen. Zudem sind dabei auch Personen enthalten, die nicht erwerbstätig sind und weniger Kontakte haben. Maßgeblich ist jedoch der Umstand, dass nach den dem Gericht genannten Zahlen innerhalb der Polizeikaserne in zeitlichem Zusammenhang mit der praktisch-mündlichen Prüfung im Frühjahr 2020 nicht von einem gehäuften Auftreten von Krankheitsfällen aufgrund einer Corona-Infektion ausgegangen werden kann. Soweit die Angabe der Polizisten zu einer COVID-19-Erkrankung bei einer Dienstunfähigkeit freiwillig war, geht das Gericht nicht davon aus, dass es aufgrund der Freiwilligkeit zu einer massiven Unschärfe der Meldungen gekommen sein könnte. Denn die Sensibilität für eine solche Erkrankung war im März 2020 sehr hoch. Das gilt insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass unmittelbar vor dem Prüfungsgeschehen alle Beamtinnen und Beamte in Ausbildung – bis auf die zur Prüfung anstehenden Polizeibeamten – aus der Polizeikaserne nach Hause geschickt wurden.
34
Auch wenn die Vertreterin der Bereitschaftspolizeiabteilung in der mündlichen Verhandlung am 20. Juni 2023 angegeben hat, dass die in der Kaserne aufgetretenen Erkrankungsfälle in „sensiblen“ Bereichen – in denen man schon enger zusammen gewesen sei – wie dem Sportübungsleiterlehrgang, der praktisch-mündlichen Prüfung, der Küche und dem Wachdienst aufgetreten seien und man im Rückblick das angesichts der Ansteckungsgefahr hätte besser trennen können, so bedingt dieser Aspekt nichts Anderes. Denn das sind allgemeine hygienische und fürsorgerische Erwägungen. Davon zu trennen sind die dem klagenden Beamten konkret übertragenen Dienstaufgaben angesichts des Infektionsgeschehens in dessen dienstlichem Umfeld. Dabei ist auch hervorzuheben, dass sich die aus der gemeinsamen Einnahme der Mahlzeiten in der Kantine, dem Übernachten in der Polizeikaserne im fraglichen Zeitraum sowie eventuellen Aufenthalten im Restaurantbereich des Casinos ergebende Ansteckungsgefahr nicht dem unmittelbaren Tätigkeitsbereich des Dienstes zuzuordnen ist. Denn diese Umstände waren nicht dienstlich verpflichtend, sondern freiwillig wahrgenommen.
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3. Der Kläger hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung/ZPO.