Titel:
Erfolglose Klage auf Änderung des Familiennamens bei Transidentität
Normenketten:
NamÄndG § 1, § 3 Abs. 1
PStG § 45b
Leitsätze:
1. Ein die Änderung des Familiennamens rechtfertigender wichtiger Grund liegt vor, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden schutzwürdigen Belange ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus dem Diverssein selbst ergibt sich kein kein wichtiger Grund iSd § 3 Abs. 1 NamÄndG, der eine Änderung des Familiennamens zulässt. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein besonderes Interesse an einer Änderung des Familiennamens wird nicht dadurch begründet, dass die betroffene Person durch ihren Familiennamen an ihre frühere männliche Identität erinnert wird und sich durch die von ihr häufig empfundene Erklärungsnot herabgesetzt und nicht für voll genommen fühlt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Änderung des Familiennamens bei Transidentität und Geschlechtsangabe divers, seelische Belastung wegen Transidentität als wichtiger Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG, Namensänderung, Familienname, Vornahme, divers, Transidentität, wichtiger Grund, Diverssein
Fundstellen:
StAZ 2024, 86
LSK 2023, 19238
BeckRS 2023, 19238
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Namensänderungsantrags und begehrt die Änderung ihres Familiennamens von „A.“ in „B.“.
2
Die Klägerin wurde am … 1955 als nichteheliches Kind geboren und dem männlichen Geschlecht zugeordnet. Als Vornamen erhielt die Klägerin die Namen „…“, wobei „Co.“ der Rufname sein sollte. Ihre zu diesem Zeitpunkt verwitwete Mutter trug seit der vorangegangenen Ehe mit dem bereits 1945 verstorbenen Ehemann dessen Familiennamen „A.“, den auch die älteren, aus dieser Ehe entstandenen Halbgeschwister der Klägerin trugen. Der Geburtsname der Mutter, den diese bei der Heirat abgelegt hatte, war „B.“.
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Mit Urteil des Landgerichts … vom 18. Mai 1955 wurde festgestellt, dass die Klägerin kein eheliches Kind von …, dem verstorbenen Ehemann der Mutter der Klägerin, ist. Durch gerichtliche Vaterschaftsfeststellung vom 24. Juli 1956 erhielt die Klägerin als nichteheliches Kind nach damaliger Rechtslage den Geburtsnamen der Mutter „B.“ als Familiennamen (während ihre Mutter und ihre älteren Halbgeschwister weiterhin „A.“ hießen). Vor der Einschulung der Klägerin veranlasste ihre Mutter die Änderung des Familiennamens der Klägerin in „A.“, sodass die Klägerin ab dem 3. Juli 1961 den gleichen Nachnamen wie ihre Mutter und ihre Halbgeschwister trug. Die Mutter der Klägerin starb im Jahr 1975. Als die Klägerin im Jahr … – während sie noch unter männlicher Identität lebte – eine Frau heiratete, wurde als gemeinsamer Ehename „A.“ gewählt und eingetragen. Auch nach der Scheidung der Ehe im Jahr … stellte die Klägerin noch keinen Namensänderungsantrag, sondern behielt weiterhin den Familiennamen „A.“.
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In der vorgelegten Behördenakte, Bl. 26, ist eine Erklärung der Klägerin zur Geschlechtsangabe und Vornamensführung vom 20. Mai 2020 enthalten, in welcher die Klägerin erklärt, dass sie körperlich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden könne und dass deshalb ihr Geschlechtseintrag in „divers“ und ihr Vorname in „D.“ geändert werden sollten. Außerdem ist eine Kopie ihres gültigen, am … 2020 ausgestellten Personalausweises enthalten (Bl. 21), in welchem als Vorname D. und als Familienname A. eingetragen ist.
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Am 29. Mai 2020 beantragte die Klägerin beim Landratsamt … (Landratsamt) die Änderung ihres Familiennamens. Zur Begründung trug sie vor, dass ihre Mutter die Umschreibung des Familiennamens der Klägerin in „A.“ nur veranlasst habe, um die Klägerin anderen gegenüber nicht als uneheliches Kind präsentieren zu müssen. Die Klägerin habe mit dem vor ihrer Geburt verstorbenen Ehegatten der Mutter nichts gemeinsam und lehne den Familiennamen „A.“ schon ihr Leben lang ab. Sie fühle sich richtig unglücklich, den Namen eines zehn Jahre vor ihrer Geburt verstorbenen Mannes tragen zu müssen. Ihre älteren Brüder hätten sie nie als ihren Bruder akzeptiert, sie habe auch kaum Kontakt zu ihnen gehabt. Mit ihrem Erzeuger, einem …, habe sie nie Kontakt gehabt, er habe ihre Mutter mit ihr sitzen lassen. Bisher habe sie sich machtlos gesehen, dies zu ändern, aber aufgrund der heutigen Informationsvielfalt durch das Internet habe sie nun den Mut gefasst, diesen Schritt zu wagen, ihren Familiennamen zu ändern. Sie wolle den Mädchennamen ihrer Mutter „B.“, der sie sich mental und seelisch verbunden fühle, wieder tragen.
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Ein Schlüsselerlebnis, der zur Ablehnung des Familiennamens „A.“ geführt habe, sei ein Vorfall in der Volksschule … gewesen. Alle Kinder hätten reihum etwas über ihre Väter erzählt. Als die Klägerin an der Reihe gewesen sei, hätten die anderen Kinder schon deshalb gelacht, weil sie nicht einmal den Vornamen ihres Vaters habe nennen können, wofür sie sich geschämt habe. Als sie dann gesagt habe, dass ihr Vater 1945 im Krieg gefallen sei – was ihre Mutter sie bis zu diesem Zeitpunkt habe glauben lassen – habe ein Klassenkamerad belustigt gefragt, wie es denn sein könne, dass ihr Vater 1945 gestorben sei und sie erst zehn Jahre später auf die Welt gekommen sei. Dieses Erlebnis habe die Klägerin nie vergessen und sie sei bis heute enttäuscht, dass ihre Mutter sie belogen habe. Das spiele aber keine Rolle, sie liebe ihre Mutter über alles und fühle sich auch nur der Mutter, nicht Herrn A. verbunden. Seit diesem Erlebnis lehne sie den Namen „A.“ ab.
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Im Rahmen der erfolgten Anhörung trug die Klägerin mit E-Mail vom 1. Dezember 2020 weiter vor, dass ihr bei der Änderung ihres Familiennamens im Alter von sechs Jahren Grund und Zweck hierfür nicht bekannt gewesen seien. Sie habe nach ihrer Geburt sechs Jahre den Familiennamen „B.“ getragen, sodass der Familienname „A.“ ihr von Anfang an fremd gewesen sei. Es sei zwar zutreffend, dass sie seit 1962 mit Nachnamen „A.“ heiße, sie habe aber bisher nicht gewusst, dass es möglich sei, den Nachnamen ohne Heirat zu ändern.
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Mit Bescheid vom 18. August 2021 lehnte das Landratsamt den Antrag der Klägerin auf Änderung des Familiennamens „A.“ in „B.“ ab. Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass die vorgetragene lebenslange emotionale Ablehnung des Namens „A.“ durch die Klägerin nicht so groß gewesen sein könne, weil sie bei der Heirat am … mit ihrer Ehefrau bewusst den Familiennamen „A.“ zum Ehenamen gewählt habe. Ein wichtiger Grund zur Änderung des Familiennamens könne aber grundsätzlich nicht aus Umständen abgeleitet werden, denen bereits bei einer ursprünglichen Namenswahl hätte Rechnung getragen werden können (unter Bezugnahme auf BayVGH v. 22.6.2016 – 5 BV 15.1819 – juris Rn. 17); behördliche Namensänderungen dienten nicht dazu, vermeidbare Versäumnisse aus der Vergangenheit nachzubessern (unter Bezugnahme auf BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 5 B 12.2541). Eine objektiv nachvollziehbare, seelische Belastung der Klägerin aufgrund der Namensführung sei nicht substantiiert und plausibel dargelegt worden, dies wäre aber nach der Rechtsprechung erforderlich gewesen (unter Bezugnahme auf BVerwG, B.v. 11.1.2011 – 6 B 65.10; B.v. 17.3.1987 – 7 B 42.87). An der Beibehaltung des Familiennamens als wichtigem Identifizierungsmerkmal bestehe ein öffentliches Interesse und die Klägerin sei seit über 60 Jahren unter dem Familiennamen „A.“ bei allen geschäftlichen Angelegenheiten bekannt. Es sei eher unwahrscheinlich, dass der zwischen 1955 und 1961 abweichend geführte Familienname „B.“ und die anschließende Namensänderung in „A.“ von der Klägerin im Kindesalter überhaupt wahrgenommen worden seien. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Familienname „B.“ in dieser Zeit für die kindliche Entwicklung der Klägerin in irgendeiner Weise beeinflussend oder prägend gewirkt habe.
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Hiergegen ließ die Klägerin die vorliegende Klage erheben und zur Begründung vortragen, dass die bei ihr vorliegenden individuellen Gründe weder umfassend zur Kenntnis genommen noch zutreffend gewürdigt worden seien. Bereits bei der Antragstellung habe sie darauf hingewiesen, dass Hintergrund ihres Namensänderungsantrags ihre Transidentität sei. Zur Unterscheidung ihrer jetzigen weiblichen Identität von der früheren männlichen sei es aus ihrer Sicht zwingend erforderlich, den früher mit männlicher Identität geführten Nachnamen „A.“ ablegen zu können. Die Klägerin werde weiterhin gegen ihren Willen häufig mit dem Namen „Co.A.“ adressiert und angesprochen, was einen von ihr als extrem belastend empfundenen Erklärungsdruck auslöse. Nur durch die völlige Abkehr von dem früher geführten Namen „A.“, der für die Klägerin Ausdruck der ihr aufgezwungenen, früheren männlichen Identität sei, könne die Klägerin den formal vollzogenen Wechsel ihrer Geschlechtszugehörigkeit auch im Alltag leben. Sie leide psychisch erheblich darunter, dass sie in ihrem Wohnort …, einer fränkischen Kleinstadt, ihre Transidentität ständig erklären müsse.
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Hinzu komme, dass die Klägerin den Familiennamen „A.“ erst unmittelbar vor ihrer Einschulung sehr bewusst aufgezwungen bekommen habe. Dass bei ihrer Heirat „A.“ als Ehename gewählt worden sei, habe dem Wunsch der Ehefrau und den damaligen Gepflogenheiten entsprochen. Die Klägerin habe zum damaligen Zeitpunkt noch nicht erkennen können, wie tief die Probleme lägen, die sie nun erst mit der Abkehr von der früher aufgezwungenen männlichen Identität teilweise beheben könne. Für die von der Klägerin angestrebte vollständige Abkehr von ihrem früheren, nach außen auf „Männlich“ geprägten Leben sei die erzwungene Fortführung des für sie männlich besetzten Familiennamens „A.“ ein wesentlicher Hinderungsgrund. Demgegenüber seien schutzwürdige Interessen anderer Beteiligter an der Beibehaltung des Familiennamens „A.“ nicht ersichtlich oder würden jedenfalls nicht den Leidensdruck der Klägerin überwiegen. Für die Klägerin sei eine Abkehr von der früheren männlichen Identität in der Gesellschaft real nur durch die Änderung des Familiennamens möglich, der Familienname „A.“ sei für sie untrennbar sozial und gesellschaftlich mit der abgelegten männlichen Identität verbunden. Entscheidend sei, dass die Klägerin nur zu ihrem Geburtsnamen „B.“ zurückkehren wolle. Die Namensänderung vor der Einschulung in „A.“ habe die Klägerin nicht selbst herbeigeführt, sondern die Mutter, um sich jeglichen Erklärungsbedarf zu ersparen. Die Klägerin habe ihren Geburtsnamen „B.“ bereits im Kindergartenalter bewusst erlebt und er sei für sie Zeichen der Identifikation mit der weiblichen Identität der Mutter.
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Das Landratsamt stellte sich dem entgegen und bezog sich zur Begründung auf den streitgegenständlichen Bescheid. Darüber hinaus sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber für den Fall der Änderung der Geschlechtsbezeichnung keinen Anpassungsbedarf hinsichtlich des Familiennamens gesehen habe, da § 45b PStG nur hinsichtlich der Vornamen eine Änderungsmöglichkeit vorsehe. Eine Namensänderung nach dem Namensänderungsgesetz sei daher nur in Fällen besonderer Belastungen möglich, die der Gesetzgeber beim Erlass des § 45b PStG nicht bedacht habe (unter Bezugnahme auf BayVGH v. 22.6.2016, Nr. 5 BV 15.1819, Rn. 16 (Bl. 38 der Behördenakte)). Eine solche, über das übliche Maß hinausgehende besondere Belastung sei im Fall der Klägerin jedoch nicht ersichtlich. Außerdem erscheine die Begründung, dass die Klägerin bereits ihr Leben lang den Namen „A.“ abgelehnt habe, angesichts der Eheschließung im Alter von 43 Jahren, bei der sie den Namen „A.“ als Ehenamen gewählt habe, nicht glaubhaft. Auch sei nicht nachvollziehbar, weshalb die mentale und seelische Verbundenheit der Klägerin mit ihrer Mutter mit dem Familiennamen „B.“ zusammenhänge, wenn doch die Mutter selbst von 1934 bis zu ihrem Tod auch „A.“ geheißen habe. Darüber hinaus sei es durch das sog. Nichtehelichengesetz vom 19. August 1969 zum gesetzlichen Regelfall geworden, dass ein nichteheliches Kind gemäß § 1617 BGB in der Fassung vom 1. Juli 1970 grundsätzlich den Familiennamen erhalte, den die Mutter zur Zeit der Geburt des Kindes führe, also zwischen Mutter und Kind grundsätzlich Namensidentität bestehe.
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In der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2023 ergänzte und vertiefte die Klägerin ihren bisherigen Vortrag. Außerdem trug sie vor, dass sie auch schon im Kindergartenalter ein Bewusstsein für ihren damaligen Nachnamen „B.“ gehabt habe, weil es in ihrem Kindergarten mehrere Kinder mit ihrem Vornamen gegeben habe. Daher sei sie meistens mit Vor- und Nachnamen oder auch nur mit Nachnamen gerufen worden. Ihre aktuelle Belastung durch den Familiennamen „A.“ bestehe darin, dass sie, egal wo sie hingehe, immer mit ihren Halbbrüdern, die auch „A.“ hießen, assoziiert werde und sie dann erklären müsse, dass sie nicht zu diesen gehöre. Ihre Halbbrüder seien hier in der ganzen Region bekannt, einer sei bei der Bundeswehr erfolgreich gewesen, ein anderer habe in … ein Friseurgeschäft geführt. Daneben werde sie jedes Mal an ihre frühere männliche Identität unter dem Namen „Co.A.“ erinnert, was sie ebenfalls in Erklärungsnot bringe. In diesen Situationen der Erklärungsnot fühle sie sich herabgesetzt und nicht für voll genommen. Mit „Ca.B.“ würde dieses Problem für sie behoben werden. Dass „Co.“ und „Ca.“ sehr ähnlich klingen würden, sei ihr beim Entscheidungsprozess für einen neuen Vornamen nicht wirklich bewusst gewesen, sie habe vor allem einen weiblichen Vornamen, der auch mit „C“ beginne, gewollt. Bei ihrer Heirat habe sie den Nachnamen ihrer damaligen Ehefrau nicht angenommen, weil sie zu diesem Namen auch keine Beziehung gehabt habe. Sie wäre damals mit einem Doppelnamen einverstanden gewesen, aber das habe ihre Frau nicht gewollt. Der Klägerin gehe es hauptsächlich darum, „B.“ zu heißen, und dazu müsse sie den Namen „A.“ loswerden.
13
Die Klägerin beantragt,
1. Der Bescheid des Landratsamtes … vom 18.08.2021 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, den Familiennamen der Klägerin von „A.“ in „B.“ zu ändern.
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Der Beklagte beantragt,
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig, jedoch unbegründet und daher abzuweisen.
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1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft. Ferner ist die Klage fristgerecht gemäß § 74 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben worden, die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO ergibt sich aus einem möglichen Anspruch der Klägerin auf die begehrte Änderung ihres Familiennamens nach §§ 1, 3 Abs. 1 NamÄndG.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der streitgegenständliche Bescheid vom 18. August 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Änderung ihres Familiennamens von „A.“ in „B.“.
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a. Die Rechtsgrundlage für den Anspruch der Änderung eines Familiennamens findet sich in § 1, § 3 Abs. 1 NamÄndG, wonach ein „wichtiger Grund“ im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG die Änderung des Familiennamens rechtfertigen muss.
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Bei dem Begriff des „wichtigen Grundes“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.1972 – VII C 77.70 – juris Rn. 20 ff.). Anhaltspunkte für das Vorliegen eines die Namensänderung rechtfertigenden Grundes bieten die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV), denen insofern eine wichtige Maßstabs- und Hinweisfunktion zukommt (vgl. VGH BW, U.v. 19.2.2014 – 1 S 1335/13 – juris Rn. 18; VG Karlsruhe, U.v. 7.3.2018 – 5 K 727/16 – juris Rn. 27).
21
Ein die Änderung des Familiennamens rechtfertigender wichtiger Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG liegt vor, wenn die Abwägung aller für und gegen die Namensänderung streitenden schutzwürdigen Belange ein Übergewicht der für die Änderung sprechenden Interessen ergibt (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2002 – 6 C 18.01 – juris Rn. 29 m.w.N.; vgl. auch Nr. 28 NamÄndVwV). In die Abwägung einzubeziehen sind das schutzwürdige Interesse des Namensträgers an der Ablegung des bisherigen Namens und der Führung des neuen Namens, schutzwürdige Interessen etwaiger weiterer durch die Namensänderung betroffener Träger des bisherigen und des neuen Namens sowie die in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck gekommenen Grundsätze der Namensführung, zu denen auch die Ordnungsfunktion des Namens und sicherheitspolitische Interessen an der Beibehaltung des bisherigen Namens gehören (OVG RhPf, U.v. 6.5.2019 – 7 A 10074/19 – juris Rn. 35).
22
Da die öffentlich-rechtliche Namensänderung Ausnahmecharakter hat, wird ein besonderes, die eigene Situation des Namensträgers prägendes Interesse verlangt (vgl. BVerwG, B.v. 3.2.2017 – 6 B 50/16 – juris Rn. 6 m.w.N.). Behördliche Namensänderungen dienen dazu, Unbilligkeiten auszugleichen, nicht aber dazu, vermeidbare Versäumnisse aus der Vergangenheit nachzubessern (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 5 B 12.2541 – juris Rn. 18).
23
b. Unter Anwendung dieser Grundsätze und unter Heranziehung der NamÄndVwV liegt im Fall der Klägerin kein wichtiger Grund i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG vor, der eine Änderung ihres Familiennamens rechtfertigen könnte.
24
Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, durch ihren aktuellen Familiennamen „A.“ immer wieder zum einen an ihre Halbbrüder und deren Vater, die den gleichen Familiennamen tragen bzw. trugen und mit denen sie nicht assoziiert werden wolle, und zum anderen an ihre inzwischen abgelegte, aufgezwungene männliche Identität erinnert zu werden. Außerdem habe die im Kindesalter vor ihrer Einschulung erfolgte Namensänderung (von „B.“ in „A.“) zu Diskriminierungen gegen sie als erkennbar nichteheliches Kind geführt, weshalb sie den Namen „A.“ schon immer ablehne.
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Es mag der Klägerin zuzugeben sein, dass der Familienname „A.“ für sie mit negativen Assoziationen verbunden ist, und auch, dass es ihr bei ihrer Eheschließung im Jahr 1998 nicht zumutbar war, den Familiennamen ihrer damaligen Ehefrau gegen deren Wunsch anzunehmen. Die geltend gemachten Gründe stellen jedoch nicht einen die Namensänderung rechtfertigenden wichtigen Grund i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG dar.
26
aa. Soweit die Klägerin vorträgt, dass ein wichtiger Grund darin liege, dass ihr Familienname „A.“ sie immer wieder an ihre inzwischen abgelegte, vormals aufgezwungene männliche Identität erinnere, konnte sie schon kein besonderes, ihre eigene Situation prägendes Interesse darlegen.
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Gemäß § 45b Abs. 1 Satz 3 PStG besteht für diverse Personen die Möglichkeit, bei der Änderung ihrer Geschlechtsangabe im Personenstandseintrag auch einen neuen Vornamen zu bestimmen. Dies dient der Harmonisierung des bzw. der Vornamen mit der neuen Geschlechtsangabe (vgl. Gesetzentwurf zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben v. 1.10.2018, BT-Drs.19/4669, S. 11). Dem kann die gesetzgeberische Wertung entnommen werden, dass allgemein anzunehmen ist, dass für eine Vornamensänderung, für die gemäß § 11 i.V.m. § 3 Abs. 1 NamÄndG ebenfalls ein wichtiger Grund erforderlich wäre, bereits im Diverssein selbst ein wichtiger Grund liegt.
28
Dass sich darüber hinaus auch für eine Änderung des Familiennamens aus dem Diverssein selbst allgemein ein wichtiger Grund i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG ergeben soll, ist weder § 45b PStG, noch der o.g. Gesetzesbegründung zu entnehmen und es ist hierfür auch sonst keine gesetzgeberische Wertung ersichtlich. Insbesondere würde die Änderung des Familiennamens nicht der o.g. gesetzgeberischen Zielsetzung dienen, den Personenstandseintrag mit dem Namen zu harmonisieren, da jedenfalls nach deutschem Namensrecht Familiennamen nicht nach Geschlecht gebeugt werden; eine Harmonisierung ist insoweit also gar nicht erforderlich. Es bleibt daher für den Fall der Familiennamensänderung dabei, dass in jedem Einzelfall das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG geprüft werden muss, wofür, wie oben dargestellt, ein besonderes, die Situation der antragstellenden Person prägendes Interesse erforderlich ist.
29
Ein solches besonderes Interesse, das ihre Situation anders prägt, als bei anderen diversen Personen, vermochte die Klägerin aber nicht zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Es ist davon auszugehen, dass jede diverse Person, die ihre Geschlechtsangabe gemäß § 45b PStG ändern ließ, anschließend ihren weiterhin bestehenden Familiennamen (auch) mit ihrer Identität vor der Änderung der Geschlechtsangabe verbindet. Dass die Klägerin durch ihren Familiennamen an ihre frühere männliche Identität erinnert wird und sich durch die von ihr häufig empfundene Erklärungsnot herabgesetzt und nicht für voll genommen fühlt, vermag daher unter Berücksichtigung der oben beschriebenen gesetzgeberischen Wertung für sich genommen kein ihre Situation in besonderer Weise prägendes Interesse zu begründen. Soweit die Erinnerung an die frühere männliche Identität dadurch verstärkt wird, dass die Klägerin mit „Ca.“ einen neuen Vornamen gewählt hat, der ihrem alten Rufnamen „Co.“ sehr ähnelt und dadurch „Co.A.“ insgesamt ein sehr ähnliches Klangbild zu „Ca.A.“ erzeugt, ist sie darauf zu verweisen, dass sie dies bei der neuen Vornamenswahl hätte berücksichtigen können und dass die behördliche Namensänderung nicht dazu dient, dieses Versäumnis nachzuholen (s.o.).
30
bb. Es ergibt sich kein wichtiger Grund i.S.d. §§ 1, 3 Abs. 1 NamÄndG i.V.m. Nr. 28 NamÄndVwV aufgrund einer seelischen Belastung der Klägerin.
31
Eine seelische Belastung ist nach der Rechtsprechung dann ein wichtiger Grund für eine Namensänderung, wenn sie unter Berücksichtigung der gegebenen Umstände nach allgemeiner Verkehrsauffassung verständlich und begründet ist (BVerwG, U.v. 2.10.1970 – VII C 2.68 – juris Os.; B.v. 17.3.1987 – 7 B 42.87 – juris 1. Os.), nicht bloß „übertriebene Empfindlichkeit“ (BVerwG, B.v. 11.1.2011 – 6 B 65/10, BeckRS 2011, 46582). Es ist ein substantiierter Vortrag dazu erforderlich, wie und in welchen Lebensbereichen sich die seelische Belastung auswirkt (OVG Lüneburg, U.v. 16.11.2021 – 11 LB 252/20 – juris 3. Ls und Rn. 33 m.w.N.), die seelische Belastung muss aber keinen Krankheitswert haben (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.2011 – 6 B 65/10 – BeckRS 2011, 46582, Rn. 6; OVG Lüneburg, U.v. 16.11.2021 – 11 LB 252/20 – juris Rn. 33). Es hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, ob eine seelische Belastung eine Änderung des Familiennamens erforderlich macht (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.2011 – 6 B 65/10 – juris Rn. 6).
32
Soweit die Klägerin vorträgt, dass der Familienname „A.“ sie an ihre Halbbrüder, mit denen sie keinen Kontakt habe, und an deren Vater, der bereits lange vor ihrer Geburt verstorben war, erinnert, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts kein schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild der seelischen Belastung.
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Dass die Klägerin mit ihren Halbbrüdern, mit denen schon immer kaum oder kein Kontakt bestanden zu haben scheint, assoziiert wird, ist zunächst gerade Sinn und Zweck des Namensrechts. Schon durch die strengen Voraussetzungen einer Familiennamensänderung wird die gesetzgeberische Wertung deutlich, dass Verwandtschaftsverhältnisse grundsätzlich durch einen gleichen Familiennamen erkennbar sein sollen (vgl. auch Nr. 30 Abs. 1 Alt. 2 NamVwV). Von diesem Grundsatz gibt es selbstverständlich Ausnahmen, insbesondere die familienrechtlichen Möglichkeiten der Namensänderung beispielsweise bei der Eheschließung.
34
Ein besonderes, ihre Situation prägendes Interesse der Klägerin an einer Änderung ihres Familiennamens ist dagegen nicht gegeben. Dass jemand durch den gleichen Familiennamen auch in Verbindung mit unliebsamen Familienmitgliedern gebracht werden kann, dürfte häufig vorkommen und ist grundsätzlich zumutbar. Die Klägerin hat insbesondere nicht vorgetragen, dass der nicht bestehende Kontakt zu ihren Halbbrüdern durch besonderes, ins Gewicht fallendes Fehlverhalten ihr gegenüber begründet ist oder war, sondern ihr Vortrag beschränkte sich auch auf Nachfrage auf allgemeine Aussagen wie, dass ihre Halbbrüder sie nie akzeptiert hätten und noch nie ein enger Kontakt zwischen ihnen bestanden habe. Dies ist aber zur Überzeugung des Gerichts bei Halbgeschwistern mit einem großen Altersabstand (elf Jahre zwischen der Klägerin und dem jüngsten Halbbruder) für sich genommen keine besondere Situation, die einen wichtigen Grund zur Familiennamensänderung darstellen könnte.
35
Jedenfalls aber konnte die Klägerin diesbezüglich keine seelische Belastung im oben dargestellten Sinne substantiiert darlegen. Ihr Vortrag erschöpft sich vielmehr darin, dass sie sich von ihren Halbbrüdern distanzieren wolle, weil diese sie nie akzeptiert und nie einen engen Kontakt zu ihr gepflegt hätten. Es ist für das Gericht nicht nachvollziehbar und verständlich geworden, warum der gemeinsame Familienname „A.“ die Klägerin nur an ihre Halbbrüder (und deren verstorbenen Vater, dazu sogleich) erinnern soll, nicht aber an ihre Mutter, der sie sich so nahe gefühlt hat und die schon vor der Geburt der Klägerin ebenfalls den Namen „A.“ trug. Außerdem ist das Gericht auch nicht davon überzeugt, dass die Klägerin, wie von ihr vorgetragen, bei allen beruflichen Einsätzen in der ganzen Region angeblich (nahezu) immer auf ihren Familiennamen und eine potentielle Verwandtschaft mit ihren Halbbrüdern angesprochen werde. Warum ein erfolgreicher Bundeswehrsoldat und ein Friseur aus … mit dem doch geläufigen Namen „A.“ einen solchen Bekanntheitsgrad in der ganzen Region haben sollten, konnte die Klägerin nicht überzeugend und nachvollziehbar darlegen.
36
Soweit die Klägerin vorträgt, dass sie auch unter der Assoziation des Namens „A.“ mit dem verstorbenen Vater ihrer Halbbrüder leide, könnte ein besonderes, ihre Situtation prägendes Interesse am ehesten zu bejahen sein, weil für das Gericht durchaus nachvollziehbar ist, dass die Klägerin nicht mit einem „Vater“, der bereits Jahre vor ihrer Geburt verstorben ist und daher Anknüpfungspunkt für ein Rechtfertigungsbedürfnis ihrer eigenen Nichtehelichkeit sein kann, in Verbindung gebracht werden möchte. Aber auch hier konnte die Klägerin eine seelische Belastung nicht substantiiert darlegen. So sehr es verständlich ist, dass die Diskriminierungen in ihrer Kindheit wegen ihrer Nichtehelichkeit und die darauf beruhende Scham und auch die Namensänderung im Vorschulalter eine Belastung dargestellt haben, konnte die Klägerin aber dennoch nicht verständlich und bezogen auf konkrete Lebensbereiche darlegen, inwiefern sie deshalb auch heute noch seelisch belastet ist (vgl. zu Hänseleien in der Kindheit OVG Saarland, B.v. 25.5.2023 – 2 A 132/22 – juris Rn. 16). Daneben ist auch in diesem Kontext für das Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb die Tatsache, dass ihre Mutter, mit der sie ein sehr gutes Verhältnis hatte, ebenfalls „A.“ hieß, für die Klägerin hinsichtlich ihrer Einstellung zum Familiennamen „A.“ überhaupt nicht ins Gewicht zu fallen scheint.
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Insgesamt konnte die Klägerin das Gericht, auch bei einer Gesamtschau der einzelnen vorgebrachten Aspekte, nicht von einer verständlichen und begründeten seelischen Belastung überzeugen. Es entsteht vielmehr der Eindruck, dass die Klägerin sich nach dem nun vollzogenen Wechsel ihrer Identität nach außen von Mann zu Frau einen auch den Familiennamen umfassenden „Neuanfang“ mit dem Geburtsnamen ihrer verstorbenen Mutter „B.“ wünscht. Dies mag nachvollziehbar sein, stellt aber nach der geltenden Rechtslage für sich genommen nach allem oben Gesagten, insbesondere den dargelegten gesetzgeberischen Wertungen, keinen wichtigen Grund i.S.d. § 3 Abs. 1 NamÄndG dar.
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Demnach überwiegen die für die Beibehaltung des Namens sprechenden Gründe, insbesondere die Ordnungsfunktion der Namenskontinuität, die von der Klägerin für eine Namensänderung vorgebrachten Gründe.
39
c. Der ablehnende Bescheid ist somit rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Änderung ihres Familiennamens.
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3. Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.