Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 05.07.2023 – AN 2 E 23.1305
Titel:

Glaubhaftmachung einer Prüfungsbehinderung

Normenkette:
StuPOMed § 22
Leitsätze:
1. Die Frage der Gestaltung des Nachteilsausgleichs ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar, insbesondere ist der Prüfungsbehörde insoweit kein Beurteilungs- oder sonstiger Entscheidungsspielraum eingeräumt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn zur Glaubhaftmachung für einen Nachteilsausgleich grundsätzlich die Vorlage eines (einfachen) ärztlichen Attests ausreicht, es der Prüfungsbehörde nicht verwehrt, bei Zweifel ein fachärztliches Atteste zur Sachverhaltsaufklärung anzufordern. Dies zumal, wenn die vorgelegten Atteste keine eigene Befunderhebung ausweisen.  (Rn. 38 und 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Glaubhaftmachung der Prüfungsbehinderung, Anforderung eines fachärztlichen, psychiatrischen Attests, Asperger-Syndrom als Prüfungsbehinderung, Nachteilsausgleich
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19239

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.000,00 EUR.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Nachteilsausgleich für mehrere Prüfungen im Rahmen ihres Medizinstudiums an der …Universität … (im Folgenden: …).
2
Die Antragstellerin begehrte erstmalig mit E-Mail vom 21. Juni 2022 einen Nachteilsausgleich für den vorklinischen Studienabschnitt. Dieser wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2022 abgelehnt, da u.a. hinsichtlich des von der Antragstellerin geltend gemachten Vorliegens eines Asperger-Syndroms der nötige Nachweis durch ein ärztliches Attest weder in Hinblick auf eine durchgeführte Diagnostik noch einer hinreichenden Schilderung der Symptomatik erbracht worden sei.
3
In der Folgezeit legte die Antragsgegnerin der Antragstellerin in mehreren E-Mails bzw. Schreiben dar, welchen Anforderungen ärztliche Atteste aus ihrer Sicht genügen müssten, um einen Nachteilsausgleich zu begründen. So führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen und sinngemäß aus, das Attest solle eine Diagnose und eine detaillierte Beschreibung der Symptome enthalten sowie darlegen, welche für Prüfungen relevante Fähigkeiten in welchem Ausmaß durch die Symptome eingeschränkt seien. Ergänzend könnten Vorschläge zum Ausgleich des Nachteils unterbreitet werden. Weiterhin forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin dazu auf, einen geeigneten Nachweis (zum Beispiel ein fachpsychiatrisches Gutachten oder psychiatrisches Attest) für das tatsächliche Vorliegen der Diagnose eines Asperger-Syndroms zu erbringen, da die von ihr bislang vorgelegten Atteste die Diagnose lediglich auf Basis ihrer eigenen Angaben anführten.
4
Mit E-Mail vom 22. Mai 2023 beantragte die Antragstellerin Nachteilsausgleich für eine schriftliche Prüfung im Fach Neuroanatomie am 7. Juli 2023 sowie für zwei mündliche Prüfungen im Fach Spezielle Histologie (mikroskopische Anatomie) am 17. und 26. Juli 2023.
5
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen und sinngemäß aus, bei ihr läge die diagnostizierte Krankheit des hochfunktionellen Autismus gemäß DSM-5 – ehemals Asperger-Syndrom – vor. Der Antragsgegnerin lägen bereits fünf Atteste, darunter eines des Vertrauensarztes der …, …, vor, die den erforderlichen Nachteilsausgleich belegten, nämlich:
- Attest von …, Oberarzt Radiologie Uniklinikum …, vom 14. Juni 2022
– Attest von …, Facharzt für Arbeitsmedizin und Facharzt für Allgemeinmedizin Notfall-/Umwelt- und/Verkehrsmedizin/Allergologie Fliegerarzt/Strahlenschutzarzt, vom 15. Juni 2022
– Attest von …, Facharzt für Betriebsmedizin, Notfallpraxis der …, vom 11. Januar 2023
– Ärztliche Stellungnahme von …, Arzt und Facharzt für Zahnmedizin, vom 11. Januar 2023
– Attest von …, Facharzt für Innere Medizin, Vertrauensarzt der …, vom 12. Januar 2023
6
Insoweit halte sie die Aufforderung zur Vorlage weiterer Atteste für nicht gerechtfertigt. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Antragsgegnerin den fachärztlichen Beurteilungen keinen Glauben schenke und noch nicht einmal dem Attest des fakultätseigenen Vertrauensarztes Gewicht beimesse. Auch sie könne sich nur auf die Beurteilung eines approbierten Arztes sowie die Ergebnisse der umfangreichen Anamnesen und Auswertung von Fragebögen verlassen. Der mutmaßliche Einwand der Antragsgegnerin, eine Verdachtsdiagnose genüge nicht, verfange in diesem Zusammenhang nicht. Gemäß § 5 Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) bzw. § 22 Abs. 3 Satz 2 der Studien- und Prüfungsordnung reichten vertrauensärztliche Atteste aus. Nach den FAQ der … zum Nachteilsausgleich bei Prüfungen genüge schon die bloße Beschreibung der funktionalen Einschränkungen bezogen auf Studienleistungen, insbesondere Wahrnehmung, Kognition, Verhalten und körperliche Funktionalität je nach Krankheitsbild. Eine Diagnose könne, müsse aber nicht zwingend angegeben werden. Es sei unklar, auf welche Rechtsgrundlage sich das Verlangen der Antragsgegnerin stütze. Außerdem könnten nach ständiger Rechtsprechung Untersuchungen, die medizinisch nicht vertretbar seien, ein zu hohes Gesundheitsrisiko für den Patienten darstellten oder in keinem sinnvollen Verhältnis zu den therapeutischen Konsequenzen stünden, nicht verlangt werden. Die Aufforderung zur Vorlage fachärztlicher Atteste sei unverhältnismäßig, da die Antragsgegnerin nicht dargelegt habe, weshalb die getroffene Verdachtsdiagnose nicht ausreichend sei und weshalb ein fachpsychiatrisches Gutachten vorgelegt werden solle. Insbesondere stelle auch eine Verdachtsdiagnose eine rechtlich verbindliche Diagnostik dar, die nach den einschlägigen Richtlinien erst dann getroffen werden dürfe, wenn der diagnostizierende Arzt zumutbare Untersuchungen zur Erhärtung oder Verwerfung des Verdachts durchgeführt habe. Diese Feststellung bleibe dann so lange als Diagnose bestehen, bis ihr Gegenteil erwiesen sei. Da sie durch die Vorlage der Atteste ihren studentischen Pflichten überobligatorisch nachgekommen sei, obliege es nun der Antragsgegnerin, den Nachweis zu führen, dass die Atteste „falsch“ seien. Gemäß Art. 5 BayHSchG sei die zu einem Nachteilsausgleich berechtigende Behinderung durch Vorlage eines ärztlichen Attests glaubhaft zu machen. Selbst das in der Normenhierarchie über der hochschulinternen Prüfungsordnung stehende Landesrecht fordere also allenfalls eine Glaubhaftmachung und noch keinen Strengbeweis. Einer solchen Glaubhaftmachung werde jedes ärztliche Attest gerecht. Dies gelte insbesondere für Verdachtsdiagnosen, da schon eine überwiegende Wahrscheinlichkeit ausreichend sei, um Tatsachen glaubhaft zu machen. Zwar könne der Prüfungsausschuss festlegen, welche Angaben das ärztliche Attest enthalten solle, die Hochschule könne aber lediglich ein Attest des Gesundheitsamtes oder eines bestimmten Arztes (Vertrauensarzt) verlangen. Das Gesetz spreche insoweit lediglich von ärztlichen und nicht von fachärztlichen Attesten. Sie fordere die Antragsgegnerin dazu auf, ihr die Rechtsgrundlage zu nennen, wonach ein fachärztliches, psychiatrisches Attest verlangt werden könne.
7
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 6. Juni 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Nachteilsausgleich vom 22. Mai 2023 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen und sinngemäß aus, ein Nachteilsausgleich könne nicht gewährt werden, da die vorgelegten Atteste einen solchen nicht begründeten. Zur Begründung eines Nachteilsausgleichs müsse aus dem Attest hervorgehen, welche konkreten Beeinträchtigungen in Hinblick auf die abzuleistende Prüfung vorlägen. Die bloße Nennung einer Diagnose sei nicht ausreichend. Das vorgelegte Attest von … vom 12. Januar 2023 gebe lediglich an, dass bei der Antragstellerin die Diagnose Asperger-Syndrom bekannt sei. Symptome oder Beeinträchtigungen, die die Fähigkeit der Antragstellerin, schriftliche Prüfungen abzulegen beeinträchtigten, würden nicht genannt. Darüber hinaus sei auch der Nachweis über das Vorliegen der genannten Diagnose eines Asperger-Syndroms nicht in hinreichendem Maße erfolgt. Der bloße Hinweis, dass bei der Patientin ein Asperger-Syndrom bekannt sei, könne auf rein anamnestischen Angaben beruhen und stelle keine überzeugende Glaubhaftmachung für das tatsächliche Vorliegen der Diagnose Asperger-Syndrom dar. Das Attest von … vom 14. Juni 2022 schildere keine Symptome oder Beeinträchtigungen, die durch die Verdachtsdiagnose Asperger-Syndrom hervorgerufen würden. Insoweit bleibe unklar, inwieweit die Antragstellerin in Prüfungen beeinträchtigt sei. Zudem gehe … offensichtlich davon aus, dass sich sämtliche Beeinträchtigungen ihrer Prüfungsfähigkeit soweit bessern dürften, dass ihre Prüfungsfähigkeit nicht mehr eingeschränkt werde. Er habe seine Empfehlungen folglich auf das damalige Semester begrenzt, welches mit dem 30. September 2022 geendet habe. Das Attest von … aus Juni 2022 lasse offen, durch wen die Verdachtsdiagnose am 2. Juni 2021 gestellt worden und ob die Angabe auf anamnestischer Basis erfolgt sei. Auch dieses Attest schildere keinerlei Symptome, die durch die Verdachtsdiagnose hervorgerufen würden. Es bleibe unklar, inwieweit die Antragstellerin dadurch in Prüfungen beeinträchtigt sei. … gehe darüber hinaus davon aus, dass die gesundheitlichen Einschränkungen bis zum ersten Abschnitt der ärztlichen Prüfung wieder verschwunden sein dürften. Konsequenterweise habe er seine Empfehlungen zum Nachteilsausgleich zunächst auf das 1. Fachsemester, welches zum 30. September 2022 geendet habe, beschränkt. Das Attest der Notfallpraxis … vom 11. Januar 2023 schildere keinerlei Symptome oder Beeinträchtigungen, die durch die Diagnose Asperger-Syndrom hervorgerufen würden. Auch in diesem Attest werde lediglich ausgeführt, dass bei der Antragstellerin ein Asperger-Syndrom bekannt sei. Die ärztliche Stellungnahme von … vom 11. Januar 2023 nenne ebenfalls keine Diagnose, sondern zitiere lediglich die Ausführungen der Antragstellerin. Ferner schildere es keinerlei Symptome oder Beeinträchtigungen, die im Zusammenhang mit schriftlichen Prüfungen bestünden. Der Prüfungsausschuss lehne deshalb den Antrag auf Nachteilsausgleich ab.
8
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 26. Juni 2023, eingegangen bei Gericht am 27. Juni 2023, den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
9
Zur Begründung führt sie über ihren bisherigen Vortrag im Verwaltungsverfahren hinaus im Wesentlichen sinngemäß aus, ein Nachteilsausgleich sei erforderlich, um die krankheitsbedingten Symptome in der Prüfungssituation auszugleichen und andere Studierende nicht durch kognitiv lautes Lesen der Klausuraufgaben zu stören oder zu beeinflussen. In früheren Semestern sei sie in einer Klausur des Betrugs bezichtigt worden, weil sie laut geredet habe. Dem Prüfungsausschuss würden insgesamt bereits sechs Atteste vorliegen, die das Krankheitsbild bestätigten (siehe oben genannte Atteste sowie ein Attest von …, Arzt der psychiatrischen Klinik des Universitätsklinikums … vom 27. Januar 2023). Dennoch seien diese Atteste durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses nicht anerkannt worden, obwohl die psychiatrische Stellungnahme des Universitätsklinikums … ausdrücklich darauf hinweise, dass die Vorgaben der Fachärzte dringend umzusetzen seien. Die vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses geforderten zusätzlichen psychiatrischen Atteste entbehrten jeder Rechtsgrundlage. Abgesehen davon sei mit einer Wartezeit von 12 bis 16 Monaten für einen Termin in der Autismussprechstunde zu rechnen und die Vorlage eines solchen Attests innerhalb der laufenden Prüfungsphase faktisch unmöglich. Zudem stünde die Anforderung eines fachärztlichen Attests ohne nähere Darlegung, weshalb die getroffenen Verdachtsdiagnosen nicht ausreichend seien und ein fach-psychiatrisches Gutachten – zusätzlich zum psychiatrischen Attest des Universitätsklinikums … – erforderlich sei, außer Verhältnis. Auch die Behauptung der Antragsgegnerin, die vorgelegten Atteste würden keine Beeinträchtigungen angeben, sei nicht nachvollziehbar. Mindestens zwei der Atteste würden die Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit einer Prüfung eindeutig schildern. Auch ein ergänzendes Attest von … vom 22. Juni 2023 mache dies deutlich. Durch den von ihr beantragten Nachteilsausgleich entstehe auch zu keinem Zeitpunkt eine Benachteiligung anderer Studierender. Nicht einmal die Nennung des Prüfers für die mündliche Prüfung der speziellen Histologie sei etwas Außergewöhnliches. Dies erfolge auch im Rahmen des medizinischen Staatsexamens regelmäßig und sogar mehr als eine Woche vorher. Eine Nichtgewährung des beantragten Nachteilsausgleichs würde dazu führen, dass sie die Prüfung in einem Raum mit mehreren 100 Studierenden schreiben müsste, was angesichts der bestehenden Krankheit dazu führen würde, dass sie sich nicht konzentrieren könne und ihr das Anfertigen der Arbeit faktisch unmöglich sei. Aufgrund der gesteigerten Stresssituation bestehe die Gefahr eines „Meltdowns“, was zur Folge habe, dass sie sich anschließend wieder in ärztliche Behandlung werde begeben müssen. Deshalb seien die im Attest von … vom 22. Juni 2023 aufgeführten Maßnahmen zu gewähren. Die Nichtgewährung des Nachteilsausgleichs stelle zudem einen Verstoß gegen die professorale Fürsorgepflicht dar, da für sie auch die konkrete Gefahr einer nicht unerheblichen Gesundheitsschädigung bestehe.
10
Die Antragstellerin hat ihrer Antragsschrift ein weiteres Attest des Vertrauensarztes der …, …, Internist, vom 22. Juni 2023 beigelegt. Darin wird Folgendes ausgeführt:
„Die Patientin liest unter Druck zur besseren kognitiven Wahrnehmung und Verarbeitung Aufgaben laut vor und denkt laut, sodass andere Studierende im gleichen Raum in ihrer Konzentration gestört werden. Unruhe im Raum kann bei der Patientin dazu führen, dass sie ihre Konzentration verliert und unter starkem Stress steht. Infolgedessen kann es zu einem zeitweisen Kontrollverlust kommen, in dem die Aufgaben in der vorgegebenen Zeit nicht mehr bewältigen kann.
Insbesondere bei mündlichen Prüfungen wird die Symptomatik durch Stress verstärkt. Störgeräusche, wie andere sich im gleichen Raum befindliche, redende Studenten, werden intensiver wahrgenommen und stören ihre Konzentration massiv was letztlich zu einem Meltdown führen kann. Ein Meltdown bezeichnet einen zeitweisen Kontrollverlust verbaler und körperlicher Art. Dabei können Tourette ähnliche verbale Attacken gegen Außenstehende oder Mutismus (psychogenes Schweigen) auftreten.
Außerdem kann die Patientin körperlich zusammenbrechen und stark zittern. Ein unbekannter Prüfer löst bei der Patientin Panik aus, da sie sich nicht auf die jeweilige Person einstellen kann. Sie nimmt unter Stress Fragen wortwörtlich und kann sie eventuell nicht im Sinne des Prüfers beantworten, da es zu einer Misskommunikation kommt und sie aneinander vorbeireden. Es wird darauf hingewiesen, dass die Patientin im Allgemeinen prüfungstauglich ist, da sie ihren Masterabschluss mit der Note sehr gut absolviert hat.
Die Erkrankung bzw. Behinderung der Patientin ist nicht heilbar.
Entsprechend ist von einer chronischen Symptomatik auszugehen.
Empfehlungen betreffen geeigneter Unterstützungsmaßnahmen für das Studium (Strategien, Hilfsmittel, Unterstützungsbedarf).
Lediglich für Prüfungen sind unterstützende Maßnahmen im Rahmen eines Nachteilsausgleich erforderlich.
Konkrete Vorschläge für angemessene Maßnahmen bei Prüfungen (Beispiele für Nachteilsausgleiche bei Studien- und Prüfungsleistungen).
Schriftliche Prüfungen: Einzelraum; wenn möglich die Aufsichtsperson im Vorfeld benennen.
Mündliche Prüfungen: Einzelraum; rechtzeitige Bekanntgabe des Prüfers (bestenfalls 3 Tage vorher); Vertrauensprüfer (Selektion eines Prüfers der im Umgang mit dem Krankheitsbild vertraut ist); gemäß StuPoMed Anwesenheit der Vertrauensperson bzw. selbst gewähltem Beisitzer.“
11
Die Antragstellerin führt im Wesentlichen und sinngemäß weiter aus, dass auch in der schriftlichen Prüfung die Anwesenheit eines selbst gewählten Beisitzers sinnvoll sei. Dieser könne im Zweifel eingreifen, wenn es zu einem „Meltdown“ komme oder der Vorwurf des Betrugs im Raum stehe, weil sie durch die Luft schaue oder leise vor sich hinrede. In den mündlichen Prüfungen erachte sie einen gewählten Beisitzer aus zweierlei Gründen für notwendig. Wie durch … ausgeführt, nehme sie Fragen wörtlich, was bereits in den vorherigen Semestern dazu geführt habe, dass sie Fragen des Prüfers komplett anders verstanden habe als gestellt und dadurch kein Einklang erreicht worden sei, sodass der Prüfer ihre Antwort als falsch bewertet habe, da sie zwar richtig, aber nicht die von ihm gewünschte gewesen sei. Der Beisitzer könne die eventuell notwendige „Übersetzung“ zwischen Prüfer und Prüfling leisten. Außerdem sei es bei einer früheren mündlichen Prüfung der makroskopischen Anatomie zu einer psychischen Überreaktion aufgrund von Fehlverhalten des Prüfers gekommen. Dieser sei im Umgang mit der Erkrankung nicht geschult gewesen und habe nicht gewusst, wie er sich verhalten solle, sodass er schlussendlich unangemessenes Verhalten gezeigt habe. Der Beisitzer der Universität habe reglos daneben gestanden und nicht gewusst, was er tun solle. Der Prüfer habe sie durchfallen lassen. Insoweit erbitte sie die Anwesenheit eines Beisitzers, der in der Lage sei, in solchen Situationen zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Sowohl für die schriftliche als auch die mündliche Prüfung würde sie einen approbierten Arzt mitnehmen. Für die mündliche Prüfung würde sie versuchen, einen Professor der makroskopischen Anatomie einer anderen Universität, der ihr aus der Forschung bekannt sei, ihr Erkrankungsbild kenne und objektiv sei, zur Teilnahme zu bitten. Es liege auch ein Anordnungsgrund vor, da die erste Klausur schon am 7. Juli 2023 stattfinde. Ihre vorstehenden Angaben versichere sie an Eides statt. Zur Glaubhaftmachung legte die Antragstellerin darüber hinaus Kopien der sechs ärztlichen Atteste vor, die sie schon im Verwaltungsverfahren vorgelegt hatte (hinsichtlich der konkreten Inhalte wird auf die Gerichtsakte verwiesen).
12
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, zu erkennen:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin folgenden Nachteilsausgleich zu gewähren:
13
Ableistung der schriftlichen Prüfung im Fach Neuroanatomie am 7. Juli 2023 in einem Einzelraum unter Anwesenheit eines durch die Antragstellerin selbst gewählten Beisitzers sowie rechtzeitige Bekanntgabe der Aufsichtsperson im Vorfeld der Prüfung.
14
Ableistung der mündlichen Prüfungen im Fach spezielle Histologie (makroskopische Anatomie) in einem Einzelraum unter Anwesenheit eines durch die Antragstellerin selbst gewählten Beisitzers sowie rechtzeitige Bekanntgabe des Prüfers, bestenfalls drei Tage vorher, und Prüfung durch einen Vertrauensprüfer, der im Umgang mit dem Krankheitsbild vertraut ist.
15
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
16
Sie führt sinngemäß im Wesentlichen aus, es fehle an einem Anordnungsanspruch, da die Antragstellerin keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in einer Art und Weise glaubhaft gemacht habe, die die Einräumung von Sonderbedingungen für die Prüfungsteilnahme rechtfertigten. Den ausgestellten Attesten lägen lediglich eigene Aussagen der Antragstellerin darüber zugrunde, dass bei ihr ein Asperger-Syndrom „bekannt“ sei. Keiner der attestierenden Ärzte habe selbst eine eigene Diagnose erstellt, sondern jeweils lediglich auf Basis der Äußerungen der Antragstellerin Empfehlungen ausgesprochen. Den vorgelegten Attesten sei nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin bei einem der Ärzte längerfristig in Behandlung gewesen sei. Sie habe bis zum heutigen Tag auch keinen Nachweis darüber vorgelegt, ob und in welchem Umfang weitere Untersuchungen zur Verifizierung der vermeintlichen Verdachtsdiagnose geplant seien. Insoweit verbleibe es insgesamt bei einer reinen Behauptung der Antragstellerin, die angesichts des zu beachtenden Grundsatzes der Chancengleichheit einen Nachteilsausgleich nicht rechtfertigen könne. Trotz mehrfacher Aufforderung durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses habe die Antragsgegnerin über lange Zeit hinweg keine weiteren Atteste vorgelegt. Die Antragstellerin verkenne, dass es ausschließlich dem Prüfungsausschuss obliege, die Rechtsfrage zu beantworten, ob die Gewährung von Nachteilsausgleich für Prüfungen angezeigt sei oder nicht. Ärzte fungierten insoweit lediglich als eine Art medizinische Sachverständige. Die rechtliche Würdigung der Feststellungen der Mediziner im Hinblick auf die Auswirkungen der Beschwerden bzw. Einschränkungen auf das Prüfungsgeschehen obliege jedoch ausschließlich der Prüfungsbehörde selbst. Insoweit sei es dem Prüfungsausschussvorsitzenden auch unbenommen gewesen, die Antragstellerin zur Vorlage weiterer, konkreterer Atteste aufzufordern. Denn auch wenn die Prüfungsbehörde grundsätzlich den Inhalten schlüssiger, fachlich fundierter amtsärztlicher Gutachten Glauben schenken müsse, so gelte dies in dieser starken Ausprägung nur für fachlich fundierte, amtsärztliche Gutachten, welche hier nicht vorlägen. Den von der Antragstellerin vorgelegten Attesten mangele es insgesamt an genau diesen erforderlichen Kriterien. Es handle sich durchweg nicht um amtsärztliche, noch nicht einmal um fachärztliche Atteste. Ferner habe man von der Antragstellerin auch nicht verlangt, Untersuchungen über sich ergehen zu lassen. Sie sei lediglich dazu angehalten worden, Nachweise dafür zu erbringen, dass tatsächlich die (Verdachts-)diagnose Asperger-Syndrom gestellt worden sei sowie dafür, unter welchen Beeinträchtigungen mit konkreten Prüfungsbezug sie tatsächlich leide. Diese Aufforderung sei angemessen gewesen. Selbst das jüngste mit der Antragsschrift vorgelegte „Zusatz-Attest“ vom 22. Juni 2023 erschöpfe sich abermals lediglich in der Wiedergabe von Ausführungen der Antragstellerin. Herr … gehe mit keinem Wort darauf ein, dass er die geschilderten Symptome selbst erlebt habe o. Ä. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass er die geschilderten Symptome tatsächlich erlebt und sich insoweit nur unzureichend ausgedrückt habe. Denn es sei überaus unwahrscheinlich, dass er bei einer Situation zugegen war, in der die Antragstellerin unter Druck zur besseren kognitiven Wahrnehmung und Verarbeitung Aufgaben laut vorgelesen habe. Des Weiteren sei er höchstwahrscheinlich nicht dabei gewesen, als die Antragstellerin eine mündliche Prüfung abgelegt habe. Dass es sich bei dem attestierenden Arzt um ein Vertrauensarzt handle, sei insoweit gänzlich unerheblich. Maßgeblich sei der Inhalt der vorgelegten Atteste und nicht, in welchem Verhältnis die Antragsgegnerin zu den attestierenden Ärzten stehe. Auch wenn die Antragstellerin jeden Verdacht der Manipulation vehement von sich weise, so seien gewisse Verdachtsmomente oder jedenfalls Ungereimtheiten nicht zu leugnen. Zunächst trage das Attest des … beispielsweise an keiner Stelle ein Ausstellungsdatum. Auch ein Behandlungs- bzw. Vorstellungsdatum der Patientin werde nicht genannt. Außerdem seien die Empfehlungen für Ausgleichsmaßnahmen derart detailliert, dass auch hier nur eingehende Schilderungen der Antragstellerin den ausstellenden Arzt in die Lage versetzt haben könnten, überhaupt eine derartige Empfehlung abzugeben. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Antragstellerin die von ihr selbst gewünschten Ausgleichsmaßnahmen geschildert und der attestierende Arzt diese einfach übernommen habe. Ein derartiges Attest sei mindestens geeignet, Zweifel dahingehend zu streuen, dass sich der attestierende Arzt wirklich selbst ein umfängliches Bild gemacht und seine Aussagen und Empfehlungen auf eben diese höchstpersönlichen Feststellungen gestützt habe. Dies sei jedoch erforderlich, wenn dem Attest ein entsprechender Beweiswert zukommen solle. Noch auffälliger sei die ärztliche Stellungnahme von … Hier sei in keiner Weise ersichtlich, in welcher Beziehung die Antragstellerin zum attestierenden Arzt stehe bzw. wieso gerade er dazu geeignet sein solle, ein Attest im Zusammenhang mit der Frage über die Gewährung eines Nachteilsausgleich zu erstellen. Ausweislich der Unterschrift ist Herr … Arzt und Zahnarzt. Als Adresse sei eine Anschrift in … angegeben. Eine Recherche im Internet ergebe jedoch, dass er seit Herbst 2022 Zahnarzt in einer Gemeinschaftspraxis in … sei. Es solle damit keinesfalls behauptet werden, dass er nicht über die angegebene Qualifikation verfüge. Es sei jedoch die Frage berechtigt, warum der Prüfungsausschuss sich bei der Beurteilung der Frage, ob der Antragstellerin ein Nachteilsausgleich zu gewähren sei, ausgerechnet auf die Schilderungen in diesem Attest verlassen solle. Es sei durchaus gerechtfertigt, die fachliche Fundiertheit der Aussagen in Zweifel zu ziehen und aussagekräftigere Atteste anzufordern. Dies gelte umso mehr, als sich auch dieses Attest abermals nur auf die Feststellungen aus einem anderen Attest (Attest der Notfallpraxis … vom 11. Januar 2023) beziehe, welches „die psychische Dekompensation“ „bestätige“. Herr … habe keine eigene Feststellung getroffen, sondern sich lediglich auf ein anderes Attest bezogen, welches seinerseits wiederum allenfalls eine Momentaufnahme am 11. Januar 2023 bestätige. Dabei enthalte auch das Attest der Notfallpraxis gar keine eigenen Feststellungen medizinischer Art, auf die eine positive Entscheidung über die Gewährung eines Nachteilsausgleich gestützt werden könnte. Dies seien nur wenige Beispiele. Die von der Antragstellerin vorgelegten Atteste seien insgesamt nicht geeignet, die Gewährung eines Nachteilsausgleich zu rechtfertigen. Dies wiege umso mehr, als die Antragstellerin erstmals bereits mit E-Mail vom 21. Juni 2022 einen Antrag auf Nachteilsausgleich gestellt gehabt habe und seither entweder nicht in der Lage gewesen sei, ausreichende Atteste vorzulegen, oder entsprechende Anstrengungen, solche Atteste zu erhalten, nicht unternommen habe, weil sie vehement eine unzutreffende Rechtsauffassung vertrete und diese unberührt durchzusetzen versuche. Der Prüfungsausschuss habe mit verschiedenen Schreiben erläutert, woran es den Attesten mangele und welche rechtlichen Anforderungen an die Gewährung eines Nachteilsausgleich gestellt würden. Weder das Bayerische Hochschulinnovationsgesetz noch das bis zum 31. Dezember 2022 geltende BayHSchG enthielten an irgendeiner Stelle die Feststellung, dass amts- und vertrauensärztliche Atteste ausreichend seien. Beide Regelungen hätten einen gänzlich anderen Inhalt. Selbst Art. 2 Abs. 5 des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes regle nichts über die Art und Weise der vorzulegenden Nachweise. Auch die Gesetzesbegründung gebe insoweit nichts vor, sondern besage lediglich, dass eine effektive Chancengleichheit zu gewährleisten sei. Auch aus § 22 der Studien- und Prüfungsordnung ergebe sich nichts anderes, da die Antragstellerin die dort normierten Voraussetzungen nicht erfüllt habe.
17
Im Übrigen seien die von der Antragstellerin behaupteten Beeinträchtigungen nicht ausgleichsfähig. Dies gelte insbesondere in Hinblick auf die mündlich-praktische Prüfung in Histologie. Ein Nachteilsausgleich könne nur gewährt werden, soweit die durch die Prüfung nachzuweisenden Kompetenzen nicht beeinträchtigt bzw. unterlaufen würden. Die Beeinträchtigungen dürften gerade nicht das relevante Leistungsbild des Prüflings auf Dauer prägen. Dies sei hier jedoch gerade der Fall. Insoweit werde auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts Freiburg in seinem Urteil vom 5.8.2021 – 1 K 3332/20 – verwiesen. Darin werde ausgeführt, dass nach § 1 Abs. 1 ÄApprO die Ausbildung zum Arzt die für das ärztliche Handeln erforderlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten in Diagnostik und Therapie vermitteln solle. Dazu gehöre ersichtlich auch das Bewältigen von Aufgaben innerhalb einer vorgegebenen Zeit und sogar unter Zeitdruck. Bei der schriftlichen Prüfung des 1. Abschnitts der ärztlichen Prüfung sei gerade die Fähigkeit nachzuweisen, einen Sachverhalt aufzunehmen und zu verstehen sowie die Prüfungsfragen in angemessener Zeit zu lösen, und in der mündlich-praktischen Prüfung die Fähigkeit, einen Sachverhalt aufzunehmen, zu verstehen und unter Zeitdruck innerhalb kurzer Zeit die richtige Antwort auf die mündlich gestellten Fragen zu geben. Gleiches gelte im Ergebnis für die begehrte Ablegung der mündlich-praktischen Prüfung in einer reizarmen Umgebung. Nach § 1 Abs. 1 ÄApprO gehöre die praktische Erfahrung im Umgang mit Patienten, die Fähigkeit, die Behandlung zu koordinieren, die ärztliche Gesprächsführung sowie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens zum ärztlichen Berufsbild. Diese Anforderungen sprächen gegen die Durchführung einer mündlich-praktischen Prüfung in einer isolierten Umgebung. Ärzte müssten gerade auch in der Interaktion mit anderen Personen – seien es Patienten, deren Angehörige, andere Ärzte oder in der Krankenpflege tätige Beschäftigte – ein hohes Maß an sozialer Kompetenz aufweisen und auch unter erheblichen Druck zur schnellen Erfassung eines Sachverhalts und zu einer sinnvollen Kommunikation in der Lage sein, um im Notfall zeitnah eine sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Dies lasse es nicht zu, in einer mündlich-praktischen Prüfung bei einzelnen Prüflingen eine besondere, reizarme Umgebung zu schaffen. Denn insoweit seien Fähigkeiten betroffen, die auch Gegenstand der zu prüfenden Leistung der Prüflinge sind. Die Prüfung solle gerade zeigen, dass er solche Schwierigkeiten bewältigen könne, mithin die Grundvoraussetzungen der durch die Prüfung vermittelten Eignung für den Arztberuf besitze. Auch wenn die Antragstellerin den Nachteilsausgleich nicht für den 1. Abschnitt der ärztlichen Prüfung beantrage, sondern für die dieser Prüfung vorgeschalteten universitären Prüfungen, so seien die Grundsätze und nachzuweisenden Kompetenzen dieselben. Die Gewährung eines Nachteilsausgleichs in der begehrten Art und Weise würde Sinn und Zweck der anstehenden Prüfungen unterlaufen und die Antragstellerin im Vergleich zu anderen Studierenden unangemessen bevorteilen.
18
Auf gerichtliche Nachfrage hat die Antragsgegnerin hinsichtlich der konkreten Prüfungsabläufe auf eine Stellungnahme in der übersandten Behördenakte verwiesen. Danach nähmen an der schriftlichen Prüfung Neuroanatomie ca. 480 Studierende teil, aufgeteilt auf sechs Räume. Zusätzlich seien pro Raum ein bis drei Personen zur Aufsicht anwesend. Die mündlichen Prüfungen in spezieller Histologie fänden in einem großen Raum mit ca. 140 Mikroskopierplätzen statt. Während der Prüfungen seien etwa 40 Prüflinge anwesend, dazu ca. zehn Prüfer und Beisitzer. Der jeweilige Prüfer würde den Prüfling aufrufen, ihm einen Platz zuweisen und ihm Prüfungspräparate zur Ansicht vorlegen. Diese könnte der Prüfling fünf bis zehn Minuten ansehen. Nach dieser Zeit würden der Prüfer sowie der Beisitzer die Prüfung am Platz des Prüflings abnehmen.
19
Mit Verfügung vom 29. Juni 2023 hat das Gericht die Antragstellerin dazu aufgefordert, unverzüglich mitzuteilen, ob die vorgetragene Erkrankung des Asperger-Syndroms fachärztlich diagnostiziert worden sei und bat aufgrund der Eilbedürftigkeit um etwaige unverzügliche Vorlage des fachärztlichen Attests per Fax oder persönliche Abgabe bei Gericht. Weiterhin teilte das Gericht der Antragstellerin mit, dass nach vorläufiger rechtlicher Würdigung die bislang eingereichten Atteste lediglich die eigene Aussage der Antragstellerin zugrunde legten, dass bei ihr ein Asperger-Syndrom bekannt sei, ein solches jedoch selbst nicht diagnostizierten. Außerdem seien den Attesten nach vorläufiger rechtlicher Würdigung keine Angaben darüber zu entnehmen, welche Art von Befunderhebung stattgefunden habe und ob die von der Antragstellerin geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt würden.
20
Hierauf hat die Antragstellerin mit E-Mail vom 3. Juli 2023 über ihren bisherigen Vortrag hinaus im Wesentlichen und sinngemäß ausgeführt, soweit sie wisse, gebe bzw. habe es ein fachärztliches/psychiatrisches Attest ca. aus dem Jahr 2009 gegeben. Eine kurzfristige Anfrage bei der damals behandelnden Institutsambulanz … habe ergeben, dass ihre Unterlagen gemäß den gesetzlichen Vorgaben nach zehn Jahren vernichtet worden und – weil zum damaligen Zeitpunkt nicht digitalisiert – auch nicht mehr abrufbar seien. Auch eine Anfrage bei ihrer Krankenkasse habe ergeben, dass auf die Schnelle keinerlei Akten aus diesem Zeitraum aufgefunden werden könnten. Das damals – nach ihrer Erinnerung – von … (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) ausgestellte Attest beinhalte die Diagnose Borderline, welche die häufigste Verwechslungsdiagnose bei weiblichen Asperger-Autistinnen sei. Leider sei dieser auch nicht mehr telefonisch erreichbar. Im Ergebnis sei dies jedoch unerheblich, da die psychiatrisch gesicherte Borderline-Diagnose ebenfalls zu einem entsprechenden, wenn nicht sogar umfassenderen Nachteilsausgleich berechtigen würde. Als ihr gegenüber im Jahr 2021 erstmalig ärztlicherseits die Verdachtsdiagnose Asperger-Syndrom geäußert worden sei, habe sie diesbezüglich zu dem Psychiater …, …, …, Kontakt aufgenommen. Bei diesem sei sie auch länger in Therapie gewesen. Er habe ihr gegenüber bestätigt, dass auch er als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie den konkreten Verdacht einer Diagnose aus hochfunktionellem Autismus kombiniert mit Hochbegabung habe. Ein Anruf am heutigen Tag habe ergeben, dass die Praxis bis einschließlich 7. Juli 2023 urlaubsbedingt geschlossen sei. Die Diagnose sei keinesfalls ausgedacht, sondern durch mehrere Ärzte zumindest als Verdachtsdiagnose an sie herangetragen und anfangs sogar therapiert worden. Außerdem hätten auch einige Ärzte längere Gespräche mit ihr geführt sowie Fragebögen zu Autismus und zur generellen psychosomatischen Diagnostik genutzt. Es handle sich also keinesfalls um eine Diagnostik, die allein auf ihren Aussagen basiere. Des Weiteren stelle sich die Frage, wie ein Arzt bei Prüfungen dabei gewesen sein solle, wenn doch genau diese beantragte Form eines ärztlichen Beisitzers als Nachteilsausgleich von der Antragsgegnerin stets abgelehnt worden sei. Die Antragsgegnerin handle widersprüchlich und treuwidrig. Als Beweis biete sie an, einen Amtsarzt und auch ein psychiatrisches Klinikum für eine erneute Untersuchung aufzusuchen. Jedoch sei dies der Hauptsache vorbehalten, da aufgrund der unmittelbar bevorstehenden Klausuren eine fachärztliche Begutachtung nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden könne. Ein Termin zur erweiterten Autismusdiagnostik dauere nach den von ihr bereits angefragten Fachärzten und Kliniken derzeit mindestens 12 bis zu 28 Monate. Zum Teil seien die Wartelisten geschlossen. Im Übrigen habe auch ein Anruf in der hauseigenen Psychiatrie der Uni … eine Wartezeit von fünf Jahren ergeben. Da es sich beim Asperger-Syndrom nicht um eine zwingend akut behandlungsbedürftige Diagnose handle und sie gelernt habe, die mit der Krankheit einhergehenden Symptomatik im Alter größtenteils unter Kontrolle zu bekommen, befinde sie sich aktuell auch nicht in psychotherapeutischer Behandlung. Sie gehe davon aus, dass alle Ärzte, die ihr ein Attest ausgestellt hätten, ihre Diagnose auch gerichtlich bestätigen und glaubhaft machen werden. Außerdem sei … schon 2018 ihr Facharzt für Betriebsmedizin gewesen. Soweit die Antragsgegnerin davon ausgehe, die attestierenden Ärzte hätten, ohne sich selbst ein Bild von ihrer chronischen Erkrankung zu machen, etwas bescheinigt, das nicht zutreffend sei, sei für sie nicht nachvollziehbar, weshalb die Ärzte sich mit ihrem Verhalten straf- und berufsrechtlichen Konsequenzen aussetzen sollten. Im Übrigen sei es ein Widerspruch im Lichte des Art. 3 GG, wenn von ihr ein fachärztliches Attest verlangt werde, von anderen Studierenden jedoch nicht. Es sei nicht ersichtlich, weswegen der von ihr beantragte Nachteilsausgleich nicht im Eilverfahren zu gewähren sei. Die mit einer Nicht-Gewährung verbundenen Nachteile würden schwerer zu gewichten sein als die mit einer Gewährung verbundenen. Sollte der Nachteilsausgleich unrechtmäßig gewährt werden, so könnte ihr die Prüfungsleistung schlichtweg aberkannt werden. Würde der Nachteilsausgleich ihr gegenüber aber nicht gewährt, obwohl ihr dieser zustünde, so wäre dies nicht wieder auszugleichen. Auch Legasthenikern würde ein Nachteilsausgleich in Form einer Schreibzeitverlängerung um mindestens 33% gewährt. Dieses Vorgehen der Antragsgegnerin stehe diametral in Widerspruch zu dem von der Antragsgegnerin zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg. Wolle sich die Antragsgegnerin tatsächlich auf dieses Urteil berufen, gewähre aber gleichzeitig derart unverhältnismäßig großzügige Zeitverlängerungen, stelle dies kein einheitliches Verwaltungshandeln, sondern einen Verstoß gegen Art. 3 GG dar, der nicht zu rechtfertigen sei. Außerdem überzeuge der Verweis auf das Urteil aus Freiburg auch deshalb nicht, weil nicht jeder Absolvent eines Medizinstudiums zwingend praktizierender Arzt werde. Im Gegenteil gingen Mediziner auch zurück an die Hochschule, um zu lehren oder würden sich der Forschung widmen. So sei es auch ihr Ziel, sich der Forschung, vorzugsweise im Bereich Luft- und Raumfahrtmedizin, zuzuwenden.
21
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, und auf die Behördenakte Bezug genommen.
II.
22
1. Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.
23
a) Die Antragstellerin begehrt nach Wortlaut und Auslegung ihres Antrags gemäß § 88 VwGO in erster Linie einen Nachteilsausgleich im Sinne einer Vorwegnahme der Hauptsache. So finden sich jedenfalls in dem gestellten Antrag keine Einschränkungen, insbesondere beantragt die Antragstellerin dort Nachteilsausgleich nicht etwa unter dem Vorbehalt des Ausgangs einer etwaigen Hauptsache. Im Übrigen stellt die Vorwegnahme der Hauptsache für die Antragstellerin den umfassenderen Rechtsschutz dar. Soweit die Antragstellerin sinngemäß ausführt, sollte sich der im einstweiligen Rechtsschutz gewährte Nachteilsausgleich in einem Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, könne ihr die Prüfungsleistung wieder aberkannt werden, ergibt die Auslegung, dass die Klägerin (hilfsweise) – als wesensgleiches Minus – auch die vorläufige Gewährung von Nachteilsausgleich begehrt.
24
b) Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung insbesondere zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht. Die einstweilige Anordnung dient im Grundsatz der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Nimmt der Erlass der einstweiligen Anordnung die Hauptsache – zumindest in zeitlicher Hinsicht – vorweg, so sind an die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – BeckRS 2016, 44855 Rn. 4). Danach steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache einer Anordnung nach § 123 VwGO dann nicht entgegen, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 9/12 – NVwZ 2013, 1344, Rn. 22; BayVGH, B.v. 19.8.2020 – 7 CE 20.1822 – BeckRS 2020, 20467 Rn. 12; vgl. mit diesen Fundstellen auch Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a).
25
c) Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, wonach die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, ihr einen Nachteilsausgleich zu gewähren.
26
aa) Von einem Anordnungsanspruch ist grundsätzlich auszugehen, sofern der Antragsteller nach dem einschlägigen materiellen Recht auf Grundlage des ermittelten bzw. glaubhaft gemachten Sachverhalts voraussichtlich in der Hauptsache Erfolg haben wird (vgl. Kuhla in Beckscher Online-Kommentar VwGO, 65. Edition Stand 1.7.2022, § 123 Rn. 77. ff.). Insoweit nimmt das Gericht grundsätzlich eine summarische Prüfung vor (Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2022, § 123 Rn. 122). Allerdings ist eine eingehendere Prüfung veranlasst, sofern erhebliche Grundrechtsverletzungen drohen bzw. die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führen würde (vgl. zu den entsprechenden Ansätzen des BVerfG m.w.N. Schoch a.a.O. Rn. 122b).
27
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht hier auch bei eingehender Betrachtung aktuell kein Anspruch auf den begehrten Nachteilsausgleich.
28
(1) Wer durch ein ärztliches Zeugnis glaubhaft macht, wegen länger andauernder oder ständiger Behinderung, die nicht das abgeprüfte Leistungsbild betrifft, nicht in der Lage zu sein, die Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form abzulegen, hat nach § 22 Abs. 1 Satz 2 der Studien- und Prüfungsordnung für das Studium der Medizin an der …Universität … (***) in den Studiengängen Medizin und Medizin … vom 9. Oktober 2019 (StuPOMed) Anspruch darauf, dass die bzw. der Vorsitzendes des jeweils zuständigen Prüfungsausschusses gestattet, den Nachteil durch entsprechende Verlängerung der Arbeitszeit oder eine andere Gestaltung des Prüfungsverfahrens auszugleichen, wobei auf den Nachweis von Kompetenzen, die zum Qualifikationsziel der abzulegenden Prüfung gehören, nicht verzichtet werden darf. Danach setzt § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed im Tatbestand eine glaubhaft gemachte Behinderung etwa bei der Fertigung von Prüfungsarbeiten voraus, die kausal („wegen“) dazu führen muss, dass der Prüfling nicht in der Lage ist, die Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form abzulegen. Insoweit ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Prüflings gemeint, sein wahres Leistungsvermögen in der Prüfung darzustellen. Als Rechtsfolge sieht § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed – ohne dass der Prüfungsbehörde Ermessen eingeräumt wäre – einen Nachteilsausgleich durch entsprechende Verlängerung der Arbeitszeit oder eine andere Gestaltung des Prüfungsverfahrens vor. Die Frage der Gestaltung des Nachteilsausgleichs ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar, insbesondere ist der Prüfungsbehörde insoweit kein Beurteilungs- oder sonstiger Entscheidungsspielraum eingeräumt (vgl. beispielsweise zu dem ähnlich ausgestalteten § 13 JAPO BayVGH, U.v. 2.6.2022 – 7 B 21.349 – BeckRS 2022, 22282 Rn. 32). Verfahrensrechtlich soll der schriftliche Antrag auf Nachteilsausgleich gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 und 3 StuPOMed möglichst vier Wochen vor der Prüfung, in jedem Fall jedoch vor Antritt der Prüfung, an den jeweils zuständigen Prüfungsausschuss gerichtet werden. Darüber hinaus kann die Prüfungsbehörde zum Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 StuPOMed die Vorlage eines vertrauensärztlichen Attestes verlangen.
29
Die Regelung des Nachteilsausgleichs gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed beruht unmittelbar auf dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG. Die zitierten Grundrechte begründen einen Anspruch des Prüflings auf Änderung der einheitlichen Prüfungsbedingungen im jeweiligen Einzelfall, sofern die Fähigkeit des Prüflings erheblich beeinträchtigt ist, ihr bzw. sein vorhandenes Leistungsvermögen darzustellen (vgl. Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 301g m.w.N.). Danach stellt sich § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed letztlich als konkretisiertes Verfassungsrecht dar. Sichergestellt werden soll, dass Prüflinge möglichst gleiche Chancen erhalten, die an sie gestellten Leistungsanforderungen zu erfüllen. Aus der verfassungsrechtlichen Grundlage ergibt sich zudem, dass der gewährte Nachteilsausgleich auch im Verhältnis zu den übrigen Prüflingen das Gebot der Chancengleichheit wahren muss (vgl. Jeremias a.a.O. Rn. 301h). Aus diesem Grund darf der gewährte Nachteilsausgleich nicht zu einer Überkompensation der Beeinträchtigung führen, also zu einem (unbegründeten) Vorteil desjenigen Prüflings, dem Nachteilsausgleich gewährt wird (vgl. Jeremias a.a.O.). Zwar sind anders als bei einem Rücktritt von der Prüfung wegen Prüfungsunfähigkeit auch wesentliche dauerhafte Behinderungen des Prüflings, die auf gesundheitlichen Störungen oder körperlichen Gebrechen beruhen, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 24. Februar 2021 – 6 C 1.20 – juris Rn. 24), allerdings rechtfertigt das Vorliegen eines Dauerleidens nicht in jedem Fall, dem Prüfling einen Nachteilsausgleich zu gewähren. Bei einer dauerhaften Einschränkung des Leistungsvermögens gebietet und rechtfertig der Grundsatz der Chancengleichheit die Gewährung eines Nachteilsausgleichs nicht, wenn der Prüfling auch erweisen soll, dass er solche Schwierigkeiten bewältigen kann und damit die Grundvoraussetzungen der durch die Prüfung zu ermittelnden Eignung für einen bestimmten Beruf besitzt. Danach gehören Prüfungsstress und Prüfungsängste, die zumeist in den spezifischen Belastungen der Prüfungen wurzeln und denen jeder Kandidat je nach Konstitution mehr oder weniger ausgesetzt ist, im Allgemeinen zum Risikobereich des Prüflings. Liegen demgegenüber Behinderungen vor, die nicht die aktuell geprüften Befähigungen betreffen, sondern nur den Nachweis der vorhandenen Befähigung erschweren und sowohl in der Prüfung als auch im später ausgeübten Beruf durch Hilfsmittel ausgeglichen werden können, ist dies im Rahmen eines angemessenen Nachteilsausgleichs zu berücksichtigen. Dabei sind die maßgeblichen Feststellungen nicht nach allgemeinen Krankheitsbildern, sondern stets individuell zu treffen und zu bewerten (vgl. zum Ganzen Jeremias, Dauerleiden und Nachteilsausgleich im Prüfungsrecht, NVwZ 2019, 839; VG Freiburg, U.v. 5.8.2021 – 1 K 3332/20 juris Rn. 40).
30
(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besitzt die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin keinen Anspruch auf den beantragten Nachteilsausgleich, da sie schon nicht im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht hat, an einer länger andauernden Behinderung zu leiden, in deren Folge sie ganz oder teilweise gehindert ist, ihre tatsächlich vorhandene, uneingeschränkte Leistungsfähigkeit in den anstehenden Prüfungen umzusetzen und nachzuweisen.
31
(i) Die von der Antragstellerin vorgelegten ärztlichen Atteste belegen nicht hinreichend, dass bei ihr eine länger andauernde oder ständige Behinderung i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed vorliegt, aufgrund derer sie nicht in der Lage ist, die Prüfung ganz oder teilweise in der vorgesehenen Form abzulegen. Zwar reicht gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed insoweit grundsätzlich eine Glaubhaftmachung durch (einfaches) ärztliches Zeugnis aus und ist grundsätzlich nicht zwingend die Nennung einer Diagnose erforderlich (vgl. auch Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl., Rn. 277), jedoch mangelt es allen vorgelegten ärztlichen Attesten jedenfalls an einer nachvollziehbaren ärztlichen Befunderhebung, die die von der Antragstellerin letztlich selbst beschriebenen Symptome bestätigt.
32
Die vorgelegten Atteste von … (Ausstellungsdatum 14. Juni 2022) sowie … (Ausstellungsdatum: unbekannt) machen eine aktuelle Behinderung der Antragstellerin sowie darauf beruhende Beeinträchtigungen schon deshalb nicht hinreichend glaubhaft, weil nach diesen mit einer Besserung der Symptome sowie Normalisierung der Prüfungsfähigkeit zu rechnen sei und insoweit ein Nachteilsausgleich deshalb (zunächst) für das 1. Fachsemester beantragt worden ist. Weitere aktuelle Atteste der genannten Ärzte für die nun anstehenden Prüfungen nach dem 1. Fachsemester legte die Antragstellerin indes nicht vor. Darüber hinaus führt das Attest des … hinsichtlich einer Beeinträchtigung aufgrund eines Asperger-Syndroms sinngemäß lediglich aus, die nach Aussage der Patientin vorliegende Verdachtsdiagnose eines Asperger-Syndroms könne sich in speziellen Situationen – vor allem bei Prüfungen mit vielen Prüflingen bzw. beengten Verhältnissen – in begrenztem Umfang nachteilig auswirken. Insoweit spricht vieles dafür, dass der Arzt letztlich die Angaben der Antragstellerin übernommen hat, ohne diese auf Grundlage einer Befunderhebung zu verifizieren. Zudem bleibt unklar, welche Nachteile konkret zu befürchten sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Attests von …, in welchem lediglich sinngemäß ausgeführt ist, dass bei der Antragstellerin am 2. Juni 2021 eine Verdachtsdiagnose auf das Vorliegen eines Asperger-Syndroms gestellt worden sei, die zeitweilig und situationsbedingt ihre Prüfungsfähigkeit beeinträchtige. Eine finale Diagnose sei aufgrund langer Wartezeiten entsprechender spezialisierter Kliniken und Einrichtungen ausstehend. Die Verdachtsdiagnose führe zu Beeinträchtigungen in räumlich engen Situationen mit vielen, zum Großteil unbekannten Personen. Insoweit bleibt ebenso unklar, ob ggf. … selbst oder ein anderer Arzt die Verdachtsdiagnose gestellt hat und welche Befunde zu einer solchen geführt haben.
33
Das Attest der Notfallpraxis … vom 11. Januar 2023 ist ebenfalls nicht geeignet, eine Behinderung und darauf beruhende Beeinträchtigungen glaubhaft zu machen. Das Attest beschränkt sich lediglich auf die Feststellung, dass bei der Antragstellerin aufgrund der Prüfungssituation bei bekanntem Asperger-Syndrom eine psychische Dekompensation ausgelöst worden sei und die Prüfung daraufhin habe abgebrochen werden müssen. Weder ist aus dem Attest eine nachvollziehbare Befunderhebung ersichtlich noch, worauf sich die Annahme des Vorliegens eines bei der Antragstellerin „bekannten“ Asperger-Syndroms stützt. Darüber hinaus enthält das Attest keinerlei Feststellungen hinsichtlich etwaiger zu erwartender, länger andauernder Beeinträchtigungen für zukünftige Prüfungen.
34
Gleiches gilt im Ergebnis hinsichtlich der ärztlichen Stellungnahme von … vom 11. Januar 2023. Diese gibt im Wesentlichen lediglich die Schilderungen der Antragstellerin hinsichtlich einer von ihr vorgetragenen psychischen Dekompensation während einer mündlichen Anatomieprüfung am 11. Januar 2023 wieder. Eigene Feststellungen des Arztes hinsichtlich des Vorliegens einer Behinderung bzw. darauf beruhender Beeinträchtigungen lassen sich der Stellungnahme hingegen nicht entnehmen. Es wird lediglich auf das vorliegende Attest der Notfallpraxis Bezug genommen und empfohlen, das Testat bzw. Nachholtestat von einem Vertrauensprüfer abnehmen zu lassen, um einer solchen Situation in Zukunft vorzubeugen.
35
Das Schreiben von Privatdozent … vom 27. Januar 2023 erschöpft sich in der Feststellung, dass sich die Antragstellerin am 11. Januar 2023 in ambulanter Behandlung in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Klinik des Universitätsklinikums … befunden und glaubhaft eine Prüfungssituation geschildert habe, die aus menschlicher und ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar sei. Auch diesem Schreiben lässt sich keine eigene Befunderhebung entnehmen. Soweit weiter ausgeführt wird, eine auf die bekannte, ärztlich attestierte Erkrankung ausgelegte Durchführung der Prüfung sei aus ärztlicher Sicht dringend umzusetzen, legt der Aussteller erkennbar lediglich die eigenen Ausführungen der Antragstellerin zugrunde. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Aussteller ärztliche Atteste vorgelegen haben, die ein Asperger-Syndrom diagnostizieren, zumal die Antragstellerin selbst im Eilverfahren zuletzt lediglich noch geltend macht, ihr gegenüber sei ärztlicherseits die Verdachtsdiagnose eines hochfunktionellen Autismus samt Hochbegabung geäußert worden.
36
Auch die beiden ärztlichen Atteste des Vertrauensarztes der …, …, vom 12. Januar 2023 und 22. Juni 2023 machen die von der Antragstellerin vorgetragene Behinderung sowie darauf beruhende Beeinträchtigungen nicht hinreichend glaubhaft. Zunächst stellen auch diese Atteste keine eigene Diagnose fest, sondern führen lediglich aus, bei der Antragstellerin sei ein Asperger-Syndrom bekannt. Worauf die Kenntnis gestützt wird, ergibt sich aus den Attesten nicht. Da die Antragstellerin selbst im Eilverfahren zuletzt lediglich eine ärztliche Verdachtsdiagnose geltend macht und dem vertrauensärztlichen Attest auch nicht zu entnehmen ist, dass andere Atteste hinzugezogen worden wären, spricht viel dafür, dass die Annahme lediglich auf einer entsprechenden Äußerung der Antragstellerin beruht. Unabhängig davon ist jedenfalls nicht ersichtlich, ob und welche Art von Befunderhebung stattgefunden hat und ob die von der Antragstellerin geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Insoweit lassen die Atteste nicht hinreichend erkennen, ob die Beschreibung der klinischen Symptomatik allein auf den (subjektiven) Angaben der Antragstellerin beruht oder durch eine weitere (objektive) Befunderhebung verifiziert worden ist. Darüber hinaus stellt das vertrauensärztliche Attest überwiegend lediglich fest, dass es zu den beschriebenen Beeinträchtigungen kommen „kann“. Eine hinreichend sichere Feststellung dahingehend, dass es in den geschilderten Prüfungssituationen zumindest überwiegend wahrscheinlich bzw. regelmäßig zu den genannten Beeinträchtigungen komme, lässt sich dagegen nicht entnehmen.
37
Soweit die Antragstellerin sinngemäß vorträgt, es hätten umfangreiche Befragungen stattgefunden, auch mittels Fragebögen und eine psychosomatische Diagnostik, lässt sich dies den vorgelegten Attesten nicht entnehmen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände durfte die Antragsgegnerin die Vorlage weiterer Atteste bzw. eines fachärztlichen Attests zur weiteren Sachaufklärung verlangen.
38
Zwar kann die Glaubhaftmachung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 StuPOMed grundsätzlich durch die Vorlage eines (einfachen) ärztlichen Attests erfolgen und kann die Prüfungsbehörde nach § 22 Abs. 3 Satz 2 StuPOMed die Vorlage eines vertrauensärztlichen Attests verlangen. Insoweit wird auch nicht generell die Vorlage eines sog. qualifizierten Attests zwingend verlangt. Die Prüfungsbehörde muss nach Sinn und Zweck der Vorschrift jedoch aufgrund eines schlüssigen und fachlich fundierten Attests in die Lage versetzt werden, trotz ggf. fehlender eigener Sachkunde, feststellen zu können, ob die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich vorliegen. Danach ist es der Prüfungsbehörde nicht verwehrt, bei berechtigten Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich detailliertere Atteste bzw. fachärztliche Atteste zur weiteren Sachverhaltsaufklärung anzufordern. Selbst im Fall eines vorgelegten amtsärztlichen Attestes ist dies möglich. Insoweit ist allgemein anerkannt, dass die Prüfungsbehörde grundsätzlich den Inhalten schlüssiger, fachlich fundierter amtsärztlicher Zeugnisse Glauben schenken muss. Sie hat ihrer Entscheidung über die Gewährung von Nachteilsausgleich das amtsärztliche Attest zu Grunde zu legen, solange sie keine anderslautenden Erkenntnisse hat oder durch eingehende ärztliche Begutachtung gewinnen kann. Bescheinigt ein (Amts-)Arzt eine akute Erkrankung, mit der üblicherweise körperliche oder geistige Beeinträchtigungen einhergehen, so muss die Prüfungsbehörde von einer Leistungsminderung ausgehen und darf nur dann anders entscheiden, wenn die Auswirkungen der „bescheinigten Erkrankung“ auf die Leistungsfähigkeit des Prüflings unklar sind. In Fallgestaltungen, in denen die Prüfungsbehörde in den Angaben des amtsärztlichen Attests keine hinreichende Grundlage für die von ihr zu treffende Entscheidung sieht oder Grund zu der Annahme hat, die amtsärztliche Feststellung sei unzutreffend, ist sie ihrerseits gehalten, unverzüglich eine weitere Sachaufklärung einzuleiten, etwa indem sie eine ergänzende Beurteilung des Amtsarztes herbeiführt, eine weitere ärztliche Begutachtung veranlasst oder auch die Vorlage weiterer ärztlicher Atteste fordert, von denen sie sich Erkenntnisse für die ihr obliegende Beurteilung verspricht (vgl. so zum Ganzen BayVGH, U.v. 2.6.2022 – 7 B 21.349 – BeckRS Rn. 35 ff.; Jeremias in Fischer/Jeremias/Dieterich, Prüfungsrecht, 8. Aufl. 2022, Rn. 277 ff.). Gerichtsärzte bzw. Amtsärzte sind daher gehalten, sich von den Prüflingen ggf. aktuelle fachärztliche Atteste vorlegen zu lassen. Sie haben die dortigen Feststellungen – soweit dies möglich ist – im Rahmen des Arztgesprächs und anhand eigener Untersuchungen auf Plausibilität und Nachvollziehbarkeit zu überprüfen (vgl. BayVGH a.a.O.).
39
Nach diesen Grundsätzen durfte die Antragsgegnerin hier weitere ärztliche Atteste fordern. Sie hatte berechtigten Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, da sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten bzw. Stellungnahmen nicht hinreichend sicher ergibt, dass überhaupt eine eigene Befunderhebung erfolgt ist und jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass die Ärzte von einem bei der Antragstellerin diagnostizierten Asperger-Syndrom allein aufgrund ihrer Angabe ausgegangen sind und die weiteren Feststellungen auf dieser Basis getroffen haben.
40
Zudem erscheint es gerade bei psychiatrischen Leiden oftmals sachgerecht, ein fachärztliches Attest anzufordern, etwa wenn sich eine Abgrenzung zur bloßen Prüfungsangst ohne Krankheitswert für die Prüfungsbehörde nicht hinreichend sicher vornehmen lässt. Soweit die Antragstellerin vorträgt und eidesstattlich versichert, ihr sei es aufgrund der langen Wartezeiten faktisch nicht möglich, ein fachärztliches Attest vorzulegen, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass sie seit der erstmaligen Ablehnung auf Nachteilsausgleich im Juni 2022 bis zum gerichtlichen Eilverfahren – soweit ersichtlich – keinerlei Anstrengungen dahingehend unternommen hat, ihre vorgetragenen Beeinträchtigungen fachärztlich attestieren zu lassen. Auch hat die Antragstellerin die Möglichkeit verstreichen lassen, eine etwaige weitergehende Stellungnahme des Vertrauensarztes hinsichtlich der konkreten Befunderhebung vorzulegen.
41
(ii) Auch die sonstigen Umstände lassen die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der seitens der Antragstellerin vorgetragenen, länger andauernden Beeinträchtigungen aufgrund einer Behinderung nach Auffassung der Kammer nicht zu.
42
So erscheinen die geltend gemachten Beeinträchtigungen vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin nach eigenen Angaben ihr vorheriges Masterstudium mit der Note „sehr gut“ abgeschlossen hat und langjährig als Managerin und Teamleitung tätig gewesen ist, zumindest nicht anderweitig hinreichend wahrscheinlich. Vielmehr wäre bei Wahrunterstellung der geschilderten Beeinträchtigungen grundsätzlich zu erwarten, dass die Antragstellerin auch in ihrer bisherigen Ausbildung bzw. ihrem bisherigen Berufsleben beeinträchtigt gewesen wäre. Eine solche Beeinträchtigung schildert die Antragstellerin jedoch nicht, obwohl die substantiierte Schilderung früherer Beeinträchtigungen bzw. etwaiger früher gewährter Nachteilsausgleiche im Rahmen ihres vorherigen Studiums ersichtlich ihre Erläuterungen untermauert hätte.
43
(iii) Soweit die Antragstellerin zuletzt weitergehend geltend macht, bei ihr sei ca. im Jahr 2009 zunächst eine Borderlinestörung diagnostiziert worden, die bei Frauen regelmäßig mit einem Asperger-Syndrom verwechselt werde und eine solche Diagnose einen noch umfassenderen Nachteilsausgleich begründen würde, hat sie insoweit schon gar kein ärztliches Attest vorgelegt.
44
(iv) Unter Berücksichtigung aller Umstände auch in einer Gesamtschau ist nach alledem bei der Antragstellerin zur Überzeugung der Kammer eine Behinderung und eine darauf beruhende, länger andauernde Beeinträchtigung, das wahre Leistungsvermögen in der Prüfung darzustellen, nicht überwiegend wahrscheinlich.
45
cc) Im Übrigen würde der Antragstellerin selbst bei Wahrunterstellung, dass die bei ihr bestehenden Beeinträchtigungen eine länger andauernde Behinderung begründen, jedenfalls für die mündlich-praktischen Prüfungen kein Anspruch auf den begehrten Nachteilsausgleich zustehen, da es sich um Beeinträchtigungen handelt, die die zu prüfenden Befähigungen betrifft. Nach § 1 Abs. 1 ÄApprO gehören die praktische Erfahrung im Umgang mit Patienten, die Fähigkeit, die Behandlung zu koordinieren, die ärztliche Gesprächsführung sowie die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten und mit Angehörigen anderer Berufe des Gesundheitswesens zur Ausbildung und zum ärztlichen Berufsbild. Diese Anforderungen sprechen gegen die Durchführung einer mündlich-praktischen Prüfung in einer isolierten Umgebung sowie nach vorheriger Benennung eines Vertrauensprüfers und selbst gewählter Beisitzer zur Kommunikationsvermittlung. Ärzte müssen gerade auch in der Interaktion mit anderen, ihnen unbekannten Personen – seien es Patienten, Angehörige, andere Ärzte oder in der Krankenpflege tätige Beschäftigte – ein hohes Maß an sozialer Kompetenz aufweisen und auch unter erheblichem Druck zur schnellen Erfassung eines Sachverhalts sowie zu einer sinnvollen und zielgerichteten Kommunikation in der Lage sein (vgl. zu einer reizarmen Umgebung im Ganzen VG Freiburg U.v. 5.8.2021 – 1 K3332/20 – juris Rn. 49). Dabei kommt es allgemeinbekannt durchaus auch im späteren Berufsleben eines Arztes regelmäßig zu Situationen, in denen unter Anwesenheit mehrerer Personen eine zielgerichtete Kommunikation erforderlich ist. Insoweit wären bei der Antragstellerin Fähigkeiten betroffen, die auch den Gegenstand der zu prüfenden Leistung, mithin ihre Eignung für den Arztberuf betreffen. Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie beabsichtige, in die Forschung zu gehen, ergibt sich hieraus nichts anderes, denn auch hier ist eine sinnvolle und zielgerichtete Kommunikation auch mit bislang unbekannten Personen von Nöten. Darüber hinaus gehört zum Berufsbild eines Arztes in Forschung und Lehre regelmäßig die Abhaltung von Vorträgen auch vor mehreren Personen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin ihr vorgetragenes und als wahr unterstelltes Dauerleiden mit Hilfsmitteln kompensieren wird können. Ferner berechtigt der Abschluss der Humanmedizin gerade dazu, später als praktizierender Arzt tätig zu werden und soll durch die Prüfungen gerade auch diese Eignung ermittelt werden.
46
d) Nach alledem hat die Antragstellerin im Ergebnis einen Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin auf Gewährung des beantragten Nachteilsausgleichs nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
47
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
48
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. Ziff. 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog.