Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.07.2023 – 4 ZB 22.1530
Titel:

Verbot der unbefugten Verwertung geheimzuhaltender Angelegenheiten durch Gemeinderatsmitglied

Normenketten:
BayGO Art. 20 Abs. 2, Abs. 4
BeamtStG § 48
Leitsatz:
Gegen das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO normierte Verbot der unbefugten Verwertung geheimzuhaltender Angelegenheiten wird verstoßen, wenn die ehrenamtlich tätige Person sich oder einem Dritten auf Grund ihres Einblicks in die Gemeindeverwaltung persönliche Vorteile materieller oder immaterieller Art verschafft, die sie ohne solches Insiderwissen nicht erlangt hätte. (Rn. 19)
Schlagworte:
nichtöffentliche Gemeinderatssitzung, geheimzuhaltende Angelegenheiten, Verbot der unbefugten Verwertung von Informationen, Haftung des Ratsmitglieds bei Verstößen, Schadensberechnung, Drittschadensliquidation, Mitverschulden, Gemeinderatsmitglied, geheimzuhaltende Angelegenheit, nichtöffentliche Sitzung, Verwertungsverbot, grobe Fahrlässigkeit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 06.05.2022 – RN 3 K 18.1513
Fundstellen:
DVBl 2024, 314
BayVBl 2024, 164
LSK 2023, 19030
DÖV 2024, 165
BeckRS 2023, 19030

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 8.189 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen eines Verstoßes gegen deren Pflicht als Gemeinderätin aus Art. 20 Abs. 1, 2 GO in Anspruch.
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1. Die Beklagte gehörte u.a. im Juni und Juli 2017 dem Gemeinderat der Klägerin an. In einer nichtöffentlichen Ratssitzung am 20. Juni 2017 wurde über den Erwerb eines Wiesengrundstücks beraten, über das am Tag zuvor die erste Bürgermeisterin und ein Makler eine Immobiliennachweisbestätigung mit Provisionssatz – noch ohne konkrete Angabe eines Kaufpreises – schriftlich festgehalten hatten. In der Sitzung berichtete die erste Bürgermeisterin, dass ihr der Makler den Erwerb des Grundstücks für die Gemeinde „exklusiv“ zu einem Preis von 12,00 Euro/m² angeboten habe und dass eine Ausschreibung auf dem öffentlichen Markt noch nicht erfolgt sei. Der Gemeinderat beauftragte sie daraufhin mit dem Erwerb des Grundstücks zu diesen Bedingungen.
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Im Nachgang zu der Sitzung wandte sich die Beklagte aufgrund eigenen Interesses an dem Grundstück an den Eigentümer und sprach mit ihm auch über einen möglichen höheren Kaufpreis. Am 22. Juni 2017 teilte ihr der Makler mit, dass der Eigentümer 12,50 Euro/m² verlange. Hierbei kam zur Sprache, dass die Beklagte der Klägerin eine gleichwertige Tauschfläche anbieten könne bzw. solle. Die Beklagte bot daher noch am selben Tag der ersten Bürgermeisterin der Klägerin als Ersatzgrundstücke zwei andere Flächen an. Am 23. Juni 2017 erklärte sie gegenüber dem Makler schriftlich ihre Bereitschaft, das Grundstück für 12,50 Euro/m² zu erwerben. Ebenfalls am 23. Juni 2017 unterzeichnete die erste Bürgermeisterin der Klägerin eine „Immobilienreservierung mit Terminvorbereitung für einen notariellen Kaufvertrag“, in der für das Grundstück ein Gesamtpreis von 204.725 Euro (12,50 Euro/m²) festgehalten wurde. Drei Tage später unterzeichneten der Makler und der Eigentümer ebenfalls diese Immobilienreservierung. Nachdem die Beklagte von dem Preisangebot der Klägerin und der Verkaufsbereitschaft des Verkäufers erfahren hatte, boten sie und ihr Ehemann mit Schreiben vom 30. Juni 2017 der Klägerin Ersatzflächen zum Erwerb entweder als Dauergrünland zu 12,00 Euro/m² oder als Ackerfläche zu 16,00 Euro/m² an. Am 2. Juli 2017 unterrichtete die Beklagte den Makler über dieses Angebot an die Klägerin und erklärte ihre Bereitschaft, für das Grundstück 15,00 Euro/m² zu bezahlen. Mit weiterem Schreiben vom 10. Juli 2017 schlug sie der Klägerin vor, dass diese das Wiesengrundstück wie geplant erwerben und es dann gegen zwei von der Beklagten vermittelte Flächen tauschen könne. In der Folge kamen weder dieses Tauschgeschäft noch das zuvor angebotene Ersatzgeschäft zustande. Der Gemeinderat der Klägerin bewilligte schließlich den Kauf des Wiesengrundstücks zu 12,50 Euro/m²; der Kaufvertrag wurde am 13. Juli 2017 geschlossen.
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2. Mit Anwaltsschreiben vom 5. Dezember 2017 forderte die Klägerin die Beklagte wegen unbefugter Verwertung von Informationen aus der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.189 Euro bis zum 22. Dezember 2017 auf. Die Beklagte kam dieser Forderung in der Folgezeit nicht nach.
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Mit der zunächst beim Landgericht erhobenen Klage, die der Beklagten am 11. Juli 2018 zugestellt wurde, verlangte die Klägerin Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem ursprünglich anvisierten Preis von 196.536 Euro (12,00 Euro/m²) und dem tatsächlich gezahlten Preis von 204.727 Euro (12,50 Euro/m²) sowie Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Mit Beschluss vom 13. September 2018 verwies das Landgericht den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Regensburg.
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Dieses verurteilte mit Urteil vom 6. Mai 2022 die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 8.189 Euro und der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 808,13 Euro jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juli 2018. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Schadensersatzanspruch folge aus Art. 20 Abs. 4 Satz 2 GO i.V.m. § 48 BeamtStG. Die Beklagte habe gegen ihre Pflicht aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO verstoßen, indem sie Informationen aus der nichtöffentlichen Sitzung genutzt habe, um einen Eigenerwerb des Grundstücks zu ermöglichen. Dass das Grundstück für 12,00 Euro/m² (exklusiv) an die Klägerin habe verkauft werden sollen, sei eine geheimzuhaltende Angelegenheit gewesen, da aus der Nichtöffentlichkeit der Sitzung die Vertraulichkeit dieser Tatsache folge. Die Verwendung der erlangten Information habe dem eigenen Vorteil dienen sollen und sei damit unbefugt gewesen. Es komme dabei nicht darauf an, ob die Beklagte dem Eigentümer gegenüber sofort und initial einen über 12,00 Euro/m² liegenden Preis genannt oder diesem zunächst nur ihre Kaufbereitschaft signalisiert habe. In den nachfolgenden konkreten Verkaufsverhandlungen liege jedenfalls ein Ausnutzen des Wissensvorsprungs zum eigenen Vorteil und damit ein zumindest grob fahrlässiger Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO.
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Bei der Beurteilung des zu ersetzenden Schadens fänden die Grundsätze der §§ 249 ff. BGB entsprechende Anwendung, so dass im Rahmen einer Differenzhypothese die bestehende Vermögenslage der Klägerin mit der hypothetischen Vermögenslage ohne das haftungsbegründende Ereignis zu vergleichen sei. Dass ein Kauf zu 12,00 Euro/m² die hypothetische Vermögenslage der Klägerin ohne das Dazwischentreten der Beklagten widerspiegele, stehe zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Preisangebot von 12,00 Euro/m² sei zwar nur mündlich festgehalten worden, jedoch sei dies aus Sicht des als Zeugen vernommenen Maklers in diesem Stadium der Verkaufsverhandlungen ausreichend gewesen. Darüber hinaus stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sowohl die Klägerin als auch der Eigentümer bereits zum Abschluss des konkreten Geschäfts zu einem Preis von 12,00 Euro/m² entschlossen gewesen seien. Laut übereinstimmenden Aussagen der ersten Bürgermeisterin der Klägerin sowie des Zeugen habe der Vertragsschluss nur noch von der Zustimmung des Gemeinderats abhängen sollen, die unter expliziter Bezugnahme auf den Preis von 12,00 Euro/m² in der Sitzung am 20. Juni 2017 erteilt worden sei. Von der Bereitschaft des Eigentümers, zu diesen Bedingungen an die Klägerin zu verkaufen, sei auszugehen; der Zeuge habe bestätigt, dass der Preis mit dem Eigentümer abgesprochen sei. Auch dass der Eigentümer nach Aussage des Zeugen den Verkauf nicht an die große Glocke habe hängen wollen und die Gemeinde als Vertragspartnerin ideal gefunden habe, bestätige dessen Entschlossenheit zum Verkauf. Bei einem Gespräch des Zeugen mit dem Eigentümer sei es diesem ein großes Anliegen gewesen, dass das Grundstück exklusiv der Gemeinde angeboten werde. Der Zeuge sei laut eigener Aussage davon ausgegangen, dass sich der Verkäufer nach der Zustimmung des Gemeinderats an die Absprache gehalten hätte und bei 12,00 Euro/m² geblieben wäre. Der Schaden entfalle auch dann nicht, wenn ein Preis von 12,50 Euro/m² dem Marktwert des Grundstücks entspreche; im Rahmen der Differenzhypothese komme es allein auf die der Klägerin entstandenen Mehrkosten an.
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Eine potenzielle, in der Zukunft liegende Möglichkeit der Refinanzierung gemäß § 135a BauGB sei nicht geeignet, den Schaden von vornherein zu verneinen. Abgesehen davon, dass eine solche Kompensationsmöglichkeit zum momentanen Zeitpunkt nicht gesichert sei, könnte sie der Beklagten nicht zum Vorteil gereichen. Nach Zahlung des Schadensersatzes seitens der Klägerin könne die Klägerin ohnehin nur den günstigeren, dann auch ihren tatsächlichen Ausgaben entsprechenden Preis von 12,00 Euro/m² refinanzieren.
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Die Pflichtverletzung der Beklagten sei für den entstandenen Schaden kausal gewesen. Es liege nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass die Bekundung eigenen Interesses seitens der Beklagten dazu geführt habe, dass der Verkäufer auch gegenüber der Klägerin den Preis erhöht habe. Der Kausalzusammenhang werde nicht dadurch aufgehoben, dass die Klägerin aus eigenem Entschluss ebenfalls einen Kaufpreis von 12,50 Euro/m² geboten habe statt auf dem niedrigeren Preis zu beharren oder eines der Angebote der Beklagten hinsichtlich der Ersatz- oder Tauschgrundstücke anzunehmen. Sie habe sich auch nicht dafür rechtfertigen müssen, dass sie bei dem Grundstück geblieben sei, für das sie sich ursprünglich entschieden habe, auch wenn damit ein finanzieller Mehraufwand verbunden gewesen sei. Der Schadensersatzanspruch sei nicht entsprechend § 254 BGB aufgrund eines Mitverschuldens der Klägerin zu kürzen. Dass sie sich dazu entschlossen habe, rasch ebenfalls den höheren Preis zu bieten und sich das Grundstück entsprechend reservieren zu lassen anstatt das Scheitern des Kaufgeschäfts oder eine weitergehende Preissteigerung zu riskieren, sei nicht als Verstoß gegen ihre Schadensminderungspflichten anzusehen. Entsprechendes gelte für ihre Entscheidung, an dem ursprünglichen Grundstück festzuhalten und kein Ersatz- oder Tauschgrundstück anzunehmen. Der Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten sei ebenfalls begründet, da die Klägerin die Beauftragung eines Anwalts für erforderlich habe halten dürfen. Der Anspruch auf Prozesszinsen folge aus einer entsprechenden Anwendung von § 291 BGB.
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3. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Die Klägerin tritt dem Antrag entgegen.
13
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
14
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da keiner geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.
15
a) Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beklagte hat keinen einzelnen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 32 m.w.N.).
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aa) Die Beklagte trägt vor, es fehle bereits an einer eigenen Pflichtverletzung, da die Weitergabe der Daten an Dritte durch die Klägerin selbst erfolgt sei. Der Makler habe bereits Bescheid gewusst, so dass die Beklagte keine geheim zu haltende Angelegenheit unbefugt verwertet habe. Weder der Verkäufer noch der Makler hätten gezögert, mit der Beklagten Kontakt zu halten oder über den Grundstücksverkauf zu sprechen, was gegen eine besondere Exklusivität spreche. Es liege auch kein grob fahrlässiges Handeln vor; bei der bloßen Interessenbekundung der Beklagten handele es sich nur um eine invitatio ad offerendum. Jedenfalls scheide die Schadensersatzpflicht mangels eines Schadens bzw. wegen fehlender Kausalität aus. Wenn man das „Schadensereignis“ ausschalte, sei nicht mit ausreichender Sicherheit festzustellen, ob die Klägerin das Wiesengrundstück tatsächlich für 12,00 Euro/m² bekommen hätte. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Erhöhung des Kaufpreises um 0,50 Euro/m² allein von dem Verkäufer ausgegangen sei. Ein Schaden liege auch deshalb nicht vor, weil die Klägerin das Wiesengrundstück zur bloßen Bodenbevorratung erworben habe und weil der gezahlte Preis dem Wert des Grundstücks entsprochen habe, das mittlerweile wohl sogar einiges mehr wert sei. Wenn man einen Schadenersatzanspruch bejahe, sei die Klägerin sogar bereichert, da sie den Kaufpreis komplett über § 135a BauGB auf die Grundstückseigentümer des Baugebiets, als dessen Ausgleichsfläche das Grundstück habe verwendet werden sollen, umlegen könne und auch müsse. Der Klägerin sei damit kein Schaden entstanden, weil sich ihre Vermögenslage objektiv nicht verschlechtert habe. Jedenfalls fehle es an der Kausalität für einen möglichen Schaden. Unabhängig vom Verhalten der Beklagten wäre eine Erhöhung des Kaufpreises möglich gewesen, da der ursprünglich im Raum stehende Kaufpreis von 12,00 Euro/m² nicht notariell beurkundet und somit nicht rechtlich bindend gewesen sei. Die gegenteilige Feststellung des Verwaltungsgerichts sei nicht nachvollziehbar. Hinzuweisen sei auch auf die Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB. Die Klägerin sei zum Kauf des Wiesengrundstücks für 12,50 Euro/m² nicht verpflichtet gewesen. Sie habe die Möglichkeit gehabt, ein vergleichbares, wenn nicht sogar wertvolleres Grundstück für 12,00 Euro/m² zu erwerben. Auch mit der Refinanzierungsmöglichkeit über § 135a BauGB könne sie ihrer Schadenminderungspflicht gerecht werden.
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bb) Diese Ausführungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu begründen.
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(1) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte als (damaliges) Gemeinderatsmitglied im Nachgang zur nichtöffentlichen Sitzung am 20. Juni 2017 gegen die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO normierte Pflicht, die Kenntnis der nach Satz 1 geheimzuhaltenden Angelegenheiten nicht unbefugt zu verwerten, schuldhaft verstoßen hat. Entgegen der Darstellung in der Zulassungsbegründung lag das ihr vorgeworfene Fehlverhalten nicht in einer unzulässigen Datenweitergabe an Dritte, sondern in dem privaten Ausnutzen der den Sitzungsteilnehmern zur Kenntnis gegebenen Information, dass der Eigentümer zum Verkauf des Wiesengrundstücks an die Klägerin zu einem Preis von 12,00 Euro/m² bereit war. Es handelte sich im Sinne von Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GO um eine geheimzuhaltende Angelegenheit, da die – unter Mitwirkung eines Maklers erklärte – prinzipielle Bereitschaft zum Verkauf des Grundstücks weder offenkundig war noch ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedurfte. Für die Klägerin bestand vielmehr bei objektiver Betrachtung ein erhebliches Interesse daran, die Vertraulichkeit der Kaufverhandlungen zu wahren, um das kurz vor dem Abschluss stehende Grundstücksgeschäft nicht durch konkurrierende Angebote Dritter zu gefährden. Der betreffende Tagesordnungspunkt wurde gerade deshalb im nichtöffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung behandelt.
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Die Beklagte hat, indem sie mit dem Verkäufer und dem Makler Verhandlungen über einen privaten Erwerb des Grundstücks aufgenommen hat, ihre als Ratsmitglied erlangte Kenntnis über die bestehende Verkaufsbereitschaft des Eigentümers „unbefugt verwertet“. Gegen das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO enthaltene Verwertungsverbot wird immer dann verstoßen, wenn eine ehrenamtlich tätige Person sich oder einem Dritten auf Grund ihres Einblicks in die Gemeindeverwaltung persönliche Vorteile verschafft, die sie ohne ein solches Insiderwissen nicht erlangt hätte (Wachsmuth in PdK Bayern, GO, Art. 20 Anm. 2.3). Das setzt nicht zwingend voraus, dass es der betreffenden Person aufgrund ihres Wissensvorsprungs am Ende gelingt, ein für sie wirtschaftlich günstiges Geschäft abzuschließen. Auch sonstige Vorteile materieller oder immaterieller Art können sich aus der unbefugten Verwertung geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen ergeben. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass die Beklagte die in der nichtöffentlichen Sitzung erlangten Informationen zu ihrem eigenen Vorteil verwertet hat. Sie hat ihre Kenntnis des bisherigen Verhandlungsstands genutzt, um als Kaufinteressentin mit dem Eigentümer des Grundstücks in Kontakt zu treten und ihre Bereitschaft zu bekunden, einen höheren als den von der Klägerin bis dahin angebotenen Preis zu zahlen. Sie hat sich damit eine Chance zum Erwerb des Grundstücks verschafft, die sich ihr ohne die Verwertung ihres Sonderwissens als Gemeinderatsmitglied nicht geboten hätte. Dass sich der Grundstückseigentümer ungeachtet der gegenüber der Klägerin abgegebenen Exklusivitätszusage auf die von der Beklagten erstrebten Verkaufsgespräche eingelassen und einen Preis von 12,50 Euro/m² gefordert hat, ändert nichts daran, dass es sich im Verhältnis zur Klägerin um eine nicht genehmigte und daher „unbefugte“ Verwertung des aus der Ratstätigkeit stammenden Insiderwissens handelte.
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(2) Für den durch den Pflichtverstoß nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GO entstandenen Schaden haftet die Beklagte gegenüber der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 4 Satz 2 GO nach den für den ersten Bürgermeister geltenden allgemeinen Vorschriften. Anwendbar ist somit die Bestimmung des § 48 Satz 1 BeamtStG, die auch für kommunale Wahlbeamte gilt, wie durch Art. 34 Abs. 1 Satz 1 KWBG bestätigt wird (vgl. allgemein VGH BW, B.v. 29.3.2021 – 4 S 2078/20 – NVwZ-RR 2021, 679 Rn. 4; May in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, § 48 BeamtStG Rn. 36). Danach haben Beamtinnen und Beamte, die vorsätzlich oder grob fahrlässig die ihnen obliegenden Pflichten verletzen, dem Dienstherrn den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Bei der Beklagten ist unter den gegebenen Umständen zumindest von grober Fahrlässigkeit auszugehen. Als Gemeinderatsmitglied musste ihr bekannt sein, dass sie die in nichtöffentlicher Sitzung erlangte Kenntnis über gemeindliche Grundstücksgeschäfte nicht zum eigenen Vorteil verwerten durfte. Da ein solches unbefugtes Verwerten bereits in der Kontaktaufnahme mit dem Grundstückseigentümer mit dem Ziel der Anbahnung von Verkaufsgesprächen lag, kommt es nicht darauf an, ob sie, wie in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht erklärt, von sich aus einen konkreten Kaufpreis angeboten oder, wie im Zulassungsantrag behauptet, lediglich allgemein im Sinne einer invitatio ad offerendum ihre Erwerbsabsicht bekundet hat.
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(3) Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass der Klägerin durch die grob fahrlässige Pflichtverletzung der Beklagten ein Vermögensschaden in Höhe der Differenz zwischen dem ursprünglich vorgesehenen Kaufpreis von 12,00 Euro/m² und dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis von 12,00 Euro/m², also in Höhe von insgesamt (16.378 m² x 0,50 Euro =) 8.189 Euro entstanden ist.
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Für die Feststellung des Schadens dem Grunde und der Höhe nach gelten auch im öffentlichen Dienstrecht die Maßstäbe der §§ 249 ff. BGB (BVerwG, U.v. 19.7.2001 – 2 C 42.00 – NVwZ 2001, 1408; May in: Schütz/Maiwald, a.a.O., Rn. 71). Danach muss im Sinne der sog. Differenzhypothese ermittelt werden, ob und in welchem Umfang das Vermögen des Dienstherrn hinter dem Vermögen zurückbleibt, das er gehabt hätte, wenn der Schädiger seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllt hätte. Im Rahmen dieses Gesamtvermögensvergleichs sind alle Vor- und Nachteile zu saldieren, die für den Dienstherrn mit der zum Schadensersatz führenden Handlung verbunden sind.
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(a) Nach den gegebenen Umständen ist davon auszugehen, dass die Klägerin das ihr über den Makler angebotene Wiesengrundstück zu dem ursprünglich genannten Preis von 12,00 Euro/m² hätte erwerben können, wenn die Beklagte nicht durch ihre Interessensbekundung den Verkäufer zu einer um 0,50 Euro/m² höheren Kaufpreisforderung veranlasst hätte; ihr pflichtwidriges Verhalten war daher adäquat kausal für den eingetretenen Schaden.
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Zwar war der Grundstückseigentümer zum Zeitpunkt der nichtöffentlichen Gemeinderatssitzung an sein der Klägerin „exklusiv“ unterbreitetes Verkaufsangebot über 12,00 Euro/m² rechtlich in keiner Weise gebunden, so dass er aus eigenem Entschluss jederzeit einen höheren Preis hätte verlangen können. Die Aussagen des von ihm beauftragten Maklers, der vom Verwaltungsgericht als Zeuge befragt wurde, lassen aber eindeutig erkennen, dass ihn erst die bis 15,00 Euro/m² reichenden Angebote der Beklagten dazu gebracht haben, am Ende auch von der Klägerin einen erhöhten Kaufpreis zu fordern. Der Zeuge hat angegeben, dass der Verkäufer es als ein großes Anliegen bezeichnet habe, dass das Grundstück exklusiv der Klägerin angeboten werde. Ein Verkauf an die Klägerin sei aus seiner Sicht ideal gewesen; Verhandlungen über das Grundstück mit Dritten habe er gar nicht in Betracht gezogen. Wenn der Gemeinderat zugestimmt hätte, so gehe er, der Zeuge, davon aus, dass sich der Verkäufer natürlich an die Absprache gehalten hätte und bei 12,00 Euro/m² geblieben wäre. Dieser habe schon nach dem ersten Angebot der Beklagten den Makler gebeten, der Gemeinde von diesem Angebot über 12,50 Euro/m² zu berichten und sie zu bitten, denselben Preis zu zahlen.
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In Anbetracht dieser unmissverständlichen Zeugenaussage, deren Wahrheitsgehalt im Zulassungsverfahren nicht in Zweifel gezogen worden sind, wie auch der unstreitigen äußeren Geschehensabläufe konnte das Verwaltungsgericht nur zu der Feststellung gelangen, dass die Klägerin das Wiesengrundstück ohne die Intervention der Beklagten zu dem ursprünglich avisierten Preis von 12,00 Euro/m² erworben hätte.
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(b) Da der Grundstückseigentümer wegen des konkurrierenden Angebots der Beklagten nur noch zu einem Verkauf des Grundstücks an die Klägerin zum Preis von 12,50 Euro/m² bereit war, bildet diese Preissteigerung den bei der Klägerin eingetretenen Vermögensschaden. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der gezahlte Kaufpreis dem (damaligen) Grundstückswert entsprochen habe und dass dieser mittlerweile sogar noch angestiegen sei. Nach der für das Schadensersatzrecht maßgebenden Differenzhypothese kommt es nicht auf solche objektiven Wertbestimmungen an, sondern allein auf den Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage ohne das schädigende Ereignis. Danach hätte die Klägerin ohne das Dazwischentreten der Beklagten für den Grundstückskauf 8.189 Euro weniger aufwenden müssen.
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(c) An der Entstehung eines Schadens in dieser Höhe kann nicht deswegen gezweifelt werden, weil das Wiesengrundstück von der Klägerin als eine (mögliche) Ausgleichsfläche nach § 135a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 1a BauGB erworben wurde, so dass gegenüber den Eigentümern der ausgleichspflichtigen Grundstücke künftig Ansprüche auf Kostenerstattung nach § 135a Abs. 3, Abs. 4 BauGB geltend gemacht werden könnten. Wie die erste Bürgermeisterin der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mitgeteilt hat, wurde das Wiesengrundstück bisher nicht als Ausgleichsfläche genutzt; es ist derzeit verpachtet und wird landwirtschaftlich sowie teilweise für einen Kindergarten genutzt. Gegenwärtig bestehen demnach keine Ansprüche der Klägerin gegenüber einzelnen Grundstückseigentümern auf Kostenerstattung; nach § 135a Abs. 3 Satz 3 BauGB entsteht die Ausgleichspflicht erst mit der Herstellung der Ausgleichsmaßnahmen durch die Gemeinde. Da für die konkrete Schadensberechnung nur die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen adäquaten Folgen des haftungsbegründenden Ereignisses zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, U.v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19 – NJW 2020, 1962 Rn. 57 m.w.N.), kann sich die Beklagte schon aus diesem Grund nicht darauf berufen, dass der Klägerin Möglichkeiten einer „Refinanzierung“ zur Verfügung stünden.
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Selbst wenn die Klägerin von den Grundstückseigentümern schon jetzt Erstattung der Kosten für den Erwerb des Wiesengrundstücks verlangen könnte, stünde dies ihrem Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten nicht entgegen. Der Vermögensschaden würde dann nicht mehr sie selbst, sondern die jeweiligen Eigentümer treffen. Für solche Fälle einer zufälligen Schadensverlagerung auf nicht anspruchsberechtigte Dritte ist im Zivilrecht das Institut der Schadensliquidation im Drittinteresse entwickelt worden, weil es nicht gerechtfertigt wäre, den Schädiger aus dieser Situation Nutzen ziehen zu lassen (BGH, U.v. 26.4.2018 – III ZR 367/16 – NVwZ 2018, 1333 Rn. 45 m.w.N.). Für das öffentliche (Dienst-)Recht kann nichts anderes gelten, weil die Interessenlage vergleichbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.2004 – 2 C 2.03 – BVerwGE 120, 370 Rn. 12; OVG Lüneburg; U. v. 22.3.1994 – 5 L 506/92 – juris Rn. 34 m.w.N.). Die Klägerin könnte daher auch in diesem Fall im Wege einer Drittschadensliquidation von der Beklagten den vollen Ersatz des in der Preissteigerung liegenden Vermögensschadens verlangen, auch wenn dies am Ende den nach § 135a Abs. 3 BauGB erstattungspflichtigen Grundstückseigentümern zugutekäme.
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(d) Dem Schadensersatzanspruch kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin ein Mitverschulden treffe, weil sie das Angebot zum Erwerb der von der Beklagten vermittelten Ersatzgrundstücke oder zu einem nachträglichen Grundstückstausch nicht wahrgenommen, sondern auf dem Ankauf des Wiesengrundstücks zum Preis von 12,50 Euro/m² bestanden habe.
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Ein Mitverschulden des Geschädigten bei der Entstehung des Schadens kann zwar gegeben sein, wenn dieser es in vorwerfbarer Weise unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Diese allgemeine Obliegenheit zur Schadensverhütung zwingt aber den Geschädigten nach allgemeinem Verständnis weder dazu, sich auf Verhandlungen mit dem Schädiger einzulassen, noch muss er von vornherein auf einen ihm zustehenden Vermögensgegenstand verzichten und sich mit einem Surrogat zufriedengeben (vgl. Oetker in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 254 Rn. 98 f. m.w.N.). Der Geschädigte muss nicht auf die Realisierung eigener Vorstellungen verzichten, um den Schädiger zu entlasten. Dies gilt erst recht in Konstellationen wie hier, in denen es um die autonome Beschlussfassung in einer kommunalen Volksvertretung geht. Für den Gemeinderat der Klägerin bestand daher aus schadensrechtlicher Sicht keine Obliegenheit, den zuvor getroffenen Mehrheitsbeschluss zum Ankauf des Wiesengrundstücks zu revidieren und sich auf die von der Beklagten vorgeschlagenen Ersatzlösungen einzulassen.
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b) Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn es für die Streitentscheidung auf eine über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage ankommt, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf (vgl. BVerfG, B.v. 18.6.2019 – 1 BvR 587/17 – BVerfGE 151, 173 Rn. 33 m.w.N.).
32
Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beklagte die Frage, ob die Verpflichtung einer Gemeinde zur Erhebung eines Kostenerstattungsbeitrags i.S.d. § 135a BauGB vor dem Hintergrund der Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB dazu führt, dass unterstellte Mehrkosten bei einem als Ausgleichsfläche erworbenen Grundstück der Gemeinde nicht als Schaden i.S.d. § 249 BGB zu bewerten sind, der im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs geltend gemacht werden kann.
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Diese Frage kann schon deshalb nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gemäß § 135a Abs. 3 Satz 3 BauGB noch kein Recht der Klägerin auf Kostenerstattung für den Ankauf einer Ausgleichsfläche und dementsprechend auch noch keine Verpflichtung zur Erhebung eines entsprechenden Beitrags bestand. Darüber hinaus ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass in solchen Fällen einer zufälligen Schadensverlagerung auf einen nicht anspruchsberechtigte Dritten die im Zivilrecht entwickelten Grundsätze der Drittschadensliquidation zur Anwendung kommen können.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
35
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).