Inhalt

VG München, Beschluss v. 06.07.2023 – M 9 S 23.1299
Titel:

Kiesabbau, Konzentrationsflächenplanung, Besondere Umstände, Verlängerung einer Zurückstellung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BauGB § 15 Abs. 3 S. 4
BauGB § 35 Abs. 3 S. 3
Schlagworte:
Kiesabbau, Konzentrationsflächenplanung, Besondere Umstände, Verlängerung einer Zurückstellung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19451

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 9. März 2023 (M 9 K 23.1140) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. Februar 2023 wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 37.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verlängerung der Zurückstellung ihres Antrags auf Erteilung einer Abgrabungsgenehmigung mit Wiederverfüllung und Rekultivierung.
2
Mit Antrag vom 27. August 2021, eingegangen beim Antragsgegner am 30. August 2021, hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erteilung einer abgrabungsrechtlichen Genehmigung für einen Kiesabbau mit Wiederverfüllung und Rekultivierung auf den Grundstücken FlNr. … … …, Gemarkung Z. … (i.F. Vorhabengrundstück) gestellt. Beantragt ist eine Abbaufläche von 75.943 m2 sowie ein Abbauvolumen von 1.497.000 m3 (Bl. 8 der vorgelegten Behördenakte, im Folgenden BA). Der Abbau sollte 2021 beginnen und soll im 4. Abbauabschnitt ca. 2062 beendet sein (Bl. 85 der Gerichtsakte, im Folgenden GA).
3
Mit Stellungnahme vom 22. Dezember 2021 hat die Beigeladene unter Bezugnahme auf den Beschluss des Gemeinderates vom 16. Dezember 2021 ihr Einvernehmen verweigert. Zur Begründung wurde angeführt, dass mit Beschluss des Gemeinderates vom 22. Juni 2021 die 15. Änderung des Flächennutzungsplanes „Teilflächennutzungsplan Konzentrationsfläche (Kiesabbauflächen)“ beschlossen worden sei. Der Planungsverband M. … sei mit der Aufstellung beauftragt worden. Am 25. November 2021 seien dem Planungsverband von der Beigeladenen die Ausschlusskriterien mitgeteilt worden, nach denen die Bereiche mit Kieskonzentrationszonen ermittelt werden sollten. Gleichzeitig habe der Gemeinderat in seiner Sitzung am 16. Dezember 2021 beschlossen, die Zurückstellung des Abbaugesuchs für ein Jahr beim Landratsamt Ebersberg zu beantragen. Die Begründung des Antrags der Biegeladenen ging am 28. Februar 2022 und ergänzend am 31. März 2022 beim Antragsgegner ein.
4
Mit Bescheid vom 31. August 2022 wurde der Zurückstellungsbescheid für ein Jahr, rückwirkend ab dem 1. März 2022, erteilt (Nr. I) und die sofortige Vollziehung angeordnet (Bl. 337 BA).
5
Mit Schreiben vom 27. Januar 2023 beantragte die Beigeladene die Verlängerung der Zurückstellung des Abgrabungsantrags ab dem 1. März 2023 bis zum 30. September 2023 (Bl. 356 ff. BA).
6
Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 (Bl. 371 ff. BA) wurde der Zeitraum der Zurückstellung des Abgrabungsantrags bis zum 30. September 2023 verlängert (Nr. I) und die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet (Nr. II).
7
Zur Begründung wurde angeführt, dass gemäß § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB die Abgrabungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zurückstellung des Abgrabungsgesuchs um höchstens ein weiteres Jahr aussetzen könne, wenn besondere Umstände es erforderten. Die Gemeinde habe den Verlängerungsantrag im Wesentlichen damit begründet, dass weitere Untersuchungen (Zählung der Erholungssuchenden) aufgrund zwischenzeitlich vorgebrachter Einwendungen durch die Antragstellerin notwendig geworden seien, die aufgrund zeitlicher Verzögerungen bei den beauftragten Büros jedoch nicht unmittelbar nach Beauftragung durchgeführt werden konnten. Erst nach Vorlage der abgeschlossenen Untersuchung am 17. Oktober 2022 hätten die zuvor eingegangenen Einwendungen abgewogen werden können. Demzufolge habe erst in der Zeit vom 7. Dezember 2022 bis 24. Januar 2023 die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange sowie der Öffentlichkeit erneut erfolgen können. Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange habe es ebenfalls Verzögerungen durch beantragte Fristverlängerungen gegeben. Aufgrund der zuletzt beantragten Fristverlängerung bis zum 31. Januar 2023 sei es der Beigeladenen frühestens in der Sitzung am 2. März 2023 möglich gewesen, im Rahmen der zweiten Auslegung eingegangene Stellungnahmen zu behandeln. Aufgrund der Verzögerungen im Verfahren, welche der Beigeladenen nicht zurechenbar seien, sei die Entscheidung über die Zulässigkeit des Abgrabungsantrags antragsgemäß bis zum 30. September 2023 auszusetzen. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB seien somit erfüllt.
8
Gegen den Verlängerungsbescheid hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 9. März 2023, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (M 9 K 23.1140).
9
Mit Schriftsatz vom 16. März 2023, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, beantragt die Antragstellerin zudem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
10
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 9.3.2023 gegen den Bescheid des Landratsamtes Ebersberg vom 15.2.2023 wiederherzustellen.
11
Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die Verlängerung der Zurückstellung rechtswidrig erfolgt sei, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB, insbesondere das Vorliegen der „besonderen Umstände“, nicht ausreichend dargelegt und erfüllt seien. Die pauschale Begründung des Antragsgegners insofern unter Verweis auf die Verlängerungsgründe der Beigeladenen sowie den konkreten, längere Zeit in Anspruch nehmenden Verfahrensablauf, könnten nicht genügen, um das Vorliegen „besonderer Gründe“ bejahen zu können. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Beigeladene durch die Ausführungen zu den „Zählungen von Erholungssuchenden“ besondere Umstände darlegen wollte, begründeten diese keine solchen im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB, weil die Beigeladene die dadurch eingetretenen Verzögerungen des Verfahrens zu vertreten habe. Die Beigeladene habe am 22. Juni 2021 den Aufstellungsbeschluss für die 15. Änderung des Flächennutzungsplans gefasst. Die Antragstellerin habe dann am 30. August 2021 den Abgrabungsantrag gestellt. Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung sei erst zwischen 7. Juni 2022 und 21. Juli 2022 durchgeführt worden, ca. 1 Jahr nach dem Aufstellungsbeschluss. Die behauptete erste Zählung von Erholungssuchenden sei erst über ein Jahr nach dem Aufstellungsbeschluss am 24. September 2022 durchgeführt worden, die zweite Zählung erst im April 2023. Wenn – wie die Beigeladene ausführt – der Änderung des Flächennutzungsplanes zugrunde liege, dass die Belange der Erholungsnutzung sowie der Rohstoffgewinnung in Einklang gebracht werden sollten, seien keine Gründe ersichtlich, weshalb mit der offensichtlich als notwendig erachteten Zählung zunächst über ein Jahr gewartet worden sei. Außerdem habe die Gemeinde selbst die Beteiligungsfristen über die Monatsfrist hinaus verlängert und es unterlassen, die Einwendungen aus den erneuten Beteiligungsverfahren gegebenenfalls in einer Sondersitzung des Gemeinderates rechtzeitig vor dem 1. März 2023 zu behandeln. Diese Verzögerungen des Verfahrens seien der Beigeladenen zuzurechnen. Im Übrigen lägen alle für die Genehmigungserteilung erforderlichen Unterlagen (zwischenzeitlich) vor und seien auch mit dem Antragsgegner abgestimmt. Die Antragstellerin sei durch die Zurückstellung in eigenen Rechten verletzt, da sie einen Anspruch auf Genehmigungserteilung habe, die Sache sei daher auch – mit Blick auf das laufende Flächennutzungsplanverfahren – eilbedürftig. Auf die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 16. März 2023, 12. Mai 2023 sowie vom 7. Juni 2023 wird im Übrigen Bezug genommen.
12
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 11. April 2023
13
den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vom 16.3.2023 auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 9.3.2023 abzulehnen.
14
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB vorgelegen hätten und die Zurückstellungsentscheidung unter Berücksichtigung der seitens der Beigeladenen vorgebrachten Verlängerungsgründe rechtmäßig erfolgt sei. Das Vorliegen der „besonderen Umstände“ im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB ergebe sich vorliegend aus dem konkreten Verfahrensablauf. Auch sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtmäßig erfolgt, da bei Zulassung des Vorhabens nach Ablauf des ersten Zurückstellungszeitraumes zu befürchten stünde, dass die gemeindliche Planung der Konzentrationszonen für den Kiesabbau im Gemeindegebiet mit der 15. Änderung des Flächennutzungsplanes nicht mehr durchführbar bzw. umsetzbar wäre. Im Übrigen seien die Unterlagen für das zur Genehmigung beantragte Vorhaben erst seit dem 26. Mai 2023 vollständig und prüffähig, sodass erst nachfolgend die erforderliche Fachstellenbeteilligung erfolgt sei. Auf die Schriftsätze vom 11. April 2023 und 20. Juni 2023 wird im Übrigen Bezug genommen.
15
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Mit Schriftsätzen vom 22. Mai 2023 und 21. Juni 2023 führt sie im Wesentlichen aus, dass der Eilantrag keinen Erfolg haben könne, da die Verlängerung der Zurückstellungsentscheidung rechtmäßig erfolgt sei und die Antragstellerin durch die sofortige Vollziehung nicht in ihren Rechten verletzt sei. Insbesondere hätten „besondere Umstände“ im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB vorgelegen. Der 15. Änderung des Flächennutzungsplans „Teilflächennutzungsplan Konzentrationsfläche (Kiesabbaufläche)“ liege ein gesamträumliches Konzept zugrunde, mit dem die Gemeinde u.a. die Belange der Erholungsnutzung sowie die Rohstoffgewinnung in Einklang bringe. So bilde der Kreuzungsbereich der Bundesstraße B* … mit der Staatsstraße St* … aufgrund der vorhandenen Vorbelastung durch Verkehrslärm und einer untergeordneten Bedeutung für die Erholungsnutzung den Hauptschwerpunkt des künftigen Abbaus von Kies und Sand. Die bedeutendsten Schwerpunkte der Erholungsnutzung lägen südlich des Hauptortes Z. … und der Bundesstraße B* …, welche bereits durch bestehende und sich in Genehmigung befindende (vergleichsweise geringflächige) Abbauvorhaben unterbrochen werde (angrenzend an die Bundesstraße B* … derzeit Betrieb Kiesabbau auf einer Fläche von ca. 1,4 ha und Erweiterung in Richtung Westen um 1,5 ha bereits genehmigt; zusätzlich südlich angrenzend weiteres Abbauvorhaben mit einer Fläche von etwa 8,8 ha). Aufgrund der besonderen Eignung dieses Bereichs für den Kiesabbau solle dort auch weiterhin kleinflächig ein solcher möglich sein. Nicht möglich sein sollten jedoch große zusammenhängende Abbauflächen von mehr als 10 ha, um auch weiterhin die Erholungsqualität und die Sicherheit von Spaziergängern und Radfahrern in diesem Bereich zu gewährleisten. Um eine entsprechende Gesamtplanung und -bewertung vornehmen zu können, sei die Zurückstellung beantragt worden. Auch seien die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB insbesondere mit Blick auf das Vorliegen „besonderer Umstände“ erfüllt. Zweck des Satzes 4 sei es, einem besonderen, größeren Zeitaufwand für die Planung Rechnung zu tragen und damit ein Leerlaufen der Zurückstellungsregelung des Satzes 1 wegen zu knapp bemessener Frist zu vermeiden. Denn eine Konzentrationsflächenplanung erfordere auf Grund der Vorgaben der Rechtsprechung „in der Regel“ ein transparentes und komplexes Verfahren mit Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung sowie die Einholung von Gutachten und Standortanalysen. Für eine gründliche, abgewogene Planung könne die Höchstdauer von einem Jahr „oft zu kurz“ sein (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 17/11468, Anlage 3 Nr. 4). So liege der Fall auch hier. Wollte die Gemeinde bei der Konzentrationsflächenplanung den mittlerweile strengen Anforderungen der Rechtsprechung genügen, erscheine eine abgeschlossene und belastbare Planung während des ersten Jahres der Zurückstellung sehr ambitioniert. Nicht zuletzt aufgrund der Einwendungen der Antragstellerin im Verfahren seien am 24. September 2022 Zählungen von Erholungssuchenden auf den vom zurückgestellten Vorhaben besonders betroffenen Verkehrswegen durchgeführt und das daraus folgende, für die Planung positive Ergebnis durch eine weitere Zählung bestätigt worden. Um eine hohe Bedeutung der Erholungsnutzung im Gebiet südlich der Bundesstraße auch unter der Woche zu belegen, seien an drei Werktagen im April (12.4/14.4/17.4.2023) jeweils von 7.00 bis 19.00 Uhr an jeweils drei Knotenpunkten Zählungen von Radfahrern und Spaziergängern durchgeführt worden. Trotz ungünstiger Witterungsverhältnisse habe die hohe Bedeutung des Gebiets für die Erholungsnutzung nachgewiesen werden können. Die Verzögerung hierdurch diene letztendlich der rechtssicheren Planung, welche aufgrund ihrer Komplexität innerhalb eines Jahres der ursprünglichen Zurückstellung nicht habe vervollständigt werden können. Der tatsächlich enge zeitliche Ablauf des Verfahrens könne im Übrigen der vorgelegten Auflistung der durchgeführten Schritte entnommen werden. Auf die Schriftsätze vom 22. Mai 2023 sowie vom 21. Juni 2023 wird im Übrigen Bezug genommen.
16
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Verfahren M 9 K 23.1140 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
17
1. Der Antrag hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet, da die Verlängerung der Zurückstellungsentscheidung nach summarischer Prüfung rechtswidrig erfolgt ist und damit das Aussetzungsinteresse das Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zurückstellungsentscheidung überwiegt.
18
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn – wie hier – die sofortige Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist.
19
Bei der nach Bejahung der formellen Rechtmäßigkeit der Sofortvollzugsanordnung, § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im Rahmen von § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs und dem (öffentlichen) Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes sind die dem Rechtsbehelf bei summarischer Prüfung beizumessenden Erfolgsaussichten von erheblicher Bedeutung. Ergibt die summarische Prüfung, dass der erhobenen Klage voraussichtlich Erfolg beschieden sein wird, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfes wiederherzustellen. Im entgegengesetzten Fall der fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bleibt auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO erfolglos, sofern sich die Behörde bzw. eine andere betroffene Person auf ein besonderes (öffentliches) Vollzugsinteresse berufen kann.
20
Vorliegend geht die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Es überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weil die in der Hauptsache angefochtene Verlängerung der Zurückstellung nach der im Eilverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
21
Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückstellungsentscheidung bzw. deren Verlängerung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung (BayVGH, B.v. 5.1.2013 – 22 C 13.1757 – juris Rn. 18; B.v. 20.3.2015 – 22 CS 15.58 – juris Rn. 33). Rechtsgrundlage für die weitere Zurückstellung der Entscheidung über den abgrabungsrechtlichen Antrag des Antragstellers ist § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB. Danach kann die Genehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde eine bereits nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB getroffene Entscheidung um höchstens ein weiteres Jahr aussetzen, sofern besondere Umstände dies erfordern. Daneben müssen auch die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB (noch) gegeben sein, wonach die Gemeinde beschlossen haben muss, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erreicht werden sollen, und wonach zu befürchten sein muss, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde.
22
Auf die Frage, ob die letztgenannten Voraussetzungen im Zeitpunkt der Verlängerungsentscheidung vorlagen, kommt es vorliegend entscheidungserheblich nicht an. Denn unter Berücksichtigung der vorgelegten Akten kommt das Gericht im Rahmen der im Eilverfahren anzustrengenden summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass schon die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB, konkret die dort genannten, für eine rechtmäßige Verlängerung erforderlichen „besonderen Umstände“, nicht vorlagen.
23
Die Formulierung „wenn besondere Umstände es erfordern“ (§ 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB) ist identisch mit der Formulierung in § 17 Abs. 2 BauGB für die zweite Verlängerungsmöglichkeit bei Veränderungssperren. Daher liegt es nahe, die hierzu ergangene Rechtsprechung auf § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB zu übertragen (vgl. OVG NRW, B. v. 25.11.2014 – 8 B 690/14 – NVwZ-RR 2015, 323, juris Rn. 9 f.; OVG Saarland, B. v. 25.7.2014 – 2 B 288/14 – juris Rn. 26; Rieger, ZfBR 2014, 535 f.; Sennekamp in Brügelmann, BauGB, § 15 Rn. 84a f.; Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl., § 15 Rn. 16; a. A. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 15 Rn. 71p, wonach die besonderen Gründe nicht so eng verstanden werden). Danach ist ein Planverfahren durch besondere Umstände gekennzeichnet, wenn es sich von dem allgemeinen Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abhebt. Das ist der Fall, wenn das Planverfahren Besonderheiten hinsichtlich des Umfangs, des Schwierigkeitsgrades oder des Verfahrensverlaufs aufweist. Im Rahmen des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB ist damit für die Beurteilung der Frage, ob besondere Umstände es erfordern, ein Vorhaben bis zu einem weiteren Jahr zurückzustellen, als Vergleichsmaßstab der allgemeine Rahmen städtebaulicher Planungen mit den Zielsetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für alle in § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB genannte Vorhaben und nicht lediglich z.B. für Windkraftanlagen heranzuziehen (vgl. zum Maßstab OVG Münster, U.v. 21.4.2023 – 7 D 367/21.AK – juris Rn. 37; zu weit: OVG NRW, B. v. 25.11.2014 – 8 B 690/14 – NVwZ-RR 2015, 323, juris Rn. 11; Raschke, ZfBR 2015, 119, 122; Mitschang in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl., § 15 Rn. 16; möglicherweise enger: Rieger, ZfBR 2014, 535, 537). Notwendig ist ferner, dass die Aufstellung des Plans gerade wegen dieser Besonderheiten mehr als die übliche Zeit erfordert. Schließlich darf die Gemeinde die Verzögerung nicht zu vertreten haben. Vertreten muss eine Gemeinde insbesondere jedes ihr vorwerfbare Verhalten, wobei im Allgemeinen davon ausgegangen werden kann, dass Mängel, die in der Sphäre der Gemeinde auftreten, auf deren Verhalten zurückzuführen sind. Letzteres ist allerdings eine widerlegbare Regel. Der Gemeinde kann dann nicht der Vorwurf eines Fehlverhaltens gemacht werden, wenn sie darlegen kann, dass sie sich im jeweiligen Zeitpunkt objektiv vernünftig verhalten hat (vgl. OVG NRW, B. v. 25.11.2014 – 8 B 690/14 – NVwZ-RR 2015, 323 = juris Rn. 14; VGH BW, B. v. 11.10. 2018 – 5 S 1398/18 – juris Rn. 30).
24
Hieran gemessen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung der Aktenlage und der vorgetragenen Umstände die für eine Verlängerung erforderlichen „besondere Umstände“ im Sinne des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB vorliegend nicht gegeben waren.
25
a. Insbesondere stellen die auf entsprechende Einwendungen der Antragstellerin hin durchgeführten (mehrmaligen) Zählungen von Erholungssuchenden und die dadurch aufgetretene Verfahrensverzögerung keine Besonderheiten hinsichtlich des Umfangs, des Schwierigkeitsgrades oder des Verfahrensverlaufs in dem oben beschriebenen Sinne dar. Das vorliegende Planverfahren für Konzentrationsflächen Kies- und Sandabbau hat sich mit Blick auf diesen Aspekt nicht durch eine Ungewöhnlichkeit von dem allgemeinen Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abgehoben. Als Vergleichsmaßstab ist in diesem Zusammenhang wie dargelegt der allgemeine Rahmen städtebaulicher Planungen mit Zielsetzungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für alle in § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB genannten Vorhaben und nicht etwa lediglich für Windkraftanlagen heranzuziehen. Derartigen Planungen, insbesondere solche für Kies- und Sandabbau in Erholungsgebieten, ist ein Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen einerseits und der Erholungsnutzung andererseits immanent. Insofern handelt es sich um ein Standardproblem und keine Besonderheit. Es war für die Beigeladene von vornherein objektiv absehbar, dass die Frage der Beeinträchtigung bzw. des Schutzes der Erholungssuchenden einerseits sowie die wirtschaftlichen Interessen etwaiger Kiesgrubenbetreiber andererseits von maßgeblicher Bedeutung für eine aus- und abgewogene Teilkonzentrationsflächenplanung sein würden. Für eine ausgewogene und damit formell und materiell rechtmäßige Teilflächennutzungsplanung musste sich die Beigeladene ohnehin ein Bild von der tatsächlichen Bedeutung des Gemeindegebiets für die Erholungsnutzung machen – dies unabhängig davon, ob die Antragstellerin diesbezüglich konkrete Themenkomplexe gerügt hat oder nicht. Dass in diesem Zusammenhang als Datengrundlage konkrete Zählungen erforderlich werden würden, lag im anzunehmenden und objektiv planbaren Bereich. Darauf, dass die Beigeladene subjektiv von den Einwendungen der Antragstellerin im Verfahren überrascht wurde bzw. sie das geltend macht und eine Zählung von Erholungssuchenden nicht eingeplant hatte, kommt es nicht an. Dass die Ermittlung der Bedeutung des Gemeindegebiets für die Erholungsnutzung kein im Verfahren aufgetretener atypischer Umstand, sondern ein in solchen Verfahren üblicher, von vornherein einzuplanender Aspekt war, ergibt sich auch daraus, dass bereits in der Bekanntmachung über den Aufstellungsbeschluss vom 22. Juni 2021 (Bekanntmachung vom 12. August 2021) als Planungsziel die Steuerung und Konzentration von Vorhaben des Kiesabbaus, die Vermeidung einer ungeregelten Verwendung von Außenbereichsflächen sowie die Beschränkung der Flächen für Kiesabbau auf solche Flächen, welche aufgrund ihrer Beschaffenheit für andere Nutzungsarten nur einen geringen Wert haben, aufgeführt war (Bl. 215 ff. BA). In der öffentlichen Bekanntmachung der frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB im Juni 2022 wurde als Planungsziel die Schaffung von planungsrechtlichen Voraussetzungen für einen geordneten Abbau von Kies und Sand sowie der Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Abbaugeschehen und anderen Belangen wie der Erholungsnutzung ausdrücklich genannt (Bl. 20 ff. GA). Auch aus der Darstellung des Planungsverbandes zu der beabsichtigten Konzentrationsflächenplanung (Stand: 24.2.2022, Bl. 240 ff. BA) ergibt sich das Bewusstsein der Bedeutung der Erholungsnutzung in den von der Planung betroffenen Bereichen und das Ziel, die Planung in Einklang mit der Erholungsfunktion des Gebiets sowie bestehenden Radwegen etc. zu verwirklichen. Die Beigeladene hätte somit bereits im Vorfeld, jedenfalls weit vor der Beauftragung der ersten Zählung im September 2022, Erhebungen anstrengen können und müssen, um eine ausgewogene Abwägung der in Konflikt stehenden Interessen durchführen zu können. Die Ermittlung der Zahl der Erholungssuchenden in einem Erholungsgebiet stellt damit keine für eine Verlängerung der Zurückstellung erforderliche Atypik der Planung dar, die im besonderen Umfang, Schwierigkeitsgrad oder Verfahrensverlauf liegen würde (vgl. dazu Schiwy, BauGB, Stand: 1. März 2023, § 17 Rn. 23 f.).
26
An dieser Einordnung ändern auch die Ausführungen des Bevollmächtigten der Beigeladenen nichts, dass die Erkenntnis des Gesetzgebers gewesen sei, dass im Falle einer Konzentrationsflächenplanung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB, die auf Grund der Vorgaben der Rechtsprechung „in der Regel“ ein transparentes und komplexes Verfahren mit Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung sowie die Einholung von Gutachten und Standortanalysen erfordere, für eine gründliche, abgewogenen Planung die Höchstdauer von einem Jahr „oft zu kurz“ sein könne (vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT – Drs. 17/11468, Anlage 3 Nr. 4) und deshalb eine Verlängerung der Zurückstellung rechtmäßig sei. Denn der Gesetzgeber ist ausweislich des Wortlauts des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB – wonach das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB allein nicht ausreicht, um eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens ein zweites Mal auszusetzen – davon ausgegangen, dass eine Gemeinde die Konzentrationszonen-Planung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bei Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2-6 BauGB im Regelfall durchaus innerhalb des in § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB für die „erste“ Zurückstellung vorgesehenen Zeitraums von längstens einem Jahr bewältigen (OVG Münster, U.v. 21.4.2023 – 7 D 367/21.AK – juris Rn. 37, 42) bzw. jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt Planreife herstellen kann (Sennekamp in: Brügelmann, Baugesetzbuch, Band 2, § 15 Rn. 84b). Die Annahme des Bevollmächtigten der Beigeladenen hätte zur Folge, dass für Konzentrationsflächenplanungen in aller Regel eine Verlängerung der Zurückstellung rechtmäßig erfolgen kann. Der Ausnahmecharakter der Vorschrift würde hierdurch jedoch konterkariert (vgl. dazu auch OVG Münster, U.v. 21.4.2023 – 7 D 367/21.AK – juris Rn. 37). Im Übrigen wird aus der Gesetzbegründung deutlich, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der Ausnahmeregelung und dem ihr zugrundeliegenden Sinn und Zweck vor allem Windkraftplanungen vor Augen hatte, welche sich von einer Konzentrationsflächenplanung für Kies- und Sandabbau – wie vorliegend – mit Blick auf Komplexität und Verfahrensumfang noch einmal deutlich abheben.
27
b. Unabhängig davon fehlt es vorliegend zudem an dem Umstand, dass die Aufstellung des Planes gerade wegen der angeführten Besonderheit – hier (mehrmalige) Zählung von Erholungssuchenden – mehr als die übliche Zeit erforderte und die Beigeladene die Verzögerung nicht zu vertreten hat.
28
aa. Die (mehrmaligen) Zählungen führten vorliegend zwar letztlich dazu, das die Planung nicht innerhalb der Frist der ursprünglichen Zurückstellung abgeschlossen werden konnte. Die Verzögerung der Planung erfolgte jedoch unter Berücksichtigung der Aktenlage und der vorgelegten Verfahrensschritte auch und maßgeblich dadurch, dass das Verfahren insgesamt, insbesondere zu Beginn, nur mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen betrieben wurde. Denn einer Gemeinde ist es bereits als die besonderen Umstände ausschließendes Fehlverhalten anzurechnen, wenn sie das Verfahren in einem frühen Stadium ohne Not so betrieben hat, dass sie auf neue Erkenntnisse im Rahmen der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach §§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 2 BauGB nicht mehr bis zum Ende einer vorherigen Veränderungssperre reagieren kann (vgl. Schiwy, BauGB, § 17 Rn. 23 a.E. m.w.N.). Entsprechendes muss im Falle des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB bei der Zurückstellung mit Blick auf eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb die Beigeladene nach dem entsprechenden Aufstellungsbeschluss vom 22. Juni 2021 bis Juni 2022 gewartet hat, um die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB durchzuführen, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass für die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung ein fertiger Planentwurf noch nicht vorliegen muss. Hätte die Beigeladene die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung früher angestrengt, hätte sie sich auch früher mit etwaig erforderlich werdenden und von ihr nicht von vornherein für notwendig erachteten Zählungen von Erholungssuchenden auseinandersetzen können. Derartige Belange und Einwendungen frühzeitig zu erkennen und zu erfassen ist Sinn und Zweck der (frühzeitigen) Beteiligung nach § 3 Abs. 1 BauGB.
29
bb. Die Beigeladene hat die Verzögerung auch zu vertreten. Denn sie kann unter Berücksichtigung der Aktenlage nicht darlegen, dass sie sich im jeweiligen Zeitpunkt durchgehend objektiv vernünftig verhalten hat. Nach gefestigter Rechtsprechung kommt ein Sonderfall im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB nur dann in Betracht, wenn die Gemeinde das Bauleitplanverfahren zügig und unter Aufbietung aller verfügbaren Kräfte betrieben hat und betreibt (OVG Münster, U.v. 21.4.2023 – 7 D 367/21.AK – juris Rn. 37). Dies war vorliegend nicht der Fall. Es hätte zum einen nahegelegen, die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zügiger voranzutreiben, um einen Überblick über die Einwendungen, welche für die Abwägung von Bedeutung sind, zu erhalten (s.o.). Darüber hinaus hätte es sich der Beigeladenen aufdrängen müssen, dass es für eine Konzentrationsflächenplanung in einem Erholungsgebiet auf den Ausgleich etwaiger wirtschaftlicher Interessen mit Interessen der Erholungssuchenden ankommt und hierfür entsprechende Erhebungen für eine sachgerechte Abwägung erforderlich sein werden. Derartige Konfliktbewältigungen sind typisch für Konzentrationsflächenplanungen dieser Art. Frühzeitig entsprechende Erhebungen durchzuführen und sich damit auseinanderzusetzen, hat die Beigeladene daher vorwerfbar versäumt. In beiden Fällen handelt es sich um zeitlich vor der ersten Zurückstellung gesetzte Ursachen für eine Verzögerung, welche ein die weitere Zurückstellung nach § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB ausschließendes Fehlverhalten der Gemeinde darstellt (vgl. Hornmann in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 58. Edition, Stand: 1.3.2023, § 15 Rn. 53e). Ebenso verhält es sich im Übrigen mit Blick auf den Umstand, dass die Beigeladene im Rahmen der Begründung des Verlängerungsantrags vorgetragen hat, dass das von der Beigeladenen für die Erhebung der Zahlen der Erholungssuchenden beauftragte Verkehrsplanungsbüro aufgrund großer Arbeitsauslastung nicht unmittelbar mit den Arbeiten beginnen konnte (Bl. 357 BA), und auch bezüglich des sich aus den Akten ergebenden Umstandes, dass der von der Gemeinde beauftragte Planungsverband offenbar vier Monate gebraucht hat, um einen ersten Planungsentwurf zu erstellen (schriftliche Beauftragung des Planungsverbandes am 22.7.21, Vorstellung aktueller Zwischenstand durch den Planungsverband im Gemeinderat am 25.11.2021). Denn derartige, zu einer Verzögerung führende Umstände sind der Gemeinde regelmäßig als eigenes vorwerfbares Verhalten zuzurechnen (vgl. Hornmann in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 58. Edition, Stand: 1.3.2023, § 17 Rn. 13). Lediglich ergänzend ist anzuführen, dass auch die Argumentation der Beigeladenen, die ursprüngliche Zurückstellungsfrist habe nicht eingehalten werden können, da unterschiedlichen Behörden, u.a. dem zu beteiligenden Landratsamt, beantragte Fristverlängerungen gewährt werden mussten, nicht verfängt. Es wäre zum einen Aufgabe der Beigeladenen gewesen, auf die Einhaltung der gesetzten Fristen zu bestehen. Denn waren diese, wovon das Gericht ausgeht, angemessen, besteht keine Notwendigkeit, jedem Fristverlängerungsersuchen floskelhaft nachzukommen. Vielmehr wäre bei der jeweiligen Entscheidung über die Verlängerung behördlicher Fristen die besondere Situation der „laufenden“ Zurückstellung zu berücksichtigen gewesen, um nicht eine Situation heraufzubeschwören, in der eine Verlängerung der gesetzlichen Frist des § 15 Abs. 3 Satz 1 BauGB beantragt werden „muss“. Vor diesem Hintergrund wäre es Aufgabe der Beigeladenen gewesen die Einhaltung der Fristen mit Blick auf die ablaufende Zurückstellung besonders zu überwachen und nachdrücklich auf ihre Einhaltung hinzuweisen. Zum anderen wäre es der Beigeladenen unbenommen gewesen, eine Sondersitzung des Gemeinderats einzuberufen, um eine Behandlung der Themen innerhalb der Frist zu gewährleisten.
30
Nach alledem war die Verlängerungsentscheidung mit Bescheid vom 15. Februar 2023 nach summarischer Prüfung rechtswidrig und wird deshalb dem Aussetzungsinteresse der Vorrang vor dem Vollzugsinteresse eingeräumt. Das Gericht kann danach offen lassen, ob die Entscheidung des Antragsgegners über die weitere Zurückstellung auch unabhängig von dem Fehlen besonderer Umstände im Sinne des § 15 Abs. 3 Satz 4 BauGB deshalb fehlerhaft ist, weil der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen nicht in ausreichender Weise ausgeübt hat, da im Bescheid im Rahmen der Begründung der Entscheidung im Wesentlichen lediglich die Verzögerungsgründe, die die Beigeladene im Rahmen ihrer Antragsstellung mitgeteilt hatte, aufgeführt und ohne eigene Bewertung übernommen wurden. Auch kommt es auf den Umstand, dass die Entscheidung auch insofern an einem Mangel leidet, als dass eine Anhörung durch das Landratsamt vor der verfügten Verlängerung der Zurückstellung als belastendem Verwaltungsakt gegenüber der Antragstellerin ausweislich der vorgelegten Akten nicht erfolgt ist (Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG), nicht mehr an (vgl. zu der Thematik der Erforderlichkeit der Anhörung im Rahmen einer Zurückstellungsentscheidung statt vieler nur Sennekamp in: Brügelmann, Baugesetzbuch, § 15, Rn. 40). Dass die Antragstellerin ausweislich der vorgelegten Akten von dem Verlängerungsantrag der Beigeladenen wusste, entbindet von einer gesonderten Anhörungspflicht vor Erlass des Zurückstellungsbescheides nicht.
31
Der Vollständigkeit halber wird überdies darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Zurückstellungsverfahrens für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über eine Zurückstellung nicht von Bedeutung ist, ob die Planunterlagen vollständig sowie prüffähig sind und Entscheidungsreife vorliegt, und erst recht nicht, ob ein Anspruch auf die begehrte Genehmigung besteht. Die Ausführungen der Antragstellerseite zu einem bestehenden Anspruch auf Genehmigungserteilung sowie die Ausführungen des Antragsgegners zur Vollständigkeit und Prüffähigkeit der Planunterlagen sind mithin vorliegend ohne Bedeutung. Denn die Zurückstellung ist ein Sicherungsmittel des (formellen) Baurechts und hält die Entscheidung über die Zulässigkeit des Bauvorhabens – anders als bei der Veränderungssperre – noch offen (Sennekamp in: Brügelmann, Baugesetzbuch, § 15 Rn. 1, 5). Durch den Antrag auf Zurückstellung wird lediglich die Prüfung der Zulässigkeit des Vorhabens, also das Verfahren, ausgesetzt. Weshalb nun der Antragsgegner mit Schreiben vom 20. Juni 2023 mitteilt, dass, da die Unterlagen nun vollständig seien, die Fachstellenstellenbeteiligung erfolge, bleibt mit Blick auf die Wirkung der Zurückstellung – Aussetzung des Verfahrens – unklar. Die materiellen Komponenten – also die Frage nach einem Anspruch auf die begehrte Genehmigung – sind lediglich mittelbar von Bedeutung und zwar insofern, als dass eine Zurückstellungsentscheidung nicht ergehen darf, wenn bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zurückstellung unschwer zu erkennen ist, dass das Vorhaben aus anderen Gründen nicht genehmigungsfähig sein wird. Denn in diesem Fall fehlt für eine Zurückstellung das Sicherungserfordernis für eine etwaige Planung (Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: 148. EL Oktober 2022, § 15 Rn. 43). Derartige Anhaltspunkte waren bzw. sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Eine Zurückstellungsentscheidung ist im Übrigen auch ergangen.
32
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen eigenen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3, HS. 1 VwGO).
33
3. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Hinsichtlich der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin orientiert sich das Gericht an dem zu erwartenden jährlichen Gewinn des Kiesabbauvorhabens (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2007 – 1 ZB 07.570 – juris). Im konkreten Fall würde sich die durchschnittliche jährliche Kiesausbeute auf etwa 37.000 m3 belaufen (1.497.000 m3 Gesamtabbauvolumen – Bl. 8 BA – auf 41 Jahre geplante Abbauzeit – vgl. Baubeschreibung vom 25.5.2023 Bl. 85 GA). Bei einem geschätzten Gewinn von 4 Euro/m3 (vgl. dazu auch VG Augsburg, U. v. 9.5.2017 – Au 3 K 15.1898 – juris Rn. 81) ergäbe sich für eine (Voll-)Genehmigung ein Streitwert in Höhe von 148.000 Euro. Da Gegenstand des vorliegenden Antragsverfahrens und des zugehörigen Klageverfahrens im Ergebnis (nur) die Fortführung des Verwaltungsverfahrens ist, hält das Gericht in Anlehnung an Nr. 1.4. des Streitwertkataloges 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Reduzierung um die Hälfte des Wertes für eine entsprechende Verpflichtungsklage für angemessen (74.000 Euro). Wegen der Vorläufigkeit dieser Entscheidung im Antragsverfahren ist der Betrag erneut zu halbieren (37.000 Euro), vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.