Titel:
Polizeilicher Präventivgewahrsam
Normenketten:
BayPAG Art. 17 Abs. 1 Nr. 4, Nr. 5, Art. 20 Abs. 2 S. 2
BV Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 102
Leitsätze:
1. Einstellung eines Popularklageverfahrens hinsichtlich im Verlauf des Verfahrens außer Kraft getretener bzw. neu gefasster Bestimmungen, wenn die Fortführung nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheint. (Rn. 51)
2. Weitgehende Unzulässigkeit einer Popularklage mangels hinreichender Darlegung und wegen Wiederholung. (Rn. 53 und 62)
3. Die Bestimmungen zu den Voraussetzungen des polizeilichen Präventivgewahrsams in Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG verstoßen nicht gegen das Grundrecht der Freiheit der Person gemäß Art. 102 Abs. 1 BV oder sonstige Normen der Bayerischen Verfassung. Sie stehen insbesondere mit dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang. (Rn. 106)
4. Die Bestimmungen zur höchstzulässigen Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG sind ebenfalls mit dem Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 102 Abs. 1 BV i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV vereinbar. (Rn. 125)
Schlagworte:
drohende Gefahr, Präventivgewahrsam, Darlegungsanforderungen, Bestimmtheitsgebot, Freiheit der Person, Verhältnismäßigkeitsprinzip
Vorinstanz:
VerfGH München, Entscheidung vom 07.03.2019 – Vf. 15-VII-18
Rechtsmittelinstanz:
VerfGH München, Berichtigungsbeschluss vom 19.07.2023 – Vf. 15-VII-18
Fundstellen:
BayVBl 2023, 735
LSK 2023, 19409
BeckRS 2023, 19409
GSZ 2023, 190
Tenor
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es die Art. 11 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4, Art. 15 Abs. 3 Nr. 1, Art. 18, 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3, Art. 34 Abs. 1 und 3 Satz 4, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2, Art. 36 Abs. 2 und 4 Sätze 2 bis 5, Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, Art. 40 Abs. 3,Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1, Art. 43 Abs. 2,Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Art. 92 Abs. 1 und 2 PAG in der jeweils bis zum 31. Juli 2021 geltenden Fassung, Art. 39 Abs. 1 Satz 1 PAG in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung sowie Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG betrifft.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Die Antragsteller begehren mit ihrer Popularklage die Feststellung der Verfassungswidrigkeit verschiedener Regelungen des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397, BayRS 20121-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 24. März 2023 (GVBl S. 98) geändert worden ist; hinsichtlich Art. 40 Abs. 1 Nr. 2, Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 sowie Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG richtet sich die Popularklage gegen deren jeweils bis zum 31. März 2023 geltende Fassung nach der Änderung durch § 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418).
2
Den Schwerpunkt der Popularklage bildet die Frage, ob die Einführung des Begriffs der sog. drohenden Gefahr mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist.
Diese Gefahrenkategorie ist zum einen als Legaldefinition und Voraussetzung für (atypische) polizeiliche Eingriffsmaßnahmen in Art. 11 a PAG enthalten, der durch § 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418) neu gefasst wurde und erstmals in Gestalt des Art. 11 Abs. 3 PAG in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (GVBl S. 388) in das Polizeiaufgabengesetz eingefügt worden war; zum anderen stützen sich hierauf bestimmte mit dem Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (GVBl S. 388) und dem Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (GVBl S. 301, 434) geschaffene und durch das Gesetz zur Änderung der Bestimmungen zu automatisierten Kennzeichenerkennungssystemen (AKE-Änderungsgesetz) vom 10. Dezember 2019 (GVBl S. 691) sowie das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418) teilweise geänderte Regelungen über Spezialbefugnisse, insbesondere zur Identifizierung, Aufenthaltsbestimmung und Überwachung von Personen. Auf diesen Grundlagen werden polizeiliche Eingriffe in Grundrechte der Betroffenen bereits vor der Entstehung einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinn des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG zugelassen. Weitere wesentliche Angriffspunkte der Popularklage betreffen die Ergänzungen der polizeilichen Befugnis zur präventiven Ingewahrsamnahme von Personen um zusätzliche Tatbestandsalternativen (Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG) und die Anhebung der Höchstdauer des polizeilichen Präventivgewahrsams von zuvor (bis 31. Juli 2017) 14 Tagen auf zuletzt (seit 1. August 2021) einen Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG).
3
Im Einzelnen haben die angegriffenen und die damit im Zusammenhang stehenden Regelungen folgenden Wortlaut (die angegriffenen Regelungen sind kursiv abgedruckt, Art. 40 Abs. 1 Nr. 2, Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 sowie Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG in der bis zum 31. März 2023 geltenden Fassung nach der Änderung durch § 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2021):
(1) 1Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die Art. 12 bis 65 die Befugnisse der Polizei besonders regeln. 2Unter einer solchen konkreten Gefahr (Gefahr) ist eine Sachlage zu verstehen, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung von Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führt.
(2) 1Eine Maßnahme im Sinn des Absatzes 1 kann die Polizei insbesondere dann treffen, wenn sie notwendig ist, um
1. Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden,
2. durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen oder
3. Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person oder die Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen.
2Straftaten im Sinn dieses Gesetzes sind rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. 3Ordnungswidrigkeiten im Sinn dieses Gesetzes sind rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. … …
Art. 11 a Allgemeine Befugnisse bei drohender Gefahr
(1) Wenn die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 und 2 nicht vorliegen, kann die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall
1. das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder
2. Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (drohende Gefahr), soweit nicht die Art. 12 bis 65 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
(2) Bedeutende Rechtsgüter sind
1. der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes,
2. Leben, Gesundheit oder Freiheit,
3. die sexuelle Selbstbestimmung, soweit sie durch Straftatbestände geschützt ist, die im Mindestmaß mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, oder
4. Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang.
Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen
(1) Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen
1. zur Abwehr a) einer Gefahr oder b) einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut, …
(2) 1Die Polizei kann zur Feststellung der Identität die erforderlichen Maßnahmen treffen. 2Sie kann den Betroffenen insbesondere anhalten, ihn nach seinen Personalien befragen und verlangen, daß er mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung aushändigt und Kleidungsstücke sowie Gegenstände, die eine Identitätsfeststellung verhindern oder erschweren, abnimmt. 3Der Betroffene kann festgehalten werden, wenn die Identität auf andere Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. 4Im Fall einer Freiheitsentziehung hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung nach Art. 97 herbeizuführen. 5Unter den Voraussetzungen von Satz 3 können der Betroffene sowie die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden.
Erkennungsdienstliche Maßnahmen
(1) Die Polizei kann erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn …
4. dies zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist.
(2) Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind insbesondere
1. die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken,
2. die Aufnahme von Lichtbildern,
3. die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale,
(3) 1Die Polizei kann dem Betroffenen zudem Körperzellen entnehmen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetische untersuchen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist und andere erkennungsdienstliche Maßnahmen nicht hinreichend sind. … …
(1) Die Polizei kann eine Person schriftlich oder mündlich vorladen, wenn
1. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person sachdienliche Angaben machen kann, die für die Erfüllung einer bestimmten polizeilichen Aufgabe erforderlich sind, oder
2. das zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen oder einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung erforderlich ist.
(3) 1Leistet eine betroffene Person der Vorladung ohne hinreichenden Grund keine Folge, so kann sie zwangsweise durchgesetzt werden,
1. wenn die Angaben zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person erforderlich sind, …
Platzverweis, Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung
(1) 1Die Polizei kann zur Abwehr
2. einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten. 2Die Platzverweisung kann ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.
(2) 1Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut einer Person verbieten, ohne polizeiliche Erlaubnis
1. zu bestimmten Personen oder zu Personen einer bestimmten Gruppe Kontakt zu suchen oder aufzunehmen (Kontaktverbot) oder
2. wenn die Begehung von Straftaten droht,
a) sich an bestimmte Orte oder in ein bestimmtes Gebiet zu begeben (Aufenthaltsverbot) oder b) ihren Wohn- oder Aufenthaltsort oder ein bestimmtes Gebiet zu verlassen (Aufenthaltsgebot).
2Unter den in Satz 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen kann sie eine Person auch verpflichten, in bestimmten zeitlichen Abständen bei einer Polizeidienststelle persönlich zu erscheinen (Meldeanordnung). 3Die Anordnungen dürfen die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten und können um jeweils längstens drei Monate verlängert werden. 4Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn
1. das zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet,
2. das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern; die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, daß
a) die Person die Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung geeignet ist,
b) bei der Person Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände aufgefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden, oder ihre Begleitperson solche Gegenstände mit sich führt und sie den Umständen nach hiervon Kenntnis haben mußte, oder c) die Person bereits in der Vergangenheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder Straftaten als Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist;
3. dies zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut unerlässlich ist,
4. dies unerlässlich ist, um Maßnahmen nach Art. 16 durchzusetzen, oder
5. einer Anordnung nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 nicht Folge geleistet wird.
(2) Die Polizei kann Minderjährige, die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben oder sich an Orten aufhalten, an denen ihnen eine sittliche Gefahr oder Verwahrlosung droht, in Gewahrsam nehmen, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen.
(3) Die Polizei kann eine Person, die aus dem Vollzug von Untersuchungshaft, Freiheitsstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung entwichen ist oder sich sonst ohne Erlaubnis außerhalb der Vollzugsanstalt aufhält, in Gewahrsam nehmen und in die Anstalt zurückbringen.
Richterliche Entscheidung Wird einer Person aufgrund von Art. 17 die Freiheit entzogen, hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung nach Art. 97 herbeizuführen.
Dauer der Freiheitsentziehung …
(2) 1In der richterlichen Entscheidung ist die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen. 2Sie darf jeweils nicht mehr als einen Monat betragen und kann insgesamt nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden.
Durchsuchung von Personen
(1) Die Polizei kann, außer in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 Satz 5 eine Person durchsuchen, wenn …
(3) eine drohende Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut vorliegt, …
(1) Die Polizei kann eine Sache sicherstellen
b) einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendesRechtsgut, …
(2) 1Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Polizei durch Pfändung auch eine Forderung sowie sonstige Vermögensrechte sicherstellen. 2Die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte sind sinngemäß anzuwenden.
Allgemeine Grundsätze [der Datenverarbeitung] …
(2) 1Die Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten ist zulässig, …
b) drohenden Gefahren für ein bedeutendes Rechtsgut, …
Offene Bild- und Tonaufnahmen …
b) einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut, … offen Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen anfertigen.
(4) … 3In Wohnungen dürfen Maßnahmen nach diesem Absatz nur zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person erfolgen, sofern damit nicht die Überwachung der Wohnung verbunden ist. … …
Elektronische Aufenthaltsüberwachung
(1) 1Zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut kann durch den Richter gegenüber der dafür verantwortlichen Person angeordnet werden, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsorts erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. (Fussnote:Die Maßnahme ist auf höchstens drei Monate zu befristen und kann um jeweils längstens drei Monate verlängert werden.)Eine Anordnung kann insbesondere mit Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 verbunden werden. 3Die Maßnahme ist zu beenden, sobald der Grund hierfür entfallen ist.
(4) 1In der schriftlichen Anordnung sind Adressat und Art sowie einzelfallabhängig Umfang und Dauer der Maßnahme zu bestimmen und die wesentlichen Gründe anzugeben. 2Die Maßnahme ist auf höchstens drei Monate zu befristen und kann um jeweils längstens drei Monate verlängert werden.
(1) 1Die Polizei kann auf Anordnung durch den Richter ohne Wissen des Betroffenen Postsendungen sicherstellen, wenn sich diese im Gewahrsam von Personen oder Unternehmen befinden, die geschäftsmäßig Post- oder Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken (Postdienstleister), und von einer Person versandt wurden oder an eine Person gerichtet sind,
1. die für eine Gefahr oder eine drohende Gefahr für ein in Art. 11 a Abs. 2 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 genanntes bedeutendes Rechtsgut verantwortlich ist, oder … sofern die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. …
(2) 1In der schriftlichen Anordnung sind einzelfallabhängig anzugeben:
Besondere Mittel der Datenerhebung
(1) Besondere Mittel der Datenerhebung sind
1. die planmäßig angelegte Beobachtung einer Person, die durchgehend länger als 24 Stunden oder an mehr als zwei Tagen durchgeführt werden soll (längerfristige Observation),
2. der verdeckte Einsatz technischer Mittel a) zum Abhören oder zur Aufzeichnung des außerhalb von Wohnungen nichtöffentlich gesprochenen Wortes,
b) zur Feststellung des Standortes oder der Bewegungen einer Person oder einer beweglichen Sache, mit dem Ziel der Erstellung eines Bewegungsbildes,
c) zur Feststellung des Standortes oder der Bewegung einer Person oder einer beweglichen Sache, ohne dass ein Bewegungsbild erstellt werden soll,
d) zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen, auch unter Verwendung von Systemen zur automatischen Erkennung und Auswertung von Mustern im Sinn von Art. 33 Abs. 5 und zum automatischen Datenabgleich,
e) zur Anfertigung von Bildaufnahmen außerhalb von Wohnungen, auch unter Verwendung von Systemen zur automatischen Erkennung und Auswertung von Mustern im Sinn von Art. 33 Abs. 5 und zum automatischen Datenabgleich.
(2) 1Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut personenbezogene Daten mit den besonderen Mitteln nach Abs. 1 erheben über
1. die hierfür Verantwortlichen,
2. Kontakt- und Begleitpersonen, wenn bestimmte Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie mit der Gefahrenlage in Zusammenhang stehen oder
3. unter den Voraussetzungen des Art. 10 über die dort genannten Personen, wenn andernfalls die Erfüllung polizeilicher Aufgaben gefährdet oder wesentlich erschwert würde. 2 Datenerhebungen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
(3) Maßnahmen unter Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung nach Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchst. a und b dürfen nur durch den Richter angeordnet werden.
(4) 1Maßnahmen unter Einsatz besonderer Mittel der Datenerhebung nach Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c und d dürfen nur durch den Leiter des Landeskriminalamtes oder eines Präsidiums der Landespolizei angeordnet werden. 2Diese Anordnungsbefugnis kann auf Polizeivollzugsbeamte, die die Ausbildungsqualifizierung für die Ämter ab der vierten Qualifikationsebene absolviert haben, oder Beamte mit der Befähigung zum Richteramt, die in Ämter ab der vierten Qualifikationsebene, fachlicher Schwerpunkt Polizeivollzugsdienst gewechselt sind, übertragen werden.
(7) 1In der schriftlichen Anordnung von Maßnahmen nach Abs. 3 bis 5 sind Adressat und Art sowie einzelfallabhängig Umfang und Dauer der Maßnahme zu bestimmen und die wesentlichen Gründe anzugeben. 2Die jeweilige Maßnahme ist auf höchstens drei Monate zu befristen und kann um jeweils längstens drei Monate verlängert werden.
Einsatz Verdeckter Ermittler
(1) 1Die Polizei kann personenbezogene Daten unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe des Art. 36 Abs. 2 Satz 1 durch den Einsatz von Polizeibeamten unter einer Legende (Verdeckte Ermittler) erheben. 2Derartige Datenerhebungen dürfen auch erfolgen, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind.
(2) 1Richtet sich der Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gegen eine bestimmte Person oder soll eine nicht allgemein zugängliche Wohnung betreten werden, dürfen die Maßnahmen nur durch den Richter angeordnet werden. 2Art. 36 Abs. 7 Satz 1 gilt entsprechend. 3Die Anordnung ist auf höchstens sechs Monate zu befristen und kann um jeweils längstens sechs Monate verlängert werden.
Einsatz von Vertrauenspersonen
(1) 1Die Polizei kann personenbezogene Daten unter den Voraussetzungen und nach Maßgabe des Art. 36 Abs. 2 Satz 1 durch den Einsatz von Privatpersonen erheben, deren Zusammenarbeit mit der Polizei Dritten nicht bekannt ist (Vertrauenspersonen), wenn dies im Einzelfall zur Gefahrenabwehr erforderlich ist. 2Ein solcher Einsatz liegt nicht vor, soweit sich eine, auch wiederkehrende, polizeiliche Datenerhebung auf die Erlangung von bei dieser Person bereits vorhandenen und von dieser angebotenen Daten beschränkt. 3Datenerhebungen nach Satz 1 dürfen auch erfolgen, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden.
(2) 1Richtet sich der Einsatz einer Vertrauensperson gegen eine bestimmte Person oder soll eine nicht allgemein zugängliche Wohnung betreten werden, dürfen die Maßnahmen nur durch den Richter angeordnet werden. 2Die Art. 36 Abs. 7 Satz 1 und Art. 37 Abs. 2 Satz 3 gelten entsprechend. …
(3) 1In anderen als den in Abs. 2 Satz 1 genannten Fällen dürfen die Maßnahmen nur durch die in Art. 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 genannten Personen angeordnet werden. … …
(5) Als Vertrauensperson darf nicht eingesetzt werden, wer …
4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung als Täter eines Totschlags (§§ 212, 213 des Strafgesetzbuchs – StGB) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat eingetragen ist.
Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung
(1) Die Polizei kann personenbezogene Daten, insbesondere die Personalien einer Person sowie Kennzeichen eines von ihr benutzten Fahrzeugs, zur polizeilichen Beobachtung oder gezielten Kontrolle ausschreiben, wenn …
(2) sie für eine drohende Gefahr für bedeutende Rechtsgüter verantwortlich ist oder …
(3) 1Die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung oder gezielten Kontrolle darf nur durch die in Art. 36 Abs. 4 Satz 1 und 2 genannten Personen angeordnet werden. 2Art. 36 Abs. 7 Satz 1 gilt entsprechend. 3Die Maßnahme ist auf höchstens ein Jahr zu befristen und kann um jeweils längstens ein Jahr verlängert werden.
Eingriffe in den Telekommunikationsbereich
(1) 1Die Polizei kann auf Anordnung durch den Richter durch die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation personenbezogene Daten erheben
1. über die für eine Gefahr oder eine drohende Gefahr Verantwortlichen, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein in Art. 11 a Abs. 2 Nr. 1, 2 oder Nr. 4 genanntes bedeutendes Rechtsgut erforderlich ist, oder …
(4) 1Die Polizei kann auf Anordnung durch den Richter bei Gefahr oder drohender Gefahr für ein in Art. 11 a Abs. 2 Nr. 2 genanntes bedeutendes Rechtsgut hinsichtlich des Betroffenen
1. durch die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation personenbezogene Daten erheben oder
2. technische Mittel einsetzen, um den Standort eines von ihm mitgeführten Mobilfunkendgerätes zu ermitteln.
Mitwirkungspflichten der Diensteanbieter …
(2) 1Unter den Voraussetzungen des Art. 42 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 kann die Polizei auf Anordnung durch den Richter von Diensteanbietern verlangen,
1. ihr vorhandene Telekommunikationsverkehrsdaten im Sinn von § 96 Abs. 1 TKG der in Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 genannten Personen zu übermitteln,
2. Auskunft über deren zukünftige Telekommunikationsverkehrsdaten zu erteilen oder
3. ihr die für die Ermittlung des Standortes eines Mobilfunkendgerätes dieser Personen erforderlichen spezifischen Kennungen, insbesondere die Geräte und Kartennummer mitzuteilen.
(4) 1Unter den Voraussetzungen des Art. 42 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 kann die Polizei auf Anordnung durch den Richter von denjenigen, die geschäftsmäßig eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithalten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln, Auskunft über dort gespeicherte Nutzungsdaten im Sinn des § 15 Abs. 1 des Telemediengesetzes (TMG) verlangen. … …
Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme
(1) 1Die Polizei kann auf Anordnung durch den Richter mit technischen Mitteln verdeckt auf informationstechnische Systeme zugreifen, um Zugangsdaten und gespeicherte Daten zu erheben,
1. von den für eine Gefahr oder drohende Gefahr Verantwortlichen, soweit dies erforderlich ist zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein in Art. 11 a Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 genanntes bedeutendes Rechtsgut oder für Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, oder …
Schutz von Berufsgeheimnisträgern und des Kernbereichs privater Lebensgestaltung
(1) 1Ist oder wird bei folgenden Maßnahmen erkennbar, dass in ein durch ein Berufsgeheimnis nach den §§ 53, 53 a StPO geschütztes Vertrauensverhältnis eingegriffen wird, ist die Datenerhebung insoweit unzulässig, es sei denn, die Maßnahme richtet sich gegen den Berufsgeheimnisträger selbst:
1. offene Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen in Wohnungen nach Art. 33 Abs. 4 Satz 3, …
(3) 1Ist oder wird bei folgenden Maßnahmen erkennbar, dass dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnende Daten (Kernbereichsdaten) betroffen sind und bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten dazu dienen sollen, ein Erhebungsverbot herbeizuführen, ist die Datenerhebung unzulässig:
8. verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme nach Art. 45 Abs. 1.
5Bei den in Satz 1 Nr. 8 genannten Maßnahmen hat die Polizei, soweit dies informations- und ermittlungstechnisch möglich ist, durch geeignete Vorkehrungen sicherzustellen, dass die Erhebung von Kernbereichsdaten unterbleibt. 6Können in diesen Fällen Kernbereichsdaten vor oder bei der Datenerhebung nicht ausgesondert werden, darf auf das informationstechnische System auch dann zugegriffen werden, wenn hierbei eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass dabei in untergeordnetem Umfang höchstpersönliche Daten miterfasst werden.
Datenempfang durch die Polizei …
(3) Die Polizei kann die Verfassungsschutzbehörden des Bundes oder der Länder, den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst um Übermittlung mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobener personenbezogener Daten nur ersuchen,
1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut oder
2. wenn die Informationen auch mit eigenen Befugnissen in gleicher Weise hätten erhoben werden können.
Art. 60 a Zuverlässigkeitsüberprüfung
(1) 1Bei Anlässen, die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind, kann die Polizei personenbezogene Daten einer Person mit deren schriftlicher oder elektronischer Zustimmung bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen erheben, übermitteln und anderweitig verarbeiten (Zuverlässigkeitsüberprüfung), soweit dies im Hinblick auf den Anlass und die Tätigkeit der betroffenen Person erforderlich und angemessen ist. 2Die Erforderlichkeit und der Umfang der Verarbeitung sind anhand einer Gefährdungsanalyse festzulegen, wobei sich die Datenerhebung nach dem Zweck der Zuverlässigkeitsüberprüfung richtet. 3Zuverlässigkeitsüberprüfungen können insbesondere erfolgen
1. zur Regelung der besonderen Zugangsberechtigung zu Veranstaltungen und Veranstaltungsreihen, die besonders gefährdet sind,
2. für den privilegierten Zutritt zu einem Amtsgebäude oder einem anderen gefährdeten Objekt oder Bereich,
3. für die Erbringung von Dienstleistungen zur Unterstützung behördlicher Aufgaben,
4. bei Personen, die Zugang zu Unterlagen oder ähnlichen Inhalten haben sollen, aus denen sich sicherheitsrelevante Erkenntnisse für die Tätigkeit von Polizei und Sicherheitsbehörden ergeben oder
5. zu Zwecken des Personen- und Objektschutzes.
4Die Polizei kann hierzu die Identität der Person feststellen, deren Zuverlässigkeit überprüft werden soll, und zu diesem Zweck auch von ihr vorgelegte Ausweisdokumente kopieren oder Kopien von Ausweisdokumenten anfordern.
(2) 1Die Polizei ist befugt, das Ergebnis ihrer Zuverlässigkeitsüberprüfung an eine andere Stelle zu übermitteln, wenn die Beurteilung der Zuverlässigkeit der anderen Stelle obliegt. 2Hat die Polizei dabei Zuverlässigkeitsbedenken, ist die betroffene Person vor der Datenübermittlung an die andere Stelle über die Bedenken der Polizei zu informieren, wenn die betroffene Person dies schriftlich oder in elektronischer Form gegenüber der Polizei zuvor erklärt hat. 3In den Fällen des Satzes 2 gibt die Polizei der betroffenen Person Gelegenheit, Einwände gegen die Sicherheitsbedenken schriftlich oder in elektronischer Form vorzubringen, welche vor der Übermittlung nach Satz 1 zu prüfen sind. 4Die betroffene Person ist von der anderen Stelle auf die Möglichkeiten nach den Sätzen 2 und 3 und über Ablauf und Inhalt des polizeilichen Überprüfungsverfahrens spätestens vor der erstmaligen Datenübermittlung an die Polizei hinzuweisen. 5Hat die Polizei Zweifel daran, dass die andere Stelle ihrer Verpflichtung nach Satz 4 nachgekommen ist, ist die betroffene Person durch die Polizei vor der Übermittlung nach Satz 1 über das Bestehen von Sicherheitsbedenken zu informieren. 6Von der Information des Betroffenen nach den Sätzen 2 und 5 kann unter den Voraussetzungen des Art. 65 Abs. 2 und 3 abgesehen werden. 7Erfolgt die Mitteilung an eine nichtöffentliche Stelle, beschränkt sich die Mitteilung nach Satz 1 darauf, dass Zuverlässigkeitsbedenken bestehen.
(3) Die Polizei kann die andere Stelle dazu verpflichten, ihr mitzuteilen, wenn sie eine Person trotz bekannter Zuverlässigkeitsbedenken der Polizei gleichwohl für den Anlass verwendet, für den die Zuverlässigkeitsüberprüfung durchgeführt wurde.
(4) Art. 54 Abs. 2 Satz 6 findet keine Anwendung.
(5) 1Die Polizei kann ferner Personen, die eine Tätigkeit in einer Behörde der Polizei oder des Verfassungsschutzes anstreben, mit deren schriftlicher oder elektronischer Zustimmung einer Zuverlässigkeitsüberprüfung nach Abs. 1 unterziehen. 2In diesen Fällen findet Arbeits- und Beamtenrecht Anwendung.
Verfahren für gerichtliche Entscheidungen;
Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen
(1) Soweit Vorschriften dieses Gesetzes eine gerichtliche Entscheidung vorsehen, gelten vorbehaltlich abweichender Regelung die Vorschriften des Buches 1 und für Freiheitsentziehungsverfahren zusätzlich des Buches 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) entsprechend.
Zuständigkeit für gerichtliche Entscheidungen
(1) Für die gerichtliche Entscheidung ist vorbehaltlich abweichender Regelung das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts zuständig, in dessen Bezirk die beantragende Polizeidienststelle ihren Sitz hat.
(2) Abweichend von Abs. 1 ist zuständig
1. für die Entscheidung nach Art. 97 Abs. 1 das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird, und …
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Die Antragsteller sind eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die es sich nach ihrer Satzung zur Aufgabe gemacht hat, humanistische Ideale und Ziele zu pflegen und fortzuentwickeln, eine weitere Körperschaft des öffentlichen Rechts, die nach ihrer Satzung die Interessen von kirchenfreien Menschen mit freigeistiger, agnostischer oder atheistischer Anschauung in München und der weiteren Umgebung vertritt, sowie deren erster Vorsitzender und deren zweite Vorsitzende.
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Mit ihrer am 26. Juli 2018 beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingegangenen Popularklage, ergänzt durch Schriftsätze vom 16. und 30. August 2018 sowie vom 6. November 2018, haben sich die Antragsteller zunächst gegen Art. 11 Abs. 3, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4, Art. 15 Abs. 3 Nr. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Sätze 1 und 3, Art. 17 Abs. 1 Nrn. 2, 4 und 5, Art. 18, 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3, Art. 21 Abs. 1 Nr. 3, Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2, Art. 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, Art. 33 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b, Art. 34 Abs. 1 und 3 Satz 4, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2, Art. 36 Abs. 2 und 4 Sätze 2 bis 5, Art. 37 Abs. 1 und 2 Satz 3, Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, Art. 39 Abs. 1 Satz 1, Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1, Art. 43 Abs. 2, Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 49 Abs. 3 Satz 6 und Art. 92 Abs. 1 und 2 PAG in der damals zuletzt durch Gesetz vom 18. Mai 2018 (GVBl S. 301, 434) geänderten Fassung gewandt.
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Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 7. März 2019 abgewiesen.
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In der Folgezeit wurden die angegriffenen Bestimmungen durch das AKE-Änderungsgesetz vom 10. Dezember 2019 und das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 teilweise geändert und ergänzt. Art. 40 Abs. 1 Nr. 2, Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 sowie Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG wurden zudem durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Polizeiorganisationsgesetzes vom 24. März 2023 erneut geändert.
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Mit Schriftsätzen vom 30. September und 4. November 2021 haben die Antragsteller erklärt, dass die mit Schriftsatz vom 25. Juli 2018 eingereichte und durch Schriftsätze vom 16. und 30. August sowie vom 6. November 2018 ergänzte Popularklage durch die Gesetzesnovellen teilweise erledigt sei. Mit Schriftsatz vom 4. November 2021, ergänzt durch Schriftsätze vom 23. Juni 2022 und 12. Juli 2022, haben die Antragsteller außerdem ihren Antrag umgestellt. Sie beantragen zuletzt (sinngemäß), wie in der mündlichen Verhandlung klargestellt, die Bestimmungen der Art. 11 a, Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2 Satz 3, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4, Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Sätze 1 und 3, Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 21 Abs. 1 Nr. 3, Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2, Art. 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, Art. 33 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b, Art. 34 Abs. 1 und 4 Satz 2, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2, Art. 36 Abs. 2, 4 Satz 2 und Abs. 7 Satz 2, Art. 37 Abs. 1 und 2 Satz 3, Art. 38 Abs. 1, 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1, Art. 40 Abs. 3 Sätze 1 und 3, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1, Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 49 Abs. 3 Satz 6, Art. 60 Abs. 3 Nr. 1, Art. 60 a, 96 Abs. 1 sowie Art. 98 Abs. 1 in der aktuell geltenden Fassung, die der Art. 40 Abs. 1 Nr. 2, Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 sowie Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG in der bis zum 31. März 2023 geltenden Fassung für verfassungswidrig und nichtig zu erklären.
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Sie rügen, die angegriffenen Bestimmungen verletzten das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 BV), den Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 5 BV), das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV), das grundsätzliche Verbot der Einschränkung von Grundrechten (Art. 98 Satz 1 BV) und das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen (Art. 98 Satz 2 BV), die Würde des Menschen (Art. 100 BV), die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), auch in der Ausprägung der Berufsausübungsfreiheit, das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV), die Freiheit der Person einschließlich der Verfahrensgarantien (Art. 102 Abs. 1 und 2 BV), das Eigentumsgrundrecht (Art. 103 Abs. 1 BV), das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 109 BV), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und die Informationsfreiheit (Art. 112 BV) sowie die Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV).
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Im Einzelnen tragen die Antragsteller zur Begründung der Popularklage im Wesentlichen Folgendes vor:
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1. Die Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes durch das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017, das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts vom 18. Mai 2018 und das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 verletzten das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot der Normenklarheit, weil entgegen Art. 76 BV bis zur Einreichung der Popularklage am 26. Juli 2018 und bis heute im Gesetz- und Verordnungsblatt keine konsolidierte, klar lesbare Fassung des Polizeiaufgabengesetzes bekannt gemacht worden sei. Die nichtamtliche Veröffentlichung im Internet reiche aufgrund des Grundsatzes der formellen Publikation insoweit nicht aus. Die Änderungen seien mit fünf, 40 bzw. 14 eng bedruckten Seiten im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt äußerst umfangreich und die Verschärfungen durch die erweiterten polizeilichen Befugnisse für die Bürger aus der Veröffentlichung nur des jeweiligen Wortlauts der Einfügungen und Neuformulierungen ohne Abdruck des gesamten Gesetzestextes kaum herauszulesen. Selbst für Juristen mit langer Berufserfahrung im öffentlichen Recht seien die Änderungen nur mit großer Mühe und unverhältnismäßigem Arbeitsaufwand nachzuvollziehen. Der Grundsatz der Normenklarheit werde in eklatanter Weise verletzt, zumal nach Presseberichten vor allem die Bestimmungen zum polizeilichen Präventiv- oder Unterbindungsgewahrsam während der Dauer des Popularklageverfahrens bereits vollzogen worden seien. Aufgrund der Verzögerung der Publizierung der Gesetzesänderungen seien diese für verfassungswidrig zu erklären.
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2. Die polizeirechtliche Generalklausel des Art. 11 a PAG verletze das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in Form des Bestimmtheitsgebots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie das Gebot der notwendigen Unerlässlichkeit von Grundrechtseinschränkungen nach Art. 98 Sätze 1 und 2 BV. Die Bestimmung greife aufgrund der Vorverlegung der polizeirechtlich zulässigen Eingriffsschwelle besonders gravierend in die Freiheitsgrundrechte der Bürger ein. Der Rechtsbegriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ sei derart unbestimmt und vage, dass er und seine Definition weder im neu gefassten Art. 11 a PAG noch bei den einzelnen Spezialbefugnisnormen Bestand haben könne. Besonders gravierend eingreifend sei diese neue Eingriffsschwelle bei den Befugnissen der Identitätsfeststellung, des Platzverweises, der Aufenthaltsanordnung, des Kontaktverbots, des Präventivgewahrsams, der Untersuchung von Personen, der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, der Datenverarbeitung und der Personenüberwachung. Die Vorverlegung der Eingriffsschwelle begründe für die Freiheitsgrundrechte ein überhöhtes Gefährdungsrisiko, das für die Bürger unzumutbar sei, da die Eingriffsschwelle an einen völlig unbestimmten Gefahrenbegriff gebunden sei. Der Begriff ermögliche schwerste Eingriffe in den Lebensbereich der Betroffenen, wie etwa Haftanordnungen oder die Anordnung von Überwachungen der Wohnung oder persönlicher Beziehungen.
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Entgegen der Gesetzesbegründung sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 20. April 2016 (BVerfGE 141, 220) kein Freibrief für die Vorverlagerung der polizeilichen Eingriffsschwellen in den präventiven Bereich. Der bayerische Gesetzgeber sei nicht befugt, im präventiven Bereich alle bundesrechtlichen polizeilichen Befugnisse des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) zur Terrorismusabwehr zu übernehmen, zumal das Bundesverfassungsgericht auf die überragende Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei derartigen Grundrechtseingriffen hingewiesen habe und es um Bundesrecht zur Terrorismusbekämpfung gehe. Die polizeilichen Befugnisse dürften sich nur auf konkrete Tatsachen und eine konkrete, unmittelbare Gefahr stützen. Das Bundesverfassungsgericht führe zwar aus, dass der Gesetzgeber die Grenzen für bestimmte Bereiche mit dem Ziel der Straftatenverhütung auch weiter ziehen könne. Allerdings müssten die Eingriffsgrundlagen eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinn verlangen, dass zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestünden. Auch aus den neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Mai 2020 (BVerfGE 155, 119) und vom 1. Dezember 2020 (BVerfGE 156, 63) sei nicht herauszulesen, dass mithilfe des Begriffs der drohenden Gefahr Eingriffe rein präventiv vorgenommen werden dürften. Vielmehr mache das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass tief in die Privatsphäre eingreifende Überwachungsbefugnisse mit der Verfassung nur vereinbar seien, wenn sie dem Schutz oder der Bewehrung hinreichend gewichtiger Rechtgüter dienten, für deren Gefährdung oder Verletzung im Einzelfall belastbare tatsächliche Anhaltspunkte bestünden. Zu einer Gefahrenfeststellung für gravierende polizeiliche Maßnahmen mit Grundrechtseinschränkungen gehöre deshalb immer eine bestimmte Tatsachenfeststellung und nicht die bloße subjektive Vermutung der Polizei bezüglich einer drohenden Gefahr. Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 2020 (BGHSt 66, 1) ergebe sich nichts anderes. Das Polizeiaufgabengesetz und die Gesetzesbegründung ignorierten diese Rechtsprechung.
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Der unklare Begriff der drohenden Gefahr überfordere jeden Polizeibeamten in der praktischen Anwendung und ermögliche es, die wichtigsten Grundrechte der Menschen unverhältnismäßig einzuschränken. Das Tatbestandsmerkmal der drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut gebe der Exekutive und den Richtern infolge seiner Unklarheit eine zu große Auslegungs- und Zugriffsmacht. Es lasse Eingriffe bereits bei vagen Vermutungen und nur angenommenen Gefahrdrohungen zu. Der Verfassungsgerichtshof habe unter dem Begriff „zur Abwehr einer Gefahr“ immer eine konkrete, unmittelbar bevorstehende Gefahr verstanden. Besonders gravierend sei der Eingriff in die Freiheitsgrundrechte bei den Befugnisnormen, die auf den Begriff der drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut Bezug nähmen. Daher seien auch alle angegriffenen Spezialbefugnisnormen des Polizeiaufgabengesetzes verfassungswidrig, in die dieser Rechtsbegriff eingefügt worden sei.
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3. Soweit die Polizei durch Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b PAG ermächtigt werde, zur Gefahrenabwehr die Identität einer Person bereits bei einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut und nicht erst bei einer konkreten, direkten und unmittelbaren Gefahr festzustellen und die Person gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 3 PAG festzuhalten, seien wegen Missachtung des Bestimmtheitsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgebots die Würde des Menschen und die Grundrechte der Freiheit der Person und der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen verletzt. Eingriffe der Polizei seien nicht zulässig, wenn ein Polizeibeamter aufgrund eines vermuteten Sachverhalts meine, dass eine Gefahr drohe. Eingriffsnormen in fundamentale Grundrechte müssten zwingend an die Feststellung konkreter Sachverhalte anknüpfen.
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4. Gleiches gelte für die Befugnis nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG, soweit erkennungsdienstliche Maßnahmen bereits zur Abwehr einer drohenden Gefahr zugelassen seien. Der Gesetzgeber habe die Eingriffsschwelle mithilfe des neuen Begriffs der drohenden Gefahr bewusst bei vielen Zugriffstatbeständen in den vagen Vermutungsbereich verschoben. Die klare Regelung des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 PAG, bei der für die Befugnis zur Entnahme von Körperzellen und zur molekulargenetischen Untersuchung von DNA-Identifizierungsmustern wieder auf den klassischen Gefahrenbegriff zurückgegriffen werde, werde durch Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG entwertet. Da die Aufzählung der Regelbeispiele für erkennungsdienstliche Maßnahmen in Art. 14 Abs. 2 PAG nicht abschließend sei, könnten als solche auch Körperzellen entnommen und DNA-Untersuchungen durchgeführt werden, ohne dass eine konkrete, direkte und unmittelbare Gefahr vorliege.
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5. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PAG verstoße, soweit die Polizei zur zwangsweisen Durchsetzung einer Vorladung auch im Fall einer nur drohenden Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person befugt sei, wegen Verletzung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen, gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Freiheit der Person sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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6. Die Ermächtigung der Polizei in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 PAG für Anordnungen von Platzverweisen, Kontaktverboten bzw. Aufenthaltsge- oder -verboten zur Abwehr einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheitsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen, gegen die Grundrechte der Freiheit der Person, der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Versammlungsfreiheit sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Gleiches gelte für die mögliche Dauer dieser Anordnungen von drei Monaten mit Verlängerung um jeweils längstens drei Monate gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 3 PAG.
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7. Die Regelungen nach Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG, die die Polizei ermächtigten, eine Person zur Durchsetzung von Maßnahmen in Gewahrsam zu nehmen, verstießen wegen Verletzung des Bestimmtheitsprinzips und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freiheit der Person und der Versammlungsfreiheit sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen, soweit sie nach Art. 16 PAG oder Art. 34 PAG bereits bei drohender Gefahr angeordnet werden könnten. Eine Präventivhaft zur Durchsetzung einer polizeilichen Maßnahme ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr sei völlig überzogen und unverhältnismäßig.
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8. Die Ausdehnung der Dauer des Präventivgewahrsams auf jeweils einen Monat mit Verlängerungsmöglichkeit um einen weiteren Monat gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG verletze die Würde des Menschen, die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freiheit der Person, der Freizügigkeit und der Versammlungsfreiheit sowie das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Bereits nach einer Haftdauer von einem Monat drohe der Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung. Zudem sei der Betroffene großen psychischen Belastungen und Existenzängsten ausgesetzt. Die Vorschrift sei auch mit Bundesrecht nicht vereinbar. Sie widerspreche § 163 c Abs. 2 StPO, wonach eine Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung die Dauer von zwölf Stunden nicht überschreiten dürfe. Die Ausdehnung der möglichen Dauer des Präventivgewahrsams auf der Grundlage einer nur drohenden Gefahr ohne Nachweis einer konkreten Gefahr sei völlig unverhältnismäßig und habe keinen präventiven, sondern strafrechtlichen Charakter. Sie gleiche einer Untersuchungs- oder Strafhaft. Dem Landesgesetzgeber fehle aber die Gesetzgebungskompetenz für die Strafverfolgung. Die Länge der Haftdauer ohne formelle Anklage und ohne Einschaltung der Staatsanwaltschaft sei verfassungsrechtlich unzulässig. Aufgrund der Formulierung „jeweils“ sei Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG zudem unbestimmt. Die Formulierung könne faktisch zu einer unendlichen Dauer des Präventivgewahrsams führen, weil sie ermögliche, dass sich nach der Gesamtdauer von zwei Monaten ohne neuen Anlass eine erneute Freiheitsentziehung anschließe.
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9. Die Befugnis der Polizei zur Durchsuchung einer Person bei Vorliegen einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut nach Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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10. Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2 PAG, der die Polizei ermächtige, eine Sache zur Abwehr einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut sicherzustellen oder eine Forderung und Vermögenswerte zu pfänden, verstoße wegen Missachtung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen, gegen die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und der allgemeinen Handlungsfreiheit, gegen das Eigentumsgrundrecht sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Die Pfändung von Forderungen und Vermögenswerten anlässlich einer nur drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut ohne vorläufig vollstreckbaren gerichtlichen Vollstreckungstitel stelle eine vorläufige Enteignung auf Verdacht dar, die zudem das Eigentumsgrundrecht und das Rechtsstaatsprinzip verletze.
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11. Die Befugnis der Polizei nach Art. 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b PAG, zur Abwehr einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut besondere Kategorien personenbezogener Daten zu verarbeiten, verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, insbesondere in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, und verletze das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, die Informationsfreiheit sowie das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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12. Nach Art. 33 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b PAG könne die Polizei zur Abwehr einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut offen Bild- und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen von Personen anfertigen. Dies verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, insbesondere in der Ausprägung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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13. Nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG sei die Polizei befugt, zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut gegenüber der dafür verantwortlichen Person mit richterlicher Bestätigung anzuordnen, eine elektronische Fußfessel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Die Anordnung könne nach Art. 34 Abs. 1 Satz 2 PAG mit Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 PAG verbunden werden. Sie sei nach Art. 34 Abs. 4 Satz 2 PAG auf höchstens drei Monate zu befristen und könne um jeweils längstens drei Monate verlängert werden. Eine derart lange Freiheitsbeschränkung ohne konkrete Gefahrenfeststellung sei unverhältnismäßig. Die Bestimmungen verstießen wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen, gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Freiheit der Person und der Versammlungsfreiheit sowie gegen den Grundsatz der unabhängigen richterlichen Gewalt und gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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14. Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG erlaube der Polizei, ohne Wissen des Betroffenen Postsendungen sicherzustellen, welche von einer Person versandt wurden oder an eine Person gerichtet seien, die für eine Gefahr oder eine drohende Gefahr für ein in Art. 11 a Abs. 2 Nrn. 1, 2 oder 4 PAG genanntes bedeutendes Rechtsgut verantwortlich sei, sofern die Abwehr der Gefahr auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Angesichts einer nur drohenden Gefahr sei die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr aber nicht möglich. Nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 PAG sei die Maßnahme auf höchstens drei Monate zu befristen und könne um jeweils längstens drei Monate verlängert werden. Die Bestimmungen verstießen wegen Missachtung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen sowie gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit und verletzten das Postgeheimnis und das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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15. Nach Art. 36 Abs. 2 und 4 Satz 2 PAG sei die Polizei befugt, auch zur Abwehr einer drohenden Gefahr mit richterlicher Genehmigung oder bei drohender Gefahr mit der verfassungsrechtlich im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gewaltenteilungsprinzip bedenklichen Übertragungsmöglichkeit dieser Befugnis auf hohe Polizeibeamte längerfristige Observationen von Personen mit verdecktem Einsatz technischer Mittel, wie z. B. Bildaufnahmen oder Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen mit Feststellung des Standorts, durchzuführen. Die Maßnahmen könnten nach Art. 36 Abs. 7 Satz 2 PAG nach drei Monaten um jeweils längstens drei Monate verlängert werden. Diese Bestimmungen verstießen wegen Missachtung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, gegen die Würde des Menschen, gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und der allgemeinen Handlungsfreiheit sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Derart lange Überwachungsmaßnahmen gegen eine Person, gegen die kein konkreter Tatverdacht bestehe, seien völlig unverhältnismäßig und grob menschenrechtswidrig.
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16. Entsprechendes gelte für die Ermächtigung der Polizei, zur Abwehr einer nur drohenden Gefahr nach Art. 37 Abs. 1 PAG verdeckte Ermittler einzusetzen. Nach Art. 37 Abs. 2 Satz 3 PAG sei diese Maßnahme auf höchstens sechs Monate zu befristen und könne um jeweils sechs Monate verlängert werden. Auch diese Regelungen verstießen wegen Missachtung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen, gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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17. Ebenso verstießen die Befugnis zum Einsatz von Vertrauenspersonen der Polizei und die Befristungsregelungen nach Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 PAG wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Uferlose Überwachungsmaßnahmen durch sog. Vertrauenspersonen („Polizeispitzel“) gegen eine Person, gegen die kein konkreter Tatverdacht bestehe, seien völlig unverhältnismäßig und grob menschenrechtswidrig. Bemerkenswert sei, dass Art. 38 Abs. 5 Nr. 4 PAG für die „Qualifikation“ einer Vertrauensperson lediglich verlange, dass diese nicht wegen Totschlags oder einer mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat verurteilt sei.
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18. Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 PAG ermächtige hohe Polizeibeamte, personenbezogene Daten, insbesondere die Personalien einer Person sowie Kennzeichen eines von ihr benutzten Fahrzeugs, zur polizeilichen Beobachtung oder gezielten Kontrolle auszuschreiben, wenn sie für eine drohende Gefahr für bedeutende Rechtsgüter verantwortlich sei. Dies verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen. Gleiches gelte für die Bestimmung über die Befristung der Maßnahme auf höchstens ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit um jeweils längstens ein Jahr. Unbefristete Überwachungsmaßnahmen auf der Grundlage derartig unbestimmter Rechtsbegriffe ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr seien völlig unverhältnismäßig und grob menschenrechtswidrig.
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19. Nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG sei die Polizei bei Vorliegen einer drohenden Gefahr befugt, durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation personenbezogene Daten über die für eine Gefahr oder eine drohende Gefahr Verantwortlichen zu erheben. Nach Art. 42 Abs. 4 Satz 1 PAG sei sie berechtigt, personenbezogene Daten bei Gefahr oder drohender Gefahr hinsichtlich des Betroffenen durch Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation zu erheben und technische Mittel einzusetzen, um den Standort eines von ihr mitgeführten Mobilfunkendgeräts zu ermitteln. Hierdurch würden „Trojaner“ im Vorbeugungsbereich von lediglich vermuteten Gefahren geschaffen. Mit diesen Befugnissen sei der Anwendungsbereich der Telekommunikationsüberwachung gegenüber dem Einsatz technischer Mittel in Wohnungen nach Art. 41 PAG drastisch erweitert worden, der als Eingriffsschwelle eine dringende Gefahr voraussetze. Auch diese Bestimmungen verstießen wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
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20. Durch die Verweisung des Art. 43 Abs. 2 Satz 1 PAG auf Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PAG könne die Polizei die Mitwirkung von Diensteanbietern im Telekommunikationsbereich schon bei Vorliegen einer drohenden Gefahr verlangen. Dies verstoße wegen Verletzung des Bestimmtheits- und des Verhältnismäßigkeitsgebots gegen die Würde des Menschen und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung sowie gegen das Gebot der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen.
Unbefristete Überwachungsmaßnahmen auf der Grundlage derartig unbestimmter Rechtsbegriffe ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr seien völlig unverhältnismäßig und grob menschenrechtswidrig.
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21. Nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG könne die Polizei mit technischen Mitteln verdeckt auf informationstechnische Systeme oder in den Telekommunikationsbereich auch bei lediglich drohender Gefahr zugreifen. Dadurch werde gegen die Grundsätze der unabhängigen richterlichen Gewalt und der zwingenden Erforderlichkeit von Grundrechtseingriffen sowie gegen die Würde des Menschen in Form des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und gegen die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit verstoßen, außerdem das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis und die Informationsfreiheit verletzt. Der Gesetzgeber verwende auch hier nicht den klassischen Gefahrenbegriff wie etwa bei der Rasterfahndung nach Art. 46 PAG, sondern greife mit den neuen Definitionen ganz bewusst ohne Vorliegen einer direkten, unmittelbaren Gefahr extrem in die Grundrechte ein.
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22. Nach Art. 49 Abs. 3 Satz 6 PAG dürfe die Polizei in Fällen des verdeckten Zugriffs auf informationstechnische Systeme nach Art. 45 Abs. 1 PAG, in denen Kernbereichsdaten vor oder bei der Datenerhebung nicht ausgesondert werden könnten, auch dann auf das informationstechnische System zugreifen, wenn hierbei eine Wahrscheinlichkeit bestehe, dass dabei in untergeordnetem Umfang auch höchstpersönliche Daten miterfasst würden. Dies verletze die Berufsfreiheit von Berufsgeheimnisträgern in schwerer und unverhältnismäßiger Weise und widerspreche der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern im Urteil vom 20. April 2016 (BVerfGE 141, 220), wonach bei laufenden Datenerhebungen zum Schutz von Berufsgeheimnisträgern Kernbereichsdaten nicht erhoben werden dürften. Außerdem verstoße diese schwammige und unbestimmte Formulierung gegen die Grundrechte der Menschenwürde, der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem gebotenen Grundrechtsschutz durch Verfahren der Berufsgeheimnisträger und ihrer Mandanten und Patienten. In diesem Punkt dürfe es weder für Ermittler noch für Richter eine Ausnahme für eigenes Ermessen geben, was ein „untergeordneter Umfang von höchstpersönlichen Daten“ bedeuten solle. Das Ermessen sei bereits bei der Datenerhebung fehlerfrei auszuüben und keinesfalls auf die Löschung zu beschränken.
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23. Die Regelung des Art. 60 a PAG über die Zuverlässigkeitsüberprüfung, wonach die Polizei bei Anlässen, die mit erheblichen Sicherheitsrisiken verbunden sind, personenbezogene Daten einer Person mit deren schriftlicher oder elektronischer Zustimmung bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen erheben, übermitteln und anderweitig verarbeiten könne, soweit dies im Hinblick auf den Anlass und die Tätigkeit der betroffenen Person erforderlich und angemessen sei, sei völlig unklar und unverhältnismäßig. Insbesondere das Erfordernis einer elektronischen Zustimmung sei äußerst manipulationsanfällig, zumal dafür ein Mausklick auf einen Internetlink in einer polizeilichen E-Mail-Anfrage genüge und eine vorherige Aufklärung über die Gründe der Polizei für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung und über die möglichen Folgen der Zustimmung nicht vorgeschrieben sei. Aufgrund des fehlenden Erfordernisses einer umfassenden Aufklärung des Betroffenen verletze Art. 60 a PAG das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere das Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgebot, die Würde des Menschen in Form des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, weiterhin die Gebote der Unerlässlichkeit und zwingenden Notwendigkeit von Grundrechtseingriffen nach Art. 98 Sätze 1 und 2 BV. Zudem fehle es an der echten Freiwilligkeit der Einwilligung der Betroffenen, weil diese durch die Bitte eines Polizeibeamten um Zustimmung zur Zuverlässigkeitsüberprüfung in unangemessenen Entscheidungsdruck geraten könnten, sowie an der vorherigen Einwilligung im Fall der Übermittlung des Ergebnisses der Zuverlässigkeitsüberprüfung an andere Stellen bei Zuverlässigkeitsbedenken nach Art. 60 a Abs. 2 Satz 2 PAG. Der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom 27. Mai 2022 (Vf. 47-VII-21) über eine Popularklage gegen die Bestimmung des Art. 60 a PAG könnten die Antragsteller nicht zustimmen.
36
24. Die Zuständigkeitsregelungen nach Art. 96 Abs. 1 und Art. 98 Abs. 1 und 2 Nr. 1 PAG, wonach bei präventiven Freiheitsentziehungen sachlich das Familiengericht und örtlich das Amtsgericht am Sitz der die Freiheitsentziehung beantragenden Polizeidienststelle bzw. das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen werde, zuständig sei, verletzten das Recht auf den gesetzlichen Richter. Um Manipulationsmöglichkeiten auszuschließen, sei es geboten, dass die Entscheidung über einen Antrag der Polizei auf eine langdauernde präventive Haft ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft durch das Verwaltungsgericht als fachlich erfahrene öffentlich-rechtliche richterliche Kontrollinstanz in öffentlicher Verhandlung getroffen werde, welches für den Wohnort oder den Festnahmeort des Betroffenen örtlich zuständig sei.
37
Mit der Rechtswegverweisung nach Art. 96 Abs. 1 PAG auf das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG), in dessen Rahmen ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft und ohne Herstellung der Öffentlichkeit über eine präventive Freiheitsentziehung von bis zu zwei Monaten entschieden würde, verstoße der Gesetzgeber außerdem gegen das Rechtsstaatsprinzip.
38
25. Die Versammlungsfreiheit werde durch die Neufassungen der Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes unzulässig eingeschränkt, indem zum Beispiel der Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschwert oder ihr staatsfreier unreglementierter Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändert werde.
39
1. Der Bayerische Landtag hält die Popularklage für unbegründet.
40
2. Die Bayerische Staatsregierung ist ebenfalls der Ansicht, dass die Popularklage unbegründet sei.
41
a) In seiner Entscheidung zum Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 7. März 2019 habe der Verfassungsgerichtshof die Popularklage in vielen Punkten als offensichtlich unzulässig bzw. unbegründet angesehen. Es sei zweifelhaft, ob die neuerlichen Ausführungen der Antragsteller, soweit die ursprünglichen Angriffe aufrecht erhalten blieben, diese Einschätzung erschüttern könnten.
Dies gelte insbesondere für die Behauptung eines Verfassungsverstoßes durch Unterlassen einer amtlichen Neubekanntmachung des Polizeiaufgabengesetzes. Die Antragsteller setzten sich insoweit mit der Entscheidung vom 7. März 2019 nicht auseinander. In ihrem Schriftsatz vom 4. November 2021 wiederholten sie immer wieder Argumente, die der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung vom 7. März 2019 bereits verworfen habe. In dieser Entscheidung habe der Verfassungsgerichtshof auch festgestellt, dass hinsichtlich einer Vielzahl von Rügen die Verletzung von Grundrechten lediglich behauptet werde. Auch der neue Schriftsatz erhebe ohne nähere Erläuterung eine Fülle von Grundrechtsrügen. Teilweise blieben die Rechtsausführungen ohne greifbaren Normbezug oder seien sonst schwer nachvollziehbar.
42
b) Die wesentlichen Streitfragen zur Rechtsfigur der drohenden Gefahr seien inzwischen geklärt. Die Entwicklung seit Januar 2019 habe gezeigt, dass die Eingriffsschwelle der drohenden Gefahr verfassungsgemäß sei. Bereits die von der Staatsregierung am 12. Juni 2018 eingesetzte PAG-Kommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes habe in ihrem Abschlussbericht vom 30. August 2019 (im Folgenden: Abschlussbericht der PAG-Kommission) die wesentlichen Gründe, die aus Sicht des Gesetzgebers für die Etablierung der neuen Schwelle gesprochen haben, ausdrücklich für nachvollziehbar und plausibel erachtet. Empfohlen habe die Kommission lediglich eine Präzisierung des Verhältnisses von konkreter und drohender Gefahr sowie eine einengende Nachschärfung in Bezug auf einzelne bedeutende Rechtsgüter, zu deren Schutz bei drohender Gefahr eingegriffen werden dürfe.
43
Das Bundesverfassungsgericht habe in seinen Entscheidungen „Bestandsdatenauskunft II“ vom 27. Mai 2020 Az. 1 BvR 1873/13 u. a. (BVerfGE 155, 119) sowie „Elektronische Aufenthaltsüberwachung“ vom 1. Dezember 2020 Az. 2 BvR 916/11 u. a. (BVerfGE 156, 63) die Eingriffsschwelle der drohenden bzw. hinreichend konkretisierten Gefahr bekräftigt und in verschiedener Hinsicht präzisiert. Begrifflich werde nunmehr ohne inhaltliche Änderung zumeist von einer „hinreichend konkretisierten Gefahr“ gesprochen. Neben dieser begrifflichen Konsolidierung sei eine sachliche Bekräftigung erfolgt. Das Bundesverfassungsgericht habe die drohende bzw. konkretisierte Gefahr als Eingriffsschwelle im Gefahrenabwehrrecht anerkannt. Die Entscheidung vom 27. Mai 2020 verdeutliche, dass die Variante des „individuellen Verhaltens“ nach Art. 11 a Abs. 1 Nr. 1 PAG nicht ausschließlich auf die Verhütung terroristischer Straftaten bezogen, sondern unter der Voraussetzung eines eingriffsadäquaten, hinreichend qualifizierten Rechtsgüterschutzes prinzipiell verallgemeinerbar sei. Zudem habe das Bundesverfassungsgericht die Eingriffsschwelle der drohenden bzw. hinreichend konkretisierten Gefahr nicht nur bei besonders schwerwiegenden Eingriffen wie in der Entscheidung vom 20. April 2016 (BVerfGE 141, 220), sondern auch bei Eingriffsbefugnissen von nur gemäßigtem Gewicht angewendet. Die Rechtsfigur komme demnach bei Eingriffen von grundsätzlich jedem Gewicht in Betracht. Deutlich werde aus der Entscheidung zudem, dass die Figur der drohenden Gefahr keineswegs stets auf den Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter beschränkt werden müsse. Vielmehr komme es auf das jeweilige Eingriffsgewicht an. Es ergebe sich ein insgesamt flexibles System. Gehe es um besonders schwerwiegende Eingriffe, sei die Beschränkung auf höchstrangige Rechtsgüter folgerichtig. Bei weniger schwerwiegenden Eingriffen begnüge sich das Bundesverfassungsgericht indes auch mit dem Schutz von Rechtsgütern von erheblichem, hervorgehobenem oder besonderem Gewicht. Es sei daher zu bezweifeln, dass die Einschränkung des Schutzgutkatalogs, wie sie durch Art. 11 a Abs. 2 PAG gegenüber der Vorgängerfassung des Art. 11 Abs. 3 Satz 2 PAG a. F. auf Empfehlung der PAG-Kommission erfolgt sei, verfassungsrechtlich zwingend gewesen sei. Durch die Entscheidung vom 1. Dezember 2020 sei außerdem geklärt, dass die drohende Gefahr nicht ausschließlich auf informationelle Eingriffsbefugnisse, sondern auch auf aktionelle (kausalverlaufsrelevante) Befugnisse anwendbar sei.
44
Die Eingriffsschwelle habe inzwischen breiten Eingang in das Polizeirecht der Länder gefunden. Auch der Bundesgesetzgeber habe in den Bestimmungen der §§ 51 ff. BKAG, § 22 a BPolG die Schwelle aufgegriffen. Ebenso habe inzwischen ein Prozess sukzessiver fachgerichtlicher Klärung, Konkretisierung und Konsolidierung der neuen Eingriffsschwelle begonnen. Der Bundesgerichtshof habe in einer Entscheidung vom 10. Juni 2020 (BGHSt 66, 1) zu § 15 Abs. 2 Nr. 3 Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), der ebenfalls an eine der drohenden Gefahr entsprechende Eingriffsschwelle geknüpft sei („Die Polizeibehörden können … personenbezogene Daten erheben … über Personen, deren individuelles Verhalten die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraumes eine terroristische Straftat begehen werden, …“), untermauert, dass die Schwelle für die Gerichte handhabbar und hinreichend bestimmt sei. Der Vorwurf der Unbestimmtheit sei demnach unberechtigt.
45
c) Bezüglich der Gewahrsamsgründe der Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG werde auf den Schriftsatz vom 23. Juli 2018 im Verfahren Vf. 5-VIII-18 verwiesen. Darin wurde vorgetragen, dass es mit der Bayerischen Verfassung vereinbar sei, die Möglichkeit eines Gewahrsams vorzusehen, wenn es als ultima ratio unerlässlich sei, Anordnungen nach Art. 16 PAG durchzusetzen. Dies habe der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf Platzverweise bereits am 2. August 1990 (VerfGHE 43,107) entschieden. Der Gedanke lasse sich auf sonstige Anordnungen nach Art. 16 PAG und Anordnungen zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach Art. 34 PAG übertragen. Zwar könnten diese Maßnahmen bereits bei einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut greifen. Dies allein reiche aber für eine Ingewahrsamnahme nicht aus. Hinzukommen müsse vielmehr jeweils die willentliche Nichtbeachtung der wegen drohender Gefahr getroffenen Anordnung. Erst der Aspekt der Nichtbefolgung der Anordnung rechtfertige die Ingewahrsamnahme. Dies sei verhältnismäßig, zumal der Haftgrund wegfalle, sobald sich der Betroffene kooperationswillig zeige.
46
d) Auch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG sei verfassungsgemäß. Die von der PAG-Kommission vorgeschlagene Verkürzung der richterlich anzuordnenden Dauer des Präventivgewahrsams von jeweils längstens drei Monaten auf längstens einen Monat und die Begrenzung der Gewahrsamshöchstdauer auf zwei Monate sei verfassungsrechtlich nicht zwingend gewesen. Dass das verfassungsrechtlich zulässige Maximum durch die geltende Regelung nicht ausgeschöpft werde, untermauere ihre Verhältnismäßigkeit. Den Bedenken des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, 190/220) in Bezug auf einen längerfristigen polizeirechtlichen Präventivgewahrsam sei durch die Höchstdauer von jeweils einem und insgesamt längstens zwei Monaten in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG hinreichend Rechnung getragen. Dass das Bundesverfassungsgericht die beispielhaft genannte frühere 14-tägige Höchstdauer habe verfassungsrechtlich zementieren und als in jedem Fall unüberschreitbar qualifizieren wollen, sei nicht ersichtlich. Vor dem Hintergrund des Art. 99 BV sei es im Gegenteil problematisch, wenn einer länger als 14 Tage andauernden Gefahrenlage, die sich nur mittels Gewahrsams abwenden lasse (etwa zur Verhinderung eines Anschlags auf einen länger als 14 Tage dauernden Weihnachtsmarkt), infolge einer sehr kurz bemessenen Höchstfrist nicht wirksam begegnet werden könnte. Wenn der Gesetzgeber nunmehr eine länger als zwei Monate dauernde Ingewahrsamnahme in aller Regel als für die Gefahrenabwehr nicht nötig erachte, könne man dies als eine sowohl der bisherigen Praxis entsprechende als auch vor dem Hintergrund des Art. 99 BV vertretbare Typisierung ansehen.
47
Zudem habe der Gesetzgeber auf Anregung der PAG-Kommission durch die Bestellung eines anwaltlichen Vertreters von Amts wegen in Art. 97 Abs. 4 PAG und durch die Möglichkeit einer Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht in Art. 99 Abs. 2 PAG prozedurale Verbesserungen vorgesehen.
48
e) In Bezug auf den angegriffenen Art. 60 a PAG werde auf die Stellungnahme der Staatsregierung im Verfahren Vf. 47-VII-21 Bezug genommen.
49
Das Verfahren ist bezüglich der mit dem Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418) teilweise außer Kraft getretenen und teilweise neu gefassten Art. 11 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4, Art. 15 Abs. 3 Nr. 1, Art. 18, 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3, Art. 34 Abs. 1 und 3 Satz 4, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2, Art. 36 Abs. 2 und 4 Sätze 2 bis 5, Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, Art. 40 Abs. 3, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 6 Satz 1, Art. 43 Abs. 2, Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Art. 92 Abs. 1 und 2 PAG in der jeweils bis zum 31. Juli 2021 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.) einzustellen. Die Antragsteller haben mit Schriftsätzen vom 30. September und 4. November 2021 das Verfahren insoweit – sinngemäß – für erledigt erklärt, wie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung klargestellt wurde. Gleiches gilt hinsichtlich der Regelung des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 PAG in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, hinsichtlich derer die Popularklage mit Schriftsatz vom 30. September 2021 infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 (BVerfGE 150, 244) für erledigt erklärt wurde.
50
Ebenso einzustellen ist das Verfahren bezüglich des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG in der (unverändert) geltenden Fassung, da die Antragsteller nach der Umstellung ihres Antrags diese Vorschrift nicht mehr angreifen. Insoweit ist die Popularklage als zurückgenommen anzusehen.
51
1. Das Popularklageverfahren nach Art. 98 Satz 4 BV dient dem Schutz der Grundrechte als Institution. Ist es durch einen Antrag in zulässiger Weise eingeleitet worden, so kann es der Antragsteller grundsätzlich nicht durch eine prozessuale Erklärung von sich aus beenden. Ist – wie im vorliegenden Fall – kein Antrag nach Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 2 VfGHG gestellt worden, hat der Verfassungsgerichtshof nach Erledigungserklärung oder Rücknahme der Popularklage darüber zu befinden, ob ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens besteht (Art. 55 Abs. 5 Halbsatz 1 VfGHG). Der Verfassungsgerichtshof entscheidet im Rahmen der Popularklage grundsätzlich nur über in Kraft befindliches Recht. Anderes ist ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn eine verfassungsgerichtliche Klärung von Fragen, die den Gegenstand des Verfahrens bilden, im öffentlichen Interesse geboten erscheint (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 2.12.1997 VerfGHE 50, 268/270; vom 6.12.2010 BayVBl 2011, 238; vom 22.3.2022 – Vf. 16-VII-20 – juris Rn. 7; vom 18.7.2022 – Vf. 41-VII-21 – juris Rn. 12 m. w. N.). Entsprechend hätte der Verfassungsgerichtshof bei Aufrechterhaltung der Popularklage auch gegen die inzwischen durch Nachfolgeregelungen oder auf sonstige Weise überholten Rechtsvorschriften nur dann noch zu entscheiden gehabt, wenn ein objektives (nicht nur theoretisches) Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren, wofür im Grunde die gleichen Maßstäbe gelten (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 10.11.2021 BayVBl 2022, 116 Rn. 22; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff,
Die Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 98 Rn. 23; Müller in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 98 Satz 4 Rn. 14, je m. w. N.). Ein solches öffentliches Interesse kann dann angenommen werden, wenn eine außer Kraft getretene oder inzwischen durch eine anderweitige Regelung überholte Rechtsvorschrift noch rechtliche Wirkungen entfaltet (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 18.7.2022 – Vf. 41-VII-21 – juris Rn. 13 m. w. N.).
52
2. Nach diesem Maßstab ist die Fortführung des Popularklageverfahrens gegen die genannten Bestimmungen nicht veranlasst.
53
a) In Bezug auf Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG sowie Art. 18 und 92 Abs. 1 Satz 1 PAG a. F. scheidet eine Fortführung schon deswegen aus, weil die Popularklage insoweit unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung bzw. mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG) offensichtlich unzulässig war. Dies hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 7. März 2019 (vgl. juris Rn. 44, 48, 54 ff.) festgestellt. Bezogen auf diese Vorschriften haben die Antragsteller das Popularklageverfahren nicht in zulässiger Weise eingeleitet.
54
Mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung unzulässig waren auch die Angriffe auf Art. 11 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4, Art. 15 Abs. 3 Nr. 1, Art. 34 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Art. 36 Abs. 2, Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1, Art. 43 Abs. 2 und Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG a. F., die den Begriff der drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut verwenden oder hierauf Bezug nehmen. Denn insoweit hat sich der Vortrag der Antragsteller im Wesentlichen auf die pauschale Behauptung einer Verletzung von Freiheitsgrundrechten wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beschränkt, wodurch dem Darlegungsgebot nicht genügt wird (vgl. unten V. A. 3. d)). Als ausreichend substanziiert angesehen werden konnte allenfalls der Angriff hinsichtlich der durch diese Eingriffsermächtigungen geschützten Rechtsgüter des Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 4 und 5 PAG a. F. („erhebliche Eigentumspositionen“ bzw. „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“). Selbst wenn – was weder geltend gemacht wurde noch ersichtlich ist – insoweit noch einzelne behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen noch ankäme, ließe dies die Fortführung des Popularklageverfahrens nicht im öffentlichen Interesse als geboten erscheinen. Denn die Popularklage ist ein objektives Verfahren, das nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen dient (VerfGH vom 7.12.2021 BayVBl 2022, 152 Rn. 42 m. w. N.).
55
Mangels hinreichend substanziierten Vortrags unzulässig war die Popularklage zudem, soweit die Art. 34 Abs. 3 Satz 4, Art. 35 Abs. 3 Satz 2, Art. 36 Abs. 4 Sätze 2 bis 5, Art. 38 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3, Art. 40 Abs. 3 und Art. 42 Abs. 6 Satz 1 PAG a. F. angegriffen waren, da sich die Antragsteller insoweit auf die Behauptung der Verletzung von Grundrechten beschränkt und in keiner Weise dargelegt haben, inwieweit die einzelnen Regelungen gegen die von ihnen angeführten Grundrechte verstoßen sollen.
56
b) Bezüglich Art. 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3 und Art. 92 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 PAG a. F. erscheint die Fortführung nicht im öffentlichen Interesse geboten.
57
Art. 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3 PAG a. F. waren vorübergehend in der Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2021, mithin insgesamt vier Jahre, Art. 92 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 PAG a. F. vom 25. Mai 2018 bis 31. Juli 2021, mithin etwas mehr als drei Jahre und zwei Monate, in Kraft.
58
Es ist weder substanziiert vorgetragen noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass aus diesen Zeiträumen noch behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen noch ankäme. Selbst wenn das der Fall wäre, ließe dies mit Blick auf den objektiven Charakter der Popularklage die Fortführung des Verfahrens nicht im öffentlichen Interesse als geboten erscheinen. Dies gilt insbesondere für die am 31. Juli 2021 außer Kraft getretene Bestimmung des Art. 20 Nr. 3 Satz 3 PAG a. F., wonach die Dauer der Präventivhaft bis zu drei Monate betragen und jeweils um längstens drei Monate verlängert werden konnte, ohne dass – wie bei Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG in der geltenden Fassung – im Gesetz eine absolute Höchstfrist festgelegt war. Es erscheint unwahrscheinlich, dass einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm noch Bedeutung für anhängige Verfahren zukommen könnte, zumal der Personenkreis, der von einem über die Höchstfrist von 14 Tagen dauernden Präventivgewahrsam – wie sie vor Erlass des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (GVBl S. 388) durch Art. 19 Nr. 3 PAG in der Fassung des Gesetzes vom 23. März 1989 (GVBl S. 79) normiert war – betroffen gewesen ist, klein gewesen sein dürfte. So hat nach dem Abschlussbericht der PAG-Kommission etwa im Zeitraum vom 1. August 2017 bis 15. Juni 2018 der tatsächlich vollzogene Gewahrsam lediglich bei 11 Personen länger als 14 Tage angedauert (S. 51); von August 2017 bis Juni 2019 wurde Präventivhaft über 14 Tage hinaus gegenüber 19 verschiedenen Personen angeordnet (S. 55 ff.). Auch sind weder Verfassungsbeschwerden gegen behördliche oder gerichtliche Entscheidungen nach Art. 120 BV noch Richtervorlagebeschlüsse von Fachgerichten nach Art. 92 BV, im Rahmen derer über die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Art. 20 Nr. 3 Satz 3 PAG a. F. zu entscheiden wäre, beim Verfassungsgerichtshof anhängig geworden. Jedenfalls begründet die bloße Möglichkeit vereinzelt denkbarer Fälle, in denen Individualrechtsschutz bis hin zum Verfassungsgerichtshof wie eben beschrieben in Anspruch genommen werden konnte und kann, nicht bereits ein öffentliches Interesse an einer verfassungsgerichtlichen Klärung im dem Schutz der Grundrechte als Institution dienenden Popularklageverfahren.
59
Aus diesem Grund besteht auch kein Anlass für Ermittlungen, in wie vielen Fällen und mit welcher Dauer Unterbindungshaft während der Dauer der anhängigen Popularklagen in Bayern gerichtlich ausgesprochen worden ist, wie dies die Antragsteller mit Schriftsatz vom 4. November 2021 beantragt haben.
60
c) In Bezug auf Art. 39 Abs. 1 Satz 1 PAG i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 PAG in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, wonach die Polizei durch den verdeckten Einsatz automatisierter Kennzeichenerkennungssysteme bei Vorliegen entsprechender Lageerkenntnisse in diesen Fällen Kennzeichen von Kraftfahrzeugen sowie Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtrichtung erfassen konnte, ist ein öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens ebenfalls zu verneinen, da die zentralen Fragen hierzu bereits durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2018 (BVerfGE 150, 244) geklärt wurden. Das Bundesverfassungsgericht hat u. a. Art. 39 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG in der Fassung des PAG-Neuordnungsgesetzes vom 18. Mai 2018 aufgrund Verstoßes gegen Art. 71, 73 Abs. 1 Nr. 5 GG für mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig erklärt, soweit diese Normen die Kraftfahrzeugkennzeichenerfassung zur Verhütung oder Unterbindung der unerlaubten Überschreitung der Landesgrenze vorsahen; darüber hinaus hat es Art. 39 Abs. 1 PAG in dieser Fassung für mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt, soweit die Vorschrift die Kennzeichenerfassung nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 PAG nicht auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht beschränkt hat und soweit sie die Kennzeichenerfassung nach Maßgabe des Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG uneingeschränkt auf „Durchgangsstraßen ([…] andere Straßen von erheblicher Bedeutung für den grenzüberschreitenden Verkehr)“ erstreckt sowie keine Pflicht zur Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen für die Durchführung der Kraftfahrzeugkennzeichenkontrollen vorgesehen hat. Mit dem am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen AKE-Änderungsgesetz vom 10. Dezember 2019 hat der bayerische Gesetzgeber die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts durch entsprechende Änderungen der Art. 39 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 PAG umgesetzt. Ein darüber hinausgehendes öffentliches Interesse an der Fortführung des Verfahrens ist nicht ersichtlich.
61
Bezüglich der zuletzt angegriffenen Bestimmungen ist die Popularklage nur zu einem geringen Teil zulässig, nämlich hinsichtlich Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG.
62
Die Popularklage ist im Hinblick auf den überwiegenden Teil der angegriffenen Bestimmungen mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung und teilweise unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung unzulässig.
63
1. Gemäß Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Vorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Zu diesen gehören auch die Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes, gegen die sich die Popularklage richtet.
64
2. Nach Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG gehört zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage, dass der Antragsteller substanziiert darlegt, inwiefern die angegriffene Rechtsvorschrift nach seiner Meinung in Widerspruch zu einer Grundrechtsnorm der Bayerischen Verfassung steht. Greift er mehrere Rechtsvorschriften an, muss dies grundsätzlich für jede einzelne von ihnen ersichtlich sein (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 4.11.1976 VerfGHE 29, 191/201; BayVBl 2022, 152 Rn. 47; vom 29.3.2022 – Vf. 48-VII-21 – juris Rn. 10 m. w. N.).
65
Unzulässig ist die Popularklage, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt. Sie ist weiter unzulässig, wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird oder die geltend gemachte Grundrechtsverletzung nach Sachlage schlechthin ausgeschlossen, also z. B. begrifflich nicht möglich ist. Im Übrigen liegt eine substanziierte Grundrechtsrüge nicht schon dann vor, wenn ein Antragsteller lediglich behauptet, dass die angefochtene Rechtsvorschrift nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung verstößt. Der Antragsteller muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnorm berührt ist und ob eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 8.3.2022 BayVBl 2022, 334 Rn. 27 m. w. N.). Summarische, nicht präzisierte Grundrechtsrügen sind unzulässig (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 29.10.2018 – Vf. 20-VII-17 – juris Rn. 14). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, aufgrund der bloßen Behauptung oder Vermutung eines Grundrechtseingriffs von Amts wegen Ermittlungen aufzunehmen oder Untersuchungen anzustellen, ob eine Verfassungsverletzung in Betracht kommt (vgl. VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 103).
66
3. Nach diesen Maßstäben wird die Popularklage den Darlegungsanforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG zum weit überwiegenden Teil nicht gerecht.
67
a) Zur Begründung der Zulässigkeit der Popularklage bezüglich der angegriffenen Vorschriften in ihrer Gesamtheit können die Antragsteller nicht mit Erfolg geltend machen, sämtliche Änderungsbestimmungen zum Polizeiaufgabengesetz seien wegen eines Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verankerte Gebot der Normenklarheit verfassungswidrig, weil nach dem Inkrafttreten der Gesetzesnovellierungen jeweils keine vollständig konsolidierte, für den Bürger klar lesbare Fassung des Polizeiaufgabengesetzes im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht worden sei.
68
aa) Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit dieser Rüge bereits in seiner vorangegangenen Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 7. März 2019 befasst, dort hinsichtlich der Gesetzesänderungen durch das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 und das PAG-Neuordnungsgesetz vom 18. Mai 2018. Er hat die Popularklage insoweit als bereits offensichtlich unzulässig erachtet, weil es im Hinblick darauf, dass dem Erfordernis der Darlegung einer Grundrechtsverletzung grundsätzlich für jede einzelne Vorschrift Genüge getan werden muss, an einer inhaltlich hinreichend substanziierten Rüge einer Grundrechtsverletzung fehlte. Eine Ausnahme gilt, wie dort ausgeführt, nur, wenn ein Gesetz insgesamt oder eine sonstige Normengesamtheit mit der Rüge angegriffen wird, das Grundrecht der Handlungsfreiheit sei verletzt, weil die Normen nicht ordnungsgemäß zustande gekommen seien und deshalb nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörten (vgl. VerfGH vom 20.10.2003 BayVBl 2004, 268/269; vom 17.11.2005 VerfGHE 58, 253/260; vom 4.3.2009 VerfGHE 62, 30/35).
69
Die Antragsteller genügen insoweit auch mit ihrem jetzigen Vortrag nicht den Anforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG. Sie greifen mit ihrem neuerlichen Einwand, die bereits genannten Novellierungen des Polizeiaufgabengesetzes sowie die weiteren Änderungen durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 verletzten das Gebot der Normenklarheit, zwar die angefochtenen Normen in ihrer Gesamtheit an. Bei dem gerügten Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip handelt es sich aber nicht um ein Grundrecht oder ein grundrechtsgleiches Recht der Bayerischen Verfassung, sondern um objektives Verfassungsrecht, auf das eine Popularklage für sich allein von vornherein nicht gestützt werden kann; nur Regelungen, die mit zulässigen Grundrechtsrügen angefochten sind, prüft der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen auch daraufhin, ob sie gegen andere Normen des objektiven Verfassungsrechts verstoßen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 15.1.2007 VerfGHE 60, 1/5; vom 21.12.2011 VerfGHE 64, 224/228). Soweit die Antragsteller im Rahmen der Popularklage auch Verstöße gegen das Grundrecht der Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) und weitere Grundrechtsnormen geltend machen, beziehen sich diese Rügen auch im Hauptsacheverfahren nicht auf den Einwand, es liege infolge einer fehlenden Neubekanntmachung der Rechtsvorschriften in konsolidierter Fassung ein Verstoß gegen die Normenklarheit vor. Daher sind auch nicht etwa einzelne Normen insoweit in zulässiger Weise angegriffen.
70
bb) Im Übrigen hält der Verfassungsgerichtshof an seiner Auffassung in der Entscheidung vom 7. März 2019 fest, dass der Einwand in der Sache nicht berechtigt wäre (vgl. dort juris Rn. 41 ff.). Die angefochtenen Änderungsbestimmungen wurden in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bekannt gemacht. Die Bekanntmachung der einzelnen Bestimmungen ist entsprechend den Vorgaben des Art. 76 Abs. 1 BV nach Ausfertigung durch den Ministerpräsidenten im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt erfolgt. Dasselbe gilt für die Bekanntmachung des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021. Mit der Bekanntmachung der Änderungsgesetze im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt hat die Öffentlichkeit jeweils verlässlich und in zumutbarer Weise die Möglichkeit erhalten, vom Inhalt der Änderungsbestimmungen zum Polizeiaufgabengesetz Kenntnis zu erlangen. Die einzelnen Bestimmungen lassen hinreichend deutlich erkennen, dass es sich um Änderungsregelungen zum Polizeiaufgabengesetz in der jeweiligen bis dahin geltenden Fassung handelt und welchen Inhalt die Änderungen im Einzelnen aufweisen. Eine staatliche Pflicht zur Gesetzeskonsolidierung im Gesetz- und Verordnungsblatt ist jedenfalls dann nicht gegeben, wenn durch den Staat oder von privaten Buchverlagen in angemessener Zeit nach Inkrafttreten eines Gesetzes eine konsolidierte Fassung kostenlos zur Verfügung gestellt wird (vgl. Butzer in Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 82 GG, Rn. 233; a. A. Klein, Die Neubekanntmachung von Gesetzen vor dem Hintergrund der staatlichen Konsolidierungspflicht, 2010, S. 56 ff., 261 f. m. w. N.). Das ist hier geschehen. Eine aktuelle Fassung des vollständigen Polizeiaufgabengesetzes ist für jedermann auf dem Internetportal der Bayerischen Staatskanzlei „Bayern-Recht“ (www.gesetzebayern.de) abrufbar. Die entsprechende Webseite wurde jeweils wenige Tage nach dem Inkrafttreten der Änderungen im Internet freigeschaltet.
71
b) Zur Begründung der Zulässigkeit der Popularklage hinsichtlich einzelner Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes von vornherein ungeeignet ist die Berufung der Antragsteller auf behauptete Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) sowie gegen die Grundsätze der Gewaltenteilung (Art. 5 BV) und der Ausübung der richterlichen Gewalt durch unabhängige Richter (Art. 5 Abs. 3 BV). Denn diese Verfassungsbestimmungen verbürgen keine Grundrechte, sondern enthalten ausschließlich objektives Verfassungsrecht (ständige Rechtsprechung; vgl. zu Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV: VerfGH vom 13.3.1998 VerfGHE 51, 49/52 f., VerfGH vom 17.8.2006 VerfGHE 59, 195/197 und vom 18.3.2020 BayVBl 2020, 372 Rn. 37; allgemein zu Art. 5 BV: VerfGH vom 27.9.2001 VerfGHE 54, 104/106 und vom 21.7.2011 BayVBl 2011, 695; zu Art. 5 Abs. 3 BV: VerfGH vom 19.4.1958 VerfGHE 11, 37/42 und vom 25.10.2016 BayVBl 2017, 518, vgl. Rn. 21 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt). Nur unter der Voraussetzung, dass die Popularklage gegen eine bestimmte Rechtsvorschrift zunächst in zulässiger Weise erhoben ist, erstreckt der Verfassungsgerichtshof seine Prüfung dieser Vorschrift von Amts wegen auf alle in Betracht kommenden Normen der Bayerischen Verfassung, selbst wenn sie nicht als verletzt bezeichnet worden sind oder wenn sie keine Grundrechte verbürgen (vgl. VerfGH vom 19.4.2007 VerfGHE 60, 80/87; vom 28.9.2021 BayVBl 2021, 843 Rn. 30 m. w. N.).
72
c) Dasselbe gilt, soweit die Antragsteller einen Verstoß einzelner Normen des Polizeiaufgabengesetzes gegen Art. 98 Sätze 1 und 2 BV rügen. Die Sätze 1 und 2 des Art. 98 BV befassen sich mit der Einschränkung von Grundrechten und verbürgen daher für sich allein kein Grundrecht. Unter welchen Voraussetzungen Beschränkungen in Betracht kommen, ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs für das jeweilige Grundrecht zu entscheiden (vgl. VerfGH vom 17.3.1999 VerfGHE 52, 4/5; vom 26.9.2013 – Vf. 81-VI-12 u. a. – juris Rn. 26; vom 11.4.2017 VerfGHE 70, 69 Rn. 24; vom 20.4.2023 – Vf. 4-VII-22 – juris Rn. 25 und 34 m. w. N.).
73
d) Hinsichtlich der Generalklausel des Art. 11 a PAG verbleibt die Rüge, diese verletze das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 101 BV i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, weil der Begriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ gegen das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. Auch insoweit fehlt es an der erforderlichen hinreichend substanziierten Darlegung einer Grundrechtsverletzung (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG).
74
Zwar reicht es für die Darlegung einer möglichen Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit grundsätzlich aus, dass die Antragsteller ihre Rüge darauf stützen, Art. 11 a PAG sei als grundrechtseinschränkende Norm wegen eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht unwirksam; denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, dass eine die Handlungsfreiheit beschränkende Norm, die aus Gründen des objektiven Rechts das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verletzt, damit zugleich gegen das Grundrecht der Handlungsfreiheit verstößt (vgl. VerfGH vom 28.8.2020 BayVBl 2020, 803 Rn. 50 m. w. N.; enger VerfGH vom 31.1.1989 VerfGHE 42,1/7 und vom 9.8.2011 VerfGHE 64, 136/142). Voraussetzung ist aber, dass der Antragsteller dartut, die angegriffene Rechtsvorschrift verletze inhaltlich das Grundrecht der Handlungsfreiheit; sein Vorbringen darf sich nicht ausschließlich auf Gründe beschränken, die in objektivem Verfassungsrecht wurzeln (VerfGHE 64, 136/142). Zudem darf auch der Verstoß gegen objektives Verfassungsrecht nicht nur behauptet, sondern muss substanziiert dargetan werden.
75
Dem genügt das Vorbringen der Antragsteller nicht. Sie haben nicht substanziiert dargelegt, dass Art. 11 a PAG wegen des behaupteten Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot (aa)) und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (bb)) das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verletzen könnte.
76
aa) Der Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung von Ziel, Tendenz, Programm, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang mit anderen Vorschriften eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewonnen werden kann (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.2.2021 BayVBl 2021, 336 Rn. 35 m. w. N.; vom 17.5.2022 BayVBl 2022, 702 Rn. 79). Das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot ist verletzt, wenn sich eine Norm auch durch eine Auslegung nach den Regeln der juristischen Methodenlehre nicht hinreichend konkretisieren lässt und ihre Anwendung daher nicht mehr vorhersehbar und justiziabel ist (vgl. BAG vom 15.10.2021 NZA 2022, 115 Rn. 25). Unbestimmte Rechtsbegriffe verletzen das Bestimmtheitsgebot erst dann, wenn es wegen der Unbestimmtheit eines Begriffs nicht mehr möglich ist, objektive Kriterien zu gewinnen, die eine willkürliche Handhabung durch die Behörden und die Gerichte ausschließen (vgl. BVerwG vom 10.4.2000 – 11 B 61.99 – juris Rn. 10; vom 3.4.2013 – 9 B 44.12 – juris Rn. 6).
77
Dass Art. 11 a PAG in dieser Weise den Bestimmtheitsanforderungen nicht genügte, haben die Antragsteller nicht aufgezeigt. Mit der pauschalen Rüge, die Einführung des Rechtsbegriffs der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ sei zu unbestimmt, berücksichtigen die Antragsteller schon nicht, dass der Begriff in dieser Form zwar bei verschiedenen Einzelbefugnissen verwendet wird, aber in der grundlegenden Bestimmung des Art. 11 a PAG so nicht enthalten ist, sondern dort dessen Voraussetzungen näher bestimmt werden. Das Gesetz spricht in Absatz 1 des Art. 11 a PAG zunächst von der „Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“, wobei unter dem Begriff der „Gefahr“ hier die in Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG näher definierte konkrete Gefahr zu verstehen ist. Im Übrigen sind die Rechtsbegriffe der „drohenden Gefahr“ und der „bedeutenden Rechtsgüter“ in Art. 11 a Abs. 1 und 2 PAG selbst legaldefiniert. Nach der gesetzlichen Definition liegt, wie sich aus dem Klammerzusatz in Art. 11 a Abs. 1 PAG ergibt, eine „drohende Gefahr“ vor, wenn im Einzelfall (1.) das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder (2.) Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind. „Bedeutende Rechtsgüter“ sind nach Art. 11 a Abs. 2 PAG (1.) der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, (2.) Leben, Gesundheit oder Freiheit, (3.) die sexuelle Selbstbestimmung, soweit sie durch Straftatbestände geschützt ist, die im Mindestmaß mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, oder (4.) Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang. Mit diesen Legaldefinitionen und den darin angeführten Begriffen setzen sich die Antragsteller in keiner Weise auseinander. Ihre Darlegung erschöpft sich vielmehr in der pauschalen Behauptung, der Begriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ bzw. der „drohenden Gefahr“ sei unklar und unbestimmt und gebe der Exekutive und den Richtern infolge seiner Unklarheit eine zu große Auslegungs- und Zugriffsmacht. Angesichts des konkreten Regelungsgehalts der angegriffenen Vorschrift reicht diese Behauptung für eine nachvollziehbare Darlegung nicht annähernd aus.
78
bb) Unsubstanziiert ist der Vortrag der Antragsteller auch hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch Art. 11 a PAG.
79
Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass das zur Erreichung eines bestimmten gesetzgeberischen Ziels eingesetzte Mittel hierzu nicht schlechthin ungeeignet sein darf; ferner besagt er, dass das Mittel zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich sein muss. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verlangt insbesondere, dass die Einbuße an grundrechtlich geschützter Freiheit in keinem unangemessenen Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken stehen darf, denen eine Grundrechtsbeschränkung dient. Der Gesetzgeber muss zwischen Allgemein- und Individualinteressen einen angemessenen Ausgleich herbeiführen (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 108 m. w. N.). Dem Gesetzgeber steht ein weiter Spielraum für die Beurteilung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit eines Gesetzes zu. Der Verfassungsgerichtshof hat insoweit nur zu prüfen, ob sich die vom Gesetzgeber im Rahmen seiner weiten Einschätzungs- und Beurteilungsprärogative und auf Grund einer wertenden Abwägung getroffenen Einschätzungen, in bestimmten Fällen die von ihm angewandten Mittel als geeignet und erforderlich sowie für zumutbar anzusehen, in einem nach den Maßstäben der Verfassung vertretbaren Rahmen halten (vgl. VerfGH vom 11.11.1997 VerfGHE 50, 226/249 f. m. w. N.; BayVBl 2022, 702 Rn. 97). Er darf nicht seine eigenen Wertungen und Einschätzungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (vgl. VerfGH vom 25.9.2015 VerfGHE 68, 198 Rn. 178). Dementsprechend verlangt die Darlegung einer Verletzung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen einer Popularklage gegen eine gesetzliche Bestimmung, dass der Antragsteller aufzeigt, dass die Einschätzungen des Gesetzgebers in Bezug auf die Geeignetheit, Erforderlichkeit oder die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn nicht mehr vertretbar sein könnten. Dem genügt das Vorbringen der Antragsteller in keiner Weise.
80
Mit der pauschalen Behauptung, Art. 11 a PAG greife aufgrund der mit dem neuen Begriff der sog. „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ erfolgten Vorverlegung der polizeirechtlich zulässigen Eingriffsschwelle in das Vorfeld einer konkreten Gefahr besonders gravierend in die Freiheitsgrundechte der Bürger ein, zeigen die Antragsteller nicht auf, weshalb die durch die Vorschrift zugelassenen Maßnahmen unverhältnismäßig sein sollten. Insbesondere wird nicht konkret dargetan, dass die Schwere der durch Art. 11 a PAG zugelassenen Grundrechtseingriffe außer Verhältnis zu dem Gewicht der durch Art. 11 a Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 PAG geschützten bedeutenden Rechtsgüter stünde (vgl. zu den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn etwa VerfGH vom 28.3.2003 VerfGHE 56, 28/49; BVerfG vom 10.11.2020 BVerfGE 156, 11 Rn. 95 m. w. N.).
81
Mit ihrer durchgehend pauschal bleibenden Forderung, die Befugnisse der Polizei für Eingriffe in Grundrechte müssten eine konkrete Gefahr voraussetzen, beschränken sich die Antragsteller letztlich auf die bloße Wiedergabe ihrer persönlichen Rechtsauffassung, ohne diese näher verfassungsrechtlich zu begründen. Sie zeigen nicht auf, dass es dem Gesetzgeber – entgegen der langjährigen und seitens des Bundesverfassungsgerichts erst kürzlich bestätigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. VerfGH vom 7.2.2006 VerfGHE 59, 29/42 m. w. N.; BayVBl 2022, 702 Rn. 126; BVerfG vom 4.4.2006 BVerfGE 115, 320/361; vom 20.4.2016 BVerfGE 141, 220 Rn. 112; vom 27.5.2020 BVerfGE 155, 119 Rn. 147; BVerfGE 156, 63 Rn. 205; BVerfG vom 9.12.2022 – 1 BvR 1345/21 – juris Rn. 90 ff.; BVerwG vom 23.2.2011 – 8 C 50.09 – juris Rn. 31; vom 6.2.2019 BVerwGE 164, 317 Rn. 33 f.) – generell verwehrt sein sollte, Eingriffsbefugnisse auch im Vorfeld konkreter Gefahren zu schaffen.
82
Soweit die Antragsteller unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. April 2016 (BVerfGE 141, 220) geltend machen, der bayerische Gesetzgeber sei nicht befugt, alle polizeilichen Befugnisse des Bundeskriminalamtgesetzes zur Terrorismusabwehr zu übernehmen, legen sie schon nicht dar, welche Befugnisse des Bundeskriminalamtgesetzes der Gesetzgeber in das Polizeiaufgabengesetz übernommen haben sollte, die mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht in Einklang stünden. Soweit sie rügen, der Gesetzgeber habe die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in dieser Entscheidung und in den Beschlüssen vom 27. Mai 2020 (BVerfGE 155, 119) und vom 1. Dezember 2020 (BVerfGE 156, 63) missachtet, dass sich polizeiliche Eingriffsbefugnisse nicht auf bloße vage Vermutungen und nur von Polizeibeamten angenommene Gefahrdrohungen stützen dürften, sondern als Eingriffsschwelle zumindest eine hinreichend konkretisierte Gefahr in dem Sinne vorsehen müssten, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter bestehen, setzen sie sich nicht mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Art. 11 a Abs. 1 PAG auseinander. Danach sind Eingriffe nur auf der Grundlage einer auf das individuelle Verhalten einer Person oder auf Vorbereitungshandlungen gestützten Erwartung eines Angriffs von erheblicher Intensität oder Auswirkung auf ein bedeutendes Rechtsgut zulässig. Sowohl mit dem Merkmal des „individuellen Verhaltens einer Person“ in Nr. 1 als auch mit dem Merkmal der „Vorbereitungshandlungen“ in Nr. 2 hat der Gesetzgeber gerade Tatbestandsvoraussetzungen normiert, die sich auf bestimmte Tatsachen gründen (vgl. auch BGH vom 10.6.2020 BGHSt 66, 1 Rn. 49). Ob diese Eingrenzungen ausreichend sind, wäre nur auf eine ausreichend substanziierte, auf die konkreten Tatbestandsmerkmale eingehende Rüge der Vorschrift hin zu prüfen.
83
e) Nach alledem ist auch die unmittelbar daran anknüpfende Rüge, alle weiteren Befugnisnormen, in denen der Begriff der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ verwendet werde oder die hierauf Bezug nähmen, verletzten wegen Missachtung des Bestimmtheitsprinzips und Verhältnismäßigkeitsgebots die Bayerische Verfassung, nicht hinreichend substanziiert. Insoweit unzulässig angegriffen sind namentlich Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b PAG (Identitätsfeststellung), Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG (Erkennungsdienstliche Maßnahmen), Art. 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PAG (Vorladung), Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 PAG (Platzverweis, Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung), Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG (Durchsuchung von Personen), Art. 25 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b und Abs. 2 PAG (Sicherstellung), Art. 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b PAG (Allgemeine Grundsätze der Datenverarbeitung), Art. 33 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b PAG (Offene Bild- und Tonaufnahmen), Art. 34 Abs. 1 PAG (Elektronische Aufenthaltsüberwachung), Art. 35 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG (Postsicherstellung), Art. 36 Abs. 2 PAG (Datenerhebung mit besonderen Mitteln), Art. 37 Abs. 1 (Einsatz Verdeckter Ermittler), Art. 38 Abs. 1 PAG (Einsatz von Vertrauenspersonen), Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 PAG (Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung), Art. 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 1 PAG (Eingriffe in den Telekommunikationsbereich), Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PAG (Mitwirkungspflichten der Diensteanbieter), Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG (Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme) und Art. 60 Abs. 3 Nr. 1 PAG (Datenempfang durch die Polizei). Darauf, dass Art. 40 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 43 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 PAG zuletzt in einer überholten Fassung angegriffen werden, kommt es daneben nicht an.
84
Soweit die Antragsteller im Zusammenhang mit diesen Befugnisnormen auch subjektive verfassungsmäßige Rechte als verletzt bezeichnet haben, insbesondere die Grundrechte der Menschenwürde (Art. 100 BV) und der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 101 BV), beschränken sie sich zur Begründung auf die Wiedergabe der als verletzt behaupteten Grundrechte und – wie zu Art. 11 a PAG – auf die unsubstanziierte Behauptung von Verstößen gegen objektives Verfassungsrecht.
85
Auch hinsichtlich der behaupteten Verletzung der Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV) durch die Regelungen nach Art. 16 PAG (Platzverweis, Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung), Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG (Ingewahrsamnahme), Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG (Dauer des Gewahrsams), Art. 34 Abs. 1 und 4 Satz 2 PAG (Elektronische Aufenthaltsüberwachung) und Art. 45 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG (Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme) reicht der Vortrag der Antragsteller nicht aus. Sie nehmen insofern lediglich pauschal und beispielhaft auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 14.5.1985 BVerfGE 69, 315/349) Bezug und meinen, durch diese Befugnisse könne der Zugang zu einer Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende Kontrollen unzumutbar erschwert oder ihr Charakter durch exzessive Observationen und Registrierungen verändert werden. Auch insoweit fehlt es jedoch an der erforderlichen konkreten und nachvollziehbaren Darlegung bezogen auf die einzelnen angegriffenen Vorschriften, inwiefern durch die jeweiligen Befugnisse ein durch die Versammlungsfreiheit geschütztes Verhalten (z. B. Teilnahme an einer Versammlung, versammlungsspezifische Tätigkeiten) beschränkt werden oder zumindest mittelbar ein vergleichbar schwerer Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts bewirkt werden könnte, wie dies etwa bei Identitätsfeststellungen nach Art. 13 PAG infolge von faktischen Behinderungen des Zugangs zu einer bevorstehenden oder sich bildenden Versammlung aufgrund schleppender vorbeugender Kontrollen der Fall sein kann (vgl. dazu BVerfGE 69, 315/349; SächsVerfGH vom 10.7.2003 LVerfGE 14, 333/387 Rn. 287 ff.).
86
f) Nicht hinreichend substanziiert ist die Popularklage weiter, soweit sich die Antragsteller gegen die Regelungen über die jeweilige zeitliche Befristung von Maßnahmen nach Art. 16 Abs. 2 Satz 3 PAG (Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung), Art. 34 Abs. 4 Satz 2 PAG (Elektronische Aufenthaltsüberwachung), Art. 35 Abs. 2 Satz 2 PAG (Postsicherstellung), Art. 36 Abs. 7 Satz 2 PAG (Datenerhebung mit besonderen Mitteln), Art. 37 Abs. 2 Satz 3 PAG (Einsatz Verdeckter Ermittler) und Art. 40 Abs. 3 Satz 3 PAG (Ausschreibung personenbezogener Daten zur polizeilichen Beobachtung) auf drei bzw. sechs Monate bzw. ein Jahr mit Verlängerungsmöglichkeit um weitere drei bzw. sechs Monate bzw. ein Jahr wenden. Denn insoweit erschöpft sich ihr Vortrag wiederum im Wesentlichen in der Wiederholung des Gesetzestextes und der Behauptung eines Verstoßes gegen verfassungsrechtliche Normen. Soweit sie bezüglich der Befristungen nach Art. 34 Abs. 4 Satz 2 bzw. gemäß Art. 36 Abs. 7 Satz 2 und Art. 37 Abs. 2 Satz 3 PAG darüber hinaus geltend machen, eine unbeschränkte Dauer der Freiheitsbeschränkung ohne Vorliegen einer „konkreten Gefahrenfeststellung“ bzw. eines „konkreten Tatverdachts“ sei unverhältnismäßig, beschränken sie sich auf die bloße Äußerung ihrer Rechtsauffassung, ohne diese näher zu begründen. Dafür hätte schon deswegen Anlass bestanden, weil es sich bei dem Begriff des „Tatverdachts“ um einen die Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten betreffenden juristischen Fachausdruck handelt (vgl. § 69 Abs. 5 Satz 2 OWiG, § 114 Abs. 2 Nr. 4, § 153 f Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO). Inwiefern dieser im präventiv angelegten bayerischen Polizeirecht von Belang sein könnte, führen die Antragsteller nicht näher aus.
87
g) Nicht ausreichend sind auch die Rügen der behaupteten Verletzung der Bayerischen Verfassung durch die gesetzlichen Regelungen zur polizeilichen Anordnungsbefugnis von Behördenleitern und zur Möglichkeit der Übertragung dieser Befugnis auf Polizeivollzugsbeamte mit höherer Qualifikation in den Fällen des Einsatzes besonderer Mittel der Datenerhebung (Art. 36 Abs. 4 Satz 2 PAG), des Einsatzes von Vertrauenspersonen (Art. 38 Abs. 3 Satz 1 PAG) sowie der Ausschreibung personenbezogener Daten zur polizeilichen Beobachtung (Art. 40 Abs. 3 Satz 1 PAG). Soweit die Antragsteller die behauptete Verletzung überhaupt begründen, beschränkt sich ihr Vorbringen auf die Äußerung von Bedenken hinsichtlich der Verletzung des objektivrechtlichen Gewaltenteilungsgrundsatzes (Art. 5 BV). Dies genügt den Darlegungsanforderungen des Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG in keiner Weise.
88
h) Für einen zulässigen Angriff nicht hinreichend substanziiert ist die Popularklage überdies, soweit sich die Antragsteller gegen die Befugnis nach Art. 49 Abs. 3 Satz 6 PAG zur ausnahmsweisen Miterfassung von Kernbereichsdaten beim verdeckten Zugriff auf informationstechnische Systeme wenden. Die Rüge, die Vorschrift missachte den Schutz von Berufsgeheimnisträgern und verstoße deshalb gegen die Würde des Menschen (Art. 100 BV) sowie gegen die allgemeine Handlungsfreiheit in der speziellen Ausprägung der Berufsausübungsfreiheit (Art. 101 BV), geht offensichtlich am Regelungsgehalt der angegriffenen Bestimmung vorbei. Denn Art. 49 Abs. 3 Satz 6 PAG ist keine Vorschrift, die die Erhebung der Daten von Berufsgeheimnisträgern bzw. deren Schutz betrifft; diesbezügliche Bestimmungen sind in den Absätzen 1 und 2 des Art. 49 PAG enthalten. Art. 49 Abs. 3
Satz 6 PAG regelt vielmehr die Datenerhebung bzw. den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung im Hinblick auf diejenigen Personen, die selbst für die Gefahr oder drohende Gefahr verantwortlich sind oder die mutmaßlich im Zusammenhang mit der Gefahrenlage stehen. Dies ergibt sich unmissverständlich aus der Bezugnahme des Art. 49 Abs. 3 Satz 6 PAG auf Satz 5, der wiederum auf Satz 1 Nr. 8 und damit auf die Regelung des Art. 45 Abs. 1 PAG verweist, welche ausschließlich diesen Personenkreis betrifft. Auch das hat der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 7. März 2019 (juris Rn. 52) ausgeführt. Die aktuelle Begründung der Popularklage geht insoweit nicht über das hinaus, was die Antragsteller bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorgetragen haben.
89
i) Den erst mit Aktualisierung der Popularklage nach den Änderungen durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 angegriffenen Art. 60 Abs. 3 Nr. 1 PAG haben die Antragsteller zwar in ihre Auflistung der angegriffenen Vorschriften im Schriftsatz vom 4. November 2021 eingestellt und dabei als verletzte Grundrechte der Bayerischen Verfassung die Art. 100, 101 und 3 Abs. 1 BV bezeichnet. Konkrete Ausführungen zu dieser Vorschrift werden jedoch nicht gemacht. Insoweit ist die Popularklage ebenfalls unzulässig.
90
j) Art. 96 Abs. 1 und Art. 98 Abs. 1 und 2 Nr. 1 PAG haben die Antragsteller hingegen nicht in der Auflistung vom 4. November 2021 erfasst, diese Vorschriften jedoch in der Begründung als „unangemessene Zuständigkeitsregelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit in sachlicher und örtlicher richterlicher Zuständigkeit“ beanstandet. Der Gesetzgeber verstoße damit gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV. Auch wenn man gemäß ihrer Klarstellung in der mündlichen Verhandlung trotz fehlender Erwähnung im schriftlichen Antrag im Hinblick auf die Antragsbegründung von einem Angriff auch auf diese Normen ausgeht, ist die Popularklage insoweit nicht zulässig.
91
Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV gewährleistet, dass die Zuständigkeit des Gerichts rechtssatzmäßig festgelegt und in jedem einzelnen Fall von jedem Träger der öffentlichen Gewalt respektiert werden muss. Damit soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Judikative durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es darf kein anderer als der Richter tätig werden und entscheiden, der nach den allgemeinen Normen und in den Geschäftsverteilungsplänen dafür vorgesehen ist (VerfGH vom 28.2.2011 BayVBl 2011, 530/531; vom 5.3.2020 NJW 2020, 3510 Rn. 22; vom 21.7.2020 – Vf. 56-VI-17 u. a. – juris Rn. 66). Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV setzt demnach einen Bestand von Regelungen voraus, die für jeden denkbaren Streitfall von vornherein den Richter bezeichnen, der zur Entscheidung zuständig ist, und verpflichtet dazu, allgemeine Regelungen zu treffen, aus denen sich der gesetzliche Richter ergibt (vgl. VerfGH vom 13.1.1975 VerfGHE 28, 1/7; vom 15.12.1977 VerfGHE 30, 189/199 Rn. 34; BVerfG vom 18.5.1965 BVerfGE 19, 52/59 f.; vom 31.3.2016 NVwZ-RR 2016, 521 Rn. 79). Der „gesetzliche Richter“ muss sich dabei jeweils möglichst eindeutig aus der allgemeinen Norm ergeben. Daraus folgt nicht, dass der Gesetzgeber den gesetzlichen Richter stets endgültig bestimmen muss. Er muss allerdings dafür sorgen, dass die Rechtspflege vor sachfremden Einflüssen auf die Bestimmung des Richters im Einzelfall geschützt wird. Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts darf sich der Gesetzgeber auch von Zweckmäßigkeits- und Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, solange diese nicht willkürlich sind (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 VerfGHE 38, 96/101; vom 2.8.1990 VerfGHE 43,107/ 131; vom 14.2.1995 VerfGHE 48, 17/29; vom 29.9.2005 VerfGHE 58, 212/250; BVerfG vom 19.3.1959 BVerfGE 9, 223/226 f.; vom 17.11.1959 BVerfGE 10, 200/ 213; vom 10.8.1995 NJW 1995, 2703 f.).
92
Dass Art. 96 Abs. 1 und Art. 98 Abs. 1 PAG diesen Anforderungen nicht genügten, haben die Antragsteller nicht substanziiert dargelegt.
93
aa) Der Einwand, Art. 96 Abs. 1 PAG verstoße durch die Verweisung auf Verfahrensvorschriften des Buches 1 (Allgemeiner Teil, §§ 1 bis 110) und des Buches 7 (Verfahren in Freiheitsentziehungssachen, §§ 415 bis 432) des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) im Hinblick auf die fehlenden Regelungen zur Beteiligung der Staatsanwaltschaft (vgl. § 418 FamFG) und den geltenden Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Verfahrens (§ 170 GVG) gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, ist schon deshalb von vornherein zur Darlegung des behaupteten Grundrechtsverstoßes nicht geeignet, weil es sich bei der Verweisung hinsichtlich der anzuwendenden gerichtlichen Verfahrensvorschriften in der Sache nicht um Regelungen über den gesetzlichen Richter handelt.
94
bb) Soweit die Antragsteller die Rechtswegzuweisung präventiver Freiheitsentziehungen gemäß Art. 96 Abs. 1 PAG an die Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit anstatt an die aus ihrer Sicht sachnähere Verwaltungsgerichtsbarkeit beanstanden, legen sie weder eine Verletzung des Gebots der normativen Vorausbestimmtheit des gesetzlichen Richters noch eine Verletzung des Willkürverbots dar. Im Übrigen ist der Einwand in der Sache nicht aus sich heraus verständlich. Eine den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ausschließende, abdrängende Sonderzuweisung zu den ordentlichen Gerichten im Sinn des § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wie sie in Art. 96 Abs. 1 PAG getroffen wurde (vgl. LT-Drs. 18/13716 S. 38), ist angesichts des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers und der prinzipiellen Gleichwertigkeit der Rechtswege verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BGH vom 5.11.1962 BGHZ 38, 208 Rn. 12 ff. m. w. N.; Rennert in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 2 a, 100; Ehlers/Schneider in Schoch/ Schneider, VwGO, § 40 Rn. 481). Bei der Bestimmung eines zuständigen Gerichts darf sich der Normgeber von Zweckmäßigkeits- und Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, solange diese nicht willkürlich sind (vgl. VerfGH vom 2.8.1990 VerfGHE 43, 107/131 m. w. N.). Das gilt auch für die Festlegung des Rechtswegs. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich der Gesetzesbegründung bei der Rechtswegbestimmung vom bisherigen Recht leiten lassen (vgl. LT-Drs. 18/13716 S. 38). Dieses sah bereits in der Vorgängervorschrift des Art. 17 Abs. 2 PAG in der Fassung des Gesetzes vom 24. August 1978 (GVBl S. 561) eine Zuweisung gerichtlicher Entscheidungen bei bestimmten Freiheitsentziehungen an die ordentliche Gerichtsbarkeit, nämlich die Amtsgerichte, vor. Der damalige Gesetzgeber hatte sich dabei von der Überlegung leiten lassen, dass das Amtsgericht auch über Freiheitsentziehungen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zu entscheiden habe und in der Regel ortsnäher als das Verwaltungsgericht sei (vgl. LT-Drs. 8/8134 S. 19 zu Art. 16). Diese Erwägungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
95
cc) Auch hinsichtlich der Zuständigkeitsregelung des Art. 98 Abs. 1 PAG ist eine Verletzung des Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV nicht hinreichend dargelegt.
96
Nach Art. 98 Abs. 1 PAG ist für die gerichtliche Entscheidung vorbehaltlich abweichender Regelung das Amtsgericht am Sitz des Landgerichts zuständig, in dessen Bezirk die beantragende Polizeidienststelle ihren Sitz hat. Insoweit legen die Antragsteller weder eine Verletzung des Gebots der normativen Vorausbestimmtheit des gesetzlichen Richters noch eine Verletzung des Willkürverbots dar. Die Regelung ist wortgleich mit der Vorgängerbestimmung des Art. 92 Abs. 2 Satz 1 PAG in der Fassung des Gesetzes vom 18. Mai 2018 (GVBl S. 301). Der Gesetzgeber war bei Erlass dieser Bestimmung von dem Gedanken getragen, die bis dahin teilweise auseinanderlaufenden Gerichtszuständigkeiten zu vereinheitlichen. Durch die Gerichtskonzentration auf die 22 bayerischen Amtsgerichte am Sitz der Landgerichte werde sichergestellt, dass gerichtliches Fachwissen gebündelt werden könne und sich nicht alle 73 bayerischen Amtsgerichte mit den teilweise speziellen Fachfragen der PAG-Anwendung und dem Erfordernis einer etwa vorzuhaltenden technischen Ausstattung konfrontiert sehen müssten. Die Amtsgerichte am Sitz des Landgerichts seien nach § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO i. V. m. § 141 GVG und Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen des Bundes (AGGVG) auch für die ermittlungsrichterlichen Handlungen im strafprozessualen Ermittlungsverfahren zuständig (vgl. LT-Drs. 17/20425, S. 92). Hierbei handelt es sich um nachvollziehbare, verfassungsrechtlich unbedenkliche Gründe.
97
dd) Bezüglich Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG, der (in der bis zum 31. März 2023 geltenden und auch in der aktuellen Fassung) abweichend von Abs. 1 für die richterliche Entscheidung bei Freiheitsentziehungen nach Art. 97 Abs. 1 PAG die Zuständigkeit des Amtsgerichts festlegt, in dessen Bezirk die Freiheitsentziehung vollzogen wird, ist die Popularklage schon unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung unzulässig. Mit der Bestimmung, die der Regelung des Art. 92 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 PAG in der Fassung des Gesetzes vom 18. Mai 2018 entspricht, wurden die Vorgängervorschriften des Art. 18 Abs. 3 Satz 1 PAG in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397) bzw. des Art. 17 Abs. 3 Satz 1 PAG in der Fassung des Gesetzes vom 23. März 1989 (GVBl S. 79) übernommen (vgl. LT- Drs. 17/20425 S. 92), deren Vereinbarkeit mit Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV der Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 2. August 1990 (VerfGHE 43, 107/131) festgestellt hat (vgl. auch VerfGH vom 7.3.2019 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 58). Die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine wiederholende Popularklage (vgl. sogleich unter k)) gelten auch für Novellierungen, die der Gesetzgeber mit gleichem Inhalt aus früheren Vorschriften übernommen hat. Dass trotz der besagten verfassungsrechtlichen Klärung ausnahmsweise eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG geboten sein könnte, legen die Antragsteller nicht dar. Darauf, dass Art. 98 Abs. 2 Nr. 1 PAG zuletzt in einer überholten Fassung angegriffen wird, kommt es daneben nicht an.
98
k) Wegen Wiederholung bzw. mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung unzulässig ist die Popularklage auch bezüglich Art. 60 a PAG.
99
Hat der Verfassungsgerichtshof in einem Popularklageverfahren die Verfassungsmäßigkeit einer landesrechtlichen Rechtsvorschrift festgestellt, so ist die Rechtslage geklärt und es soll dabei grundsätzlich sein Bewenden haben. Ein Antrag nach Art. 98 Satz 4 BV, der sich gegen eine vom Verfassungsgerichtshof bereits für verfassungsmäßig befundene Rechtsvorschrift richtet, ist deshalb nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn ein grundlegender Wandel der Lebensverhältnisse oder der allgemeinen Rechtsauffassung eingetreten ist oder wenn neue rechtliche Gesichtspunkte oder neue, in der früheren Entscheidung noch nicht gewürdigte Tatsachen geltend gemacht werden (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 7.3.2019 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 45; vom 24.8.2020 BayVBl 2020, 842 m. w. N., vgl. Rn. 37 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt). Das ist hier im Hinblick auf Art. 60 a PAG nicht der Fall.
100
Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits in seiner Entscheidung vom 17. Mai 2022 (Vf. 47-VII-21 – BayVBl 2022, 702) umfassend mit der durch § 1 Nr. 37 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418) in das Polizeiaufgabengesetz neu eingefügten Regelung des Art. 60 a PAG befasst. Er hat entschieden, dass Art. 60 a Abs. 1 bis 4 PAG nicht gegen die Bayerische Verfassung verstößt, insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 100 i. V. m. Art. 101 BV nicht verletzt (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 61 ff.). Außerdem wurde festgestellt, dass Art. 60 a Abs. 1 bis 4 PAG den im Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verankerten Geboten der Normbestimmtheit (Rn. 78 ff.) und der Verhältnismäßigkeit genügt (Rn. 96 ff.). Berücksichtigt hat der Verfassungsgerichtshof dabei auch, dass ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung mangels Freiwilligkeit der Zustimmung infolge echter Wahlfreiheit durch den Betroffenen nicht dadurch entfällt, dass nach Art. 60 a Abs. 1 Satz 1 PAG die Datenverarbeitung nur mit schriftlicher oder elektronischer Zustimmung der Betroffenen zulässig ist (Rn. 73 ff.).
101
Neue rechtliche Gesichtspunkte oder neue, in der Entscheidung noch nicht gewürdigte Tatsachen haben die Antragsteller nicht vorgetragen. Soweit sie sinngemäß geltend machen, die Freiwilligkeit der Zustimmung entfalle auch deshalb, weil im Gesetz kein Erfordernis einer umfassenden Aufklärung des Betroffenen über die Folgen der Zustimmung normiert sei, trifft dies offensichtlich nicht zu. Wie der Verfassungsgerichtshof in der Entscheidung vom 17. Mai 2022 ausgeführt hat (Rn. 75), setzt Art. 60 a Abs. 2 Satz 4 PAG eine umfassende Information über Ablauf und Inhalt des polizeilichen Überprüfungsverfahrens voraus; dabei muss gemäß Art. 31 Abs. 3 Satz 1, Art. 66 Satz 1 PAG i. V. m. Art. 1, 28 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nrn. 1 und 2 BayDSG, Art. 4 Nr. 11, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a, Art. 7 DSGVO die betroffene Person vor der Erteilung der Zustimmung umfassend auch über die vorgesehene Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten, über den Zweck der Verarbeitung sowie über die jederzeitige Widerruflichkeit der Zustimmung informiert werden.
102
Ebenso offensichtlich unzutreffend ist der Einwand, im Gesetz fehle das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung im Fall der Übermittlung des Ergebnisses der Zuverlässigkeitsüberprüfung an andere Stellen bei Zuverlässigkeitsbedenken nach Art. 60 a Abs. 2 Satz 2 PAG. Art. 60 a Abs. 1 Satz 1 PAG sieht ausdrücklich auch bei der Übermittlung von personenbezogenen Daten die (vorherige) schriftliche oder elektronische Zustimmung vor. Soweit die Antragsteller schließlich die Manipulationsanfälligkeit elektronischer Zustimmungen behaupten, betrifft dies ausschließlich den Gesetzesvollzug, der von vornherein nicht Gegenstand des Popularklageverfahrens sein kann (vgl. VerfGH vom 17.7.2017 VerfGHE 70, 137 Rn. 42; vom 19.2.2018 VerfGHE 71, 28 Rn. 54; vom 10.4.2023 – Vf. 4-VII-22 – juris Rn. 28, jeweils m. w. N.).
103
Nur soweit Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 und Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG als grundrechtswidrig gerügt werden, ist die Popularklage zulässig.
104
Die Antragsteller haben insoweit gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG hinreichend substanziiert dargelegt, aus welchen Gründen die Bestimmungen nach ihrer Auffassung gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung verstoßen. Ausreichend sind insbesondere die Ausführungen bezüglich Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG, soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 102 BV) rügen und zur Begründung vortragen, ein Präventivgewahrsam zur Durchsetzung einer bereits bei drohender Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut möglichen Maßnahme nach Art. 16 PAG und bei Nichtbefolgung einer Aufenthaltsüberwachungsmaßnahme nach Art. 34 PAG überschreite die Grenzen, die dem Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Freiheitsentziehung gesetzt seien. Gleiches gilt für das Vorbringen, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG verstoße aufgrund der erheblichen Ausdehnung der möglichen Dauer des polizeilichen Präventivgewahrsams gegen Art. 102 Abs. 1 und 2 BV.
105
Soweit die Popularklage in zulässiger Weise erhoben ist, erstreckt der Verfassungsgerichtshof seine Prüfung auf alle in Betracht kommenden Normen der Bayerischen Verfassung, selbst wenn insofern keine Rügen geltend gemacht worden sind oder wenn sie keine Grundrechte verbürgen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 10.6.2021 BayVBl 2021, 548 Rn. 32 m. w. N.; vom 26.4.2022 BayVBl 2022, 475, vgl. Rn. 47 bei juris – in BayVBl insoweit nicht abgedruckt).
106
Soweit die Popularklage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die angegriffenen Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG verstoßen nicht gegen die Bayerische Verfassung.
107
Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.
108
1. Es liegt kein offensichtlicher und schwerwiegender Verstoß gegen Bundesrecht vor, durch den das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) verletzt würde. Prüfungsmaßstab im Popularklageverfahren sind allein die Vorschriften der Bayerischen Verfassung, nicht Normen des Bundesrechts. Ein behaupteter Verstoß gegen Bundesrecht kann nur mittelbar als Verletzung des in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verankerten Rechtsstaatsprinzips geprüft werden. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV erstreckt seine Schutzwirkung nicht in den Bereich des Bundesrechts mit der Folge, dass jeder formelle oder inhaltliche Verstoß einer landesrechtlichen Vorschrift gegen Bundesrecht zugleich als Verletzung der Bayerischen Verfassung anzusehen wäre. Das Rechtsstaatsprinzip ist vielmehr erst dann verletzt, wenn der Widerspruch zum Bundesrecht offen zutage tritt und darüber hinaus auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 43, 107/121, 123; VerfGH vom 16.2.2009 VerfGHE 62, 23/29 m. w. N.; vom 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20 – juris Rn. 30).
109
Hiervon ausgehend kann ein Verstoß nicht festgestellt werden. Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG verstoßen nicht offensichtlich und schwerwiegend gegen Art. 5 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), die infolge ihrer innerstaatlichen Transformation nach Art. 59 Abs. 2 GG durch Gesetz vom 7. August 1952 (BGBl 1952 II S. 685) als (einfaches) Bundesrecht gilt (vgl. BVerfG vom 14.10.2004 BVerfGE 111, 307/ 316 f.; vom 4.5.2011 BVerfGE 128, 326/367). Vielmehr spricht vieles dafür, dass die Regelungen im Einklang mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b EMRK stehen. Danach ist eine Freiheitsentziehung unter anderem in den Fällen einer rechtmäßigen Festnahme oder Freiheitsentziehung wegen Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung zulässig. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als erfüllt angesehen, wenn ein Polizeigewahrsam wegen der Weigerung, einem Platzverweis nachzukommen, angeordnet wurde (vgl. EGMR vom 24.3.2005 NVwZ 2006, 797 Rn. 36). Nichts anderes kann bei der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung weiterer, aufgrund gesetzlicher Bestimmungen angeordneter Maßnahmen gelten, wie der polizeilichen Anordnung von Kontaktverboten, Aufenthalts- oder Meldeanordnungen nach Art. 16 PAG oder der gerichtlichen Anordnung nach Art. 34 PAG, die für eine elektronische Überwachung des Aufenthaltsorts einer Person erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Soweit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b EMRK zudem auch an die Voraussetzung knüpft, dass sie keinen Strafcharakter aufweisen darf (vgl. EGMR NVwZ 2006, 797 Rn. 37; vom 1.12.2011 NVwZ 2012, 1089 Rn. 73, vom 7.3.2013 NVwZ 2014, 43 Rn. 71; vom 22.10.2018 NVwZ 2019, 135 Rn. 80), steht dies den Regelungen des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG ebenfalls nicht entgegen, da diese – wie auch die übrigen Gewahrsamsgründe nach Art. 17 PAG – ausschließlich präventiver Natur sind.
110
2. Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG verstoßen entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht gegen das durch Art. 102 Abs. 1 BV garantierte Grundrecht der Freiheit der Person.
111
a) Das Grundrecht der Freiheit der Person, das Art. 102 Abs. 1 BV als „unverletzlich“ bezeichnet, nimmt als konstituierendes Freiheitsrecht einen hohen verfassungs-rechtlichen Rang ein. Das Grundrecht garantiert die Bewegungsfreiheit gegen staatliche Eingriffe und schützt vor widerrechtlicher Beschränkung dieser Freiheit. Es steht in der Tradition des Instituts des „habeas corpus“ und ergänzt den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit um die körperliche Dimension. Dementsprechend erfasst der Schutzbereich des Art. 102 Abs. 1 BV insbesondere die klassischen Formen der durch staatliche Behörden oder Gerichte angeordneten Freiheitsentziehung, bei denen die körperliche Bewegungsfreiheit durch physischen Zwang, d. h. durch Festhalten der Betroffenen an einem eng umgrenzten Ort nach jeder Richtung hin, aufgehoben wird (vgl. VerfGH vom 9.2.2021 – Vf. 6-VII-20 – juris Rn. 62 m. w. N.). In die Freiheit der Person greifen Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG unzweifelhaft ein.
112
Art. 102 Abs. 1 BV garantiert die Freiheit der Person allerdings nicht schrankenlos.
Eine Freiheitsentziehung ist zum einen nur unter den Verfahrensgarantien des Art. 102 Abs. 2 BV zulässig (vgl. VerfGH vom 7.10.1992 VerfGHE 45, 125/132). Zum anderen steht die Gewährleistung unter einem dem Grundrecht inhärenten ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt. Ein Eingriff ist deshalb nur gerechtfertigt, wenn er durch oder aufgrund eines gültigen förmlichen Gesetzes erfolgt. Dieses muss den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Gesetzliche Regelungen, die eine Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit vorsehen, dürfen von den im demokratisch-freiheitlichen Rechts-, Kultur- und Sozialstaat allgemein anerkannten Grundsätzen, insbesondere auch dem Rechtsstaatsprinzip, nicht abweichen (vgl. VerfGH vom 25.1.1967 VerfGHE 20, 1/8; vom 13.11.1981 VerfGHE 34, 162/171 f.; Schulz in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 102 Rn. 16 m. w. N.).
113
b) Diesen Anforderungen genügen Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG. Entgegen der Auffassung der Antragsteller stehen sie insbesondere mit dem im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang.
114
aa) Einschränkungen der Freiheit der Person, die wie der Präventivgewahrsam nicht dem Schuldausgleich dienen, sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert. Durch staatliche Behörden oder Gerichte angeordnete Freiheitsentziehungen wie die polizeiliche Ingewahrsamnahme, bei der die Bewegungsfreiheit durch Zwang aufgehoben wird, müssen immer durch gewichtige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sein, die den Freiheitsanspruch des Einzelnen überwiegen (vgl. VerfGHE 43, 107/128 f.; 45, 125/132; 56, 28/53). Ein Belang von ausreichendem Gewicht kann der Schutz der Allgemeinheit sein. Der Freiheitsanspruch der in Gewahrsam genommenen Person kollidiert insoweit mit dem Erfordernis, die Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen zu schützen; beide sind im Einzelfall abzuwägen (vgl. BVerfG vom 27.3.2012 BVerfGE 130, 372/388 f.; vom 20.6.2012 BVerfGE 131, 268/291; vom 18.4.2016 NVwZ 2016, 1079 Rn. 25).
115
bb) Diesen Maßgaben entsprechen die Regelungen des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG.
116
Nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um Maßnahmen nach Art. 16 PAG (Platzverweis, Betretungsverbot, Kontaktverbot, Aufenthalts- und Meldeanordnung) durchzusetzen. Gleiches gilt nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG, wenn einer Anordnung nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG nicht Folge geleistet wird, ein für eine elektronische Überwachung des Aufenthaltsorts einer Person erforderliches technisches Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen (sog. „Fußfessel“). Sowohl Art. 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 PAG als auch Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG ermächtigen die Polizei bzw. den Richter, die betreffenden Maßnahmen und Anordnungen gegen eine Person zur Abwehr nicht nur einer konkreten Gefahr im Sinn des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG zu ergreifen, sondern auch bereits bei einer drohenden Gefahr im Sinn des Art. 11 a PAG, wenn also die in Art. 11 a Abs. 1 PAG angeführten Voraussetzungen für das Entstehen einer Gefahr für die in Art. 11 a Abs. 2 PAG angeführten bedeutenden Rechtsgüter erfüllt sind.
117
Es ist nicht auszuschließen, dass Maßnahmen und Anordnungen nach Art. 16 bzw. Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG trotz der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit zur Anwendung polizeilicher Zwangsmittel (Art. 70 ff. PAG), insbesondere der Befugnis zur Anwendung unmittelbaren Zwangs (Art. 75 und 77 ff. PAG), nicht durchgesetzt werden können, etwa weil sie durch Wiederholungsaktionen des Maßnahmeadressaten faktisch unterlaufen werden oder weil unmittelbarer Zwang während der Zeit, innerhalb derer die Gefahr abzuwehren ist, nicht möglich ist. Für diese Fälle darf der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums Vorsorge dafür treffen, dass die Polizei ihre Aufgabe zur Durchsetzung von polizeilichen Maßnahmen nach Art. 16 PAG oder von gerichtlichen Anordnungen nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG auch bei (atypischen) Fallgestaltungen erfüllen kann, in denen polizeilicher Zwang im herkömmlichen Sinn nicht erfolgversprechend ist. Gemäß Art. 99 Satz 2 BV hat der Staat die Aufgabe, den Schutz seiner Bürger gegen Angriffe nach innen durch die Gesetze, die Rechtspflege und die Polizei zu gewährleisten. Dieser staatliche Schutzauftrag umfasst die innere Sicherheit in einem weiten Sinn, also die gesamte öffentliche Sicherheit, d. h. die Individualrechtsgüter, die Rechtsordnung sowie den Staat und seine Einrichtungen. Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen Schutzgütern im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind (vgl. VerfGHE 43, 107/131; VerfGH vom 19.10.1994 VerfGHE 47, 241/255; 50, 226/247; VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 124). In Erfüllung dieses Auftrags haben der Staat und insbesondere auch die Polizei die Verpflichtung, die Rechtsgüter des Einzelnen und der Allgemeinheit vor Gefahren möglichst effektiv zu schützen (vgl. VerfGH vom 28.2.1990 VerfGHE 43, 23/28; 47, 241/264; 50, 226/257).
118
Diesem Schutzauftrag würde es zuwiderlaufen, wenn eine Gefährdung der zu schützenden Rechtsgüter hingenommen werden müsste, soweit ein zur Gefahrenabwehr wirksam erlassener (Art. 43 BayVwVfG) und kraft Gesetzes sofort vollziehbarer (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO) Platzverweis, ein Kontaktverbot, eine Aufenthalts- oder Meldeanordnung auf der Grundlage des Art. 16 PAG oder eine Anordnung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG sich ohne einen Gewahrsam nicht durchsetzen ließen. Auch in solchen Fällen können gewichtige Gründe des Gemeinwohls – bei strenger Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im jeweiligen Einzelfall – als ultima ratio eine Freiheitsentziehung zulassen (vgl. VerfGHE 43, 107/130 f. zur Platzverweisung nach Art. 16 Abs. 1 Nr. 3 PAG 1989), wenn andere Maßnahmen, insbesondere polizeilicher Zwang im herkömmlichen Sinn, ausscheiden. Dem hat der Gesetzgeber mit dem ausdrücklichen Erfordernis der Unerlässlichkeit in Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG Rechnung getragen. Das aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgende ultima ratio-Prinzip gilt ebenso für Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG, obwohl dies in dessen Wortlaut keinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat. Auch eine Ingewahrsamnahme wegen Nichtbefolgung einer Anordnung nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 PAG ist nur dann zulässig, wenn dies unerlässlich ist, um diese Anordnung durchzusetzen (vgl. Grünewald in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Art. 17 PAG Rn. 76 b). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der die Möglichkeit der Ingewahrsamnahme bei dem Haftgrund der Nichtbefolgung von Anordnungen im Zusammenhang mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachungsmaßnahme ausdrücklich „als letztes Mittel“ angesehen hat (vgl. LT-Drs. 17/16299 S. 12).
119
cc) Die Ingewahrsamnahme erfolgt in den Fällen des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG auch nicht unmittelbar zur Abwehr einer drohenden Gefahr, selbst wenn die Maßnahmen, die durchgesetzt werden sollen, unter bestimmten Voraussetzungen bereits bei einer drohenden Gefahr im Sinn des Art. 11 a PAG angeordnet werden können; eine Ingewahrsamnahme wegen einer nur drohenden Gefahr sehen die verfahrensgegenständlichen Befugnisse nach Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG nicht vor. Vielmehr ist maßgeblich, dass die Ingewahrsamnahme nach diesen Normen in erster Linie der Abwehr von konkreten Verstößen des jeweiligen Adressaten gegen die ihm gegenüber angeordneten Maßnahmen und damit der rechtsstaatlich gebotenen Durchsetzung wirksamer und vollziehbarer polizeilicher bzw. richterlicher Anordnungen dient, ohne die insoweit eine effektive Aufgabenwahrnehmung und Schutzpflichterfüllung nicht möglich wäre (vgl. auch Grünewald, a. a. O., Art. 17 PAG Rn. 76 b). Soweit der Betroffene, der es in den Fällen des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG in der Regel durch eigenes Verhalten jeweils selbst in der Hand hat, eine Ingewahrsamnahme zu vermeiden, die der Ingewahrsamnahme zugrunde liegende, auf der Grundlage einer drohenden Gefahr erlassene Maßnahme als solche für nicht gerechtfertigt hält, stehen ihm die gegen diese Maßnahme bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten einschließlich der Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes offen.
120
dd) Allein die Möglichkeit einer fehlerhaften Anwendung des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG im Einzelfall macht die Regelungen nicht verfassungswidrig, zumal diese unter dem Gebot einer verfassungskonformen, freiheitssichernden Anwendung im Einzelfall stehen, die auch möglich ist, ohne dass noch gegen Art. 102 Abs. 1 BV verstoßende Schutzlücken verblieben (vgl. VerfGHE 43, 107/127). Eine verfassungskonforme Anwendung im Einzelfall ist bei Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG sowohl auf der Ebene des Tatbestands („unerlässlich“) als auch auf der Ebene der Rechtsfolge („kann“) möglich, wobei das Tatbestandsmerkmal „unerlässlich“ Geeignetheit und Erforderlichkeit im Sinn einer strikten Verhältnismäßigkeit bedeutet (vgl. BVerwGE 45, 51/56). Für Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG gilt, wie ausgeführt, ebenfalls das ultima ratio-Prinzip, im Übrigen hat die verfassungskonforme Anwendung auf der Rechtsfolgenseite („kann“) stattzufinden. Gegen dennoch verfassungswidrige Freiheitsentziehungen in fehlerhafter Anwendung des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG besteht hinreichender Schutz durch freiheitssichernde Verfahrensregelungen. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 und Art. 96 Abs. 2 Satz 1 PAG sind Maßnahmen, die – wie Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG (vgl. Art. 97 Abs. 1, Art. 94 Nr. 7 PAG) – eine richterliche Bestätigung oder Anordnung erfordern, unverzüglich zu beenden, sobald die Anordnungsvoraussetzungen entfallen, sie sind also von Amts wegen auch und gerade unter verfassungsrechtlicher Kontrolle zu halten. Gemäß Art. 96 Abs. 2 Satz 1 PAG kann auch jede davon betroffene Person jederzeit ohne besondere Voraussetzungen auf eine Beendigung ihrer Ingewahrsamnahme nach Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 oder 5 PAG hinwirken. Wird eine Person aufgrund von Art. 17 PAG festgehalten, hat die Polizei ferner nach Art. 18 und 97 Abs. 1 PAG unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und die Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, womit die verfassungskonforme Anwendung der Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG spätestens dann auch zur Aufgabe der Judikative wird, gegen deren Entscheidungen für die in Gewahrsam genommene Person nach Maßgabe des Art. 99 PAG die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde offenstehen.
121
3. Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG verstoßen auch nicht gegen weitere Normen der Bayerischen Verfassung.
122
Gegenüber dem spezielleren Freiheitsrecht des Art. 102 Abs. 1 BV tritt die in Art. 101 BV verbürgte allgemeine Handlungsfreiheit zurück. Dies gilt ebenso für weitere Freiheitsrechte wie das Grundrecht der Freizügigkeit nach Art. 109 BV. Ist eine Freiheitsentziehung verfassungsrechtlich gerechtfertigt, sind damit zugleich Eingriffe in Grundrechte gerechtfertigt, die mit der Freiheitsentziehung gleichzeitig und zwangsläufig verbunden sind (vgl. VerfGHE 43, 107/130, 137 und Leitsatz 3; Lindner in Lindner/Möstl/Wolff, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 102 Rn. 4).
123
Eine Verletzung der Versammlungsfreiheit (Art. 113 BV) durch auf Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG gestützte freiheitsbeschränkende Eingriffe scheidet im Anwendungsbereich des Bayerischen Versammlungsgesetzes infolge der sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts von vornherein aus (vgl. dazu VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 95 m. w. N.). Soweit auch der Zugang zu einer Versammlung vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit erfasst ist (vgl. VerfGHE 43, 107/129; BVerfGE 69, 315/349), ist nicht ersichtlich, inwiefern Maßnahmen der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung von Anordnungen nach Art. 16 oder nach Art. 34 PAG faktische bzw. mittelbare Eingriffe in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit darstellen könnten.
124
Auf den behaupteten Verstoß gegen Art. 98 Satz 2 BV kommt es nicht an. Wenn – wie gezeigt – gesetzliche Vorschriften (wie hier Art. 17 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 PAG) über die Einschränkung der Bewegungsfreiheit mit den sonstigen maßgebenden Verfassungsgrundsätzen, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in Einklang stehen, ist nicht mehr zu prüfen, ob die besonderen Voraussetzungen des Art. 98 Satz 2 BV erfüllt sind (so bereits VerfGHE 43, 107/130 m. w. N.; vgl. auch VerfGH vom 20.4.2023 – Vf. 4-VII-22 – juris Rn. 25, 34). Dies ist hier der Fall.
125
Auch Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG über die höchstzulässige Dauer des Gewahrsams ist mit dem Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 102 Abs. 1 BV vereinbar.
126
1. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG bedarf zunächst der Auslegung, um seinen einfachrechtlichen Anwendungs- und Wirkungsbereich zu ermitteln. Erst nach der Feststellung des konkreten Inhalts der Norm und ihrer systematischen Einordnung kann beurteilt werden, ob die angegriffene Regelung mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist oder nicht. Für die Auslegung einer Rechtsvorschrift maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus ihrem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt. Mittel dazu bilden die Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift (grammatikalische Auslegung), aus ihrem Zusammenhang (systematische Auslegung), aus ihrem Zweck (teleologische Auslegung) und aus den Gesetzesmaterialien (historische Auslegung). Diese Methoden schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich gegenseitig (ständige Rechtsprechung, vgl. VerfGH BayVBl 2022, 475 Rn. 50; 2022, 702 Rn. 53, jeweils m. w. N.).
127
Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG steht in systematischem Zusammenhang mit den Regelungen über Freiheitsentziehungen nach Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG und bezieht sich auf alle richterlichen Entscheidungen über die dort aufgeführten polizeilichen Freiheitsentziehungen. Dabei handelt es sich um folgende zehn Anwendungsbereiche (vgl. auch Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, 6. Aufl. 2023, Art. 20 PAG Rn. 5):
(1) Art. 13 Abs. 2 Satz 4 PAG (Gewahrsam zur Durchsetzung einer Identitätsfeststellung),
(2) Art. 14 Abs. 7 Satz 2 PAG (Gewahrsam zur Durchsetzung der Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen),
(3) Art. 15 Abs. 3 Satz 2 PAG (Gewahrsam zur Durchsetzung einer Vorladung)
(4) Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 PAG (Gewahrsam zum Schutz einer Person),
(5) Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG (Gewahrsam zur Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat),
(6) Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG (Gewahrsam zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut),
(7) Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 PAG (Gewahrsam zur Durchsetzung von Platzverweis, Kontaktverbot, Aufenthalts- oder Meldeanordnung),
(8) Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG (Gewahrsam zur Durchsetzung einer Anordnung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung),
(9) Art. 17 Abs. 2 PAG (Gewahrsam Minderjähriger, um sie den Sorgeberechtigten oder dem Jugendamt zuzuführen),
(10) Art. 17 Abs. 3 PAG (Gewahrsam einer aus der Freiheitsentziehung entwichenen Person, um sie in die Anstalt zurückzubringen).
128
Die Regelung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG über die Höchstdauer der Freiheitsentziehung von jeweils bis zu einem Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten gilt, wie sich insbesondere aus Art. 20 Abs. 1 PAG ergibt, nur für Fälle, in denen der Gewahrsamsgrund nicht weggefallen ist (vgl. dazu Schmidbauer, a. a. O., Art. 20 PAG Rn. 4 ff.), mithin nur bei noch andauernder Gefahrenlage. Die Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams in diesen Fällen hat der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 PAG dem zuständigen Richter überantwortet. Der Richter hat im Einzelfall in seiner Entscheidung die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen. Die Dauer des Gewahrsams muss dabei am jeweiligen Zweck der Maßnahme und am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet sein (vgl. LT-Drs. 17/16299 S. 13 zur Vorgängerregelung des Art. 20 Nr. 3 Sätze 2 und 3 PAG 2017), darf aber nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG die Höchstdauer von einem Monat nicht übersteigen und insgesamt nur bis maximal zwei Monate verlängert werden. So darf etwa im Fall des Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG die Höchstfrist nur ausgeschöpft werden, wenn dies (weiterhin) unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern (vgl. LT-Drs. 11/9078 S. 6 zu Art. 19 Nr. 3 PAG 1989).
129
2. Dies zugrunde gelegt, verstößt Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht gegen das Grundrecht der Freiheit der Person i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV.
130
a) Entgegen der Ansicht der Antragsteller fehlt dem bayerischen Landesgesetzgeber für die Regelung der Dauer des Präventivgewahrsams gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht die Gesetzgebungskompetenz, sodass das Rechtsstaatsprinzip insoweit wegen eines offensichtlichen und schwerwiegenden Verstoßes gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes (Art. 70 ff. GG) verletzt wäre (vgl. oben unter A. 1. sowie VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 59 m. w. N.).
131
Nach Art. 30 und 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Das allgemeine Polizei- und Sicherheitsrecht, das der präventiv-polizeilichen Gefahrenabwehr dient, ist in den Art. 73 bis 75 GG nicht als selbstständiger Sachbereich aufgeführt und gehört deshalb zur Gesetzgebungskompetenz der Länder. Präventivpolizeiliche Maßnahmen bezwecken die Abwehr und die Beseitigung von Gefahren oder Störungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung einschließlich der Verhütung oder der Unterbindung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Demgegenüber zielen Maßnahmen der Strafverfolgung auf die Aufklärung und Ahndung bereits begangener Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten (so bereits VerfGHE 43, 107/121 zur Gewahrsamsdauer von bis zu 14 Tagen nach Art. 19 Nr. 3 PAG 1989). Die Regelungen über die Dauer eines Gewahrsams in den Fällen der Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG dienen der Durchsetzung präventiv-polizeilicher Maßnahmen, dem vorbeugenden Schutz von Personen bzw. der Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten. Sie betreffen damit den präventiv-polizeilichen Bereich, für den ausschließlich die Länder gesetzgebungsbefugt sind.
132
b) Die Regelung über die Dauer eines Gewahrsams von bis zu zwei Monaten verstößt auch nicht deswegen gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil sie offensichtlich in Widerspruch zu Bundesrecht, nämlich zu dem Verbot der Überschreitung der Dauer einer Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung von insgesamt zwölf Stunden nach § 163 c Abs. 2 StPO, stünde, wie die Antragsteller meinen. Denn die Vorschrift des § 163 c StPO setzt, wie sich bereits aus dem Wortlaut der in Abs. 1 in Bezug genommenen Bestimmung des § 163 b StPO ergibt, den Verdacht einer begangenen Straftat voraus. Eine polizeiliche Ingewahrsamnahme auf dieser Grundlage dient ausschließlich polizeilichen Maßnahmen der Strafverfolgung, ist also im Gegensatz zu dem der Gefahrenabwehr dienenden Präventivgewahrsam nach Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG repressiver Natur. Wegen des grundsätzlichen Unterschieds zwischen den bundesrechtlichen Regelungen der Strafverfolgung einerseits und den landesrechtlichen Regelungen zur Gefahrenabwehr andererseits ist es im vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung, dass § 163 c Abs. 2 StPO für die Identitätsfeststellung im Rahmen der Strafverfolgung nur eine Freiheitsentziehung von höchstens zwölf Stunden zulässt, während ein präventiv-polizeilicher Gewahrsam nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG bis zu zwei Monate andauern kann (vgl. VerfGHE 43, 107/122 zur Gewahrsamsdauer von bis zu 14 Tagen nach Art. 19 Nr. 3 PAG 1989).
133
c) Ebenso wenig verletzt die Regelung den im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Bestimmtheitsgrundsatz.
134
Vor dem Hintergrund, dass Freiheitsentziehungen besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe sind, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Regelungen über eine Freiheitsentziehung hinreichend klar zu bestimmen und in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu fassen. Dies gilt insbesondere für präventive Freiheitsentziehungen, die ebenso stark in das Grundrecht des Art. 102 BV eingreifen wie Freiheitsstrafen. Der Gesetzgeber muss dabei nicht nur bestimmen, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen die freiheitsentziehende Maßnahme überhaupt angeordnet werden kann, sondern auch sicherstellen, dass Entscheidungen über die Freiheitsentziehung aufgrund einer Prognose keine von vornherein unbegrenzte Wirkung zukommt. Die Unsicherheit, die jeder Prognose innewohnt, erfordert bei einer präventiven Freiheitsbeschränkung eine angemessene Entscheidung des Gesetzgebers darüber, welche zeitliche Wirkung der Prognoseentscheidung zukommt und wann diese zu überprüfen ist (vgl. BVerfG vom 5.2.2004 BVerfGE 109, 133/188; vom 11.7.2013 BVerfGE 134, 33 Rn. 125).
135
Dem entspricht Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG mit der Festlegung der höchstzulässigen Dauer des Gewahrsams auf jeweils einen Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis insgesamt längstens zwei Monaten, die der zuständige Richter unter Berücksichtigung des jeweiligen Zwecks des Gewahrsams und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Einzelfall anordnen kann.
136
Aus der gesetzlichen Formulierung, dass die Dauer der Freiheitsentziehung jeweils nicht mehr als einen Monat betragen darf und insgesamt nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden kann, lässt sich mit hinreichender Klarheit die zulässige Dauer der richterlich anzuordnenden Freiheitentziehung erkennen. Dies gilt auch für das Wort „jeweils“, das sich erkennbar auf die jeweilige richterliche Anordnung der Dauer der Freiheitsentziehung bezieht. Der Gesetzgeber hat mit der Formulierung klargestellt, dass die Gewahrsamsdauer im Einzelfall von dem Gericht nicht starr festzulegen ist und nicht nur einmalig um einen (weiteren) Monat verlängert werden kann, sondern eine Verlängerung innerhalb der höchstzulässigen Gesamtdauer von zwei Monaten im Interesse des Betroffenen flexibel auch mehrmals mit jeweils kürzerer Dauer als einem Monat zulässig ist. Eine unbegrenzte Gewahrsamsdauer wird entgegen der Auffassung der Antragsteller mit dieser Regelung nicht ermöglicht, da die höchstzulässige Gesamtdauer der Freiheitsentziehung von insgesamt zwei Monaten auch bei mehrfacher Verlängerung nicht überschritten werden darf (vgl. LT-Drs. 18/13716 S. 28).
137
d) Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG enthält keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Art. 102 BV.
138
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung des Gewahrsams von Bedeutung, sondern setzt auch der Gewahrsamsdauer Grenzen (vgl. BVerfG vom 12.12.1973 BVerfGE 36, 264/271; vom 23.1.2019 NJW 2019, 915 Rn. 55; vom 1.12.2020 – 2 BvR 1853/20 – juris Rn. 26, jeweils zur Untersuchungshaft). Der Eingriff in die Freiheit der Person ist nur solange hinzunehmen, als der legitime Schutzanspruch der staatlichen Gemeinschaft nicht anders gesichert werden kann als durch Inhaftierung (vgl. BVerfG vom 6.6.2007 – 2 BvR 971/07 – juris Rn. 21 = BVerfGK 11, 286 zur Untersuchungshaft). Mit zunehmender Gewahrsamsdauer vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Gefahrenprävention (vgl. BVerfG vom 13.9.2001 NJW 2002, 207/208; vom 13.10.2016 – 2 BvR 1275/16 – juris Rn. 42 ff.; vom 1.12.2020 – 2 BvR 1853/20 – juris Rn. 26, jeweils zur Untersuchungshaft). Je länger ein präventiv-polizeilicher Gewahrsam dauert, desto strenger sind deshalb die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs (vgl. BVerfGE 109, 133/159). Aus diesem Grund darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts etwa eine Überschreitung der in § 121 Abs. 1 StPO bestimmten Höchstdauer der Untersuchungshaft von sechs Monaten nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall nur ganz ausnahmsweise als zulässig erachtet werden (vgl. BVerfG vom 3.5.1966 BVerfGE 20, 45/49 f.; 36, 264/271; vom 6.6.2007 – 2 BvR 971/07 – juris Rn. 22).
139
Zu diesen Verhältnismäßigkeitsanforderungen steht Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht in Widerspruch. Die gesetzliche Vorgabe der höchstzulässigen Dauer des Präventivgewahrsams von einem Monat mit Verlängerungsmöglichkeit bis zu insgesamt maximal zwei Monaten dient einem legitimen Ziel (aa)) und ist hierfür geeignet (bb)) sowie erforderlich (cc)). Die Regelung ist auch angemessen; das Übermaßverbot gebietet nicht, die Dauer des Gewahrsams kürzer zu bemessen (dd)) .
140
aa) Mit der Bestimmung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG über die gesetzliche Höchstfrist der vom Richter anzuordnenden Dauer des Präventivgewahrsams von bis zu zwei Monaten verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel.
141
Regelungen über die polizeiliche Ingewahrsamnahme aus den im Polizeiaufgabengesetz angeführten Gründen dienen in erster Linie der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit oder den Einzelnen, namentlich dem Schutz von Leib und Leben (Art. 17 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 und 3 PAG), der Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat (Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG), dem Schutz anderer bedeutender Rechtsgüter im Sinn des Art. 11 a Abs. 3 PAG (Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG) sowie der effektiven Durchsetzung polizeilicher Anordnungen (Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2, Art. 17 Abs. 1 Nr. 4 und 5 PAG), und damit der Erfüllung des staatlichen Schutzauftrags nach Art. 99 Satz 2 BV (vgl. oben A. 2 b) bb)).
142
Ist eine Gefahrenlage, aufgrund derer eine Ingewahrsamnahme durch die Polizei erfolgt, nicht unmittelbar nach ihrer Entstehung wieder beendet, sondern dauert sie weiter an, hat die Polizei entsprechend den Vorgaben des Art. 102 Abs. 2 BV nach Art. 18 PAG unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und die Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen (Art. 97 Abs. 1 PAG). In der richterlichen Entscheidung ist nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 PAG die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen, die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG nicht mehr als einen Monat betragen darf und insgesamt nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden kann.
143
Die Regelung über die richterlich anzuordnende Fortdauer des polizeilichen Gewahrsams bezweckt mithin die (weitere) Abwehr anhaltender Gefahrenlagen. Zum staatlichen Schutzauftrag nach Art. 99 Satz 2 BV gehört es nicht nur, kurzfristige Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren, sondern auch, solchen Gefahrenlagen zu begegnen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Die staatliche Pflicht zum Schutz der Allgemeinheit oder von Einzelnen vor Gefahren für die öffentliche Sicherheit besteht grundsätzlich so lange, wie die Gefahren im Einzelfall andauern. Die Dauer einer nicht anders als durch die Aufrechterhaltung einer Ingewahrsamnahme abwendbaren Gefahr bestimmt damit grundsätzlich auch die Dauer des Gewahrsams. Dem trägt etwa auch die Regelung des Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 PAG Rechnung, wonach die festgehaltene Person zu entlassen ist, sobald der gesetzlich bestimmte Grund für die Maßnahme weggefallen ist.
144
Die Entscheidung über die konkrete Dauer eines Freiheitsentzugs im Einzelfall hat der Gesetzgeber nicht selbst getroffen, sondern in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG entsprechend dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Richtervorbehalt (Art. 102 Abs. 2 Satz 3 BV, Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG) dem Richter überantwortet, der im jeweiligen Einzelfall bei der Anordnung der Fortdauer der polizeilichen Freiheitsentziehung und bei der Bemessung ihrer Dauer das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 102 Abs. 1 BV in Verbindung mit dem Übermaßverbot (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, Art. 4 PAG) zu beachten hat (vgl. VerfGHE 43, 107/133). Allerdings hat der Gesetzgeber die Entscheidung über die Dauer des Gewahrsams nicht vollständig der richterlichen Entscheidung überlassen, sondern entsprechend seinem Auftrag, bei Grundrechtseingriffen zwischen Allgemein- und Individualinteressen einen angemessenen Ausgleich herbeizuführen, durch die Festlegung einer Obergrenze von jeweils einem Monat und einer absoluten Obergrenze von insgesamt zwei Monaten beschränkt.
145
Er ist damit einem Vorschlag der PAG-Kommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes gefolgt (LT-Drs. 18/13716 S. 2, 28), die mit Blick auf den erheblichen Eingriff in das Grundrecht der Freiheit der Person auch bei Unterbindung bloßer Ordnungswidrigkeiten, auf die bestehende Anwendungspraxis und auf bestehende Regelungen über die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr (§ 112 a StPO) sowie über freiheitsentziehende Maßregeln der Sicherungsverwahrung und die Therapieunterbringung eine deutliche Reduzierung der mit dem Gesetz vom 24. Juli 2017 normierten Obergrenze vorgeschlagen hat (vgl. Abschlussbericht der PAG-Kommission S. 59 f.). Der Gesetzgeber hatte diese Obergrenze zunächst mit dem Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 von der zuvor geltenden, durch Gesetz vom 23. März 1989 normierten Höchstdauer von 14 Tagen (vgl. Art. 19 Nr. 3 PAG 1989 bzw. Art. 20 Nr. 3 PAG 1990) auf drei Monate mit (theoretisch unbegrenzter) Möglichkeit zur Verlängerung um jeweils weitere drei Monate angehoben (vgl. Art. 20 Nr. 3 Satz 3 PAG 2017). Er hatte sich dabei – unter Hinweis auf die Regelungen in Schleswig-Holstein (§ 204 Abs. 5 Satz 2 Landesverwaltungsgesetz) und Bremen (§ 18 Abs. 1 Bremisches Polizeigesetz), die keinerlei Höchstfrist für den Präventivgewahrsam vorsehen – von der Erwägung leiten lassen, dass eine absolute gesetzliche Obergrenze für eine richterlich festzusetzende Höchstdauer einer Freiheitsentziehung von 14 Tagen durch Art. 104 Abs. 2 GG und Art. 102 Abs. 2 Satz 1 BV nicht geboten sei und die bisherigen Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes (einschließlich einer Gewahrsamsdauer von maximal 14 Tagen) aufgrund der seit dem Jahr 2016 veränderten nationalen und internationalen Gefährdung durch verschiedene Formen des Terrorismus und Extremismus ergänzt werden müssten (vgl. LT-Drs. 17/16299 S. 1, 9 und 13). Als Reaktion auf die veränderte Bedrohungslage hatte er u. a. eine Ergänzung der Gewahrsamsgründe in Art. 17 Abs. 1 PAG und die Aufhebung der absoluten Befristung der richterlicher Entscheidung unterliegenden Höchstdauer des Präventivgewahrsams beschlossen.
146
Mit dem Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 wurde die Gewahrsamsdauer sodann durch den aktuell geltenden Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG auf insgesamt maximal zwei Monate beschränkt. Die Festlegung dieser Höchstfrist dient dem Ausgleich zwischen Allgemein- und Individualinteressen und damit neben der Gefahrenabwehr zugleich der Sicherung des Freiheitsgrundrechts der in Gewahrsam genommenen Personen. Ihr liegt die Wertung zugrunde, dass bei einer Dauer des Präventivgewahrsams von mehr als zwei Monaten ungeachtet einer fortbestehenden Gefahrenlage der staatliche Schutzauftrag gegenüber dem Freiheitsanspruch des Einzelnen zurückzutreten hat und der Betroffene aus dem Gewahrsam zu entlassen ist. Gesetzgeberisches Ziel für die Festlegung der absoluten Höchstgrenze der Gewahrsamsdauer auf maximal zwei Monate ist mithin die effektive Abwehr anhaltender Gefahrenlagen unter Berücksichtigung des Freiheitsanspruchs des Betroffenen. Hierbei handelt es sich um einen legitimen Zweck.
147
bb) Die Fortdauer des Gewahrsams bis zur Obergrenze von insgesamt zwei Monaten ist der Abwehr anhaltender Gefahrenlagen unter Sicherung des Freiheitsanspruchs des Betroffenen förderlich und damit zur Erfüllung des Gesetzeszwecks geeignet (vgl. zum Kriterium der Geeignetheit VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 101 m. w. N.).
148
Der Gesetzgeber durfte im Rahmen seines Beurteilungsspielraums davon ausgehen, dass es Gefahrenlagen geben kann, welche die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 am 1. August 2017 geltende Dauer von 14 Tagen übersteigen und bis zu zwei Monate andauern können. Eine anhaltende Gefahrenlage entfällt nicht notwendig nach einer bestimmten Zeit. Welchen Zeitraum eine Gefahrenlage im Sinn des Art. 17 PAG andauern kann, lässt sich daher nicht generell-abstrakt bestimmen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfG vom 26.5.1970 BVerfGE 28, 264/280 f. zum wiederholten Arrest im Disziplinarrecht; BVerfGE 109, 133/188 f. zur Sicherungsverwahrung; vom 8.11.2006 BVerfGE 117, 71/113 f. zur Strafrestaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe). Auch aus diesem Grund ist es – unbeschadet des Art. 102 Abs. 2 BV – gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber die Entscheidung über die konkrete Dauer des Gewahrsams bei anhaltender Gefahrenlage nicht selbst gesetzlich geregelt, sondern gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 PAG die Entscheidung im Einzelfall einem unabhängigen Richter überantwortet hat. Der Richter übernimmt damit konstitutiv die Verantwortung für die Freiheitsentziehung (VerfGHE 43, 107/135).
149
Es erscheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass es Gefahrenlagen geben kann, die bis zu zwei Monate andauern (selbst wenn es sich dabei nicht um terroristische oder extremistische Taten handelt). Beispiele wären etwa die Ankündigung schwerer Straftaten gegen öffentliche Einrichtungen oder gegen in der Öffentlichkeit stehende Personen im Rahmen länger oder ohne bestimmten zeitlichen Rahmen andauernder Veranstaltungen (vgl. auch Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Polizeiaufgabengesetz Polizeiorganisationsgesetz, Art. 20 PAG Rn. 19). Auch das unmittelbare Bevorstehen der Begehung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit kann eine anhaltende Gefahrenlage mit gravierenden Auswirkungen auf die Allgemeinheit begründen, etwa bei fortdauernden Verstößen gegen Bestimmungen des Umwelt- und Naturschutzrechts (vgl. § 103 WHG, § 69 BNatSchG).
150
Eine Differenzierung nach den einzelnen in den Regelungen der Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG enthaltenen Gewahrsamsgründen war dabei nicht geboten, zumal sich, wie ausgeführt, die Dauer einer fortdauernden Gefahrenlage nicht generell-abstrakt bestimmen lässt. Dies gilt auch in Bezug auf die einzelnen Gewahrsamsgründe. Im Übrigen handelt es sich bei der Frist des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG um eine Höchstgrenze für die richterliche Entscheidung, die keine Bindung für die vom Richter nach jeweils pflichtgemäßem Ermessen konstitutiv unter Zugrundelegung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festzulegende Gewahrsamsdauer unterhalb dieser Frist entfaltet (a. A. SächsVerfGH vom 14.5.1996 LVerfGE 4, 303/339 f.).
151
cc) Die Regelung ist auch erforderlich. Insbesondere durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass ein anderes effektives, die Betroffenen weniger belastendes Mittel, insbesondere eine kürzere Dauer, nicht ausreichen würde, um länger anhaltende Gefahren im Sinn des Art. 17 PAG abzuwehren (vgl. zum Kriterium der Erforderlichkeit VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 105 m. w. N.). Mit einer kürzeren Gewahrsamsdauer kann länger anhaltenden Gefahrenlagen, die die Dauer des Gewahrsams überschreiten, nicht ebenso effektiv begegnet werden.
152
dd) Die Regelung über die Fortdauer des Gewahrsams bis zu einer absoluten Höchstfrist von zwei Monaten ist auch angemessen.
153
(1) Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn verlangt, dass die Einbuße an grundrechtlich geschützter Freiheit in keinem unangemessenen Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken stehen darf, denen eine Grundrechtsbeschränkung dient. Der Gesetzgeber muss zwischen Allgemein- und Individualinteressen einen angemessenen Ausgleich herbeiführen. Dabei muss das Übermaßverbot gewahrt bleiben. Hierfür sind in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs der Bedeutung der Regelung für eine wirksame staatliche Aufgabenwahrnehmung gegenüberzustellen. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn hat der Gesetzgeber die Ausgewogenheit zwischen der Art und Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung einerseits und den zum Eingriff berechtigenden Tatbestandselementen andererseits zu wahren; zu Letzteren gehören die Eingriffsschwelle, die erforderliche Tatsachenbasis und das Gewicht der geschützten Rechtsgüter (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 702 Rn. 108 m. w. N.).
154
Das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt einen gerechten und vertretbaren Ausgleich. Je länger der Gewahrsam andauert, umso strenger sind die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs. Die Grenzen der Zumutbarkeit müssen gewahrt bleiben. Das Freiheitsgrundrecht der Betroffenen ist sowohl auf der Ebene des Verfahrensrechts als auch materiell-rechtlich abzusichern (vgl. BVerfG vom 8.10.1985 BVerfGE 70, 297/307 f. zum Unterbringungsverfahren; BVerfGE 109, 133/159; 128, 326/373; vom 20.6.2012 BVerfGE 131, 268/291, jeweils zur Sicherungsverwahrung).
155
Mit der Fortdauer des Gewahrsams ergeben sich damit zum einen – unabhängig von den Anforderungen des Art. 102 Abs. 2 BV – verfahrensrechtliche Anforderungen. So müssen die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Fortdauer des Gewahrsams im Einzelfall nicht nur besonders sorgfältig geprüft (vgl. VerfGHE 43, 107/134; BVerfGE 117, 71/97 f.), sondern auch begründet werden (vgl. BVerfG vom 19.6.2012 NStZ 2013, 116/117; NJW 2019, 915 Rn. 55; vom 9.3.2020 – 2 BvR 103/20 – juris Rn. 65 ff.; vom 1.12.2020 – 2 BvR 1853/20 – juris Rn. 29). Bei besonders lang andauerndem Freiheitsentzug muss der Gesetzgeber zudem bei der Ausgestaltung des Präventivgewahrsams dem besonderen Charakter des in ihm liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung und dafür Sorge tragen, dass über den unabdingbaren Entzug der „äußeren“ Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden. Insbesondere ist die Freiheitsentziehung infolge des fehlenden Schuldausgleichs – in deutlichem Abstand zum Strafvollzug – so auszugestalten, dass die Perspektive der Wiedererlangung der Freiheit sichtbar die Praxis der Unterbringung bestimmt (sog. „Abstandsgebot“, vgl. BVerfGE 109, 133/166 f.; 128, 326/374 f., jeweils zur Sicherungsverwahrung; 134, 33 Rn. 74, 84 zur Therapieunterbringung; SächsVerfGH vom 12.12.2019 – Vf. 32-IV-19 – juris Rn. 15 zur Sicherungsverwahrung). Zum anderen fordert das Übermaßverbot materiell-rechtlich eine gerechte Abwägung der Gemeinwohlbelange mit dem Freiheitsanspruch des Betroffenen (vgl. BVerfGE 70, 297/311; 109, 133/159).
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(2) Mit diesen Maßstäben ist die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG festgelegte Höchstfrist für den Präventivgewahrsam vereinbar.
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Zwar handelt es sich bei einem auf zwei Monate begrenzten polizeilichen Präventivgewahrsam um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, der für den Betroffenen neben dem unumkehrbaren Entzug der körperlichen Bewegungsfreiheit und der Beeinträchtigung anderer Grundrechte, die während des Gewahrsams zwangsläufig nicht ausgeübt werden können, sowie der damit verbundenen psychischen Belastung vielerlei weitere negative Folgen haben kann (etwa in Bezug auf den Arbeitsplatz und das soziale Umfeld). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Anordnung einer polizeilichen Ingewahrsamnahme – wie sich aus dem im Einzelfall anzuwendenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG) und aus den Tatbestandsmerkmalen zu den einzelnen Gewahrsamsgründen ergibt – nur als letztes Mittel zugelassen ist, wenn zur Gefahrenabwehr kein anderes, den Betroffenen weniger belastendes Mittel ausreicht, um dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechnung zu tragen (sog. ultima ratio-Prinzip). Auch ist die Ausschöpfung der Höchstfrist nicht zwingend vorgegeben. Vielmehr wird die Dauer des Gewahrsams im Einzelfall von einem unabhängigen Richter unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des Gewahrsamsgrunds, festgelegt. Die Fortdauer des Gewahrsams ist zudem an die Fortdauer des jeweiligen Gewahrsamsgrunds geknüpft (vgl. Art. 20 Abs. 1 Nr. 1 PAG). Andere Gründe, die im Verantwortungsbereich der Behörden oder Gerichte liegen, wie etwa die Notwendigkeit von Ermittlungen oder die Überlastung von Gerichten, können die Fortdauer eines Präventivgewahrsams nicht begründen (vgl. BVerfG vom 1.4.2020 – 2 BvR 225/20 – juris Rn. 62 zur Untersuchungshaft). Eine Gewahrsamshöchstdauer von zwei Monaten wird daher in der Praxis nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen (vgl. auch Kommissionsbericht für die Zeit zwischen 2017 und 2019, in der noch Art. 20 PAG 2017 galt). Neben den materiellen Eingriffsschwellen sieht das Gesetz zudem in Art. 19 PAG (Belehrung, Gelegenheit zur Benachrichtigung, Privilegierung festgehaltener Personen gegenüber Straf- und Untersuchungsgefangen), Art. 20 Abs. 2 PAG (Überprüfung der Gewahrsamsvoraussetzungen durch den Richter spätestens nach einem Monat im Rahmen der Entscheidung über eine Verlängerung) und Art. 97 Abs. 4 PAG (Bestellung eines anwaltlichen Vertreters von Amts wegen im Fall fehlender anwaltlicher Vertretung des Betroffenen) verfahrensrechtliche Flankierungen zur Abmilderung des Eingriffsgewichts vor. Mit der Möglichkeit der Beschwerde zu den Landgerichten (Art. 99 Abs. 1 PAG) und der Rechtsbeschwerde zum Bayerischen Obersten Landesgericht (Art. 99 Abs. 2 PAG) ist zudem effektiver Rechtsschutz gewährleistet.
158
Der Eingriff durch einen bis zu zwei Monate dauernden Gewahrsam steht damit zu dem angestrebten Ziel der Abwehr anhaltender Gefahrenlagen zum Schutz der durch Art. 13 Abs. 2 Satz 4, Art. 14 Abs. 7 Satz 2, Art. 15 Abs. 3 Satz 2 und Art. 17 PAG geschützten hochrangigen Rechtsgüter nicht in unangemessenem Verhältnis und stellt für den Einzelnen keine unzumutbare Beeinträchtigung dar.
159
(3) Dem steht nicht entgegen, dass der Anordnung der Fortdauer des Gewahrsams speziell bei den Gewahrsamsgründen des Art. 17 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 3, Abs. 2 und 3 PAG, die nicht der Durchsetzung von polizeilichen Anordnungen oder der Zuführung von Personen, sondern der Gefahrenabwehr dienen, eine Prognose des Eintritts eines Schadens für eines der oben (unter aa)) angeführten Rechtsgüter zugrunde liegt, die naturgemäß auch die Gefahr einer Fehlprognose in sich birgt. Die Prognose ist als Grundlage jeder Gefahrenabwehr unverzichtbar (vgl. BVerfG vom 3.3.2004 BVerfGE 109,133/158). Nach den gesetzlichen Bestimmungen muss für die Anordnung einer Ingewahrsamnahme bei diesen Gewahrsamsgründen eine konkrete Gefahr im Sinn des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 PAG vorliegen, also eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass es zu einem Schaden für die betroffenen Rechtsgüter kommen wird. Eine Ingewahrsamnahme lediglich auf der Grundlage eines bloßen Verdachts oder aufgrund einer nur drohenden Gefahr im Sinn des Art. 11 a PAG ist nicht vorgesehen. Der Gewahrsam kann daher nach der gesetzlichen Ausgestaltung nicht rein vorsorglich angeordnet werden. Bestehen aber hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr für diese Rechtsgüter, stellt es sich nicht als unangemessen dar, wenn der Betroffene, obwohl letzte Zweifel nicht ausgeräumt werden können, mit einem Präventivgewahrsam von bis zu zwei Monaten belastet wird (vgl. BVerfG vom 20.6.2012 BVerfGE 131, 268/291 f.).
160
(4) Eine andere Bewertung hinsichtlich der Angemessenheit eines bis zu zwei Monate andauernden Präventivgewahrsams ist auch nicht durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, 190) veranlasst. Darin hat das Bundesverfassungsgericht in einem sog. obiter dictum u. a. betreffend das Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern (BayStrUBG) vom 24. Dezember 2001 (GVBl S. 978), das für die Straftäterunterbringung eine Anlasstat vorausgesetzt und die Abwehr künftiger Straftaten bezweckt hatte, ausgeführt, dass eine Erstreckung des Gesetzes auf nicht strafrechtlich verurteilte Personen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht vertretbar gewesen wäre. Denn es sei – abgesehen von Zwangsmaßnahmen der Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz und von der landesgesetzlich geregelten Unterbringung psychisch Kranker – gerade und ausschließlich das schwerwiegende und dem Betroffenen zurechenbare Indiz der Anlasstaten, welches den Staat berechtige, die Gefährlichkeit seiner Bürger zu überprüfen und auf das Ergebnis dieser Überprüfung eine langfristige schuldunabhängige Freiheitsentziehung zu gründen. Unterhalb dieser Schwelle könne der Staat auf konkrete Gefahrensituationen lediglich mit den situationsbezogenen Instrumenten des Polizeirechts reagieren, zu denen auch der bis zu 14-tägige landesrechtliche Polizeigewahrsam gehören dürfte. Dagegen wäre die längerfristige Verwahrung eines psychisch gesunden und strafrechtlich nicht oder nur unerheblich vorbelasteten Bürgers zum Zweck der Abwehr einer von ihm ausgehenden Gefahr der Begehung von Straftaten mit dem Grundgesetz nicht vereinbar (BVerfGE 109, 190/220).
161
Das Bundesverfassungsgericht hat also auf konkrete Gefahrensituationen bezogene Instrumente des Polizeirechts einerseits von langfristigen schuldunabhängigen Freiheitsentziehungen andererseits abgegrenzt. Eine rein präventiv begründete längerfristige Verwahrung eines psychisch gesunden und strafrechtlich nicht oder nur unerheblich vorbelasteten Bürgers wurde in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar bewertet. Den damaligen, bis zu 14-tägigen landesrechtlichen Polizeigewahrsam hat das Bundesverfassungsgericht als ein auf eine konkrete Gefahrensituation bezogenes – und damit zulässiges – Instrument des Polizeirechts eingeordnet, ohne dabei zum Ausdruck zu bringen, dass genau diese Dauer eine äußerste Grenze im Polizeirecht darstelle.
162
Auch der Präventivgewahrsam nach den aktuellen Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes ist als situationsbezogenes Instrument des Polizeirechts ausgestaltet. Der Gesetzgeber hat für den Gewahrsam auf dieser Grundlage in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG eine absolute Obergrenze insgesamt festgelegt und diese mit zwei Monaten so bemessen, dass darin jedenfalls keine „langfristige Freiheitsentziehung“ bzw. „längerfristige Verwahrung“ im Sinn der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu sehen ist. Hinzu kommt, dass es sich bei einer möglichen Gewahrsamsgesamtdauer von zwei Monaten weder nach allgemeinem noch nach dem speziellen Sprachgebrauch des Strafrechts (vgl. nur die amtliche Überschrift zu § 47 StGB: „Kurze“ Freiheitsstrafe von unter sechs Monaten nur in Ausnahmefällen) um einen „langfristigen“ oder „längerfristigen“ Gewahrsam handelt.
163
(5) Eine konkrete Vorgabe für eine (kürzere) Höchstdauer der durch den Richter angeordneten Freiheitsentziehung kann auch Art. 102 Abs. 2 BV nicht entnommen werden. Eine zeitliche Grenze der Freiheitsentziehung durch den Richter ist in Art. 102 Abs. 2 Satz 3 BV nicht enthalten. Die Begrenzung der Freiheitsentziehung bis zum Ende des Tages nach der Festnahme gilt nur für den von der Polizei allein verfügten Gewahrsam. Die Verfassung hat mit dem Richtervorbehalt des Art. 102 Abs. 2 Satz 3 BV vielmehr die Kompetenz zur Anordnung der Fortdauer einer Freiheitsentziehung ohne Bestimmung einer zeitlichen Höchstgrenze dem gesetzlichen Richter im jeweiligen Einzelfall überantwortet (vgl. VerfGHE 43, 107/133) und im Übrigen auf der Grundlage des allgemeinen Gesetzesvorbehalts (vgl. dazu Pestalozza in Nawiasky/Schweiger/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 102 Rn. 35 ff.) Regelungen zur Einschränkung des Freiheitsgrundrechts einschließlich der Regelung der Dauer des Gewahrsams dem einfachen Gesetzgeber überlassen. Der bayerische Gesetzgeber hat mit Art. 97 Abs. 1 PAG die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung der richterlichen Entscheidung im Einzelfall überantwortet, allerdings mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG der Dauer des Gewahrsams eine allgemeine Obergrenze gesetzt.
164
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Eine Erstattung von Kosten und Auslagen wird nicht angeordnet.
165
Nach Art. 27 Abs. 5 VfGHG kann der Verfassungsgerichtshof die volle oder teilweise Erstattung von Kosten und Auslagen anordnen. Er kann nach seiner Rechtsprechung von dieser Befugnis auch in Fällen Gebrauch machen, in denen – wie hier hinsichtlich Vorgängerregelungen der zuletzt angegriffenen Vorschriften – ein Verfahren eingestellt wird (vgl. VerfGH vom 20.8.2019 BayVBl 2020, 306 Rn. 26).
Vorliegend entspräche die Anordnung einer teilweisen Erstattung schon deswegen nicht der Billigkeit, weil die Popularklage auch im Hinblick auf die ursprünglich angegriffenen Vorschriften weitgehend unzulässig war.