Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 04.08.2023 – 12 Qs 57/23
Titel:

Begründungsumfang von Durchsuchungsbeschlüssen in einer Steuerstrafsache

Normenketten:
StPO § 103
AO § 30
Leitsätze:
Zur Rechtmäßigkeit eines auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschlusses in einer Steuerstrafsache, der mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis keine Begründung des Tatverdachts enthält. (Rn. 9 – 12)
1. Durchsuchungsbeschlüsse sind grundsätzlich zu begründen. Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis (§ 30 AO) müssen in steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren Durchsuchungsbeschlüsse nach § 103 StPO unter Darlegung des Tatvorwurfs knapper oder gar nicht begründet werden können. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Durchsuchungsbeschluss, unverdächtige Personen, Begründungsumfang, steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren, Steuergeheimnis
Vorinstanz:
AG Nürnberg, Beschluss vom 30.01.2023 – 57 Gs 1265/23
Fundstellen:
LSK 2023, 19348
BeckRS 2023, 19348
StV 2023, 730
wistra 2024, 260

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2023 rechtswidrig war.
2. Die bei der Durchsuchung vom 9. Februar 2023 beim Beschwerdeführer sichergestellten Asservate sind an ihn herauszugeben.
3. Die Staatskasse trägt die Kosten der Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.

Gründe

I.
1
Die Beschwerde wendet sich gegen einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss.
2
Das Amtsgericht Nürnberg erließ am 30. Januar 2023 einen auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschluss in einer Steuerstrafsache. Gesucht werden sollte in der Privatwohnung des Beschwerdeführers (Bf.) nach näher bezeichneten Unterlagen der … oHG aus dem Zeitraum 2015 bis 2023. In der Begründung des Beschlusses heißt es:
„Es besteht der Verdacht der Steuerhinterziehung gemäß §§ 369, 370 Abgabenordnung. Genauere Ausführungen zu den Verdachtsgründen sowie zum Tatvorwurf unterbleiben mit Verweis auf das Steuergeheimnis (§ 30 Abgabenordnung). Aus folgenden Tatsachen ist zu schließen, dass die gesuchten Gegenstände sich in den zu durchsuchenden Räumen befinden:“
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Sodann folgen Ausführungen zur Stellung und zu den Aufgaben des Beschwerdeführers in der … oHG, aus denen zu folgern sei, dass sich bei ihm die gesuchten Unterlagen finden könnten.
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Der Durchsuchungsbeschluss wurde am 9. Februar 2023 vollzogen. Die Durchsuchung ist beendet. Am 17. Juli 2023 legte die Rechtsanwältin des Bf. beim Amtsgericht Nürnberg Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein und beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung sowie die Herausgabe der sichergestellten Asservate.
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In dieser Steuerstrafsache hat das Landgericht Nürnberg-Fürth bereits zwei auf § 102 StPO gestützte Durchsuchungsbeschlüsse aus formalen Gründen aufgehoben (Beschluss vom 15. Mai 2023 – 18 Qs 8/23; Beschluss vom 7. Juni 2023 – 12 Qs 24/23, beide in juris). Das Amtsgericht Nürnberg half der Beschwerde mit der Begründung nicht ab, hier habe § 30 AO einer Konkretisierung des Tatvorwurfs im Durchsuchungsbeschluss entgegengestanden.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist begründet.
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1. Die Durchsuchungsanordnung ist zwischenzeitlich vollzogen und damit erledigt. Die Beschwerde kann im gegebenen Fall der Durchsuchung einer Privatwohnung gleichwohl mit dem Ziel geführt werden, dass die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung festgestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 – 1 BvR 1935/96, juris Rn. 18 f.; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., vor § 296, Rn. 18 f. m.w.N.).
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2. Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
9
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Durchsuchungsbeschluss zu begründen. Dazu muss der Beschluss den Tatvorwurf und die gesuchten Beweismittel so beschreiben, dass der äußere Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen die Zwangsmaßnahme durchzuführen ist. Der Richter muss die aufzuklärende Straftat, wenn auch kurz, doch so genau umschreiben, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls möglich ist. Die wesentlichen Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes, die die Strafbarkeit des zu subsumierenden Verhaltens kennzeichnen, müssen benannt werden (BVerfG, Beschluss vom 19.04.2023 – 2 BvR 2180/20, juris Rn. 28 m.w.N.). Daran fehlt es.
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b) Die Vorgabe, die Gründe der Durchsuchungsanordnung zu offenbaren, steht hier allerdings in Widerstreit mit dem Steuergeheimnis (§ 30 AO). Danach dürfen u.a. personenbezogene Daten eines anderen, die im Besteuerungs- oder im Steuerstrafverfahren bekanntgeworden sind, Dritten gegenüber nicht unbefugt offenbart werden.
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aa) Die Offenbarungsbefugnis ließe sich hier möglicherweise aber aus § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO ableiten. Danach ist die Offenbarung geschützter Daten zulässig, soweit sie zur Durchführung eines Steuerstrafverfahrens (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe b AO) dient. Das wird dahin verstanden, dass in steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren die Offenbarung aufgrund des allgemeinen Verfahrensrechts oder des Prozessrechts – also nach der Strafprozessordnung – notwendig sein kann (Rüsken in Klein, AO, 16. Aufl. § 30 Rn. 78). Begreift man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Begründungszwang bei Durchsuchungsbeschlüssen als strikt, würde die Strafprozessordnung hier die Mitteilung des Tatverdachts auch in dem Durchsuchungsbeschluss gebieten – jedenfalls aber ermöglichen –, der nach § 103 StPO gegen einen Dritten erlassen wird.
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bb) Allerdings wird auch vertreten – und die Kammer hält das nicht für abwegig –, dass mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis Durchsuchungsbeschlüsse nach § 103 StPO unter Darlegung des Tatvorwurfs knapper oder gar nicht begründet werden können (BVerfG, Beschluss vom 6. März 2002 – 2 BvR 1619/00, juris Rn. 21; LG Konstanz, Beschluss vom 17. Dezember 1998 – 1 Qs 98/98, wistra 2000, 118; Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, 274. EL, § 30 AO Rn. 156, 291; von Saucken in Esser/Rübenstahl/Saliger/Tsambikakis, WirtschaftsStR, § 105 StPO, Rn. 3; Pflaum in MüKoStPO, 1. Aufl., AO § 30 Rn. 22; a.A. Tormöhlen in Gosch, AO/FGO, 175. EL, § 30 AO Rn. 105; Burkhard, wistra 2000, 118, 119 f.; ders., PStR 2000, 7, 8 f.; Burhoff, PStR 2000, 224, 225). Das erscheint der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzmöglichkeiten des Dritten auch deshalb als gangbar, weil der am Steuerstrafverfahren nicht beteiligte Dritte regelmäßig ohnehin nicht in der Lage ist, der Begründung des Tatverdachts gegen den Beschuldigten entgegenzutreten.
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c) Letztlich kann die Kammer die Streitfrage offenlassen. Denn auch wenn sie annähme, es habe keine Notwendigkeit bestanden, die Begründung im angegriffenen Beschluss mitzuteilen, wäre er aufzuheben gewesen. Denn die Kammer hat sich schon bei dem Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschuldigten vom 30. Januar 2023 (12 Qs 24/23, juris) keine Überzeugung bilden können, der Ermittlungsrichter habe ihn eigenständig geprüft. Dies ergab sich aus den formalen Mängeln des Beschlusses. Bei dem angegriffenen Beschluss handelt es sich materiell um eine von dem bereits aufgehobenen Beschluss abgeleitete Entscheidung. Der nicht dolose Bf. soll in dem Unternehmen des Beschuldigten mitgearbeitet und deshalb über Unterlagen verfügt haben, die als Beweismittel gegen den Beschuldigten infrage kommen. Nachdem der Durchsuchungsbeschluss gegen den Beschuldigten mangels tragfähiger Begründung nicht zu halten war, hat die Kammer auch hier keinen greifbaren Anhaltspunkt dafür finden können, dass der am selben Tag unterzeichnete und selbst nicht mit einer Sachbegründung versehene Durchsuchungsbeschluss gegen den Bf. demgegenüber einer tiefergehenden Prüfung unterzogen worden ist. Aus der im Beschluss dokumentierten Weigerung, eine Begründung anzugeben, war jedenfalls kein Argument für eine Sachprüfung zu gewinnen.
14
d) Mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses ist die Grundlage für die Sicherstellung der mitgenommenen Asservate entfallen. Sie sind deshalb herauszugeben.
III.
15
Die Kostenfolge beruht auf entsprechender Anwendung des § 467 StPO.