Inhalt

VGH München, Urteil v. 02.08.2023 – 20 N 20.2861
Titel:

Absonderung von Einreisenden aus Risikogebieten wegen Corona 

Normenketten:
IfSG § 32 S. 1
EQV § 1 Abs. 1
Leitsätze:
1. Als Rechtsgrundlage einer Verordnung nach § 32 Satz IfSG für die Absonderung von Einreisenden aus Risikogebieten kommt bis zum Inkrafttreten des § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG nur § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG in Betracht. Ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG scheidet aus. (Rn. 58)
2. Die unbestimmten Rechtsbegriffe des „Ansteckungsverdachts“ und des „erhöhten  Infektionsrisikos“ i.S.d. Infektionsschutzgesetzes sind auch bei Covid-19 nicht deckungsgleich. Die Schwelle des erhöhten Infektionsrisikos ist grundsätzlich eher erreicht als die des Ansteckungsverdachtes.  (Rn. 70)
3. Die veröffentlichte Feststellung der Risikogebiete durch das Robert Koch-Institut i.S.d. § 1 Abs. 5 Satz 2 EQV stellt einen feststellenden Verwaltungsakt mit Regelungscharakter und nicht nur eine reine Wissenserklärung des Bundes dar. (Rn. 86)
4. Jedenfalls vor Einfügung des § 2 Nr. 17 IfSG verfügten das Bundesgesundheitsministerium und andere Bundesbehörden über keine  Befugnisnorm für eine entsprechende Feststellung.  (Rn. 88)
Schlagworte:
Einreisequarantäne, Absonderung, Ansteckungsverdacht, Erhöhtes Infektionsrisiko, Festsetzung der Risikogebiete
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Urteil vom 19.02.2025 – 3 CN 5.23
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19255

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (EinreiseQuarantäneverordnung - EQV) vom 5. November 2020 unwirksam war. 
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner. 
III. Die Revision wird zugelassen. 

Tatbestand

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1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehren die Antragsteller die Feststellung, dass § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 5. November 2020, BayMBl. 2020 Nr. 630 unwirksam gewesen ist. Eigenen Angaben zufolge reisten die Antragsteller von München über Dubai auf die Seychellen und hielten sich vom 4. bis 10. Januar 2021 in Dubai auf, welches zum damaligen Zeitpunkt als Risikogebiet eingestuft war.
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2. Der Antragsgegner hat am 5. November 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus folgende Norm erlassen:
„§ 1
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Häusliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende; Beobachtung
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(1) 1Personen, die in den Freistaat Bayern einreisen und sich innerhalb von zehn Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet nach Abs. 5 aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete, eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. 2Den in Satz 1 genannten Personen ist es in diesem Zeitraum nicht gestattet, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.
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(2) 1Die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen sind verpflichtet, unverzüglich die für sie zuständige Kreisverwaltungsbehörde zu kontaktieren und auf das Vorliegen der Verpflichtungen nach Abs. 1 hinzuweisen. 2Sie sind innerhalb des in Abs. 1 Satz 1 genannten Zeitraums ferner verpflichtet, die zuständige Kreisverwaltungsbehörde unverzüglich zu informieren, wenn bei ihnen typische Symptome einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 wie Husten, Fieber, Schnupfen oder Geruchs- und Geschmacksverlust auftreten.
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(3) 1Die Verpflichtung nach Abs. 2 Satz 1 ist durch eine digitale Einreiseanmeldung auf amtlich vorgegebenem Onlineformular zu erfüllen, indem
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1. die Daten nach Abschnitt I Nr. 1 Satz 1 der Anordnungen betreffend den Reiseverkehr nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag vom 29. September 2020 (BAnz AT 29.09.2020 B2) in ihrer jeweils geltenden Fassung vollständig übermittelt,
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2. die erhaltene Bestätigung der erfolgreichen digitalen Einreiseanmeldung bei der Einreise mit sich geführt und 
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3. auf Aufforderung dem Beförderer, im Fall von Abschnitt I Nr. 1 Satz 5 der Anordnungen der mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde vorgelegt wird.
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Soweit eine digitale Einreiseanmeldung in Ausnahmefällen nicht möglich war, ist die Verpflichtung nach Satz 1 durch die Abgabe einer schriftlichen Ersatzanmeldung nach dem Muster der Anlage 2 der in Satz 1 Nr. 1 genannten Anordnungen an den Beförderer, im Falle von Abschnitt I Nr. 1 Satz 5 der Anordnungen an die mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragte Behörde zu erfüllen.
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(4) Für die Zeit der Absonderung unterliegen die von Abs. 1 Satz 1 erfassten Personen der Beobachtung durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde.
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(5) 1Risikogebiet im Sinne des Abs. 1 ist ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für welche zum Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS- CoV-2 besteht. 2Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) über die Einstufung als Risikogebiet2.“
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Die angegriffene Verordnung trat mit Ablauf des 12. Mai 2021 (BayMBl. Nr. 336, GVBl. S. 297) außer Kraft.
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3. Die Antragsteller haben mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 2. Dezember 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt beantragt,
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Es wird festgestellt, dass § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus vom 5. November 2020 unwirksam war.
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Sie tragen zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen vor, die Antragsteller hätten für den nach Außerkrafttreten der Norm nunmehr gestellten Feststellungsantrag ein hinreichendes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit. Zum einen wegen eines schweren Grundrechtseingriffs, zum anderen wegen der konkreten Wiederholungsgefahr.
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Materiell liege ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor.
Es bestehe eine „Ungleichbehandlung mit inländischen Risikogebieten“. Eine Ungleichbehandlung liege auch vor, wenn jemand, der aus einem ausländischen Risikogebiet eingereist sei, sich in Quarantäne habe begeben müssen, obwohl die Inzidenz in dem Gebiet, aus dem er eingereist gewesen sei, niedriger gewesen sei als in dem Gebiet, in das er eingereist sei. Er sei somit im Vergleich zu jemandem, der zu Hause geblieben sei, ungleich behandelt worden. Diese Ungleichbehandlung sei jedoch nicht sachlich gerechtfertigt. Vor diesem Hintergrund bestehe für Personen, die ihr Bundesland nicht verlassen hätten, eine ebenso hohe oder sogar noch höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie das Coronavirus aufgenommen hätten und als ansteckungsverdächtig i. S. v. § 2 Nr. 7 IfSG angesehen werden könnten. Für Daheimgebliebene habe aber anders als für Personen, die nur vorübergehend ins Ausland gereist seien, keine Absonderungspflicht bestanden. Das von den Rückkehrern ausgehende Infektionsrisiko habe sich jedenfalls bei vergleichbaren Inzidenzwerten aber nicht anders dargestellt, als wenn sie daheim geblieben wären. Die angefochtenen Regelungen erwiesen sich insoweit auch als unverhältnismäßig. Eine Absonderungspflicht für Rückreisende erscheine nur dann geeignet, einen nennenswerten Beitrag zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu leisten, wenn in den Gebieten des jeweiligen Aufenthalts ein höheres Ansteckungsrisiko als hierzulande bestehe.
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Ferner liege ein Verstoß gegen das Grundrecht der Freiheit der Person vor, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Die Maßnahme beruhe gerade nicht auf „dem Prinzip der Freiwilligkeit“. Vielmehr stelle ein Verstoß gegen die Absonderungspflicht des § 1 EQV eine Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG dar. Schließlich liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG vor. Es treffe zwar zu, dass gem. Art. 11 Abs. 2 GG das Grundrecht zur Bekämpfung von Seuchengefahren eingeschränkt werden könne. Hiervon sei jedoch nicht in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht worden. An der Erforderlichkeit zur Bekämpfung der Seuchengefahr fehle es, wenn die Krankheit nur durch spezielle Infektionswege übertragen werde und die Bevölkerung entsprechende Schutzmaßnahmen ohne Weiteres selbst hätte ergreifen können. Dies wäre beispielsweise der Fall, indem ein Mund- und Nasenschutz getragen worden oder Kontaktbeschränkungen erlassen worden wären. Eine Absonderungspflicht von zehn Tagen sei hierfür jedoch nicht erforderlich gewesen.
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Im Übrigen sei auch der pauschale Verweis auf die Begriffsdefinition des Risikogebietes in § 2 Nr. 17 IfSG unzulässig. Diese Vorschrift sei unbestimmt und intransparent. Der Einstufung als Risikogebiet kämen erhebliche einschneidende Rechtsfolgen zu. Aufgrund der dynamischen Verweisung in § 1 Abs. 1 EQV träten diese automatisch ein, ohne dass es nochmals einer behördlichen Entscheidung, insbesondere einer Ermessensausübung bedurft hätte. Wenn aber an diese Einstufung derartige Einschränkungen geknüpft seien, so seien an deren Transparenz hohe Ansprüche zu stellen. Insbesondere müsse die Einstufung als Risikogebiet voll gerichtlich überprüfbar sein. Dies sei gerade nicht der Fall, da nirgends offengelegt sei, wie die Einstufungen vorgenommen würden. Ohne handfeste Kriterien sei eine Überprüfung nicht möglich und damit der Willkür Tür und Tor geöffnet. Bei der gesetzlichen Definition des Risikogebietes stelle sich die Frage, warum nur ausländische Gebiete als Risikogebiete gelten könnten, obwohl es für die Gefährlichkeit des Infektionsgeschehens nicht auf Ländergrenzen ankomme. Weiterhin werde kein einziges Kriterium für die Feststellung des erhöhten Risikos gegeben. Es finde sich lediglich die Angabe, welche Behörden an dem Entscheidungsprozess beteiligt seien. Denknotwendig für die Festlegung eines erhöhten Infektionsgeschehens wäre zunächst ein Referenzwert. Nur wenn dieser verbindlich und richterlich überprüfbar vorhanden sei, könne überhaupt von einer Erhöhung gesprochen werden. Darüber hinaus sei gerade die Einstufung für die einzelnen Länder unsystematisch. Es fehle an einer verbindlichen Regelung, auf welcher organisatorischen Ebene Risikogebiete ausgewiesen würden – Land, Bezirk oder Kommune. Keine der zuständigen Stellen lege belastbare Daten über das Infektionsgeschehen offen.
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Die Einstufung als Risikogebiet erfolge wohl in erster Linie bei Überschreiten der Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen. Angesichts der damaligen Entwicklung des Infektionsgeschehens in Deutschland und Bayern stelle sich unter Verhältnismäßigkeitsaspekten die Frage, ob diese – nicht empirisch belegte – Zahlengrenze haltbar sei. Ob und inwieweit weitere Kriterien für die Einstufung als Risikogebiet maßgeblich gewesen seien, sei nicht ersichtlich oder nachvollziehbar. Auf der Homepage des RKI seien lediglich die Risikogebiete benannt worden mit Angabe des Datums der Erklärung zum Risikogebiet. Die Gründe, welche zur Einstufung geführt hätten, seien nicht abrufbar und damit auch einer Kontrolle nicht zugänglich.
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Problematisch sei ferner der Begriff des Ansteckungsverdächtigen, §§ 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 S. 2 IfSG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es erforderlich und ausreichend, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher sei als das Gegenteil. Das würde aber voraussetzen, dass in dem jeweiligen Land mindestens die Hälfte der Einwohner an Corona erkrankt seien; nur so sei es wahrscheinlicher, dass der Betroffene Krankheitserreger aufgenommen habe. Das sei jedoch bei einer Inzidenz von 50 (die für die Annahme eines Risikogebiets ausreichte), nicht der Fall.
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Als mildere Maßnahmen wären auch Kontaktbeschränkungen möglich gewesen, da diese den Aufenthalt von Einzelpersonen im öffentlichen Raum unberührt ließen. Das Verweilen alleine oder mit den Personen des eigenen Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung – was infolge der Absonderung nicht möglich war – sei für sich gesehen infektiologisch jedoch gerade unbedeutend. Ferner wäre auch die Verpflichtung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes im öffentlichen Raum in Betracht gekommen.
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Ein maßgeblicher Teil der Rechtfertigung für die erheblichen Einschränkungen sei in einer Vermeidung der Überbelastung von Behandlungskapazitäten, sowie der Möglichkeit der Kontaktverfolgung gesehen worden. Diese an sich nachvollziehbaren Belange seien jedoch keine Bringschuld des Bürgers, sondern vielmehr des Staates.
Die Corona-Pandemie habe zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp einem Jahr grassiert. Es habe für den Antragsgegner genug Zeit bestanden, gerade in der Mitte des Jahres 2020, sich auf die bereits angekündigte zweite Welle vorzubereiten und entsprechende Kapazitäten zu schaffen. Dies sei versäumt worden. Unstreitig sei die Auslastung von Intensivbetten (nicht von normalen Krankenhausbetten) hoch gewesen, habe aber noch keine kritischen Werte erreicht. Freie Betten seien stets vorhanden gewesen. Dabei bleibe völlig außen vor, dass der Antragsgegner keine zusätzlichen Notkapazitäten geschaffen hätte und hätte schaffen müssen, etwa durch Beschlagnahme von Immobilien und Einrichtung entsprechender Behandlungsoptionen dort; ebenso sei nicht auf entsprechende ggfls. noch zu errichtende mobile Einrichtungen der Bundeswehr zurückgegriffen worden. Auch die Kontaktverfolgung habe an Mängeln gelitten, da es hier keine umfassende Vorbereitung und Planung seitens des Antragsgegners gegeben habe. Weder seien ausreichend „Kontaktverfolger“ eingestellt worden, noch habe eine entsprechende Software beschafft werden können. Damit ergebe sich ein Zirkelschluss: Die staatlichen Gesundheitsämter hätten moderne Technologien zur Kontaktverfolgung nicht nutzen können, weil der Antragsgegner die technischen Voraussetzungen nicht geschaffen hätte; dementsprechend sei die Kontaktermittlung nicht optimiert erfolgt, was wiederum Einschränkungen des Bürgers habe rechtfertigen sollen. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass bei zeitnaher Schaffung der technischen Voraussetzungen eine einfachere Kontaktverfolgung möglich gewesen wäre und dies zur Begründung von Einschränkungen nicht mehr hätte herangezogen werden können.
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4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Normenkontrollantrag sei wegen Fehlens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses unzulässig. Ein erneuter Erlass vergleichbarer Verordnungen sei derzeit unwahrscheinlich. Auch ein tiefgreifender Grundrechtseingriff durch die Einreise-Quarantäneverordnung, der ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse begründen könnte, sei zu bestreiten. Voraussetzung eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses wäre in dieser Fallkonstellation ferner, dass die Position des Rechtsschutzsuchenden durch die begehrte Feststellung verbessert werden könne oder dieser Grundrechtseingriff sich nach seiner Eigenart zu kurzfristig erledigt hätte, um effektiven Rechtsschutz dagegen suchen zu können. Während der Geltung der Einreise-Quarantäneverordnung vom 5. November 2020 von 9. November 2020 bis 12. Mai 2021 habe jedenfalls die Möglichkeit bestanden, einstweiligen Rechtsschutz nach § 47 Abs. 6 VwGO dagegen zu suchen, die von den Antragstellern auch genutzt worden sei (Verfahren Az. 20 NE 20.2860, Az. 20 NE 21.570 und Az. 20 NE 21.963). Eine typischerweise kurzfristige Erledigung sei unter diesen Umständen wohl nicht anzunehmen. Es sei auch nicht ersichtlich, inwiefern die nachträgliche Feststellung der Unwirksamkeit der EinreiseQuarantäneverordnung für die Antragsteller noch von rechtlichem, wirtschaftlichem oder ideellem Vorteil sein könnte. Wie tiefgreifend eine vorhersehbare Einreise-Quarantäne nach Reisen in Grundrechte tatsächlich eingegriffen habe, könne unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
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Der Antrag sei zudem unbegründet. Die streitgegenständliche Regelung sei formell und materiell rechtmäßig gewesen. Die Bedenken des Senats hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlage, die dieser in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2020 – 20 NE 20.2749 – juris Rn. 30 ff. auf Grundlage einer summarischen Prüfung im Eilverfahren diesbezüglich geäußert habe, könnten zerstreut werden. Auf Grund der Unvorhersehbarkeit der Gefahr und ihrer Eigenarten stünden die §§ 29 bis 31 IfSG und § 28 Abs. 1 IfSG generell nicht in einem Spezialitätsverhältnis zueinander. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien zu den §§ 28 ff. IfSG und ihren Vorgängerregelungen habe der Exekutive ein möglichst breites und flexibles Instrumentarium an die Hand gegeben werden sollen. Die §§ 29 bis 31 IfSG dienten lediglich der Illustration sowie der schnellen praktischen Anwendbarkeit, beispielsweise im Hinblick auf die hier nicht angeordnete und auch nicht streitgegenständliche, aber in anderen Fällen mögliche zwangsweise Durchsetzung einer Absonderung nach § 30 Abs. 2 ff. IfSG und deren besonderen Voraussetzungen. Nach – soweit ersichtlich – allgemeiner Ansicht sei die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aber auch bei einem an der Dogmatik des Kernbereichs des Sicherheitsrechts orientiertem Verständnis nicht generell durch § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG verdrängt. Maßnahmen, die sich in ihrem Wesen von einer Absonderung im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG unterschieden, könnten weiterhin auf § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden. So verhalte es sich hier: Bei einer Absonderung im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG handele es sich um eine Anordnung, deren Befolgung zwar zunächst freiwillig sei, die jedoch dazu diene, im Verweigerungsfalle eine zwangsweise Durchsetzung nach dem Procedere des § 30 Abs. 2 IfSG vorzubereiten. Dies sei bei der streitgegenständlichen Maßnahme nie der Fall gewesen. Zwar sei ein Verstoß gegen die angefochtene Vorschrift den gesetzlichen Regelungen entsprechend sanktioniert, eine zwangsweise Durchsetzung wie bei Maßnahmen im Sinne des § 30 IfSG habe jedoch die EQV nicht vorgesehen. Diese Einschätzung teile auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof. Die tatbestandlichen Voraussetzungen von §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG hätten vorgelegen. Dass diese Voraussetzungen für ein infektionsschutzrechtliches Eingreifen angesichts der zum damaligen Zeitpunkt – nach einer vorübergehenden Stabilisierung Ende August, Anfang September 2020 – ab Oktober 2020 wieder drastisch angestiegenen Infektionszahlen zu Beginn der zweiten Welle der Pandemie grundsätzlich bestanden hätten, sei in keiner Weise zweifelhaft. Insoweit werde auf den täglichen Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 5. November 2020 verwiesen. Es habe damals bereits 119.505 bestätigte Fälle in Bayern gegeben. Bayern sei dabei das Land mit der dritthöchsten kumulativen Inzidenz (Gesamtfallzahl je 100.000 Einwohner) bundesweit gewesen und habe mit 145,7 eine merklich über dem bundesweiten Durchschnitt von 126,8 liegende 7-Tage-Inzidenz aufgewiesen. Bayern habe sowohl absolut als auch auf 100.000 Einwohner bezogen kumulativ die meisten Todesfälle zu verzeichnen gehabt (S. 4 des Lageberichts). Angesichts eines wiederum zu befürchtenden exponentiellen Verlaufs des Infektionsgeschehens, einer Vielzahl klinischer Verläufe mit Todesfolge oder schwerwiegenden Gesundheitsschäden und der Tatsache, dass weder ein Impfstoff noch eine spezifische Therapie zur Verfügung gestanden habe, könne nicht bestritten werden, dass Kranke und Krankheitsverdächtige sowie auch Ausscheider und Ansteckungsverdächtige festgestellt worden seien und die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vorgelegen hätten.
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Wenn man dem entgegen mit den vorläufigen summarischen Erwägungen des Senats in seinem Beschluss vom 3. Dezember 2020 (20 NE 20.2749 – juris Rn. 30 ff.) § 32 IfSG i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als von § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG für verdrängt hielte, hätte die angefochtene Norm gleichwohl in § 32 IfSG i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG eine nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmte Ermächtigungsgrundlage (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ) gefunden. Ob danach ein Ansteckungsverdacht nach § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen sei, beurteile sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unter Berücksichtigung der Eigenheiten der konkreten Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse, die zu Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und zu deren Empfänglichkeit für die Krankheit vorlägen. Dies zugrunde gelegt habe vorliegend eine vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt. Es habe bereits zum damaligen Zeitpunkt von einer sehr leichten Übertragbarkeit des Virus ausgegangen werden müssen. Beim SARS-CoV-2-Wildtyp sei der R0-Wert (Basisreproduktionszahl ohne Ergreifen von Schutzmaßnahmen) auf einen Wert zwischen 2,8 und 3,8 geschätzt worden, d.h. es habe davon ausgegangen werden müssen, dass jeder Infizierte ohne Ergreifen von Schutzmaßnahmen im Mittel zwischen drei und vier Personen angesteckt hätte (vgl. https://www.rki.de/Shared-Docs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Epidemiologie.html, „Was versteht man unter der Reproduktionszahl R?“, Stand: 29.8.2022, zuletzt abgerufen am 31.10.2022). Dies hätte zu einem exponentiellen Anstieg der Infektionszahlen geführt. Es sei bereits bekannt gewesen, dass das Virus SARS-CoV-2 hauptsächlich durch Tröpfchen und Aerosole übertragen werde (vgl. Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Stand: 26.11.2021 – dies sei der aktuellste Stand, der sich noch mit der zum streitgegenständlichen Zeitraum herrschenden Variante befasse – https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steck brief.html, zuletzt abgerufen am 31.10.2022, vgl. auch Bedeutung asymptomatischer Infektionen bei der Virusübertragung: Prevalence of Asymptomatic SARS-CoV-2 Infection: A Narrative Review: Annals of Internal Medicine: Vol 173, No 5 (acpjournals.org); https://www.acpjour-nals.org/doi/10.7326/M20-3012). Bei dieser Übertragung gleichsam „über die Luft“ könne eine einzige infektiöse Person durch bloßes Atmen eine Vielzahl weiterer Personen anstecken. Dies sei ein wesentlicher Unterschied zu Erregern, die sich ausschließlich mittels Schmierinfektion verbreiten. Die Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe sei dadurch erhöht gewesen, dass Menschen bereits infektiös gewesen seien, bevor sie die ersten Symptome aufwiesen. Die Vulnerabilität der Gesellschaft sei demgegenüber hoch gewesen, da die Quote der Menschen, die bereits über eine natürliche Immunität durch überstandene Infektion verfügt hätten, gering gewesen sei. Ein zugelassener Impfstoff habe noch nicht zur Verfügung gestanden. Zudem habe das Virus in seiner damaligen Form noch wesentlich schwerere – zu einem nicht unbeachtlichen Anteil auch tödliche – Verläufe hervorgerufen als dies bei den heutigen Varianten der Fall sei. Hiernach habe der Verordnungsgeber im Rahmen seines Beurteilungsspielraums davon ausgehen können, dass es sich bei Rückkehrern aus Risikogebieten um Ansteckungsverdächtige im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG gehandelt habe. Im Rahmen der Verordnungsermächtigung der §§ 32, 30 IfSG komme es nicht darauf an, ob der einzelne Einreisende konkret-individuell tatsächlich Ansteckungsverdächtiger im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG gewesen sei. Stattdessen sei es bei einer Verordnung nach §§ 32 Satz 1, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG entscheidend, ob die abstrakt-generelle Anknüpfung an eine bestimmte Verhaltensweise oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe tatsächlich einen hinreichenden Ansteckungsverdacht zu begründen vermöge (vgl. insoweit auch BayVGH, U.v. 26.07.2022 – 20 B 22.29 und 20 B 22.30 – BeckRS 2022, 19876 Rn. 78, in Bezug auf das Verordnungsermessen).
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Die Einstufung als Risikogebiet sei auf Basis einer zweistufigen Bewertung erfolgt. Zunächst sei festgestellt worden, in welchen Staaten bzw. Regionen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gegeben habe. In einem zweiten Schritt sei nach qualitativen und weiteren Kriterien festgestellt worden, ob für Staaten bzw. Regionen, die den genannten Grenzwert nominell über- oder unterschritten hätten, dennoch die Gefahr eines nicht erhöhten oder eines erhöhten Infektionsrisikos vorgelegen habe. Für die EU-Mitgliedstaaten sei seit der 44. Kalenderwoche 2020 hier auch die nach Regionen aufgeschlüsselte Karte des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) berücksichtigt worden. Die Karte enthalte Daten zur Rate der SARS-CoV-2-Neuinfektionen, zur Testpositivität und zur Testrate. Für den zweiten Bewertungsschritt hätten außerdem das Auswärtige Amt auf der Grundlage der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen sowie ggf. das Bundesministerium für Gesundheit sowie das damalige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat qualitative Berichte zur Lage vor Ort, die auch die jeweils getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie beleuchteten, geliefert. Maßgeblich für die Bewertung seien somit insbesondere die Infektionszahlen und die Art des Ausbruchs (lokal begrenzt oder flächendeckend), Belastung des Gesundheitssystems, Berichte über Hospitalisierungen, Testkapazitäten sowie durchgeführte Tests pro Einwohner sowie in den Staaten ergriffene Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens (Hygienebestimmungen, Kontaktnachverfolgung etc.) gewesen. Ebenso sei berücksichtigt worden, wenn keine verlässlichen Informationen für bestimmte Staaten vorgelegen hätten (vgl. RKI, Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Transport/Archiv_Ris ikogebiete/Risik…20.pdf? blob=publicationFile, Stand 20.11.2020, zuletzt abgerufen am 31.10.2022).
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Die Heranziehung des Kriteriums von mehr als 50 Neuinfizierten pro 100.000 Einwohnern in den letzten 7 Tagen sei auch in diesem Zusammenhang sachgerecht gewesen. Zwar habe dieser Inzidenzwert zunächst aus Erfahrungen der gesundheitsbehördlichen Praxis gestammt, wonach die Nachverfolgung von Infektionsketten bei einer Überschreitung dieses Wertes nicht mehr zu gewährleisten sei. Allerdings habe der Verordnungsgeber davon ausgehen dürfen, dass in einem solchen Fall auch andere Länder Schwierigkeiten bei der Nachverfolgung von Infektionsketten haben würden. Dies wiederum habe unmittelbare Auswirkungen auf die Infektionslage in einem Land. Könnten Infektionsketten nicht mehr zuverlässig nachverfolgt werden, so könnten sie auch nicht unterbrochen werden. Da nicht alle Infizierten zwingend auch Symptome aufwiesen, sei zudem mit einer erhöhten Anzahl asymptomatisch Infizierter zu rechnen, wenn Infektionsketten nicht zuverlässig nachverfolgt werden könnten. Diese Lage trage in besonderem Maße zur Weitergabe von Infektionen bei und begründe daher in besonderem Maße einen erhöhten Ansteckungsverdacht, da im Umgang mit asymptomatischen Personen Sorgfalts- und Hygieneregeln erfahrungsgemäß weniger stark beachtet würden. So habe dieser Inzidenzwert auch innerhalb der Europäischen Union als Kriterium für Beschränkungen der Freizügigkeit in Europa Anwendung gefunden, vgl. die Empfehlung des Rates für eine koordinierende Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie vom 13. Oktober 2020 und die zugehörige wöchentliche farbkodierte Karte, „Maps in support of the Council Recommendation on a coordinated approach to the restriction of free movement in response to the COVID-19 pandemic in the EU/EEA and the UK“ . Dass die Einstufung als Risikogebiet hiernach auch geeignet gewesen sei, einen in diesem Sinne hinreichenden Ansteckungsverdacht zu begründen, zeige sich auch an der deutlich erhöhten Anzahl an positiven Testungen bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten gegenüber der deutlich niedrigeren Positivquote bei freiwilligen Testungen von Rückkehrern aus Nicht-Risikogebieten (vgl. hierzu auch die Begründung zur Muster-VO zu Quarantänemaßnahmen für Ein- und Rückreisende zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 vom 14.01.2021).
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Auch der Bundesgesetzgeber sei zum damaligen Zeitpunkt davon ausgegangen, dass Rückkehrer aus Risikogebieten in der Regel als Ansteckungsverdächtige unter § 2 Nr. 7 IfSG zu subsumieren sein dürften.
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Eben diese Frage sei vom Bundesgesetzgeber mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (EpilageFortgeltungsgesetz) vom 29. März 2021, BGBl. I S. 370, jedenfalls indirekt aufgegriffen worden, indem § 36 Abs. 8 IfSG geändert wurde. Diese infolge der Empfehlung des Gesundheitsausschusses (BT-Drs. 19/27291) in das Epilage-Fortgeltungsgesetz aufgenommene Änderung des Infektionsschutzgesetzes werde damit begründet, dass künftig eine bundeseinheitliche Regelung für eine Quarantäne nach Aufenthalt in Risikogebieten vorgesehen sei (BT-Drs. 19/27291 S. 63). Darin komme eine grundsätzliche Billigung des Bundesgesetzgebers von Regelungen zur Einreise-Quarantäne auch durch die Bundesländer zum Ausdruck.
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Das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ) werde durch die streitgegenständliche Vorschrift nicht berührt. Selbst wenn man die Maßnahme unter § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG fassen wolle, handele es sich um eine Maßnahme nach § 30 Abs. 1 IfSG , welche auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhe. Zu einem Eingriff in die Freiheit der Person komme es erst bei deren zwangsweiser Durchsetzung im Procedere nach Abs. 2 ff., welche der Antragsgegner gerade nicht geregelt und vorgenommen habe.
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Ebenso liege keine „Ungleichbehandlung mit inländischen Risikogebieten“ vor. Zwar habe es im Normvollzug dazu kommen können, dass jemand, der aus einem ausländischen Risikogebiet eingereist gewesen sei, sich in Quarantäne habe begeben müssen, obwohl die Inzidenz in dem Gebiet, aus dem er eingereist sei, niedriger gelegen habe als in dem Gebiet, in das er eingereist sei. Somit sei er im Vergleich zu jemanden, der zu Hause geblieben sei, ungleich behandelt. Dies sei jedoch sachlich gerechtfertigt gewesen und habe somit keine unzulässige Ungleichbehandlung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dargestellt. Wie bereits erwähnt, sei die Tatsache entscheidend, dass die Festlegung von Risikogebieten auf einer multifaktoriellen Gefahreneinschätzung beruht und die 7-Tages-Inzidenz dabei nur eine von mehreren Kenngrößen dargestellt habe.
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Das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG werde durch die streitgegenständliche Vorschrift nicht verletzt. Gemäß Art. 11 Abs. 2 GG werde dieses Grundrecht nur innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze gewährleistet und könne ausdrücklich zur Bekämpfung von Seuchengefahren eingeschränkt werden.
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Sowohl eine verstärkte Maskenpflicht als auch intensivere Testungen seien im Vergleich mit der Quarantäne nicht gleich geeignet gewesen. Eine Beschränkung auf Maßnahmen gegenüber Hochrisikogruppen sei ebenfalls nicht geboten gewesen (BVerfG, B.v. 13.05.2020 – 1 BVR 1021/20 – juris Rn. 9), zumal in keiner Weise in einer für staatliches Handeln unter Risiko erforderlichen Gewissheit feststellbar gewesen sei, wer wirklich zur Risikogruppe gezählt habe. Zudem habe bereits damals die Gefahr für Folgeschäden bestanden. Die angegriffene Pflicht zur Absonderung sei verhältnismäßig im engeren Sinn gewesen.
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Schließlich verletze die streitgegenständliche Maßnahme auch nicht die Freizügigkeitsrechte aus dem Unionsrecht. In Betracht kämen hier insbesondere die Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 Abs. 1 AEUV sowie das subsidiäre Freizügigkeitsrecht aus Art. 21 Abs. 1 AEUV . Beide seien aber nach allgemeiner Ansicht zugunsten öffentlicher Interessen einschränkbar, wobei Art. 45 Abs. 3 AEUV ausdrücklich Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit als besondere Schranken aufführe. Zudem verpflichte Art. 168 Abs. 1 AEUV bei der Festlegung und Durchführung aller Unionspolitiken und -maßnahmen zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus. In UAbs. 2 am Ende sei die Bekämpfung schwerwiegender grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren ausdrücklich genannt. Insoweit sei nur auf die Empfehlung des Rates für eine koordinierende Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie vom 13. Oktober 2020 mit ihren Erwägungsgründen und die zugehörige wöchentliche farbkodierte Karte, „Maps in support of the Council Recommendation on a coordinated approach to travel measures in the EU“, verwiesen.
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Die Abs. 2 und 3 des § 1 EQV hätten der Erfassung der Einreisenden gedient. Da die Grenzen nicht geschlossen und der Einreiseverkehr nicht vollständig überwacht worden seien, habe es für den Antragsgegner keine andere Möglichkeit gegeben, von Einreisen Kenntnis zu erlangen. Eine anderweitige Möglichkeit zur Tatbestandsermittlung und schließlich zur Überprüfung hätte nicht bestanden. Eine Ermittlung im Einzelfall wäre auch bei einer vollständigen Überwachung des Grenzverkehrs – die sicherlich schon kein milderes Mittel gewesen wäre – nicht zu bewältigen gewesen. Das Individualinteresse an der Geheimhaltung dieser Daten habe daher hinter dem Gemeinwohlinteresse der effektiven Seuchenbekämpfung zurücktreten müssen.
39
Ins Leere gehe der antragstellerseitige Einwand, der Antragsgegner habe die Kapazitäten im Gesundheitswesen im Sommer 2020 erhöhen müssen. Den maßgeblichen Engpassfaktor bei der Generierung von zusätzlichen Krankenhauskapazitäten, insbesondere für den intensivmedizinischen Bereich, habe hierbei nicht die apparative Ausstattung eines Patientenbettes, sondern das Fehlen des für den Betrieb eines solchen Intensivbettes notwendigen, entsprechend ausgebildeten (intensivpflegerischen) Fachpersonals dargestellt. Im Übrigen habe der Antragsgegner all seine Handlungsmöglichkeiten ausgeschöpft (wird ausgeführt). Ebenso unbehilflich sei der antragstellerseitige Verweis auf die Möglichkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Innern.
40
Hervorzuheben sei schließlich, dass als Risikogebiete gelistete Länder zu den am häufigsten genannten Expositionsländern von positiv getesteten Fällen in Deutschland gehörten. In der 31./32. Meldewoche 2020 galten vier der fünf häufigsten Expositionsländer von positiv getesteten Fällen als Risikogebiete. In der 33./34. Meldewoche 2020 wie auch in der 35./36. Meldewoche 2020 seien die fünf häufigsten Expositionsländer von positiv getesteten Fällen jeweils ganz oder teilweise als Risikogebiete eingestuft gewesen.
41
5. Die Bundesrepublik Deutschland hat gemäß § 47 Abs. 2 Satz 3 VwGO im Wesentlichen wie folgt Stellung genommen:
42
Die Einstufung von Staaten, Gebieten oder Regionen als einfache Risikogebiete (zum oben genannten Zeitpunkt gab es nur die Kategorie des einfachen Risikogebietes) sei nach gemeinsamer Analyse und Entscheidung durch das Bundesministerium für Gesundheit, das Auswärtige Amt und das Bundesministerium des Innern und für Heimat erfolgt. Die veröffentlichten Übersichten gäben in konzentrierter Form die Ergebnisse der ausgiebigen Beratungen der vorgenannten Bundesministerien wieder. Für den oben genannten Zeitraum seien folgende Kriterien zur Einstufung von Risikogebieten herangezogen worden: Die Einstufung als Risikogebiet habe auf einer zweistufigen Bewertung basiert. Zunächst sei festgestellt worden, in welchen Staaten/Regionen es in den letzten sieben Tagen mehr als 50 Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner gegeben habe. In einem zweiten Schritt sei nach qualitativen Kriterien festgestellt worden, ob für Staaten/Regionen, die den genannten Grenzwert nominell unterschritten hätten, dennoch die Gefahr eines erhöhten Infektionsrisikos vorgelegen habe. Für Bewertungsschritt 2 hätten insbesondere das Auswärtige Amt auf der Grundlage der Berichterstattung der deutschen Auslandsvertretungen sowie ggf. das Bundesministerium für Gesundheit sowie das Bundesministerium des Innern und für Heimat qualitative Berichte zur Lage vor Ort geliefert, die auch die jeweils getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beleuchtet hätten. Maßgeblich für die Bewertung seien gewesen insbesondere die Infektionszahlen und die Art des Ausbruchs (lokal begrenzt oder flächendeckend), Testkapazitäten sowie durchgeführte Tests pro Einwohner sowie in den Staaten ergriffene Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens (Hygienebestimmungen, Kontaktnachverfolgung etc.). Ebenso sei berücksichtigt worden, wenn keine verlässlichen Informationen für bestimmte Staaten vorgelegen hätten. Sei die 50er-Inzidenz in einer Region erreicht bzw. überschritten worden, sei aus epidemiologischer Sicht damit zu rechnen gewesen, dass das Infektionsgeschehen eine Dynamik angenommen hätte, die sich nur noch schwer kontrollieren gelassen habe. Auch wenn in Teilen Deutschlands die 7Tage-Inzidenz ggf. sogar höher als in dem eingestuften Staat gelegen habe, so sei bei der Risikogebieteausweisung die 50er-Inzidenz dennoch maßgeblich. Die daraus ggf. resultierende Unterscheidung von Daheimgebliebenen und innerdeutsch Reisenden im Vergleich zu Einreisenden aus dem Ausland habe dabei keine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte dargestellt; sie sei jedenfalls gerechtfertigt gewesen. Das Bewegungs- und damit Kontaktprofil von Auslandsreisenden unterscheide sich typischerweise von dem Daheimgebliebener und innerdeutsch Reisender. Durch die stärkere Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlicher Infrastruktur (Flughäfen, Beherbergungsbetriebe) und die bei Auslandsreisen oft eintretende Kontaktaufnahme mit Personen, die nicht dem alltäglichen Umfeld entstammten, sei das Verhalten von Auslandsreisenden typisierbar eher gefahrengeneigt. Dies unterscheide sie auch gegenüber innerdeutsch Reisenden, da in Deutschland zum relevanten Zeitpunkt vielerorts Beherbergungsbetriebe für touristische Zwecke, Gastronomie- und Kulturbetriebe geschlossen gewesen seien. Der Verordnungsgeber habe zudem keinen Einfluss auf Maßnahmen der Pandemiebekämpfung im Ausland gehabt und habe auch nicht nachprüfen können, welchen Infektionsrisiken Einreisende ausgesetzt gewesen seien. Die damaligen Einstufungen seien vor dem Hintergrund der Situation geschehen, dass die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in den Herbstmonaten des Jahres 2020 global wieder drastisch gestiegen sei. Aufgrund des damaligen, weltweit dynamischen Infektionsgeschehens habe weiterhin zusätzlich zu den zum genannten Zeitpunkt geltenden Einschränkungen im Inland sichergestellt werden müssen, dass durch Einreisen in die Bundesrepublik Deutschland nach Möglichkeit keine neuen, zusätzlichen Infektionsherde im Inland entstünden. In der Sommerferien- und Reisezeit im Jahr 2020 hätte sich bereits gezeigt, dass sich neue Infektionsherde oftmals nach Einreisen aus dem Ausland, insbesondere aus Risikogebieten, bildeten.
43
Es sei anzunehmen, dass die Infektionsrate von Einreisenden aus Risikogebieten höher gewesen sei als von anderen Einreisenden. Als Risikogebiete gelistete Länder gehörten zu den am häufigsten genannten Expositionsländern von positiv getesteten Fällen in Deutschland. Reisende aus Nicht-Risikogebieten seien vergleichsweise weniger häufig positiv getestet. Diese Aussagen ließen sich insbesondere auf an das Robert Koch-Institut übermittelten Daten zu Covid-19-Fällen zurückführen. Bis Oktober 2020 sei der Anteil der Fälle in Deutschland mit Exposition im Ausland wieder gesunken. Dies sei allerdings nicht einhergegangen mit einem Rückgang des Infektionsgeschehen in den Ländern, die als Risikogebiete gelistet worden seien, sondern hätte vielmehr mit einem verminderten Reiseverkehr zusammen gehangen.
44
6. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt und das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist zulässig und begründet, weil § 1 der Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-QuarantäneverordnungEQV) vom 5. November 2020, BayMBl. 2020 Nr. 630, unwirksam war.
46
1. Der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig. Dass die angegriffene Rechtsvorschrift außer Kraft getreten ist, hat ihn nicht unzulässig gemacht.
47
a) Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Zwar geht § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO vom Regelfall der noch geltenden Rechtsvorschrift aus (vgl. auch § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Ist die angegriffene Norm während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, bleibt er aber zulässig, wenn die Antragsteller weiterhin geltend machen können, durch die zur Prüfung gestellte Norm oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt (worden) zu sein. Darüber hinaus müssen sie ein berechtigtes Interesse an der Feststellung haben, dass die Rechtsvorschrift unwirksam war (stRspr, vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2004 – 7 CN 1.03 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 164 S. 131 = juris Rn. 13 und vom 11.11.2015 – 8 CN 2.14 – BVerwGE 153, 183 Rn. 19; U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn 13; B. v. 28.7.2022 – 3 BN 8.21 – juris Rn. 6 m. w. N.).
48
b) Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
49
aa) Die Antragsteller haben den Normenkontrollantrag während der Geltungsdauer der Einreisequarantäneverordnung anhängig gemacht. Nach deren Außerkrafttreten mit Ablauf des 12. Mai 2021 können sie weiterhin geltend machen, durch die angegriffenen Vorschriften in ihren Rechten verletzt worden zu sein. Nach ihrem Vortrag erscheint es möglich, dass sie durch die Regelung des § 1 EQV, die sie verpflichtete, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete, eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern sowie für diese Zeit unter Beobachtung stellte, in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 11 GG verletzt sein könnten. Letztlich kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, dass die Antragsteller die geplante Reise tatsächlich durchgeführt haben, denn eine Rechtsbeeinträchtigung kann auch dann vorliegen, wenn wegen einer drohenden Quarantänepflicht von einer Reise abgesehen wird. Unabhängig davon sieht der Senat keine Veranlassung, an der entsprechenden hinreichend substantiierten Erklärung der Antragsteller, insbesondere des Antragstellers zu 1 in der mündlichen Verhandlung, zu ihrem Reiseverlauf und ihrer Einreise aus einem als Risikogebiet i.S.d. § 1 Abs. 5 EQV eingestuften Staat – hier die Vereinigten Arabischen Emirate – zu zweifeln.
50
Die erforderliche Antragsbefugnis fehlt (auch) nicht deshalb, weil der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die in § 30 Abs. 1 IfSG geregelte Absonderung die Freiwilligkeit des Betroffenen und damit seine „Einsicht in das Notwendige“ voraussetzt (BT-Drs. 14/2530 S. 75). Damit wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass freiheitsentziehende (Zwangs-)Maßnahmen nach § 30 Abs. 2 IfSG nur zulässig sind, wenn der Betroffene den seine Absonderung betreffenden Anordnungen nicht nachkommt oder nach seinem bisherigen Verhalten anzunehmen ist, dass er solchen Anordnungen nicht ausreichend Folge leisten wird. An dem bindenden Charakter einer Absonderungsanordnung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG ändert dieser Umstand nichts, dient diese doch auch als Grundlage für ggf. erforderliche Zwangsmittel und freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 30 Abs. 2 IfSG (BayVGH, U. v. 26.7.2022 – 20 B 22.29, 20 B 22.30 – BeckRS 2022, 19876).
51
bb) Die Antragsteller haben ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Verordnungsregelungen unwirksam gewesen sind.
52
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gerichte sind verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und den Zugang zu den eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist es grundsätzlich vereinbar, die Rechtsschutzgewährung von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse abhängig zu machen und bei Erledigung des Verfahrensgegenstandes einen Fortfall des Rechtsschutzinteresses anzunehmen. Trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels kann ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung aber fortbestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig ist. Ein Rechtsschutzbedürfnis besteht trotz Erledigung unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr, vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 <85 f.> m. w. N.; Kammerbeschlüsse v. 11.4.2018 – 2 BvR 2601/17 – juris Rn. 32 ff. und vom 26.1.2021 – 2 BvR 676/20 – juris Rn. 30 f.; BVerwG, U. v. 12.11.2020 – 2 C 5.19 – BVerwGE 170, 319 Rn. 15; B. v. 28. Juli 2022 – 3 BN 8.21 – juris Rn. 9 ff. m. w. N.).
53
Danach ist ein schützenswertes Interesse der Antragsteller an der nachträglichen gerichtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verordnungsregelungen anzuerkennen. Die zur Prüfung gestellte Norm hatte zwar eine Geltungsdauer vom 9. November 2020 bis 12. Mai 2021 und damit im Vergleich zu den Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen einen längeren zeitlichen Geltungsbereich. Diese Geltungsdauer war jedoch trotzdem zu kurz, um in diesem Zeitraum gerichtlichen Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangen zu können. Dementsprechend hat der erkennende Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren der Antragsteller keine summarische Rechtmäßigkeitsprüfung durchgeführt, sondern im Rahmen einer Folgenabwägung den Antrag unter Hinweis auf ein noch durchzuführendes Hauptsacheverfahren abgelehnt (B.v. 14.12.2020 – 20 NE 20.2860). An die Durchführung eines zeitnahen Hauptsacheverfahrens war angesichts der exorbitanten Belastung des für das Infektionsschutzrecht zuständigen Senates, bei dem allein während der Geltungsdauer der hier angegriffenen Norm insgesamt 599 Verfahren aus dem Infektionsschutzrecht eingingen und 490 Verfahren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erledigt wurden, überhaupt nicht zu denken. Ohne die Annahme eines berechtigten Feststellungsinteresses könnte auch die EQV keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 3.6.2020 – 1 BvR 990/20 – NVwZ 2020, 1038 = juris Rn. 8 und vom 10.2.2022 – 1 BvR 1073/21 – NVwZ-RR 2022, 321 = juris Rn. 25). Zudem machen die Antragsteller Beeinträchtigungen ihrer grundrechtlichen Freiheiten geltend, die ein Gewicht haben, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der Verordnungsregelungen rechtfertigt (BVerwG, U. v. 22.11.2022 – 3 CN 1.21 – juris Rn. 14).
54
2. Der Antrag ist auch begründet, weil die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht gegeben waren und zudem der pauschale Verweis in § 1 Abs. 5 Satz 2 EQV auf die jeweils aktuelle Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) über die Einstufung als Risikogebiet gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt.
55
a) Rechtsgrundlage der angegriffenen Verordnungsbestimmungen des § 1 Abs. 1 EQV (Häusliche Quarantäne und Beobachtung) sind § 32 i.V.m. §§ 30 Abs. 1 Satz 2, 29 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der Fassung vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385).
56
§ 32 Satz 1 IfSG ermächtigt die Landesregierungen, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen (u. a.) nach § 30 Abs. 1 Satz 2 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 32 Satz 2 IfSG können die Landesregierungen die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Hiervon hat die Staatsregierung des Freistaates Bayern (§ 9 Nr. 5 Delegationsverordnung – DelV) Gebrauch gemacht. Danach ist die Zuständigkeit für den Verordnungserlass auf das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege übertragen worden.
57
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat die zuständige Behörde anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheiten geeigneten Einrichtung abgesondert werden. Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden.
58
Ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist dabei ausgeschlossen, weil § 30 IfSG demgegenüber lex specialis ist (BVerwG, B.v. 31.3.2022 – 1 WB 37.21 – juris Rn. 31; BayVGH, U.v. 26.7.2022 – 20 B 22.29, 20 B 22.30 – juris; vgl. auch Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 30 Rn. 23a; Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 30 Rn. 20; Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 1. Aufl. 2022, § 30 Rn. 2; Poscher in Huster/Kingreen (Hrsg.), Hdb. Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 4 Rn. 76, 104; Stach, NJW 2021, 10/11; i.E. auch Folger/Wolff, VerwArch 2023, 297/306; a.A. OVG SH, B.v. 7.4.2020 – 3 MB 13/20 – juris Rn. 10). Hielte man dagegen Quarantänemaßnahmen durch Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 IfSG bei erhöhtem Infektionsrisiko aufgrund der Einreise aus einem Risikogebiet und fehlendem Ansteckungsverdacht auf der Grundlage der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG trotz der Regelung des § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG grundsätzlich für möglich (so wohl im Rahmen seines Prüfungsmaßstabs BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20 – BeckRS 2020, 32354 Rn. 33), so spricht jedenfalls die Regelung des § 36 Abs. 7 IfSG gegen die Anwendung der Generalklausel. Denn diese Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Gesundheit knüpft an die Einreise von Personen in das Bundesgebiet, die wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für eine bestimmte schwerwiegende übertragbare Krankheit ausgesetzt waren, lediglich die Rechtsfolge u.a. der Testpflicht (Satz 1 Nr. 1) und bei entsprechender Weigerung, eine ärztliche Untersuchung auf Ausschluss einer schwerwiegenden übertragbaren Krankheit im Sinne des Satzes 1 zu dulden, nicht aber eine Absonderungspflicht. Damit brachte der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass in solchen besonderen Risikolagen für bestimmte Personengruppen mit der ärztlichen Untersuchung zunächst ein Gefahrerforschungseingriff erfolgen sollte. Auch die besondere Anordnungsbefugnis des Bundesgesundheitsministeriums im Rahmen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite sah unbeschadet der Befugnisse der Länder eine Absonderung als Rechtsfolge zunächst noch nicht vor. Erst mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (Epilage-Fortgeltungsgesetz vom 29. März 2021, BGBl. I S. 370) wurde mit der Bestimmung des § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG eine entsprechende Verordnungsermächtigung zugunsten der Bundesregierung zur Absonderungspflicht bei der Einreise aus einem Gebiet mit erhöhtem Infektionsrisiko geschaffen, ohne dass es eines Ansteckungsverdachtes bedarf.
59
Aber selbst wenn man nach alldem dennoch davon ausgeht, dass im Rahmen zu bestimmender Voraussetzungen Quarantänemaßnahmen auch auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden könnten, so scheitert die Heranziehung dieser Rechtsgrundlage im vorliegenden Fall letztlich daran, dass der Antragsgegner tatsächlich eine Verordnungsregelung nach den §§ 29, 30 IfSG getroffen hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass mit der Verwendung des Begriffes Quarantäne ein Terminus Technicus, also eine eindeutig definierte Bezeichnung innerhalb der Fachsprache des Infektionsschutzes, verwendet wurde. Eine Quarantäne bezieht sich aus medizinischer Sicht auf ansteckungsverdächtige Personen, die Isolation dagegen auf nachweislich Erkrankte (vgl. nur RKI-Fachwörterbuch Infektionsschutz und Infektionsepidemiologie, Stichwort „Quarantäne“, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Service/Publikationen/Fachwoerterbuch_Infektionssch utz.pdf? blob=publicationFile). „Absonderung“ ist der übergeordnete Begriff, der sowohl Quarantäne als auch Isolation umfasst (BT-Drs. 19/178967 S. 59 zu Nummer 18). Davon ging die von Bund und Ländern gemeinsam erarbeitete „Musterquarantäneverordnung“ vom 14. Oktober 2020 auf der die Einreisequarantäneverordnungen des Antragsgegners beruht haben (vgl. nur Begründung der Verordnung zur Änderung der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der EinreiseQuarantäneverordnung vom 29.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 682), aus. Dort ist ausdrücklich vermerkt, dass ein Ansteckungsverdacht bei einem Aufenthalt in einem Risikogebiet gegeben ist (S. 17 der Musterverordnung). Zudem hat der Antragsgegner den § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der Präambel ausdrücklich als Rechtsgrundlage der Verordnung aufgeführt. Die Tatsache, dass dies vom Antragsgegner nunmehr als überflüssig erachtet wird und er sich nicht an den Fachbegriffen des Infektionsschutzes festhalten lassen will, ändert an dieser Bewertung nichts.
60
Der Antragsgegner kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass sich die von § 1 EQV begründeten Rechtsfolgen deshalb wesensmäßig von einer Absonderung i.S.d.§ 30 IfSG unterschieden hätten, weil die EQV eine zwangsweise Durchsetzung wie bei Maßnahmen im Sinne des § 30 IfSG nicht vorgesehen habe. Diese Einschätzung trifft schon deshalb nicht zu, weil ein (vorsätzlicher oder fahrlässiger) Verstoß gegen die Absonderungspflichten aus § 1 Abs. 1 Satz 1 EQV nach § 4 Nr. 1 und Nr. 2 EQV als Ordnungswidrigkeit i.S.d. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG ausgestaltet war, weshalb zumindest über die sicherheitsrechtliche Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG eine zwangsweise Unterbindung des Verstoßes möglich war.
61
Von diesem Ergebnis ist auch der Bundesgesetzgeber ausgegangen. Mit der Neufassung des § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG durch das Dritte Gesetze zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 wurde geregelt, dass eine Person als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern eine Entschädigung nicht erhält, die durch Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet eine Absonderung hätte vermeiden können. Damit sollte eine Entschädigung wegen Verdienstausfalls nach § 56 Absatz 1 Satz 2 IfSG auch dann ausgeschlossen sein, wenn der Absonderung eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet zugrunde liegt (BT-Drs. 19/23944 S. 3 und 37). Insoweit wird deutlich, dass der Bundesgesetzgeber die Einreisequarantäneverordnungen der Bundesländer als echte Absonderungsregelungen im Sinne des § 30 Abs. 1 IfSG begriffen hat.
62
b) Die Einreise aus einem sog. Ausländischen Risikogebiet ist aber bereits grundsätzlich nicht geeignet, allgemein einen hier nur in Betracht kommenden Ansteckungsverdacht nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG zu begründen.
63
Ein Ansteckungsverdächtiger ist nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 7 IfSG eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. § 2 Nr. 7 IfSG (Ansteckungsverdächtiger) definiert damit eine Gefahrenverdachtslage, also einen Sachverhalt, bei dem zwar objektive Anhaltspunkte für eine Gefahr (Aufnahme und darauf beruhende Möglichkeit der Weiterverbreitung von Krankheitserregern) sprechen, die aber eine abschließende Beurteilung der Gefahrensituation nicht ermöglichen. Der Ansteckungsverdacht i.S. von § 2 Nr. 7 IfSG stellt im Rahmen des § 30 IfSG die geringsten Anforderungen an den Gefahrensachverhalt. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Feststellung eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist (anders die abweichende Formulierung in § 1 Abs. 2 Nr. 7 TierSG zur Legaldefinition des ansteckungsverdächtigen Tieres). Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme „geradezu aufdrängt“. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt allerdings kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Es ist sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Ob gemessen daran ein Ansteckungsverdacht i. S. von § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit (vgl. zum Ganzen BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205).
64
Nach § 32 Satz 1, § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG können auch abstrakt-generelle Regelungen zur Absonderungspflicht erlassen werden. Hier kann der Verordnungsgeber unter Ausübung seines Verordnungsermessens bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 4.10.2021 – 20 N 20.767 – juris Rn. 63) auch abstrakt-generelle Regelungen zur Absonderung ganzer Gruppen erlassen, soweit eine abstrakte Gefahr gegeben ist, wenn also eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (BVerwG, U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – NVwZ 2003, 95). Die Regelung mehrerer oder einer unbestimmten Zahl gleichartiger Sachverhalte ist ohnehin Rechtsnormen vorbehalten (BVerwG, U.v. 22.1.2021 – 6 C 26.19 – juris Rn. 26).
65
Der Verordnungsgeber knüpfte zur Beschreibung des Ansteckungsverdachts abstrakt an die Einreise aus einem Risikogebiet an (§ 1 Abs. 1 EQV), also an Gebiete, für welche zum Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bestand. Maßgeblich war die jeweils aktuelle Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) über die Einstufung als Risikogebiet (§ 1 Abs. 5 EQV).
66
Der Begriff des Risikogebietes hat erst durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I 2397) Eingang in das Infektionsschutzgesetz gefunden. Gemäß § 2 Nr. 17 IfSG ist danach ein Risikogebiet ein Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für das vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit festgestellt wurde; die Einstufung als Risikogebiet erfolgt erst mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung der Feststellung durch das Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/risikogebiete. Im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen EQV existierte also keine entsprechende Begriffsdefinition. Allerdings war bereits in der Änderung des IfSG durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587 Nr. 14) u.a. vorgesehen, dass das RKI ausländische Gebiete im Hinblick auf ein erhöhtes Infektionsrisiko für bestimmte bedrohliche übertragbare Krankheiten als gefährdet einstufen kann (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 IFSG i.d.F. vom 27. März 2020).
67
Die Begrifflichkeit des „erhöhten Infektionsrisikos“ fand erstmals durch das Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten vom 24. Juli 2017 Eingang in das Gesetz. Im damaligen § 36 Abs. 6 IfSG (jetzt: § 36 Abs. 7 IfSG) wurde das Bundesministerium für Gesundheit ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für eine bestimmte schwerwiegende übertragbare Krankheit ausgesetzt waren, vor oder nach ihrer Einreise ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen haben, dass bei ihnen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen schwerwiegenden übertragbaren Krankheit vorhanden sind, sofern dies zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist.
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In der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses (Drucksache 18/12604 S.76) heißt es hierzu: 69 „In Buchstabe e wird der neue Absatz 6 eingefügt. Das Bundesministerium für Gesundheit wird danach ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates festzulegen, dass Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für eine bestimmte schwerwiegende übertragbare Krankheit (oder mehrere Krankheiten) ausgesetzt waren, vor oder nach ihrer Einreise ein ärztliches Zeugnis darüber vorzulegen haben, dass bei Ihnen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen schwerwiegenden übertragbaren Krankheit vorhanden sind, sofern dies zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten erforderlich ist (Satz 1). Einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen sein können beispielsweise Personen, die sich in Ausbruchsgebieten aufhielten und die wahrscheinlich mit erkrankten Personen in Kontakt gekommen sein können. Insbesondere vor dem Hintergrund weltweit erhöhter Migrationsbewegungen und Flüchtlingsströme ist es notwendig, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit erforderlichenfalls per Rechtsverordnung einreisende Personen aus Hochprävalenzgebieten einem Verfahren entsprechend den Absätzen 4 und 5 zu unterziehen, auch wenn die betroffenen Personen nicht in einer der dort genannten Einrichtungen aufgenommen werden. Es liegt im Ermessen des Verordnungsgebers, die Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bereits vor Einreise oder aber zumindest nach der Einreise zu fordern. In der Rechtsverordnung nach Satz 1 müssen die näheren Einzelheiten bestimmt werden. Dies umfasst etwa die betroffenen Personengruppen (Personen aus Hochprävalenzgebieten) und die Anforderungen an das ärztliche Zeugnis nach Satz 1 oder der ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 (Satz 3). Hierbei kann das Robert Koch-Institut Empfehlungen abgeben (Satz 4) …“.
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Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber ein erhöhtes Infektionsrisiko grundsätzlich in Hochprävalenzgebieten annimmt. Die Prävalenz (engl. prevalence) beschreibt Mengen von (i.a.) Personen in einem definierten Zustand, z.B. des Krankseins/Betroffenseins. Sie ist neben der Inzidenz ein Hauptaspekt der Beschreibung und Analyse der Verbreitung von Krankheiten/Gesundheitsproblemen. Die Prävalenz kann sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums vergrößern (Epidemie), konstant sein (Gleichgewicht) oder sich verringern (Regression). Man kann in der Regel von der Häufigkeit des Krankseins nicht auf die Häufigkeit des Krankwerdens (Inzidenz) schließen. Für die Prävalenz gibt es spezielle epidemiologische Maßzahlen, die Prävalenzmaße.
(https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung /Glossar/gbe_glossar_catalog.html?cms_lv2=3686300).
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Die Prävalenz gibt Aufschluss über bestehende Fälle, die Inzidenz hingegen über neu auftretende Fälle. Ein Hochprävalenzgebiet (high prevalence area, high-burden area) ist ein Gebiet, in dem das ständige Vorkommen einer bestimmten Krankheit vergleichsweise besonders hoch ist (https://www.rki.de/DE/Content/Service/Publikatione n/Fachwoerterbuch_Infektionsschutz.pdf? blob=publicationFile S. 33). Bei Einreisenden aus Hochprävalenzgebieten besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit einer Infektion als bei Einreisenden aus Mittel- oder Niedrigprävalenzgebieten, was jedoch auch im Falle von SARS-CoV-2 nicht die generelle Annahme eines Ansteckungsverdachtes im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205) von Einreisenden rechtfertigt. Der Ansteckungsverdacht kann nicht so verstanden werden, dass in einer Pandemie bereits das allgemeine Risiko ausreicht, sich angesteckt zu haben (Evaluation der Rechtsgrundlagen und der Maßnahmen der Pandemiepolitik, Bericht des Sachverständigenausschusses nach § 5 Abs. 9 IfSG, S. 117). Ein Ansteckungsverdacht setzt voraus, dass die jeweilige Person mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem mit Krankheitserregern kontaminierten Gegenstand hatte, also eine konkret-individuelle Verbindung zwischen Gefahrenlage und ansteckungsverdächtiger Person besteht (BGH, U. v. 11.5.2023 – III ZR 41/22 – juris Rn 19). Die Schwelle des erhöhten Infektionsrisikos ist grundsätzlich niedriger einzustufen als die des Ansteckungsverdachtes. Während der Ansteckungsverdacht regelmäßig eindeutige Symptome und eine entsprechende Anamnese oder einen Kontakt mit einer infizierten Person erfordert, lässt sich aus einem erhöhten Infektionsrisiko lediglich eine (im Vergleich zu einem Mittel- oder Niedrigprävalenzgebiet) erhöhte Wahrscheinlichkeit im Sinne eines erhöhten Risikos herleiten. Beide Begriffe sind damit nicht deckungsgleich. Ein erhöhtes Risiko für die Infektion mit einer Krankheit begründet nicht ohne Weiteres den Verdacht der Ansteckung mit dieser Krankheit. Das ergibt sich mittlerweile auch unmittelbar aus der Systematik des Gesetzes, denn in § 36 Abs. 8 Satz 3 IfSG ist geregelt, dass Personen nach Satz 1 – also solchen, „bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie einem erhöhten Infektionsrisiko für die Krankheit ausgesetzt waren“ – einer Beobachtung nach § 29 IfSG unterworfen werden können, auch wenn die in § 29 Absatz 1 IfSG genannten Voraussetzungen – also (zumindest) das Vorliegen eines Ansteckungsverdachts – nicht vorliegen. Erst mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen (Epilage-Fortgeltungsgesetz) vom 29. März 2021, BGBl. I S. 370 wurde durch die Änderung des § 36 Abs. 8 Satz 1 Nr. 1 IfSG der Bundesregierung die Befugnis eingeräumt, durch Rechtsverordnung eine Absonderungspflicht an die Einreise aus einem Gebiet mit erhöhtem Infektionsrisiko zu knüpfen.
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Lässt damit § 1 Abs. 1 EQV ein erhöhtes Infektionsrisiko bei einem Aufenthalt im Ausland für die Absonderungspflicht bei der Einreise ins Bundesgebiet ausreichen, verstößt er damit gegen § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG und ist damit unwirksam.
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c) Der Antragsgegner konnte auch keine hinreichenden Tatsachen benennen, welche – unabhängig von der Anknüpfung des § 1 Abs. 1 EQV an den Begriff des „Risikogebiets“ – die Annahme eines tatsächlichen Ansteckungsverdachtes von Reiserückkehrern aus Risikogebieten hätten rechtfertigen können.
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Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf die vom Antragsgegner aufgeworfene Thematik an, ob Einreisende aus festgesetzten Risikogebieten ein höheres Risiko aufwiesen als Einreisende aus Nicht-Risikogebieten. Entscheidend ist vielmehr allein die Frage, ob epidemiologische Kennzahlen bei Einreisenden aus Risikogebieten im streitgegenständlichen Zeitraum in der Lage waren, die Annahme eines Ansteckungsverdachtes zu rechtfertigen.
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Aus der Sicht des Senats sind weder Datensätze aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich noch wurden solche vom Antragsgegner oder dem Bundesministerium für Gesundheit beigebracht, welche diese Annahme in qualitativer oder quantitativer Weise belegen könnten. So weist die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten (BT-Drs. 19/22535) auf die Frage “b) Welche Anzahl dieser Personen wurden in den einzelnen Monaten des Jahres 2020 positiv auf das COVID-19-Virus getestet, und aus welchen Ländern sind sie eingereist?“ auf Folgendes hin: 76 „Dem Robert Koch-Institut (RKI) werden Angaben zu laborbestätigten COVID-19-Fällen übermittelt, u. a. auch in welchem Land sich die Person wahrscheinlich infiziert haben könnte. Diese Daten werden jeden Dienstag im Lagebericht des RKI ausgewertet und veröffentlicht:https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situat ionsberichte/2020-08-25-de.pdf? blob=publicationFile.
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Ferner wurde ab der 34. Kalenderwoche die Frage nach Testen bei Einreisenden auch in die RKI-Testlaborabfrage integriert. Für die 34. Kalenderwoche wurden dem RKI insgesamt 70.813 Tests berichtet, davon waren 629 positiv (0,89%). Bei den Daten handelt es sich um keine Vollerfassung, da nicht aus allen Testzentren in Deutschland Daten übermittelt wurden. Außerdem muss beachtet werden, dass zum Zeitpunkt der Testzahlabfrage noch Rückstaus in einigen Laboren vorlagen (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situations berichte/2020-08-26-de.pdf? blob=publicationFile)“.
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Der Bundesregierung lagen auch keine Daten für einzelne Monate des Jahres 2020 zur Anzahl der Testungen auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 von Personen vor, die aus Gebieten nach Deutschland eingereist sind, für die eine Reisewarnung besteht (S. 4).
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Die Täglichen Lageberichte des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) konstatieren hernach (vgl. die Zusammenstellung auf:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Ar chiv_Situationsberichte.html?nn=13490888) für die KW 40/2020 eine Positivquote von 0,86%, für die KW 42/2020 eine von 1,67%, wobei dort darauf hingewiesen wurde, dass u.a. aufgrund der Schließung zahlreicher Testzentren die Daten nicht vergleichbar seien mit denen aus der KW 41/2020 mit einer Positivquote von 1,33%.
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Auch der Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 2. Oktober 2020 auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Horst Arnold, Ruth Waldmann SPD vom 21. August 2020 (LT-Drs. 18/10281) lassen sich keine belastbaren Zahlen entnehmen, denn auf Basis der gesetzlichen Vorgaben des IfSG wurden nur Informationen zu positiven Fällen, nicht hingegen zur Zahl der insgesamt im jeweiligen Zeitraum aus einzelnen Ländern einreisenden Personen übermittelt. Zudem sind die Zahlen nicht repräsentativ, weil die Meldungen des (zudem i.d.R. nur mutmaßlichen) Expositionsortes auch nur einen Teil der positiv getesteten Fälle betrafen (vgl. S. 4 der Drucksache).
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Die Datenlage erweist sich damit als unzureichend, weil kein Zahlenmaterial speziell von Einreisenden aus Risikogebieten als repräsentative Gruppe erhoben wurde. Hierzu hätte jedoch Veranlassung bestanden, weil bereits mit Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 9. April 2020 (GVBl 2020, 209, BayMBl. 2020, Nr. 192) eine Einreisequarantäne verhängt worden war. Zudem muss bedacht werden, dass Einreisende aus Risikogebieten mit Inkrafttreten der Verordnung zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten zum 8. August 2020 und hernach durch die Verordnung zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten vom 4. November 2020 einer Testpflicht unterlagen, die sie auch bis zu 48 Stunden vor der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland erfüllen konnten (§ 1 Abs. 2 COVTestpflVO). Man muss also davon ausgehen, dass ein großer Teil der Einreisenden bei der Einreise bereits negativ getestet war. Soweit der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auf die OMTRAIR-Studie (Study on Omicron Transmission in Aircraft) hinweist, so ist diese erst im Dezember 2021 erstellt worden und betraf die Omikron-Variante des Coronavirus Sars-CoV-2. Die Omikronvariante bzw. ihre Sublinien wiesen einen epidemiologischen Übertragungsvorteil gegenüber den zuvor zirkulierenden Varianten auf, weshalb sich die Studienergebnisse auf den hier maßgeblichen Zeitraum nicht ohne weiteres übertragen lassen.
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Aus dem vorhandenen Datenmaterial lässt sich deswegen für alle Einreisenden aus Risikogebieten im Zeitpunkt des Inkrafttretens der streitgegenständlichen Norm kein genereller Ansteckungsverdacht herleiten.
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d) Die streitgegenständliche Norm erweist sich – die Entscheidung selbständig tragend – aber auch deshalb als unwirksam, weil der Verweis in § 1 Abs. 5 Satz 2 EQV,“ Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) über die Einstufung als Risikogebiet“ gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Normgeber unter engen Voraussetzungen nicht nur auf eigene, sondern auch auf Regelungen anderer Normgeber verweisen darf (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 25 und – 5 C 8.14 – juris Rn. 25). Selbst die Verweisung auf Regelwerke, die von nichtstaatlichen Normungsgremien geschaffen wurden, ist nicht generell ausgeschlossen, solange für den Rechtsunterworfenen klar erkennbar ist, welche Vorschriften für ihn im Einzelnen gelten sollen (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100 Rn. 39). Dies darf hingegen nicht in einer Weise geschehen, die dazu führt, dass der Bürger schrankenlos einer Normsetzungsgewalt ausgeliefert ist, die ihm gegenüber weder staatlich noch mitgliedschaftlich legitimiert ist. Das widerspräche sowohl dem Rechtsstaatsprinzip, wonach Einschränkungen der Freiheit des Bürgers, soweit sie überhaupt zulässig sind, nur durch oder aufgrund staatlicher Gesetze erfolgen dürfen, als auch dem Demokratieprinzip, wonach die Ordnung eines nach dem Grundgesetz staatlicher Regelung offenstehenden Lebensbereichs auf eine Willensentschließung der vom Volk bestellten Gesetzgebungsorgane zurückgeführt werden muss. Nur soweit der Inhalt der von einem anderen Normgeber erlassenen Regelungen im Wesentlichen feststeht, genügt die verweisende Norm den Anforderungen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und dem Demokratieprinzip ergeben. Für die Beantwortung der Frage, ob diese einer dynamischen Verweisung von Verfassungs wegen gezogenen rechtlichen Grenzen eingehalten wurden, kommt es neben dem Sachbereich und der damit verbundenen Grundrechtsrelevanz wesentlich auf den Umfang der Verweisung an (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100 Rn. 42 f. m.w.N.). Dynamische Verweisungen sind daher grundsätzlich zulässig, wenn der Verweisungsumfang „eng bemessen“ ist. Bei einer begrenzten Bandbreite der zur Überprüfung stehenden Verweisung kann davon ausgegangen werden, dass der verweisende Verordnungsgeber die in Bezug genommenen Regelungen im Blick behält, so dass er auf den vorgegebenen Rahmen sprengende oder von ihm nicht gewünschte Änderungen umgehend reagieren kann (BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 3 C 21.12 – BVerwGE 147, 100 Rn. 44 und vom 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 25 sowie – 5 C 8.14 – juris Rn. 25).
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Diesen Anforderungen wird die Verweisung in § 1 Abs. 5 Satz 2 EQV nicht gerecht. Voraussetzung wäre hierfür zunächst gewesen, dass die genannten Bundesbehörden zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Verordnung überhaupt befugt waren, die Risikogebiete rechtswirksam zu bestimmen bzw. festzusetzen; bereits daran fehlt es jedoch.
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Die „Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete“ waren keine Empfehlungen einer Bundesbehörde, welche von den Bundesländern in ihre Verordnungen übernommen worden sind. Die Liste der festgesetzten Risikogebiete wurde insbesondere kein Bestandteil der EQV des Antragsgegners. Den Bekanntmachungen des RKI lässt sich vielmehr regelmäßig entnehmen, dass die Risikogebiete durch die Bekanntgabe im Internet verbindlich wirksam werden sollten. So heißt es in den Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete (Stand: 6. November 2020; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Transport/Archiv_Ris ikogebiete/Risik…20.pdf? blob=publicationFile): 87 „Die neu ausgewiesenen Risikogebiete (s. unten stehend „Neu seit der letzten Änderung“) sind wirksam ab Sonntag, 8. November 2020, um 0:00 Uhr…
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Für Einreisende in die Bundesrepublik Deutschland, die sich zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der letzten 14 Tage vor Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, kann gemäß den jeweiligen Quarantäneverordnungen der zuständigen Bundesländer eine Pflicht zur Absonderung bestehen…“
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Die Feststellung der Risikogebiete durch die Bundesbehörden hatte eine feststellende und gestaltende Wirkung und ist rechtlich als Verwaltungsakt in der Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 Satz 2 VwVfG) einzustufen. Er legte verbindlich den persönlichen Anwendungsbereich für die Einreisequarantäneregelungen der Bundesländer fest und hatte damit Regelungswirkung. Regelungscharakter hat eine Maßnahme, wenn sie nach ihrem Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn Rechte des Betroffenen begründet, geändert oder aufgehoben werden, sondern – als Besonderheit des feststellenden Verwaltungsakts – auch dann, wenn sie mit bindender Wirkung festgestellt oder verneint werden. Ist eine Erklärung der Verwaltung darauf gerichtet, die im Verhältnis von Staat und Bürger (oder dem Staat gegenüberstehenden sonstigen Rechtssubjekten) bestehenden Unsicherheiten zu beseitigen, indem sie die generelle und abstrakte Regelung des Gesetzes verbindlich konkretisiert und/oder individualisiert, so legt die Verwaltung fest, was im Einzelfall rechtens sein soll, und trifft damit eine Regelung mit Außenwirkung i. S. des § 35 VwVfG (BVerwG, U.v. 5.11.2009 – 4 C 3.09 – BVerwGE 135, 209).
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So liegt der Fall hier. Sowohl aus den Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete (Stand: 6. November 2020; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu artiges_Coronavirus/Transport/Archiv_Risikogebiete/Risik…20.pdf? blob=publicationFile) als auch aus der in das Verfahren eingeführten Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom 5. Mai 2023 ist ersichtlich, dass es sich bei der Festsetzung der Risikogebiete um eine ein mehrstufiges Verfahren abschließende Entscheidung handelte, welche über die bloße Feststellung eines Sachverhalts hinausging und Wertungen enthielt. Sie war auch auf die Setzung von Rechtsfolgen gerichtet, denn sie erfolgte ausdrücklich (auch) im Hinblick auf die durch die Länder geregelten Einreisequarantänebestimmungen und deren persönlichen Anwendungsbereich. Zwar mag es sich bei der Einstufung der Risikogebiete um eine im Wesentlichen auf epidemiologischen Kennzahlen beruhende Entscheidung handeln; das macht sie jedoch nicht nur zu einer behördlichen Wissenserklärung oder Auskunft.
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Die Bundesbehörden verfügten allerdings jedenfalls bis zur Einfügung des § 2 Nr. 17 IfSG durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite v. 18. November 2020 (BGBl. I 2397) nicht über die erforderliche Befugnis zur Feststellung von Risikogebieten, also Gebieten außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für die ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit besteht. Dies wäre aber im Zeitpunkt des Erlasses der Einreisequarantäneverordnung am 8. November 2020 erforderlich gewesen, um auf die entsprechende Veröffentlichung des RKI ohne eigene inhaltliche Verordnungsregelung verweisen zu können. In der damaligen Fassung des § 5 Abs. 2 IfSG war lediglich eine Anordnungsbefugnis des Bundesministeriums für Gesundheit u.a. für Testungen (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. d IfSG) vorgesehen für Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen oder eingereist sind und die wahrscheinlich einem erhöhten Infektionsrisiko für bestimmte bedrohliche übertragbare Krankheiten ausgesetzt waren, insbesondere, weil sie aus Gebieten einreisen, die das Robert Koch-Institut als gefährdet eingestuft hat. Dies stellte jedoch keine allgemeine Befugnis zur Festsetzung von Risikogebieten durch das Bundesministerium für Gesundheit dar, zumal hier noch die Einstufung als „gefährdet“ durch das RKI erfolgen sollte. Das Inkrafttreten des § 2 Nr. 17 IfSG, in dem zumindest geregelt ist, dass das Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein erhöhtes Infektionsrisiko feststellt, war nicht in der Lage, diesen Rechtsmangel zu heilen. Das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18. November 2020 (BGBl. I 2397) enthält keine entsprechenden Heilungsvorschriften. Den Weg, die Verordnung auf Grundlage der geänderten Rechtslage neu zu erlassen, hat der Antragsgegner nicht beschritten (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 23.11.2005 – 8 C 14.04 – juris Rn 13). Auch aus den sonstigen Vorschriften der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung des IfSG lässt sich eine entsprechende Befugnis nicht herleiten. Lediglich in § 36 Abs. 6 und 7 IfSG a.F. waren Verordnungsermächtigungen vorhanden, welche an eine Einreise von Personen aus dem Ausland mit erhöhten Infektionsrisiko anknüpften. Eine Ermächtigung zur allgemeinen Feststellung von Risikogebieten konnte hieraus nicht hergeleitet werden. Die auf § 36 Abs. 7 Satz 1, 3 und 5 IfSG gestützte Verordnung zur Testpflicht von Einreisenden aus Risikogebieten vom 4. November 2020 (BAnz AT 06.11.2020 V1) verwies außerdem ebenso nur auf die Veröffentlichung des RKI (§ 1 Abs. 1 Satz 3), ohne eine eigene Regelung zu treffen.
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Auf die weiterführende Frage nach der Zulässigkeit einer dynamischen Verweisung allein auf eine (jederzeit änderbare) Internet-Veröffentlichung einer Bundesbehörde kommt es danach schon nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.
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4. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).