Inhalt

ArbG München, Beschluss v. 20.04.2023 – 3 BV 61/23
Titel:

Initiativrecht des örtlichen Betriebsrats bei der Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung

Normenketten:
ArbGG § 3 Abs. 2 Nr. 1, § 100 Abs. 1 S. 2
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7
Leitsatz:
Der örtliche Betriebsrat hat ein Initiativrecht für die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung im Gemeinschaftsbetrieb. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Örtlicher Betriebsrat, Einigungsstelle, Konzernbetriebsrat, Mitbestimmungsrecht, Gemeinschaftsbetrieb, Arbeitszeiterfassung, Ausgestaltung, Zeiterfassung, Initiativrecht
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG München, Beschluss vom 22.05.2023 – 4 TaBV 24/23
BAG Erfurt vom -- – 4 TaBV 24/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 19229

Tenor

1. Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Ausgestaltung der Arbeitszeit-Erfassung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst“ wird Herr T bestellt.
Die Anzahl der Beisitzer je Seite wird auf zwei festgesetzt.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Ausgestaltung der Arbeitserfassung für die Mitarbeiter im Außendienst.
2
Die Antragsgegnerin ist die Vertriebsgesellschaft der E-Gruppe. Der Antragsteller ist der für die gebildete Betriebsrat.
3
In der Unternehmensgruppe der Antragsgegnerin besteht eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeit vom 16.04.20221. Diese regelt auch Fragen der Arbeitszeiterfassung.
4
Diese Konzernbetriebsvereinbarung gilt allerdings nur für Mitarbeiter des Innendienstes. Für Mitarbeiter des Außendienstes der Antragsgegnerin gibt es entsprechende Regelungen derzeit nicht.
5
Der Antragsteller beschloss am 11.11.2022 eine Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung abzuschließen und teilte dies der Antragsgegnerin mit.
6
Mit E-Mail vom 30.01.2023 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, vor dem Hintergrund, dass von der Verpflichtung zur Aufzeichnung von Arbeitszeit auch die übrigen Mitarbeiter der E-Gruppe betroffen seien, habe es bezüglich einer entsprechenden Regelung eine erste Kontaktaufnahme mit Vertretern des Konzernbetriebsrats gegeben.
7
Nachdem der Antragsteller von der Antragsgegnerin die Bildung einer Einigungsstelle verlangt hatte, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit weiterer E-Mail vom 17.02.2023 mit, dass eine Zuständigkeit des örtlichen Betriebsrates zweifellos nicht bestehe; somit werde auch kein Bedarf für die Bildung einer Einigungsstelle gesehen.
8
Der Antragsteller begehrt die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für Mitarbeiter im Außendienst und stellt folgenden konkreten Antrag:
Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Außendienst“ wird Herr T, Vorsitzender Richter am Arbeitsgericht M. aD eingesetzt.
Die Anzahl der Beisitzer je Seite wird auf 3 festgesetzt.
9
Die Antragsgegnerin beantragt,
Zurückweisung des Antrags.
10
Die Antragsgegnerin argumentiert, sie sei Mitglied im Arbeitgeberverband der privaten Versicherungsunternehmen und damit tarifgebunden. Der Manteltarifvertrag für das private Versicherungsgewerbe regele die Arbeitszeit abschließend; es bestehe keine Öffnungsklausel. Die Arbeitszeiterfassung erfolge konzerneinheitlich durch das System SAP HCM. Die Einführung und Anwendung der SAP-Software sei in Konzernbetriebsvereinbarungen geregelt (siehe dazu Bl. 80 ff. d.A.). Es habe erste Gespräche mit dem Konzernbetriebsrat zur Anwendung von SAP HCM auf Mitarbeiter im Außendienst gegeben. Das System SAP HCM könne nicht unterschiedlich geregelt werden. Die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig (siehe dazu im Einzelnen: Bl. 83 ff. d.A.). Es bestehe insbesondere kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, da für Regelungen zur Einführung und Anwendung von SAP HCM alleine der Konzernbetriebsrat zuständig sei.
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Für das „ob“ der Arbeitszeiterfassung bestehe nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG kein Mitbestimmungsrecht. Für das „wie“ bestehe ebenfalls kein Mitbestimmungsrecht, weil sich die Unternehmensgruppe der Antragsgegnerin für eine Anwendung des SAP HCM entschieden habe. Im Übrigen sei man mit Herrn T als Vorsitzenden nicht einverstanden; die Antragsgegnerin rege Herrn BU. als Vorsitzenden an. Im Übrigen sei die Zahl von 3 Beisitzern überdimensioniert; richtig wäre die Besetzung mit nur einem Mitglied.
12
Zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift verwiesen.
II.
13
1. Die Anträge sind zulässig.
14
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG eröffnet. Das Arbeitsgericht München ist örtlich gemäß § 82 Satz 1 ArbGG zuständig.
15
2. Die Anträge erwiesen sich als überwiegend begründet.
16
a) Gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG können Anträge auf Bestellung des Vorsitzenden und die Bestimmung der Anzahl der Beisitzer wegen fehlender Unzuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die Einigungsstelle dann, wenn sich die zu regelnde Materie überhaupt nicht in ihren Zuständigkeitsbereich einordnen lässt (vgl etwa Schleswig-Holstein, Beschluss vom 11.06.1998, 4 TaBV 12/98, Beschluss vom 25.11.1999, 4 TaBV 41/99). Die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat darf sich bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort und erkennbar nicht unter einem mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren lassen. Mit der Regelung des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass das Arbeitsgericht grundsätzlich nicht die Vorfrage zu prüfen hat, ob eine Zuständigkeit der Einigungsstelle für die anstehenden Streitfragen gegeben ist. Eine Prüfung dieser nicht selten schwierigen Fragen wäre nicht mit dem Zweck des Bestellungsverfahrens nach § 100 ArbGG vereinbar, die schnelle Bildung einer Einigungsstelle zu ermöglichen (siehe hierzu etwa LAG München vom 17.10.2007, 11 TaBV 73/07).
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b) Gemessen an diesen rechtlichen Grundsätzen ist die Einigungsstelle, deren Einsetzung der Antragsteller begehrt, jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig.
18
Vorliegend besteht nach Auffassung des Gerichts ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hinsichtlich der Ausgestaltung der Spielräume bei der Arbeitszeit-Aufzeichnung (siehe dazu BAG vom 13.09.2022, 1 ABR 22/21). Wie das BAG in der zitierten Entscheidung ausgeführt hat, ist – jedenfalls auf derzeitiger Rechtsgrundlage – Arbeitszeit nicht zwingend oder automatisch elektronisch zu erfassen. Vielmehr können beispielsweise – je nach Tätigkeit und Unternehmen – Aufzeichnungen etwa auch in Papierform genügen. Es ist nicht ausgeschlossen, die Aufzeichnungen der betreffenden Zeiten an die Arbeitnehmer zu delegieren. Insoweit bestehen bei der Erfüllung der Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz Spielräume. Diese Spielräume unterliegen der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (BAG vom 13.09.2022, 1 ABR 22 /21, Rn. 66).
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c) Das Gericht hat als Vorsitzenden der Einigungsstelle, Herrn T. eingesetzt.
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Greifbare und damit letztlich auch vom Gericht zwingend zu berücksichtigende Bedenken wurden seitens der Antragsgegnerin weder schriftsätzlich noch in der Anhörung geäußert. Herr T. besitzt die notwendige Unparteilichkeit und Sachkunde.
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Das Gericht hat die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf 2 festgesetzt. Diese Besetzung ist für die vorliegende Verhandlungsthematik ausreichend. Insoweit war der Antrag im Übrigen abzuweisen.