Titel:
Kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei Erledigung der angefochtenen Baugenehmigung
Normenkette:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
Leitsatz:
Aufgrund der Antragsgebundenheit der Baugenehmigung kann der Nachbar bei Erledigung der angefochtenen Baugenehmigung ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse regelmäßig nur geltend machen, wenn weitere Bauanträge vorliegen. (Rn. 8)
Schlagworte:
Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse, Nachbarklage gegen Baugenehmigung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 23.02.2023 – RO 2 K 19.743
Fundstellen:
LSK 2023, 18984
DÖV 2023, 1066
BeckRS 2023, 18984
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten im Zulassungsverfahren selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Klägerinnen wenden sich gegen die Erteilung eines Änderungsbescheids vom 25. März 2019 zu der mit Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2017 erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Bürogebäudes an die Beigeladene. Gegenüber dem Bescheid vom 11. Juli 2017 machten die Klägerinnen bauaufsichtliches Einschreiten wegen Nichteinhaltung der Abstandsfläche geltend, das dann zum Erlass des Änderungsbescheides führte. Gegenstand des Änderungsbescheids vom 25. März 2019, gegen den die Klägerinnen mit Schriftsatz vom 24. April 2019 Klage erhoben haben, war insbesondere das Einrücken des Obergeschosses, um unter Annahme eines faktischen Gewerbegebiets nach damaligem Recht die Abstandsflächen i.H.v. 0,25 H zur Seite der Klägerinnen einhalten zu können.
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Nach Inkrafttreten der Änderung der Bayerischen Bauordnung zum 1. Februar 2021 erteilte die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen dieser mit Datum vom 15. November 2021 die Baugenehmigung zur Errichtung eines Bürogebäudes, für das nach dann geltender Rechtslage eine Abstandsfläche i.H.v. 0,2 H einzuhalten ist. Diese Baugenehmigung vom 15. November 2021 ist bestandskräftig; das Verfahren der Klägerinnen hiergegen wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 28. Januar 2022 eingestellt (RO 2 K 21.2434).
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Mit Schriftsatz vom 7. März 2022 teilte die Beigeladene den Verzicht auf die Baugenehmigung vom 11. Juli 2017 in Form des Änderungsbescheids vom 25. März 2019 mit und stellte dies mit Schriftsatz vom 29. Juni 2022 (erneut) klar. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 23. Februar 2023 hob die Beklagte den Bescheid vom 11. Juli 2017 in der Form des Änderungsbescheids vom 25. März 2019 zudem auf. Die Klägerinnen stellten ihre Klage daraufhin auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage um. Diese wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23. Februar 2023 mangels Feststellungsinteresses ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Klägerinnen berufen sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerinnen als Rechtsmittelführerinnen innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Im Falle einer Mehrfachbegründung – wie hier – ist zudem erforderlich, dass im Hinblick auf jede Urteilsbegründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2022 – 15 ZB 22.832 – juris Rn. 13; BVerwG, B.v. 25.6.2021 – 3 B 1.21 – juris Rn. 7). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die Klägerinnen begründen eine Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die mögliche Erteilung weiterer Baugenehmigungen durch die Beklagte unter Zugrundelegung eines angenommenen faktischen Gewerbegebiets. Hiermit lässt sich eine Wiederholungsgefahr jedoch nicht begründen.
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Eine das Fortsetzungsfeststellungsinteresse gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO begründende Wiederholungsgefahr ist immer dann anzunehmen, wenn die hinreichend konkrete Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2022 – 22 B 21.860 – juris Rn. 71 m.w.N.; BVerwG, B.v. 17.12.2019 – 9 B 52.18 – juris Rn. 9; U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8). Das Feststellungsinteresse muss bezogen auf den jeweiligen Klagegegenstand vorliegen, mithin an der Feststellung, dass der angefochtene Verwaltungsakt – hier die Baugenehmigung vom 11. Juli 2017 in der Form des Änderungsbescheids vom 25. März 2019 – rechtswidrig ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2019 – 8 C 3.19 – juris Rn. 15). Hiervon ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Es hat sodann darauf abgestellt, dass es den Klägerinnen nicht um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der verfahrensgegenständlichen Baugenehmigung geht, sondern um die materiell-rechtliche Frage, ob die Beklagte bei Beurteilung der Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO zu Recht von einem faktischen Gewerbegebiet ausgegangen ist oder nicht (UA S. 9 f.). Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht entgegen; vielmehr machen die Klägerinnen auch hier deutlich, dass es ihnen um die Klärung der Gebietsart als Richtschnur für künftiges Verhalten gehe (vgl. Zulassungsbegründung S. 9). Ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Änderungsgenehmigung bezüglich der Errichtung eines Bürogebäudes auf dem Baugrundstück ist damit auch angesichts der nahezu vollständigen Ausnutzung des Baugrundstücks und der zwischenzeitlich weit vorangeschrittenen Errichtung des Gebäudes auf Basis der bestandskräftigen Baugenehmigung vom 15. November 2021 nicht substantiiert dargelegt.
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Darüber hinaus können einzelne Begründungselemente oder das Interesse an der Klärung einzelner rechtlicher Vorfragen nicht Gegenstand einer Fortsetzungsfeststellungsklage sein (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2019 – 8 C 3.19 – juris Rn. 15). Um eine solche rechtliche Vorfrage handelt es sich jedoch gerade bei der bauplanungsrechtlichen Frage der Gebietseinstufung nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 lit. a BayBO, §§ 29, 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 2 ff. BauNVO. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der im Zulassungsvorbringen zitierten Entscheidung (OVG NW, U.v. 17.6.1992 – 11 A 1434/89 – juris Rn. 33). Denn dort ging es um die Feststellung des erledigenden Ereignisses und den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle einer Verpflichtungsklage des Bauherrn. Der maßgebliche Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist jedoch bei einer Nachbaranfechtungsklage nicht identisch mit dem einer Verpflichtungsklage des Bauherrn (s.u.). Hinsichtlich des Feststellungsinteresses stellt das Oberverwaltungsgericht dort auf einen beabsichtigten Amtshaftungsprozess ab (vgl. OVG NW, U.v. 17.6.1992 a.a.O. juris Rn. 35 ff.) und nicht – wie hier – auf eine Wiederholungsgefahr. Auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht mit seinen weiteren Ausführungen die Feststellungswirkung der Baugenehmigung nach Ansicht der Kläger unzulässig mit dem Feststellungsinteresse vermischt, kommt es nicht mehr an.
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Das Verwaltungsgericht verneint ferner eine hinreichend bestimmte Gefahr und stellt hierbei darauf ab, dass keine Bauanträge für die von den Klägerinnen angeführten Grundstücke vorlägen; insbesondere sei das Baugrundstück gerade erst bebaut worden, so dass nicht mit einem Bauantrag zu rechnen sei. Demgegenüber führen die Klägerinnen an, dass jederzeit ein Bauantrag gestellt werden könne. Eine konkrete oder hinreichend bestimmte Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird, liegt – wie vom Verwaltungsgericht zutreffend angenommen – aber nicht vor, wenn ungewiss ist, ob in Zukunft noch einmal die gleichen tatsächlichen Verhältnisse eintreten wie im Zeitpunkt des Erlasses des erledigenden Verwaltungsaktes (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.2022 – 6 B 22.22 – juris Rn. 13 m.w.N.; U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 8). Gerade weil die Erteilung einer Baugenehmigung antragsgebunden ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 BayBO), genügt die bloße Möglichkeit einer jederzeitigen Bauantragstellung nicht, eine Wiederholungsgefahr zu begründen (vgl. BVerwG, U.v. 12.10.2006 – 4 C 12.04 – juris Rn. 9 – zur antragsgebundenen Außenstarterlaubnis). Die Bauantragstellung liegt allein in der Hand des Bauherrn. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass durch die Ausnutzung der Baugenehmigung vom 15. November 2021, mit der das Baugrundstück nahezu vollständig bebaut wird, nicht damit zu rechnen sei, dass überhaupt ein neuer / weiterer Bauantrag gestellt werde. Die Klägerinnen haben als Nachbarinnen hierauf auch keinerlei Einflussnahmemöglichkeit. Nichts Anderes gilt für die weiteren angeführten Baugrundstücke, bei denen eine Bebauung in absehbarer Zeit sich als bloße Spekulation darstellt, selbst wenn diese neben der vorhandenen Bebauung derzeit noch größere Freiflächen aufweisen.
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Unabhängig davon führt das Verwaltungsgericht aus, dass selbst wenn man davon ausgehe, dass es konkret absehbar wäre, dass die von den Klägerinnen benannten Grundstücke in absehbarer Zeit einer anderweitigen Baugenehmigung zugeführt werden sollten, weiter völlig offen sei, ob sich die Abstandsflächenproblematik in gleicher Weise stellen würde, wie beim streitgegenständlichen Grundstück. Denn aufgrund der unterschiedlichen Lage der Nachbargrundstücke und der jeweils anderen rechtlichen Betroffenheit der Klägerinnen ist schon nicht von im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen auszugehen. Eine Wiederholungsgefahr ist daher im Falle einer Nachbarklage eher die Ausnahme (vgl. OVG SH, U.v. 23.5.1995 – 1 L 84/94 – juris Rn. 35). Ein solcher Ausnahmefall lässt sich dem Zulassungsvorbringen aber nicht entnehmen.
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Schließlich übersehen die Klägerinnen, dass bei einer Nachbaranfechtungsklage maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung ist, während für den Bauherrn günstige Umstände nachträglich noch zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.2020 – 4 B 43.10 – juris Rn. 9 m.w.N.; BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 15 B 14.1832 – juris Rn. 18). Die Änderung des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 (GVBl. 2020 S. 663) führt dementsprechend zu einer Änderung der Rechtslage und somit zu einer Änderung der rechtlichen Umstände gegenüber der angefochtenen Baugenehmigung vom 11. Juli 2017 in der Form der Änderungsgenehmigung vom 25. März 2019. Gerade die Tatsache, dass nach dem neuen Abstandsflächenrecht die Tiefe der Abstandsfläche in Gewerbegebieten 0,2 H beträgt, zeigt schon, dass sich die rechtlichen Umstände gegenüber der angefochtenen Baugenehmigung geändert haben und kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hinsichtlich der erledigten Baugenehmigung vom 11. Juli 2017 in Form der Änderungsgenehmigung vom 25. März 2019 besteht.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren zwar geäußert, jedoch keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet. Es entspricht daher der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).