Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 27.06.2023 – Vf. 12-VIII-22 , Vf. 13-VII-22
Titel:

Verfahren gegen die gesetzliche Anordnung der Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erfolglos

Normenketten:
BV Art. 3 Abs. 1, Art. 75 Abs. 3, Art. 98 S. 4
BayVerfGHG Art. 49 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 55 Abs. 1 S. 1
BayAGVwGO Art. 1 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
Allenfalls teilweise zulässiger und insoweit unbegründeter Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit sowie mangels ausreichender Substanziierung insgesamt unzulässige Popularklage gegen die Gesetzesänderung zur Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in A. (Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO). (Rn. 18 – 19)
1. Für die Zulässigkeit eines Meinungsverschiedenheitsverfahrens musss die Meinungsverschiedenheit bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden sein, wofür eine ablehnende Abstimmung allein nicht ausreicht; die Meinungsverschiedenheit muss vielmehr konkretisiert zum Ausdruck gebracht worden sein und mit dem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren kongruent sein. (Rn. 49 und 52) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 1 Abs. 1 S. 3 AGVwGO verletzt nicht das Bestimmtheitsgebot. (Rn. 68 – 70) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Meinungsverschiedenheitsverfahren, Erkennbarkeit der Meinungsverschiedenheit, Bestimmtheitsgebot
Fundstellen:
BayVBl 2023, 627
LSK 2023, 19243
BeckRS 2023, 19243

Tenor

Die Anträge werden abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die zur gemeinsamen Entscheidung gemäß Art. 30 Abs. 1 VfGHG, § 93 VwGO verbundenen Verfahren der Meinungsverschiedenheit (Vf. 12-VIII-22) und der Popularklage (Vf. 13-VII-22) mit Anträgen jeweils vom 25. Juli 2022 betreffen beide die Frage, ob § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. April 2022 (GVBl S. 148) sowie Art. 1 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juni 1992 (GVBl S. 162, BayRS 34-1-l), das zuletzt durch Gesetz vom 22. April 2022 (GVBl S. 148) geändert worden ist, gegen die Bayerische Verfassung verstoßen. Die angegriffene Bestimmung des Änderungsgesetzes betrifft die Errichtung weiterer auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in A. und hat zu einer Neufassung des Satzes 2 sowie des angegriffenen Satzes 3 des Art. 1 Abs. 1 AGVwGO geführt, der seither folgenden Wortlaut hat:
Art. 1
Bayerische Verwaltungsgerichtsbarkeit
(1) 1Das Oberverwaltungsgericht für den Freistaat Bayern führt die Bezeichnung „Bayerischer Verwaltungsgerichtshof“. 2Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz und die Mehrzahl seiner Senate in M.. 3In Ansbach werden mindestens sechs auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet.
2
1. Gemäß § 2 VwGO sind in den Ländern Verwaltungsgerichte und das jeweilige Oberverwaltungsgericht errichtet.
3
Das Oberverwaltungsgericht für den Freistaat Bayern führt gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO die Bezeichnung „Bayerischer Verwaltungsgerichtshof“, dessen Sitz gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO in M. ist.
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a) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof verfügt seit 1995 über eine Außenstelle in A.. Deren erstmalige Einrichtung mit zunächst drei Senaten geht zurück auf das am 1. Januar 1994 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 23. Juni 1993 (GVBl S. 408).
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b) Seit dem 1. Juli 2007 bestehen in A. insgesamt vier auswärtige Senate aufgrund des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. Juni 2007 (GVBl S. 389). Seither lautete Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO: „In Ansbach werden vier auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet.“
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c) Die Bayerische Staatsregierung beschloss als Fortschreibung der Heimatstrategie aus dem Jahr 2014 das Konzept „Behördenverlagerungen Bayern 2030 2. Stufe“.
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Es wird damit das Ziel weiterverfolgt, wohnortnahe Arbeitsplätze zu schaffen und strukturschwache Regionen zu fördern. Das Konzept „Behördenverlagerungen Bayern 2030 2. Stufe“ enthält neben anderen Vorhaben insbesondere die beabsichtigte Stärkung der Region A. durch die Verlagerung weiterer Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs von München nach Ansbach mit insgesamt mindestens 35 Beschäftigten.
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d) Der von der Staatsregierung am 14. Dezember 2021 in den Bayerischen Landtag eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (LT-Drs. 18/19570) sah in § 1 Nr. 1 Buchst. b folgende Änderung des Art. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) vor:
Abs. 1 Satz 2 und 3 wird wie folgt gefasst:
2Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz und die Mehrzahl seiner Senate in M.. 3In A. werden mindestens sechs auswärtige Senate des Verwaltungsgerichtshofs errichtet.“
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Begründet wurde dies mit der Notwendigkeit der Förderung ländlicher Regionen und strukturell benachteiligter Räume zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit Bayerns sowie der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern unter gleichzeitiger Entlastung des Großraums München im Hinblick auf die dort nach wie vor überproportional wachsende Bevölkerung, seine zunehmenden Verkehrsprobleme, aber auch die angespannte Situation am Wohnungsmarkt. Angesichts der herausgehobenen Stellung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs als höchstem Verwaltungsgericht in Bayern stärke seine Präsenz in A. die Stadt und die ganze Region Mittelfranken. Unter Beibehaltung des Sitzes des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in M. werde deshalb die Anzahl der in A. zu errichtenden auswärtigen Senate von bisher vier auf mindestens sechs der derzeit insgesamt 21. Senate (nebst acht mit diesen personenidentischen Fach- und Spezialsenaten) erhöht. Mit der Errichtung von sechs Außensenaten würden die aktuell vorhandenen Raumkapazitäten für eine Unterbringung von Außensenaten in A. zwar zunächst erschöpft. Es sei jedoch aufgrund der Anordnung einer gesetzlichen Mindestzahl nicht ausgeschlossen, im Rahmen der Gerichtsverwaltung künftig auch ohne erneutes Gesetzgebungsverfahren weitere Außensenate in A. zu errichten. Eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Gerichts sei nicht zu besorgen. Insbesondere sei Voraussetzung für weitere Außensenate in A. der Verbleib der überwiegenden Zahl der Senate am Sitz in M.. Etwaige Erschwernisse für gerichtsinterne Abläufe seien durch die fortschreitenden Möglichkeiten der Informationstechnik und der digitalen Sachbearbeitung weitgehend minimiert. So schaffe diese durch fortentwickelte Telefon- und Videokonferenzsysteme neue Alternativen für die Arbeit in Gremien und den fachlichen Informationsaustausch. Durch die sich in Aufbau befindliche digitale Fallbearbeitung sei diese weitgehend nicht mehr an einen Ort gebunden, was auch die Besetzung von Spruchkörpern an unterschiedlichen Orten erleichtere. Ebenso unterstütze die neue Technik die Führung der Dienstaufsicht sowie die Zusammenarbeit der Geschäftsstellen und gleiche etwaige Nachteile einer räumlichen Trennung aus. Über die Errichtung weiterer Senate in A. und eine entsprechende Verlagerung von Beschäftigten der Landesanwaltschaft werde in Ansehung der künftig zur Verfügung stehenden Unterbringungskapazitäten bis 2030 entschieden werden. Das Konzept sehe vor, bis zu diesem Jahr voraussichtlich insgesamt rund 80 Mitarbeiter des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und der Landesanwaltschaft in A. zu beschäftigen.
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e) Anlässlich der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs im Bayerischen Landtag am 25. Januar 2022 bemängelte ein Abgeordneter der Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit, dass die genaue Anzahl der Außensenate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in A. durch das Gesetz nicht konkret festgelegt werde (Plenarprotokoll 18/102 S. 13905). Die Staatsregierung habe diese Problematik auch erkannt. Wenn diese schon einmal selbst erkenne, dass ein Gesetz dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügen könnte, sei höchste Vorsicht geboten. Das weitere Verfahren im Verfassungsausschuss werde sich insoweit auf eine intensive Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfs beziehen müssen. Es wäre „doch wirklich schade, wenn Behördenverlagerungen und die damit einhergehende Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Bayern am fortdauernden handwerklichen Unvermögen der Staatsregierung scheitern sollten“.
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f) Auf Empfehlung des Ausschusses für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration (LT-Drs. 18/21848) beschloss der Bayerische Landtag den Gesetzentwurf der Staatsregierung in zweiter Lesung am 30. März 2022 ohne Aussprache und ohne Änderungen, gegen die Stimme der Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Bayerischen Landtags (Plenarprotokoll 18/109 S. 14877 f.; LT-Drs. 18/22039).
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g) Das Gesetz wurde am 22. April 2022 vom Bayerischen Ministerpräsidenten ausgefertigt und im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 29. April 2022 bekannt gemacht (GVBl S.148). Es trat am 1. Mai 2022 in Kraft.
II.
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Die Antragstellerin im Verfahren der Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV und die Antragsteller im Verfahren der Popularklage gemäß Art. 98 Satz 4 BV wenden sich jeweils sowohl gegen die Änderungsbestimmung in § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung als auch gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO in der dadurch seither geltenden Fassung. Sie beantragen gleichlautend festzustellen, dass die beanstandeten Vorschriften verfassungswidrig und nichtig seien, hilfsweise festzustellen, dass diese verfassungswidrig und nichtig seien, soweit „mindestens“ sechs auswärtige Senate errichtet werden sollen.
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1. Verfahren Vf. 12-VIII-22
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Der Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit sei zulässig und auch begründet.
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a) Die Antragstellerin als Fraktion im Bayerischen Landtag sei im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV beteiligtenfähig. Es handle sich auch um einen zulässigen Streitgegenstand im Rahmen einer Meinungsverschiedenheit. Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben. Die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes sei von der Antragstellerin bereits im Gesetzgebungsverfahren, im Ausschuss wie im Parlament, gerügt und das Gesetz schließlich gegen deren Stimme mit den Stimmen der Antragsgegner beschlossen worden. Die Antragstellerin könne als Fraktion und damit als Teil des Landtags die bereits auf Ausschuss- und Parlamentsebene geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken weiterverfolgen.
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b) Der Antrag sei auch begründet. Das angegriffene Gesetz verstoße gegen das in der Bayerischen Verfassung verankerte Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 BV) sowie das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV).
18
Durch die Ermächtigung zur Verlegung einer unbestimmten Anzahl an Senaten nach Ansbach werde offensichtlich § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, der nur zur Errichtung „einzelner“ Senate ermächtige, also einer genau bestimmten Zahl, jedenfalls nicht der Mehrzahl der Senate, verletzt. Durch die Errichtung von „mindestens sechs“ auswärtigen Senaten sei zum einen die Zahl dieser nicht bestimmt im Sinn des § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO, zum anderen sei hiernach auch nicht mehr die Errichtung von nur einzelnen auswärtigen, also nicht der Mehrheit der Senate, gewährleistet. Ausweislich des Wortlauts, des Ziels und der Historie der Ermächtigungsgrundlage sowie der Gesetzgebungsbefugnis müsse die Zahl der auswärtigen Senate nämlich durch förmliches Gesetz geregelt werden und die Mehrheit der Senate müsse am Sitz des Verwaltungsgerichtshofs in M. verbleiben, was durch Gesetz auch sichergestellt sein müsse. Auf die Möglichkeit einer Wahrung dieser Grenze komme es nicht an. Eine auswärtige Errichtung in Ausnahme vom Sitz des Verwaltungsgerichtshofs sei demnach nur im Interesse der Rechtsuchenden zur Vertiefung des Rechtsschutzes möglich, ohne dass die Kosten eines zusätzlichen Gerichts entstünden. Zum einen sei die Errichtung eines zweiten Verwaltungsgerichtshofs schon nach § 2 VwGO nicht zulässig, sodass jedenfalls die Regelung betreffend die Errichtung auswärtiger Senate eng auszulegen sei; zum anderen ließen die angefochtenen Bestimmungen die Kosten außer Acht, da die Regelung die Errichtung einer unbegrenzten Anzahl auswärtiger Senate ohne Rücksicht auf die Kosten, welche die eines eigenen Gerichtssitzes nicht erreichen sollten, ermögliche.
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Auch wenn im Grundsatz die Errichtung der Senate gemäß § 9 Abs. 2 VwGO der Gerichtsverwaltung obliege, könne dies für auswärtige Senate als Ausnahmeregelung nicht gelten. Der Bundesgesetzgeber habe nämlich von der ihm übertragenen konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis abschließend Gebrauch gemacht, sodass den Ländern die Befugnis zur Gesetzgebung nur insoweit verblieben sei, als dass der Bund von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht habe. Durch § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO habe es der Bundesgesetzgeber der Entscheidung der Länder überlassen, einzelne Senate auswärtig zu errichten. Dies habe demnach durch den Landesgesetzgeber durch förmliches Gesetz zu erfolgen und nicht durch die Gerichtsverwaltung. Dem Landesgesetzgeber fehle gemäß Art. 72 GG insoweit die Gesetzgebungskompetenz, die Errichtung auf die Verwaltung zu übertragen. Vielmehr müsse er diese betreffend jeden auswärtigen Senat durch Gesetz selbst vornehmen. Überdies verstoße die Errichtung einer unbestimmten Anzahl auswärtiger Senate allein aus strukturpolitischen Gründen ohne Berücksichtigung der Funktionsfähigkeit des Gerichts gegen § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO und verletze somit offensichtlich die Bayerische Verfassung in Art. 3 Abs. 1, Art. 118 Abs. 1 BV.
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2. Verfahren Vf. 13-VII-22
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Die erhobene Popularklage sei zulässig und begründet.
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a) Der Bayerische Verfassungsgerichtshof sei gemäß Art. 98 Satz 4 BV für die Überprüfung von Normen des bayerischen Landesrechts zuständig. Die Verfassungswidrigkeit könne jedermann durch Beschwerde geltend machen. Die Antragsteller seien als natürliche Personen antragsberechtigt. Die angegriffenen förmlichen Gesetze seien taugliche Antragsgegenstände. Die Antragsbefugnis liege vor, da die Schaffung einer gesetzlichen Norm gegen bestehendes Bundesrecht mangels Wahrung der verfassungsrechtlichen Grenzen willkürlich und rechtsstaatswidrig sei; Art. 118 BV gewähre Schutz vor willkürlichen Normsetzungen. Es bestehe ein objektives Klarstellungsinteresse, da die genannten Rechtsvorschriften geltendes Recht seien, von bayerischen Behörden angewendet würden und die Errichtung der auswärtigen Senate unmittelbar bevorstehe.
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b) Das Gesetz sei auch verfassungswidrig. Zur Begründung tragen die Antragsteller inhaltsgleich zum Verfahren der Meinungsverschiedenheit vor, dass das Rechtsstaatsgebot sowie das allgemeine Willkürverbot verletzt seien, da die angegriffenen landesgesetzlichen Bestimmungen die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO offensichtlich verletzten (vgl. oben unter 1. b)).
III.
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1. Der Bayerische Landtag hält die Anträge in beiden Verfahren für unbegründet.
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a) Eine Verletzung des allgemeinen Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV) liege nicht vor. Als sachlicher Grund liege dem angefochtenen Gesetz ausweislich der Gesetzesbegründung das Konzept „Heimatstrategie – Behördenverlagerungen Bayern 2030 – 2. Stufe“ zugrunde. Dieses diene der Förderung ländlicher Regionen und strukturell benachteiligter Räume zur Erhaltung der Zukunftsfähigkeit Bayerns und der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse sowie Arbeitsbedingungen in ganz Bayern. Die vom Gesetzgeber bei der Errichtung auswärtiger Senate vorzunehmende Abwägung und Ermessensausübung sei auch unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Gerichts nicht zu beanstanden.
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b) Auch eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) liege nicht vor. Das Gesetz wahre die bundesrechtlichen Schranken des § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Die Beschränkung auf die Errichtung einzelner Senate bedeute nach allgemeiner Meinung nur, dass die überwiegende Zahl der Spruchkörper und damit der Schwerpunkt des Gerichts am Stammsitz verbleiben müsse. Nicht erforderlich sei hingegen, dass der Landesgesetzgeber selbst die genaue Zahl der auswärtigen Senate bestimme. Ihm sei es auch möglich, insoweit lediglich einen Rahmen vorzugeben. Ob und inwieweit im jeweiligen Land für die Errichtung auswärtiger Senate notwendige Finanzmittel zur Verfügung gestellt würden, entscheide ausschließlich der Landesgesetzgeber des jeweiligen Landes im Haushaltsgesetz. Das Bundesrecht mache hierzu keine Vorgaben.
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Die getroffene Regelung ermögliche offensichtlich auch nicht die Errichtung eines zweiten Verwaltungsgerichtshofs in Bayern. Vielmehr habe der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, dass der Sitz des Verwaltungsgerichtshofs München sei, auch wenn auswärtige Senate in A. gebildet würden.
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Auch unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes sei die Anzahl auswärtiger Senate nicht zwingend im Gesetz selbst festzulegen.
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Es liege auch kein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 BV folgenden allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz vor. Den rechtsstaatlichen Anforderungen sei im Hinblick auf eine mögliche Zahl auswärtiger Senate hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass das Gerichtspräsidium ihre Zahl im gesetzlich zulässigen Rahmen bestimme.
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2. Die Bayerische Staatsregierung hält die Anträge für jedenfalls unbegründet.
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a) Eine Verletzung des allgemeinen Willkürverbots (Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV) durch Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO liege nicht vor. Dem Gesetzgeber stehe ein weiter Ermessensspielraum zu. Es genüge, dass sich für die Entscheidung des Gesetzgebers ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht anführen lasse. Nur wenn die getroffene gesetzgeberische Entscheidung durch keine sachliche Erwägung zu rechtfertigen sei oder der Werteordnung der Bayerischen Verfassung widerspreche, könne diese vom Verfassungsgerichtshof revidiert werden. Als sachlicher Grund liege dem angefochtenen Gesetz das Konzept „Heimatstrategie – Behördenverlagerung Bayern 2030 – 2. Stufe“ zugrunde. Die vom Gedanken der Regionalisierung und Dezentralisierung getragenen strukturpolitischen Überlegungen seien ein maßgeblicher Grund für die Auslagerung von Spruchkörpern. Die nun vorgesehene Errichtung von mindestens zwei weiteren Senaten neben den vier seit Mitte 2007 bestehenden Außensenaten in A. unter Verbleib von deren Mehrzahl am Sitz des Gerichts in M. schränke die Funktionsfähigkeit des Gerichts nicht zusätzlich ein. Es stärke im Gegenteil dort bereits bestehende Strukturen, nicht zuletzt durch den damit verbundenen personellen Aufwuchs in A..
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b) Eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) liege ebenfalls nicht vor. Eine solche wäre nur dann anzunehmen, wenn der Landesgesetzgeber ausdrückliche bundesrechtliche Schranken für eine Verlagerung einzelner Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs offenkundig nicht eingehalten hätte, der Landesgesetzgeber also offensichtlich den Bereich der Rechtsordnung des Bundes verlassen, die gesetzliche Regelung eindeutig ohne Rechtsetzungsbefugnis geschaffen hätte und der Widerspruch zum Bundesrecht inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten wäre. Das angegriffene Gesetz wahre die bundesrechtlichen Schranken des § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO. Die Beschränkung auf die Errichtung einzelner Senate bedeute nach allgemeiner Meinung nur, dass die überwiegende Zahl der Spruchkörper und damit der Schwerpunkt des Gerichts am Stammsitz verbleiben müsse. Die getroffene Regelung ermögliche offensichtlich nicht die Errichtung eines zweiten Verwaltungsgerichtshofs in Bayern. Vielmehr habe der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, dass der Sitz des Verwaltungsgerichtshofs München sei, auch wenn auswärtige Senate in A. gebildet würden.
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c) Auch unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes sei die Anzahl auswärtiger Senate nicht zwingend im Gesetz selbst festzulegen. Die Festlegung der Zahl der Spruchkörper sei bei allen Gerichtszweigen zunächst eine Angelegenheit der Gerichtsverwaltung und, soweit Bestimmungen hierzu bestünden, regelmäßig den Ministerien oder den Gerichtspräsidenten zugewiesen. Dies werde auch durch einen Blick auf andere Gerichtsbarkeiten bestätigt. Soweit beispielsweise aufgrund § 116 Abs. 2 und 3 GVG die Landesregierungen bzw. Justizverwaltungen zur Bildung auswärtiger Senate von Oberlandesgerichten durch Rechtsverordnung ermächtigt seien, werde deren Zahl ebenfalls nicht durch Gesetz, sondern im Rahmen einer Rechtsverordnung durch die Exekutive bestimmt.
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d) Es liege kein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 BV folgenden allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz vor. Den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen sei im Hinblick auf eine mögliche Zahl auswärtiger Senate hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass ihre Zahl im gesetzlich zulässigen Rahmen durch das Gerichtspräsidium im Rahmen der Gerichtsverwaltung bestimmt werde.
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3. Die als Antragsgegner der Meinungsverschiedenheit benannten Fraktionen im Bayerischen Landtag erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme.
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a) Die Fraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER treten in einer gemeinsamen Stellungnahme dem Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit entgegen.
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aa) Der Antrag sei bereits unzulässig. Es seien keine substanziierten Ausführungen zu einer Rüge der Verfassungswidrigkeit durch die Antragstellerin erfolgt. Eine Identität zwischen dem Vortrag der Antragstellerin in dem das verfassungsgerichtliche Verfahren einleitenden Schriftsatz zur Verletzung des Rechtsstaatsgebots wegen offenkundiger Bundesrechtswidrigkeit und ihrer Argumentation im Gesetzgebungsverfahren selbst, dort zur Verletzung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes, sei gerade nicht gegeben.
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bb) Der Antrag sei darüber hinaus vollumfänglich unbegründet. Das Änderungsgesetz zum Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung sei materiell verfassungsgemäß.
39
Gegen das allgemeine Willkürverbot sei nicht verstoßen worden. Ein sachlicher Grund für die Änderung liege vor, der Gesetzgeber habe den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten. Insbesondere zeige sich in der historischen Betrachtung, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof seit 1995 eine Außenstelle in der mittelfränkischen Regierungshauptstadt Ansbach mit zunächst drei, seit 2007 mit vier Außensenaten vorweisen könne. Seit diesen Zeitpunkten hätten keine Umstände darauf hingedeutet, dass die Funktionsfähigkeit des Gerichts hierunter gelitten hätte. Durch die Verlegung lediglich zweier weiterer Senate nach Ansbach sei eine Einschränkung folglich nicht zu erwarten und sogar fernliegend.
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Es gebe auch keinen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO entscheide der Landesgesetzgeber, ob einzelne Senate eines Oberverwaltungsgerichts an weiteren Orten zu errichten seien. Weitergehende Voraussetzungen ergäben sich aus dem Wortlaut der Norm gerade nicht. Tiefergehende organisationsrechtliche Bestimmungen habe der Bundesgesetzgeber somit nicht getroffen.
41
Genauso wenig liege ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes vor. Die genaue Bestimmung der Anzahl von Spruchkörpern bei Gerichten sei eine originäre Aufgabe der Gerichtsverwaltung und in der Regel den entsprechenden Ministerien oder Gerichtspräsidenten zugewiesen.
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Auch ergebe sich kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, da die mögliche Zahl auswärtiger Senate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im gesetzlich zulässigen Rahmen durch das Gerichtspräsidium in Form der Gerichtsverwaltung bestimmt werde.
43
b) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Bayerischen Landtag hält den Antrag für in jedem Fall unbegründet.
IV.
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1. Der Verfassungsgerichtshof hat von einer mündlichen Verhandlung, auf die alle Beteiligten ausdrücklich verzichtet haben, abgesehen (Art. 22 Abs. 1, Art. 55 Abs. 3 VfGHG).
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2. Der Verfassungsgerichtshof trifft die Entscheidung unter Mitwirkung von drei Richtern des Verwaltungsgerichtshofs, obwohl sich die Entscheidung auf alle Angehörigen des Verwaltungsgerichtshofs auswirken kann. Die allgemeinen Regeln über Ausschluss oder Ablehnung wegen Befangenheit (Art. 9 VfGHG i. V. m. §§ 22 ff. StPO) greifen nicht ein, da die Verfassung selbst in Art. 68 Abs. 2 BV die Mitwirkung von Richtern bestimmter Gerichte an den verschiedenen verfassungsgerichtlichen Verfahren vorschreibt (vgl. näher VerfGH vom 14.2.1995 VerfGHE 48, 17/20 m. w. N.). Von den Beteiligten wurden insoweit auch keine Bedenken erhoben.
V.
46
Der Antrag im Verfahren der Meinungsverschiedenheit ist allenfalls teilweise zulässig, der Antrag im Popularklageverfahren unzulässig.
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1. Verfahren Vf. 12-VIII-22
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Der Antrag ist allenfalls teilweise zulässig.
49
a) Nach Art. 75 Abs. 3 BV entscheidet der Bayerische Verfassungsgerichtshof Meinungsverschiedenheiten darüber, ob durch ein Gesetz die Verfassung geändert wird oder ob ein Antrag auf unzulässige Verfassungsänderung vorliegt. Diese Voraussetzungen sind nach Art. 49 Abs. 1 VfGHG auch dann erfüllt, wenn die Meinungsverschiedenheit – wie hier – darüber besteht, ob durch ein Gesetz die Verfassung verletzt wird. Die Meinungsverschiedenheit muss zwischen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen oder Teilen derselben entstanden sein. Ihnen stehen Fraktionen gleich, die sich mit gegenteiligen Auffassungen gegenüberstehen. Die Meinungsverschiedenheit muss bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden sein (vgl. VerfGH vom 12.8.1994 VerfGHE 47, 184/189; vom 9.5.2016 VerfGHE 69, 125 Rn. 107; vom 3.12.2019 BayVBl 2020, 226 Rn. 84; vom 28.8.2020 NJW 2020, 3429 Rn. 37 m. w. N.).
50
b) Die Antragstellerin ist als Fraktion im Bayerischen Landtag demnach antragsberechtigt (Art. 49 Abs. 2 Satz 1 VfGHG). Sie hat als Antragsgegner zutreffend zumindest die weiteren Landtagsfraktionen und die Bayerische Staatsregierung benannt. Mit den Stimmen der Antragsgegnerinnen zu 3 bis 7 wurden die streitgegenständlichen gesetzlichen Regelungen gegen die Stimme der Antragstellerin beschlossen. Die Antragsgegnerin zu 2 hat den der angegriffenen Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung zugrunde liegenden Gesetzentwurf nach Art. 71 BV im Bayerischen Landtag eingebracht. Der Landtag (Antragsgegner zu 1) wird daneben nicht zu Recht von ihr in Anspruch genommen; er ist aber jedenfalls weiterer Beteiligter des Verfahrens (vgl. zu den Antragsgegnern und Beteiligten VerfGH vom 27.7.1972 VerfGHE 25, 97/107 f.; vom 26.8.2021 BayVBl 2022, 9 Rn. 52 m. w. N.; Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 6. Aufl. 2020, Art. 75 Rn. 19 m. w. N.).
51
c) Dem Erfordernis, dass die Meinungsverschiedenheit bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden sein muss, genügt die Antragstellerin allenfalls teilweise, soweit das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot betroffen ist.
52
Um diese Zulässigkeitsvoraussetzung zu erfüllen, reicht eine ablehnende Abstimmung für sich allein nicht aus. Vielmehr muss die Meinungsverschiedenheit konkretisiert zum Ausdruck gebracht worden sein (vgl. Möstl in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 75 Rn. 13; Brechmann in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 75 Rn. 21, jeweils m. w. N.). Voraussetzung dafür ist, dass Identität zwischen der während der Landtagsberatung erhobenen Rüge und der den Gegenstand des Verfahrens nach Art. 75 Abs. 3 BV bildenden Meinungsverschiedenheit besteht, und zwar hinsichtlich der beanstandeten gesetzlichen Vorschriften (vgl. bereits VerfGH vom 12.10.1950 VerfGHE 3, 115/118 f.) und der als verletzt erachteten Verfassungsnormen (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGHE 25, 97/109; vom 26.8.2021 BayVBl 2021, 808 Rn. 44 m. w. N.).
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Zur Darlegung einer bereits im Gesetzgebungsverfahren hervorgetretenen verfassungsrechtlichen Meinungsverschiedenheit stützt sich die Antragstellerin auf die Wortmeldung eines ihrer Abgeordneten anlässlich der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Bayerischen Landtag am 25. Januar 2022. Dieser hatte moniert, dass die genaue Anzahl der Außensenate des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in A. durch das Gesetz nicht konkret festgelegt werde und die Staatsregierung diese Problematik auch erkannt habe. Wenn die Staatsregierung schon einmal selbst erkenne, dass ein Gesetz dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht genügen könnte, sei höchste Vorsicht geboten (Plenarprotokoll 18/102 S. 13905).
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Mit diesen Ausführungen wurde im Gesetzgebungsverfahren aus den verschiedenen allgemeinen Grundsätzen, die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV als grundlegendem Prinzip der Bayerischen Verfassung ableiten lassen (vgl. nur Geis in Meder/Brechmann, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 3 Rn. 6), konkret nur das Bestimmtheitsgebot angesprochen. Eine verfassungsrechtliche Beanstandung zu anderen, davon zu unterscheidenden Ausflüssen des Rechtsstaatsprinzips ist im parlamentarischen Verfahren hingegen nicht erfolgt. Ebenso wenig wurde dort ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV gerügt. Der zentrale Vorwurf im verfassungsgerichtlichen Verfahren der Meinungsverschiedenheit, dass das angegriffene Änderungsgesetz das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV sowie das Willkürverbot des Art.118 BV deswegen verletze, weil die bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage eindeutig nicht eingehalten werde, ist daher nicht bereits im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden; insoweit werden keine auf Parlamentsebene geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Verfahren nach Art. 75 Abs. 3 BV weiterverfolgt.
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Es ist auch zweifelhaft, ob in der kurzen pauschalen Bemerkung des Abgeordneten eine ausreichende verfassungsrechtliche Beanstandung der angegriffenen Regelungen gesehen werden kann und ob mit den auf die Bestimmtheit im Sinn der bundesrechtlichen Ermächtigung des § 3 Abs. 1 Nr. 5 VwGO abstellenden Ausführungen in der Antragsbegründung eine hinreichend substanziierte Darlegung einer Verletzung – auch – des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots erfolgt ist. Das kann aber offenbleiben, da insoweit der Antrag der Antragstellerin jedenfalls unbegründet ist (dazu unten unter VI.).
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2. Verfahren Vf. 13-VII-22
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Die Popularklage ist unzulässig.
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a) Gemäß Art. 98 Satz 4 BV hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann durch Beschwerde (Popularklage) geltend gemacht werden. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Vorschriften des bayerischen Landesrechts (Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG). Zu diesen gehört die hier angegriffene Bestimmung, gegen die sich die Popularklage richtet, nämlich Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO in der Fassung, die er durch § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung erhalten hat.
59
b) Die Antragsteller sind als natürliche Personen nach Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG antragsberechtigt. Die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift des bayerischen Landesrechts kann danach von jedermann beim Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden.
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c) Die Antragsteller haben jedoch nicht hinreichend substanziiert dargelegt, inwiefern nach ihrer Auffassung die angegriffene Regelung gegen Grundrechte der Bayerischen Verfassung verstößt.
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Zu den prozessualen Voraussetzungen einer Popularklage gehört gemäß Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG, dass der Antragsteller darlegt, inwiefern durch die angegriffene Rechtsvorschrift ein in der Verfassung gewährleistetes Grundrecht verfassungswidrig eingeschränkt wird. Unzulässig ist die Popularklage, wenn und soweit eine als verletzt bezeichnete Norm der Verfassung kein Grundrecht gewährt. Sie ist weiter unzulässig, wenn zwar ein Grundrecht als verletzt gerügt wird, eine Verletzung der entsprechenden Norm nach Sachlage aber von vornherein nicht möglich ist, weil der Schutzbereich des angeblich verletzten Grundrechts durch die angefochtene Rechtsvorschrift nicht berührt wird. Dabei reicht es nicht aus, wenn der Antragsteller lediglich behauptet, die angefochtene Rechtsvorschrift verstoße nach seiner Auffassung gegen Grundrechtsnormen der Bayerischen Verfassung. Er muss seinen Vortrag vielmehr so präzisieren, dass der Verfassungsgerichtshof beurteilen kann, ob der Schutzbereich der bezeichneten Grundrechtsnorm berührt ist und eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 21.2.1986 VerfGHE 39, 17/21; vom 26.6.2012 VerfGHE 65, 118/ 122 f.; VerfGH BayVBl 2018, 514 Rn. 36; vom 28.6.2022 BayVBl 2022, 625 Rn. 39 m. w. N.).
62
Auf die Rüge einer Verletzung des Bestimmtheitsgebots als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips oder auf einen sonstigen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) kann eine Popularklage für sich allein nicht gestützt werden, weil diese Verfassungsnorm kein Grundrecht verbürgt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 16.11.2018 – Vf. 23-VI-16 – juris Rn. 21; vom 29.10.2020 BayVBl 2021, 83 Rn. 24, jeweils m. w. N.).
63
Soweit die Antragsteller einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) rügen, haben sie zwar eine subjektive Rechte verbürgende Verfassungsnorm als verletzt bezeichnet. An der hinreichenden Darlegung, dass die angegriffene Bestimmung gegen das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete allgemeine Willkürverbot verstößt, fehlt es aber.
64
In seinem klassischen Gehalt verbietet der Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV, gleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise ungleich und ungleiche Sachverhalte in willkürlicher Weise gleich zu behandeln. Davon zu unterscheiden ist das allgemeine Willkürverbot, das der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit auch dort dient, wo es nicht um die Beurteilung konkreter Vergleichspaare oder die ausnahmslose Einhaltung eines einheitlichen Regelungssystems geht. Willkürlich in diesem Sinn sind Normen, wenn die äußersten Grenzen des normgeberischen Ermessens überschritten sind, für die getroffene Regelung also jeder sachlich einleuchtende Grund fehlt (vgl. VerfGH vom 23.10.2008 VerfGHE 61, 248/257; vom 13.9.2012 VerfGHE 65, 152/160; vom 17.7.2017 BayVBl 2018, 407 Rn. 51). Die Popularklage nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 VfGHG ist ein objektives Verfahren und anders als die Verfassungsbeschwerde nach Art. 120 BV nicht ausschließlich ein Rechtsschutzverfahren. Art. 98 Satz 4 BV bezweckt im öffentlichen Interesse den Schutz der Grundrechte als Institution (vgl. Huber, BayVBl 2008, 65/68; Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaates Bayern, Art. 98 Rn. 8). Die Popularklage dient daher nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen. Von dieser Funktion her ist es gerechtfertigt, das Willkürverbot als allgemeine Rechtsschranke für staatliches Handeln dem Gleichheitssatz zuzuordnen und demgemäß auch gegenüber dem Normgeber grundrechtlich zu sichern. Mit der Popularklage kann unter Berufung auf das Willkürverbot demnach geltend gemacht werden, eine Norm sei von einem solchen Maß an Sachwidrigkeit geprägt, dass ihr die Geltung abgesprochen werden muss (vgl. VerfGH vom 14.2.1995 VerfGHE 48, 17/22 f.; VerfGHE 65, 152/160 f.; vom 2.4.2019 – Vf. 9-VII-18 – juris Rn. 23).
65
Die Antragsteller legen Willkür im beschriebenen Sinn nicht nachvollziehbar dar. Sie behaupten lediglich, dass die Schaffung einer gesetzlichen Norm gegen bestehendes Bundesrecht mangels Wahrung der verfassungsrechtlichen Grenzen willkürlich und rechtsstaatswidrig sei; ein Gesetz verletze das Rechtsstaatsprinzip sowie das Willkürverbot, wenn eine bundesgesetzliche Ermächtigungsgrundlage eindeutig nicht eingehalten werde. Weiter verweisen sie darauf, dass vom Verfassungsgerichtshof mit Entscheidung vom 14. Februar 1995 (VerfGHE 48, 17) bereits über eine Popularklage gegen die (ursprüngliche) Verlegung von drei Senaten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nach Ansbach entschieden worden und die damalige Willkürrüge als ausreichend erachtet worden sei. Dies macht eine eigenständige substanziierte Darlegung willkürlicher Normsetzung jedoch weder entbehrlich noch kann sie eine solche ersetzen. Warum für die in diesem Verfahren angegriffene konkrete Bestimmung zur Verlegung weiterer Außensenate nach Ansbach jeder sachlich einleuchtende Grund fehlen würde, sie von einem solchen Maß an Sachwidrigkeit geprägt sein sollte, dass ihr die Geltung abgesprochen werden müsste, lässt sich den Ausführungen der Antragsteller nicht nachvollziehbar entnehmen. Sie weisen sogar selbst – zutreffend – darauf hin, dass in der Kommentarliteratur zur Verwaltungsgerichtsordnung entgegen ihrer Auffassung die Meinung vertreten wird, dass die Zahl der zu errichtenden auswärtigen Senate nicht genau im Gesetz selbst bestimmt werden müsse.
VI.
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1. Verfahren Vf. 12-VIII-22
67
Die Zulässigkeit der Meinungsverschiedenheit hinsichtlich eines Verstoßes gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot unterstellt, ist der Antrag jedenfalls unbegründet.
68
Das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV ist nicht verletzt.
69
Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet den Normgeber, seine Vorschriften so zu fassen, dass sie den rechtsstaatlichen Anforderungen der Klarheit und Justiziabilität entsprechen. Normen müssen so formuliert sein, dass die davon Betroffenen die Rechtslage erkennen können und die Gerichte in der Lage sind, die Anwendung der betreffenden Vorschrift durch die Verwaltung zu kontrollieren. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden unter Berücksichtigung von Ziel, Tendenz, Programm, Entstehungsgeschichte und Zusammenhang mit anderen Vorschriften eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Vorschrift gewinnen lässt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 26.2.2021 BayVBl 2021, 336 Rn. 35 m. w. N.; vom 17.5.2022 BayVBl 2022, 702 Rn. 79).
70
Hiervon ausgehend erweist sich die angegriffene Regelung als hinreichend bestimmt. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Vorschrift mit der Wendung „mindestens sechs auswärtige Senate“ ausreichend klar, sie ermächtigt insbesondere nicht zur Errichtung der Mehrheit der Senate in A.. Bei der Auslegung des angegriffenen Art. 1 Abs. 1 Satz 3 AGVwGO in der Fassung, die er durch § 1 Nr. 1 Buchst. b des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung erhalten hat, ist der Zusammenhang mit anderen Vorschriften, vor allem mit der unmittelbar vorangestellten Bestimmung in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 AGVwGO zu berücksichtigen, wonach der Verwaltungsgerichtshof seinen Sitz und – ausdrücklich – die Mehrheit seiner Senate in M. hat. Damit ist klar und nachvollziehbar geregelt, dass und inwiefern die Anzahl der nach Ansbach auszulagernden Senate nach oben begrenzt ist und durch die insgesamt vorhandene Zahl der Senate gesteuert wird. Dass Voraussetzung für künftige weitere Außensenate in A. der Verbleib der überwiegenden Zahl der Senate am Sitz in M. ist, wird unter Hinweis auf Rechtsprechung und Kommentarliteratur auch in der Begründung des Änderungsgesetzes hervorgehoben (LT-Drs. 18/19570 S. 5)
71
Die Prüfung einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips in anderer Hinsicht (offensichtlicher Verstoß gegen Bundesrecht, Vorbehalt des Gesetzes) oder eines Verstoßes gegen das Willkürverbot des Art. 118 Abs. 1 BV durch die angegriffene Regelung ist im kontradiktorischen Verfahren der Meinungsverschiedenheit nach Art. 75 Abs. 3 BV nicht veranlasst, da insoweit keine bereits auf Parlamentsebene geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken weiterverfolgt werden.
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2. Verfahren Vf. 13-VII-22
73
Da die Popularklage mangels substanziierter Grundrechtsrüge vollumfänglich unzulässig ist, besteht kein Anlass zu einer sachlichen Überprüfung der angefochtenen Bestimmungen.
VII.
74
Die Verfahren sind kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).