Titel:
Erfolglose Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Gabionenwand an der Grundstücksgrenze
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 2, S. 4, Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 7, Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a, Art. 59 S. 1, Art. 63, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die für Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 lit. a BayBO maßgebliche Höhe von 2 m ist von der Oberfläche des Baugrundstücks aus bis zur Oberkante der Mauer oder Einfriedung zu messen, und zwar auch bei Unterschieden in der Höhenlage zwischen Bau- und Nachbargrundstück. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Vorschriften über die Abstandsflächen dienen in ihrer Gesamtheit dem Nachbarschutz. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist. (Rn. 43) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung, Abweichung von den Abstandsflächen, Atypik, aneinandergrenzende Gabionenwände, Gebot der Rücksichtnahme, Verstoß gegen Treu und Glauben, Nachbar-Anfechtungsklage, drittschützende Norm, Abstandsflächen, fehlender Grenzabstand, Abweichung, Genehmigungsfreiheit, Gabionenwand, Belichtung, Belüftung, Besonnung, Nebenanlage, erdrückende Wirkung
Rechtsmittelinstanzen:
VG Ansbach, Beschluss vom 03.05.2023 – AN 3 K 21.1418
VGH München, Beschluss vom 18.02.2025 – 9 C 24.362
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19240
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens inklusive der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die jeweils anderen Beteiligten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 19. Juli 2021 zur Errichtung einer Gartenmauer aus Gabionen.
2
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … in … (* …, …; im Folgenden wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet, da alle Grundstücke innerhalb der Gemarkung … liegen). Südwestlichen grenzt das im Eigentum der mit Beschluss vom 4. August 2021 Beigeladenen stehende Grundstück FlNr. … (* …, …*) an. Die Kläger haben entlang der südwestlichen Grundstücksgrenze auf einer Länge von etwa 17,25 m eine Gabionenwand mit einer Höhe von ca. 2 m (strittig) aus Sicht des Grundstücks der Beigeladenen errichtet. Zwischen Grundstücksgrenze und Gabionenwand befindet sich auf dem klägerischen Grundstück eine Rabatte aus L-Steinen mit einer Breite von etwa 12 cm. Die Gabionenwand ist in Richtung des Grundstücks der Beigeladenen in voller Länge und Höhe mit einer ursprünglich lilafarbenen Kunststoffplane verhängt. Eine Baugenehmigung für die Gabionenwand existiert nicht.
3
Mit bei der Beklagten am 7. Juni 2021 eingegangenem Antragsformular beantragten die Beigeladenen die Baugenehmigung für die Errichtung einer Gartenmauer aus Gabionen entlang der nordöstlichen (d. h. zu den Klägern gerichteten) Grundstücksgrenze. Aus den beigefügten Plänen ergibt sich, dass die Gartenmauer unmittelbar entlang der Grundstücksgrenze mit einer Länge von 12,23 m (bis zu einem im Abstand zur Grundstücksgrenze von ca. 0,38 m errichteten Gartenhaus), einer Höhe von 2,13 m und einer Tiefe von 0,23 m errichtet werden soll. Hinsichtlich der laut Abstandsflächenplan auf das Grundstück der Kläger fallenden Abstandsflächen wurde eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO beantragt. Zur Nachbarbeteiligung ist im Bauantrag der handschriftliche Vermerk enthalten, dass die Eigentümer des Grundstücks FlNr. … die Unterschrift verweigert haben. Zur Begründung des Antrages auf Erteilung einer Abweichung wird ausgeführt, dass die Kläger ihre Mauer im Rahmen eines Nachbarschaftskonfliktes – wohl als Provokation – mit einer lila Plane verhüllt hätten. Befriedungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt. Nicht bekannt sei, ob für die an sich genehmigungspflichtige Mauer eine Baugenehmigung vorhanden sei, allerdings bestehe kein Interesse an einer Rückbauverpflichtung. Einer Genehmigung der beantragten Mauer dürfte entsprechend dem Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ nichts entgegenstehen. Durch eine genehmigungsfreie Mauer würde die Plane nicht vollständig verdeckt. Die Errichtung eines gleich hohen Sichtschutzes sei nicht mit zusätzlichen Nachteilen für die Nachbarn verbunden.
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Mit Bescheid vom 19. Juli 2021 wurde den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Zulassung einer Abweichung hinsichtlich der nordöstlichen Abstandsfläche der Gabionenwand erteilt. Die im Bauantrag beigefügten Baupläne wurden mit dem Genehmigungsvermerk „geprüft als Anlage zum Bescheid vom 19. Juli 2021“ versehen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Abweichung erforderlich geworden sei, da die Höhe der Gabionenwand mehr als 2 m betrage, so dass das Vorhaben genehmigungspflichtig sei und Abstandsflächen anfielen. Die neue Gabionenwand werde in der Höhe an die bestehende, 2,13 m hohe Gabionenwand des Nachbarn auf FlNr. … angeglichen. Die Länge der Gabionenwand werde nach hinten lediglich bis zur bestehenden Gartenhütte des Bauherrn geführt. Aufgrund der Geltung des Gleichheitsgrundsatzes und der Zustimmung des Stadtplanungsamtes habe die Abweichung erteilt werden können.
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Eine Ausfertigung der Baugenehmigung wurde den Klägern mittels Postzustellungsurkunde, laut Zustellungsvermerk am 20. Juli 2021 zur Post gegeben, zugestellt.
6
Die Kläger erhoben mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 3. August 2021, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach über EGVP und qualifiziert elektronisch signiert eingegangen am selben Tag, Anfechtungsklage.
7
Zur Begründung der Klage wurde mit Schriftsatz vom 28. September 2021 vorgetragen, dass die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung rechtswidrig sei. Auch eine (Grenzstrich-)Mauer mit einer Höhe von mehr als 2 m müsse die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 BayBO erforderlichen Abstandsflächen einhalten. Da die vorliegend genehmigte Mauer höher als 2 m sei, sei die nach Art. 63 BayBO erteilte Befreiung rechtswidrig. Es liege ein Fall von Ermessensfehlgebrauch vor, da die Beklagte die Befreiung unter der unzutreffenden Annahme, die auf dem Grundstück der Kläger stehende Mauer sei selbst höher als 2 m, erteilt habe. Unbestritten sei, dass man sich nicht auf Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht durch einen Nachbarn berufen könne, wenn man selbst das Abstandsflächenrecht nicht einhalte. Die grenzseitige Mauer auf dem klägerischen Grundstück übersteige die 2 m nicht und sei daher nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Ziff. 3 BayBO nicht abstandsflächenrelevant und sei dies auch nach Maßgabe des bis zum Zeitpunkt der Errichtung geltenden Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Ziff. 3 BayBO a.F. nicht gewesen. Denn bei der Frage, ob die Zwei-Meter-Linie nach Art. 6 BayBO gerissen werde, sei von der Seite des Grundstücks aus zu bestimmen, auf dem die Mauer stehe (VGH BW, B.v. 30.10.1995 – 3 S 2418/95; OVG Lüneburg, B.v. 24.6.1986, Baurecht 1987,296). Sei also auf der Seite der Grundstücksgrenze, auf der die angeblich zu hohe Mauer errichtet worden sei, die Zwei-Meter-Linie eingehalten, so könne sich der Nachbar nicht darauf berufen, dass die Mauer zu hoch sei (Busse/Kraus, BayBO, Art. 6 Rn. 168).
8
Aus der E-Mail der Beklagten vom 30. Juli 2021 ergebe sich, dass der Beklagten der Umstand, dass die Mauer auf dem Grundstück der Kläger die Höhe von 2 m einhalte, bekannt sei. Entsprechend könne die Abweichung zugunsten der Kläger nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz begründet werden. Die Mauer der Kläger und die den Beigeladenen genehmigte Mauer seien nicht gleich.
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Weitere Gründe, die die Abweichung tragen könnten, seien nicht erkennbar.
10
Die angegriffene Baugenehmigung verletze die Kläger in ihren Rechten, da das Abstandsflächenrecht nach allgemeiner Ansicht nachbarschützend sei. Die Grundstücke der Kläger und Beigeladenen grenzten unmittelbar aneinander. Die streitgegenständliche Mauer verlaufe entlang der gemeinsamen Grenze. Die Abstandsflächen, die die nicht zu genehmigende Mauer werfen würde, lägen vollständig auf dem Grundstück der Kläger, deren Mauer überall nicht höher als 2 m sei. Zum Beweis werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt.
11
Die Kläger beantragen,
- 1.
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Die Baugenehmigung der Beklagten vom 19. Juli 2021 – … – wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
12
Die Beklagte beantragt,
- 1.
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Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
-
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
13
Mit Schriftsatz vom 3. November 2021 führt die Beklagte aus, dass unter Betrachtung der Begründung für die beantragte Abweichung, der Berücksichtigung des Zwecks der Abstandsflächenregelungen und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen die beantragte Abweichung und die Baugenehmigung hätten erteilt werden können. Die Gabionenmauer der Kläger an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Beigeladenen sei durch die Beklagte gemessen worden. Die Mauer überschreite in einem Teilstück die Höhe von 2 m: im Bereich zum Bordstein ergebe sich eine Höhe von bis zu 2,08 m. Die Mauer der Kläger halte die Vorgaben des Art. 6 BayBO in diesem Bereich nicht ein. Die Höhe nehme im Verlauf der Mauer in Richtung Osten ab, so dass nach ca. 5,5 m (Abstand von der Straße) eine Höhe von 1,87 m erreicht werde. Auf die mögliche Überschreitung der 2 m zur Straße hin sei bereits mit E-Mail vom 30. Juli 2021 hingewiesen worden. Das Grundstück der Beigeladenen liege bis zu ca. 0,10 m tiefer als das Grundstück der Kläger. In der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei die Höhe der genehmigten Mauer auf die Höhe der bereits bestehenden Mauer der Kläger angeglichen worden. Durch diese Angleichung sei sichergestellt, dass keine Beeinträchtigungen durch die genehmigte Mauer gegenüber dem Klägergrundstück hervorgerufen werden könnten. Die Mauer der Beklagten „verschwinde“ vollständig hinter der Mauer der Kläger.
14
Der Bevollmächtigte der Kläger wies mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2021 daraufhin, dass sich die Beklagte nicht damit auseinandersetze, dass die Mauer vom klägerischen Grundstück aus betrachtet die Höhe von 2 m nicht überschreite. Entsprechend könne sich die Beklagte nicht auf § 242 BGB berufen. Es werde ausdrücklich beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen für den Fall, dass die Beklagte nach wie vor behaupte, dass die klägerische Mauer die 2 m überschreite.
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Die Beklagte übersandte mit Schriftsatz vom 20. Januar 2022 ein Datenblatt einer Messung des Stadtplanungsamtes, Abteilung Vermessung, vom 17. Dezember 2020.
16
Die Bevollmächtigten der Beigeladenen nahmen mit Schriftsatz vom 1. Februar 2022 dahingehend Stellung, dass sich die auf dem Grundstück der Kläger errichtete Mauer über die gesamte südwestliche Grundstücksgrenze auf einer Länge von ca. 17,15 m erstrecke. Auf der gesamten Länge und Höhe an der Außenseite der Mauer zum Grundstück der Beigeladenen hin sei eine dunkelfarbige „Accura“-Abdeckplane zum Teil mit Spanngurten befestigt. An der Oberseite der geschlossenen Gabionenwand der Kläger seien zwei Kameras zur Überwachung angebracht. Die durch die Beigeladenen geplante Gabionen-Gartenmauer erstrecke sich nur auf eine Länge von 12,23 m und überrage die auf dem Grundstück der Kläger errichtete Mauer an keinem Punkt. Die natürliche Geländeoberfläche weise vor Ort ein doppeltes Gefälle auf: das natürliche Gelände falle in südwestliche und südöstliche Richtung hin ab, so dass das Grundstücksniveau der Kläger gegenüber dem Grundstücksniveau der Beigeladenen höher liege.
17
Da von der Mauer der Beigeladenen keine beeinträchtigenden Wirkungen auf das Grundstück der Kläger ausgingen, müsse das streitgegenständliche Bauvorhaben schon gar keine Abstandsflächen aufweisen. Die Mauer verschwinde vollständig hinter der bereits bestehenden Gabionenmauer der Kläger. Die an der Grundstücksgrenze zu errichtende Mauer solle im oberen Bezugspunkt dieselbe Höhe aufweisen, wie die bereits vorhandene Mauer der Kläger. Die Gabionen-Mauerkrone sei exakt an die Krone der Mauer der Kläger angepasst. Die Kläger trügen auch keinerlei beeinträchtigende Wirkung durch das streitgegenständliche Bauvorhaben vor. Sie bezögen sich ausschließlich auf eine vermeintliche Höhe ihrer eigenen Mauer in Bezug auf ihr Grundstück und würden verkennen, dass es darauf nicht ankomme. Denn selbst wenn deren Mauer die 2 m in Bezug auf das Abstandsflächenrecht sowie in Bezug der genehmigungspflichtige nicht überschreiten würde – was tatsächlich nicht der Fall sei –, würde dies nichts daran ändern, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben der Beigeladenen die Mauer der Kläger an keiner Stelle überrage und hinter der Mauer der Kläger vollständig verschwinde.
18
Darauf, dass das streitgegenständliche Bauvorhaben der Beigeladenen als geschlossene Einfriedung im Sinne des Art. 7 Nr. 3 BayBO (gemeint wohl Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO) qualifiziert werden könne und die „bis zu 2 m“-Grenze, bei der regelmäßig keine Wirkung wie von Gebäuden ausgehe, nur geringfügig überschreite, was schon eine Befreiung im Sinne des Art. 63 Abs. 1 BayBO rechtfertige, komme es nicht mehr an. Unter einer Einfriedung verstehe man eine Einrichtung, die dazu diene, Grundstücke oder Teile hiervon von Verkehrsflächen, Nachbargrundstücken oder Teilen desselben Grundstücks abzugrenzen bzw. abzuschirmen, um Witterungs- oder Immissionseinflüsse wie Wind, Lärm und Straßenschmutz abzuwehren oder das Grundstück gegen unbefugtes Betreten oder Einsichtnahme zu schützen. Geschlossen seien Einfriedungen dann, wenn sie keinen Durchblick ermöglichten. Das streitgegenständliche Bauvorhaben diene dazu, die rechtswidrigen, die Beigeladenen beeinträchtigenden Wirkungen der von den Klägern errichteten Gabionenwand mit der flächendeckend angebrachten dunkelfarbigen Accura-Baufolie abzuschirmen. Die Beigeladenen hätten mehrmals versucht, die Kläger zu einem nachbarschaftlichen Miteinander zu bewegen. So sei insbesondere mit Schreiben der Bevollmächtigten vom 6. August 2021 der Vorschlag unterbreitet worden, von der Errichtung der streitgegenständlichen Mauer Abstand zu nehmen, wenn sich die Kläger im Gegenzug dazu verpflichten würden, die an der Mauer befestigte Plane und die installierten Kameras vollständig zu entfernen und es zukünftig zu unterlassen, die Gabionenwand an der Außen- und Oberseite zu benutzen, um eine Plane, Überwachungskameras und Ähnliches anzubringen. Die Kläger hätten diesen Vorschlag zurückweisen lassen.
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Zu berücksichtigen sei des Weiteren die Geländesituation. Daraus könne resultieren, dass eine an der Grenze errichtete Mauer unterschiedliche Höhen aufweisen könne, je nachdem, von welcher Seite man diese betrachte. Die Kläger versuchten den Umstand zu überspielen, dass sich ihre Mauer aufgrund des natürlichen Grundstücksgefälles in Bezug auf das Grundstück der Beigeladenen höher auswirke.
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Aus der Vermessung der Mauer der Kläger durch den Beklagten, wonach die Mauer der Kläger auf deren Grundstück eine Höhe von 2,08 m erreiche, ergebe sich, dass die Mauer nicht verfahrensfrei hätte errichtet werden dürfen. Nach Sinn und Zweck der Regelung müsse entgegen der Auffassung der Kläger die Höhe von bis zu 2 m von jeder Betrachtungsweise aus eingehalten werden, also sowohl vom klägerischen Grundstück als auch vom Grundstück der Beigeladenen aus (BayVGH, B.v. 14.1.2016 – 1 ZB 12.788). Die Beigeladenen hätten im Rahmen eines durchzuführenden Verfahrens ordnungsgemäß beteiligt werden müssen, um ihre Nachbarrechte wahrzunehmen, und wären insoweit durch die Kläger nicht vor vollendete Tatsachen gesetzt worden. Auch hätte die Beklagte gegen die auf dem Grundstück der Kläger errichtete Mauer bauaufsichtlich einschreiten müssen, was die Beklagte allerdings unterlassen habe. Von der über 2 m hohen Mauer seien entsprechende Abstandsflächen einzuhalten. Die Kläger könnten sich im vorliegenden Fall nicht auf die Erforderlichkeit einer einzuhaltenden Abstandsfläche der Gabionenmauer der Beigeladenen berufen, die sie selbst in Bezug auf ihre geschlossene Gabionenmauer nicht einhielten. Zusätzlich verstoße die an der ohne Baugenehmigung errichteten Mauer befestigte Abdeckfolie wegen ihrer verunstaltenden Wirkung gegen Art. 8 BayBO und benachteilige und beeinträchtigte die Beigeladenen unangemessen.
21
Die Beklagte habe in Bezug auf die Folie ein bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt. Hätte die Beklagte dafür gesorgt, dass bauordnungsrechtlich ordnungsgemäße Verhältnisse auch hinsichtlich der Kläger einkehrten, hätten die Beigeladenen von der Verwirklichung ihres Vorhabens Abstand nehmen können. Wegen des Verhaltens der Kläger und des Unterlassens der Beklagten hätten die Beigeladenen keine andere Möglichkeit gesehen als sich gegen die beeinträchtigende Wirkung der Mauer der Kläger abzuschirmen. Es wäre unverhältnismäßig und den Beigeladenen unter den Umständen des Einzelfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben und dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zuzumuten, darauf verwiesen zu sein, dass ihre Mauer an keiner Stelle die 2 m-Grenze ihres in Bezug auf das Grundstück der Kläger tiefer liegende Grundstück überschreiten dürfe.
22
Die Beklagte erwiderte auf das Schreiben des Bevollmächtigten der Beigeladenen mit Schriftsatz vom 18. März 2022, dass für die Mauer der Kläger keine Genehmigung vorliege. Von der Forderung eines nachträglichen Antrages auf Baugenehmigung sei bisher aufgrund der geringfügigen Überschreitung von maximal 8 cm und lediglich auf einem Teilstück abgesehen worden. Aufgrund der an der Mauer angebrachten Folie liege kein Verstoß gegen Art. 8 BayBO vor.
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Hinsichtlich des vom Bevollmächtigten der Beigeladenen erwähnten Unterlassens bauaufsichtlichen Einschreitens werde darauf verwiesen, dass sowohl das Grundstück der Kläger als auch das Grundstück der Beigeladenen im Innenbereich lägen. Für das Gebiet sei am 10. November 1993 der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan (Nummer …*), der dort eine beabsichtigte Festsetzung als eingeschränktes Gewerbegebiet vorgesehen habe, gefasst worden. Unabhängig davon sei der Neubau der Lagerhalle mit Büro und angebautem Wohnhaus der Kläger im Jahr 2013 planungsrechtlich als Gewerbegebiet beurteilt worden. Auch der Flächennutzungsplan weise dort eine gewerbliche Fläche aus. Es könne sich aber auch um eine Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BGB handeln.
24
Die Beigeladenen hätten sich erstmals im Frühjahr 2020 wegen der Mauer der Kläger an die Beklagte gewandt. Anhand von Luftbildern und Aufnahmen von Straßenbefahrungen sei festgestellt worden, dass die Mauer der Kläger zwischen März 2016 bis April 2017 errichtet worden sein dürfte. Entsprechend hätten die Beigeladenen die grenzständige Einfriedung mehrere Jahre akzeptiert. Auf den Antrag zur Errichtung der Gartenmauer der Beigeladenen sei die Abweichung zu erteilen gewesen, da eine Schlechterstellung der Kläger nicht ersichtlich sei. Eine Verschattung des Nachbargrundstückes sei aufgrund der bündig beantragten Oberkante beider Mauerhöhen ausgeschlossen. Zudem müsse sich der Kläger Verstöße entgegenhalten lassen, die er selbst nicht einhalte. Ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen die bereits mehrere Jahre bestehende Mauer sei aufgrund der geringfügigen Überschreitung nicht geboten gewesen, insbesondere auch da der Beigeladene mehrfach zum Ausdruck gebracht habe, dass er den Nachbarn nicht anzeigen, sondern des Friedens willen selbst eine entsprechend hohe Grenzwand errichten wolle. Sofern der Beklagten nunmehr ein Unterlassen entgegengehalten werde, sei zu berücksichtigen, dass durch die anfängliche Akzeptanz der Mauer über mehrere Jahre die nachbarschützenden Belange des Beigeladenen verwirkt seien. Die Forderung einer Höhenreduzierung der nachbarlichen Gabionenmauer sei aufgrund des Sachverhaltes sowie des technischen Aufwandes bis hin zur Unmöglichkeit unverhältnismäßig. Auf die nachträgliche Forderung eines Genehmigungsverfahrens sei verzichtet worden.
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Die lila Plane sei erst später angebracht worden. Es handele sich um eine selbstständige Maßnahme unabhängig von der Errichtung der Mauer. Da eine Nutzung als Werbeanlage nicht ersichtlich sei, sei die Anbringung verfahrensfrei. Eine Verunstaltung sei nicht erkennbar. Es handle sich um einen matten, weder schillernden noch reflektierenden Farbton, der keine Signalfarbe sei. Auch die Fläche von ca. 32 m² beeinträchtige im Gewerbegebiet bzw. in der Gemengelage weder das Ortsbild noch einen Durchschnittsbetrachter. Im Übrigen liege ein Nichteinschreiten im Ermessen der Beklagten.
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Die Bevollmächtigten der Kläger forderten mit Schriftsatz vom 1. April 2022 erneut die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der Höhe der klägerischen Mauer. Richtig sei, dass straßenseitig die Beklagte bei einem Ortstermin eine äußerst geringfügige Überschreitung festgestellt habe.
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Ob die Gabionenwand auf dem Grundstück der Kläger verbleibe, könne derzeit nicht gesagt werden. Schon deshalb verfangen das Argument des Beigeladenenvertreters, von dem geplanten Vorhaben der Beigeladenen gehe eine beeinträchtigende Wirkung aus (gemeint wohl: keine beeinträchtigende Wirkung), nicht. Denn wenn sich die Kläger später für eine niedrigere Hecke entscheiden würden, müssten sie mit der verschattenden Wirkung der Gabionenwand der Beigeladenen leben, weil die Baugenehmigung dann bestandskräftig wäre.
28
Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2022 übersandten die Bevollmächtigten der Kläger Lichtbilder von dem zwischenzeitlich durch die Beigeladenen errichteten Zaun, der höher sei, als der durch die Kläger errichtete.
29
Mit Beschluss vom 24. Januar 2023 erging ein Beweisbeschluss zur Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins hinsichtlich der örtlichen Verhältnisse auf den Grundstücken der Kläger sowie der Beigeladenen.
30
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Behördenakte und hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung sowie der Inaugenscheinnahme auf die Niederschrift.
Entscheidungsgründe
31
Die zulässige Klage ist unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Kläger insofern nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
32
Die Kläger als Dritter können sich dabei mit einer Anfechtungsklage nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Baugenehmigungsbescheid zur Wehr setzen, wenn dieser rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. u.a. BayVGH, B.v. 30.7.2021 – 1 CS 21.1506 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein unmittelbarer Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GG zur Begründung des Nachbarrechtsschutzes kommt dabei grundsätzlich nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber in Ausfüllung seines legislatorischen Gestaltungsspielraums aus Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nachbarliche Abwehrrechte verfassungskonform ausgestaltet hat und unter Einschluss der Grundsätze des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme ein geschlossenes System des nachbarlichen Drittschutzes bereitstellt (vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23 m.w.N.).
33
Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden. Die Baugenehmigung muss dabei gegen eine im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Vorschrift verstoßen. Auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte können durch eine Baugenehmigung nur dann verletzt werden, wenn diese bauordnungsrechtlichen Vorschriften im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
34
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
35
Vorliegend besteht keine Verletzung solch drittschützender Rechte der Kläger.
36
1. Rechtsgrundlage für die Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Aufgrund der Höhe der geplanten Gabionen-Mauer von 2,13 m – die bereits vorhandene Mauer stellt laut Einlassung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ein Provisorium dar – handelt es sich nicht um ein verfahrensfreies Bauvorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. a BayBO. Die Höhe ist dabei von der Oberfläche des Baugrundstücks aus bis zur Oberkante der Mauer oder Einfriedung zu messen, und zwar auch bei Unterschieden in der Höhenlage zwischen Bau- und Nachbargrundstück (BayVGH, B. v. 14.1.2016 – 1 ZB 12. 788 – juris; Molodovsky/Famers/Waldmann, Bayerische Bauordnung, Art. 57 Rn. 92b).
37
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO hat der Bauherr einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Mangels Sonderbaueigenschaft des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich der Prüfungsumfang der Beklagten nach dem vereinfachten Verfahren des Art. 59 Satz 1 BayBO.
38
2. Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens ist gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b BayBO das Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO sowie gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO. Die Vorschriften über die Abstandsflächen dienen in ihrer Gesamtheit auch dem Nachbarschutz (BayVGH, B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535; BayVGH, B.v. 13.12.2004 – 20 CS 04.2915).
39
a) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen freizuhalten. Dies gilt entsprechend für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäude ausgehen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Die Abstandsflächen müssen nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO grundsätzlich auf dem Baugrundstück selbst liegen.
40
Das Vorhaben fällt dabei nicht unter die Ausnahmen des Art. 6 Abs. 7 BayBO. Aufgrund der Abmessungen der geplanten Mauer von 12,23 m x 2,13 m sind die Voraussetzungen weder von Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO noch von Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO erfüllt.
41
b) Da die geplante Mauer die gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO einzuhaltende Abstandsfläche von 3 m in Richtung des klägerischen Grundstückes nicht einhält, war eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften erforderlich. Die im Baugenehmigungsbescheid vom 19. Juli 2021 erteilte Abweichung von der nordöstlichen Abstandsfläche nach Art. 63 i.V.m. Art. 6 BayBO ist nicht zu beanstanden.
42
Dabei kommt es nach der mit Gesetz vom 17. Juli 2018 (DVBl S. 523) eingeführten Regelung in Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO nicht darauf an, ob eine Atypik gegeben ist (BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 10). Das Gesetz wolle erreichen, dass Abweichungen vom Abstandsflächenrecht beim Aufstocken von Bestandsgebäuden erleichtert möglich seien. Entscheidend für die Abweichung von Vorschriften des Abstandsflächenrechts sei, dass der Schutzzweck des Abstandsflächenrechts als Bedürfnisse nach ausreichender Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie der Ermöglichung eines sozialverträglichen Wohnens unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange, nicht beeinträchtigt werde. In der Gesetzesbegründung (LT Drs. 17/21574 S. 13) werde ausdrücklich ausgeführt, dass es einer „Atypik“, wie sie die Rechtsprechung auch nach der Änderung der abstandsrechtlichen Vorschriften durch das Gesetz vom 12. April 1994 (GVBl. S. 210) als zusätzliches Tatbestandsmerkmal einer Abweichung verlangt, vom Gesetz nicht gefordert werde.
43
Entsprechend kommt es allein darauf an, ob die Abweichung unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 vereinbar ist. Gemessen am Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften werden die schützenwerten Belange der Kläger durch die Abweichung nicht unzumutbar beeinträchtigt. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 20).
44
Die vorliegende Situation ist davon geprägt, dass neben der bereits vorhandenen Gabionenwand der Kläger eine weitere Gabionenwand der Beigeladenen, die sich in Ost-West-Richtung als erheblich kürzer und hinsichtlich der Höhe unter Berücksichtigung der verschiedenen Geländehöhen als nicht höher als die Gabionenwand der Kläger darstellt, errichtet werden soll. Ungeachtet der Sinnhaftigkeit eines derartigen Vorhabens ergibt sich aufgrund der geplanten Gabionenwand keine Verschlechterung für die Kläger hinsichtlich Belichtung, Besonnung und Belüftung. Der Augenschein hat ergeben, dass vom Wohnhaus der Kläger aus das derzeit vorhandene Provisorium einer Grenzwand auf dem Grundstück der Beigeladenen kaum wahrnehmbar ist. Insbesondere ergeben sich durch die geplante Gabionenwand keine zusätzlichen Einschränkungen, die sich nicht bereits durch die Gabionenwand der Kläger selbst ergeben. Dies gilt gerade unter Berücksichtigung der mehrmals wiederholten Einlassung der Beigeladenen, dass die geplante Gabionenwand an die bereits vorhandene Gabionenwand der Kläger angeglichen wird.
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Die Beklagte hat sich im Rahmen der Prüfung der Abweichung mit der Situation der betroffenen Nachbarn sachgerecht sowie in auf den Einzelfall bezogener Weise unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts auseinandergesetzt. Die Beklagte hat in die Ermessenentscheidung das Nebeneinanderstehen der beiden Gabionenwände sowie den Gleichheitsgrundsatz berücksichtigt. Ermessensfehler sind nicht erkennbar, § 114 Satz 1 VwGO. Denn die Beklagte durfte im Hinblick auf den für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu Recht berücksichtigen, dass die Kläger ebenfalls eine zum Teil über 2 m hohe Mauer, für die noch dazu keine Baugenehmigung vorlag, auf ihrem Grundstück errichtet haben. Aus dem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält. Demzufolge kann aus dem Gesichtspunkt unzulässiger Rechtsausübung ein Nachbar gehindert sein, die Verletzung des Grenzabstandes zu rügen (BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 5). Dass – wie sich im Rahmen der Inaugenscheinnahme ergeben hat – die Gabionenwand zwischenzeitlich auf die genehmigungsfreie Höhe von unter 2 m reduziert wurde und demnach als privilegierte Anlage im Sinne von Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO wohl auch keine Abstandsflächen auslöst, ändert nichts daran, dass die Gabionenwand zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für das Vorhaben der Beigeladenen in gleicher Weise wie die geplante Gabionenwand der Beigeladenen die Abstandsflächen nicht einhalten konnte und darüber hinaus sogar formell rechtswidrig war.
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Soweit der Bevollmächtigte der Kläger schriftsätzlich vorgetragen hat, dass sich eine unzumutbare Belastung ergebe, falls die Kläger ihre Gabionenwand zurückbauen und durch eine niedrigere Hecke ersetzen wollten, so sind derart unkonkrete Pläne nicht entscheidungsrelevant. Eine etwaige Unzumutbarkeit ist grundsätzlich anhand der vorhandenen Situation zu prüfen und nicht im Hinblick auf etwaige zukünftige Entwicklungen, denen noch keinerlei konkrete Vorstellungen zugrunde liegen (VG München, U.v. 7.4.2014 – M 8 K 13.190 – juris Rn. 41).
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3. Das Vorhaben der Beigeladenen ist darüber hinaus auch bauplanungsrechtlich nicht zu beanstanden und verstößt insbesondere auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das Bauplanungsrecht ist gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens.
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a) Die Kläger können sich insoweit bereits nicht auf die Verletzung des Gebietserhaltungsanspruches berufen. Selbst wenn man das Gebiet als faktisches Baugebiet im Sinne der BauNVO einstufen wollte, so wäre die Gabionenwand als untergeordnete Nebenanlage im Sinne des § 14 Abs. 1 BauNVO zulässig. Im Übrigen steht die Errichtung einer eigenen Gabionenwand durch die Kläger einer Berufung auf den Gebietserhaltungsanspruch entgegen. Denn rechtsmissbräuchlich handelt, wer unter Berufung auf das nachbarliche Austauschverhältnis eine eigene Nutzung schützen möchte, die ihrerseits das nachbarliche Austauschverhältnis stört. Die Ausübung eines Rechts ist missbräuchlich, wenn der Berechtigte kein schutzwürdiges Eigeninteresse verfolgt und die Rechtsausübung im Einzelfall zu einer grob unbilligen, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarenden Ergebnis führen würde (BayVGH, B.v. 24.8.2016 – 15 ZB 14.2654 – juris Rn. 17). Dies ist hier der Fall. Die Gabionenwand der Beigeladenen verändert die durch die Kläger aufgrund der Errichtung ihrer eigenen Gabionenwand geschaffene Situation hinsichtlich bauplanungsrechtlicher Aspekte nicht. Entsprechend dürften die Beweggründe für die Klage weniger in der Abwehr von unzulässigen Einwirkungen auf das eigene Grundstück liegen als vielmehr darin, die Beigeladenen aufgrund nachbarlicher Unstimmigkeiten, die im Rahmen der Inaugenscheinnahme für das Gericht offensichtlich zu Tage traten, zu behindern und zu ärgern.
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b) Gleiches gilt im Übrigen auch für eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme.
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Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04; BayVGH, B.v. 12.09.2013 – 2 CS 13.1351; BayVGH, B.v. 03.06.2016 – 1 CS 16.747). Wesentlich ist, ob unter Berücksichtigung der grundsätzlichen Zulässigkeit von Vorhaben, die sich im vorgegebenen Rahmen halten, gewichtigere Belange der Nachbarschaft entgegenzuhalten sind.
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Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes kommt in Betracht, wenn die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens zu Beeinträchtigungen der Belichtung, Belüftung und Besonnung führt oder eine einmauernde oder erdrückende Wirkung hervorgerufen wird.
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Hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung gilt, dass grundsätzlich kein Anspruch aus Bauplanungsrecht besteht, von jeder Beeinträchtigung verschont zu bleiben. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung sind vielmehr in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation in bebauten Ortslagen und insbesondere in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen grundsätzlich hinzunehmen (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 18 ff. m.w.N.).
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Eine einmauernde oder erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5).
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Auch wenn vorliegend dem Vorhaben der Beigeladenen im Hinblick auf die erteilte Abweichung von der Einhaltung der nördlichen Abstandsfläche nicht die indizielle Wirkung der Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen (BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 21) zur Seite steht, ist nach Überzeugung der Kammer eine Beeinträchtigung des Gebotes der Rücksichtnahme ausgeschlossen, denn die möglichen Einschränkungen hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung bzw. eine mögliche einmauernde oder erdrückende Wirkung, die aber bereits aufgrund der Abmessungen der streitgegenständlichen Gabionenwand ausscheidet, werden bereits durch die eigene Gabionenwand der Kläger ausgelöst und durch die Gabionenwand der Beigeladenen nicht verschärft.
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Aufgrund des für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunktes der letzten Behördenentscheidung (s.o.) sind mögliche Änderungen in der Zukunft, insbesondere wenn sie – wie vorliegend – nicht ansatzweise ein konkretes Planungsstadium erreicht haben (s.o.), nicht relevant.
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Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 i.V.m. § 159 Satz 2 VwGO. Da sich die Beigeladenen durch Stellung eines Sachantrags auf Klageabweisung selber einem Kostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihnen einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen.
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Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.