Inhalt

VGH München, Urteil v. 18.07.2023 – 15 B 22.2216
Titel:

Einfügen einer Stützmauer in die Eigenart der näheren Umgebung

Normenkette:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Wenn die maßgebliche Umgebung beim Baugrundstück aufgrund der speziellen topografischen Situation durch Auffüllungen, Stützmauern und Abgrabungen geprägt ist, um die Grundstücke zum Teil abzustützen und besser nutzen zu können, fügen sich Stützmauern und dahinter liegende Geländeauffüllungen nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Umgebung ein, wenn sie von ihren Ausmaßen her wie die Mauern und Aufschüttungen in der Umgebung wirken. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung bei Stützmauern und Aufschüttungen zur ebenen Gartennutzung, Stützmauer, Geländeauffüllungen, Aufschüttungen, Maß der baulichen Nutzung, Einfügen, bodenrechtliche Spannungen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 19.08.2021 – Au 5 K 19.2230
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18983

Tenor

I.    Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. August 2021 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II.    Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.    Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Beigeladenen wenden sich gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. August 2021, mit dem auf die Anfechtungsklage der klagenden Standortgemeinde ein ihnen erteilter Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts A.-Fr. vom 5. Dezember 2019 für bereits weitgehend erfolgte Geländeauffüllungen mit sichernden Stützmauern auf ihrem Wohngrundstück FlNr. … der Gemarkung E. (= Baugrundstück) aufgehoben wurde. Das Baugrundstück liegt innerhalb des besiedelten Hauptorts der Klägerin, aber nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
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Mit Urteil vom 19. August 2021 hob das Verwaltungsgericht Augsburg auf die am 23. Dezember 2019 erhobene Anfechtungsklage der klagenden Standortgemeinde den Bescheid vom 5. Dezember 2019 auf. In den Entscheidungsgründen heißt es zur Begründung, die genehmigten Aufschüttungen und Stützmauern, die aufgrund ihres Umfangs und ihrer Auswirkungen städtebaulich relevant seien, seien am Maßstab von § 34 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig. Im faktischen Wohngebiet sei die Zulässigkeit der Aufschüttungen und der Stützmauern hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung an § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu messen. Hiernach seien diese bauplanungsrechtlich unzulässig, denn es handele sich unter Berücksichtigung der bereits vom Genehmigungsbescheid vom 15. Januar 2015 umfassten Geländeveränderungen aufgrund ihrer Dimension und ihrer optischen Wirkung um keine untergeordnete Nebenanlage in diesem Sinn. Vorliegend sei nicht offenkundig, dass Aufschüttungen und Stützmauern in dieser Lage und Dimensionierung innerhalb der hier maßgeblichen näheren Umgebung üblich wären. Anderes ergebe sich auch nicht aus den von den Beigeladenen konkret geltend gemachten Vergleichs- bzw. Präzedenzfällen.
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Auf Antrag der Beigeladenen hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Beschluss vom 18. Oktober 2022 wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zugelassen.
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Die Beigeladenen tragen zur Begründung ihrer Berufung vor, die Beklagte habe das von der Klägerin versagte gemeindliche Einvernehmen zu Recht ersetzt. Das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung ein. Insgesamt seien zahlreiche Grundstücke zu Wohnzwecken aufgefüllt und mit hohen Stützmauern umgeben, die dem streitgegenständlichen Vorhaben im Maß der baulichen Nutzung vergleichbar seien (so z.B. die FlNrn. …, …, …, …, … und …*). Die Umgebung sei geprägt durch zahlreiche Aufschüttungen, Stützmauern, Hänge und Geländesprünge.
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Die Beigeladenen beantragen,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. August 2021 (Az. Au 5 K 19.2230) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat sich nicht zur Sache geäußert und mit Schriftsatz vom 29. November 2022 mitgeteilt, trotz erstinstanzlichen Unterliegens im Berufungszulassungsverfahren keinen Antrag zu stellen.
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Die klagende Standortgemeinde beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie trägt vor, die genehmigte Geländeauffüllung und die Errichtung von Stützmauern füge sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB nicht ein. Aufgrund ihrer optischen Wirkung und Dimension bzw. Massivität und Dominanz handele es sich um keine in einem allgemeinen Wohngebiet zulässige untergeordnete Nebenanlage. Es gebe nirgends in diesem Gebiet und auch nicht auf den von den Beigeladenen in Bezug genommenen Grundstücken eine derartige Auffüllung mit derart hohen gestaffelten bzw. „terrassierten“ Stützmauern, wie sie nun auf dem Beigeladenengrundstück verwirklicht worden seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Beigeladenen ist begründet.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts war aufzuheben, da die angefochtene Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Beklagte hat das durch die Klägerin verweigerte Einvernehmen zu Recht ersetzt, weil die Versagung des Einvernehmens rechtwidrig war (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Die verfassungsrechtlich (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) geschützte, im Baugenehmigungsverfahren durch das Mitwirkungsrecht des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB gesicherte Planungshoheit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB) der Klägerin ist nicht verletzt, weil das Vorhaben nach § 34 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig ist.
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Auf die Einordnung des Gebietscharakters der Umgebungsbebauung kommt es nicht an, da die Aufschüttungen und die Stützmauern dazu dienen, eine ebene Gartennutzung für das Wohnhaus zu gewährleisten und eine Wohnnutzung in der näheren Umgebung unstreitig nach der Art der Nutzung i.S.d. § 34 BauGB zulässig ist. Nachdem § 34 Abs. 2 BauGB lediglich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach der Art der baulichen Nutzung regelt, ist auch die Frage, ob § 14 BauNVO einschlägig ist, hier unerheblich.
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Das Vorhaben fügt sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
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Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten. Bei dem Nutzungsmaß ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart. Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene in den Blick zu nehmen (BayVGH, B.v. 12.6.23 – 2 CS 23.787 – juris Rn. 8).
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Die maßgebliche Umgebung beim Baugrundstück ist hier aufgrund der speziellen topografischen Situation durch Auffüllungen, Stützmauern und Abgrabungen geprägt, um die Grundstücke z.T. abzustützen und besser nutzen zu können. Dies liegt daran, dass das Gelände des Ortes E. nördlich des Baugrundstücks nach Süden bis zu einem Bach am Ende des südlichen Ortsrandes von E. abfällt (Fotos S. 3 und 4 des Augenscheinprotokolls) und zudem die H.straße beim Baugrundstück von Westen Richtung Osten ansteigt und ca. bei FlNr. … ihren höchsten Punkt bildet, um dann nach Osten abzufallen (Fotos S. 13, 18, 19). Auf den Luftbildern des Bayernatlas und den beim Augenschein gefertigten Bildern ist zudem eine Hangkante mit Böschung (FlNr. …*) nördlich entlang der H.straße von FlNr. … bis … zu sehen. Bei den Grundstücken FlNr. … bis … westlich in Richtung FlNr. … war beim Augenschein festzustellen, dass südlich der Wohnhäuser ebene Gärten oberhalb der Hangkante angelegt sind (Fotos auf S. 19 bis 24). Südlich der H.straße in Verlängerung der F.straße fällt das Gelände nach Süden ab. Auf den Fotos auf S. 7 bis 9 ist zu sehen, dass gegenüber des Baugrundstücks südlich der H.straße an der Grenze zu einer S.straße westlich der FlNr. … eine Stützmauer vorhanden ist. Der Garten der FlNr. … ist durch Stützmauern abgestützt, um wie beim Baugrundstück den Garten eben zu gestalten (Fotos S. 10 und11). Südlich des Baugrundstücks und der H.straße befindet sich an einem S.weg eine Mauer, die das Grundstück FlNr. … abstützt (Foto S. 15). Auf FlNr. … und … etwas oberhalb des Baugrundstücks in der F.straße befinden sich Aufschüttungen, Abgrabungen und Stützmauern (Fotos S. 26 bis 30). Auf dem Grundstück H.straße … befindet sich eine größere Mauer, die von der Mauer des Baugrundstücks optisch fortgeführt wird (Fotos S. 16 und 17).
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Blickt man von der F.straße und von der H.straße auf die Stützmauern des Baugrundstücks (Fotos S. 3, 4, 13, 16, 18) wirken die Stützmauern und die dahinterliegende Aufschüttung von ihren Ausmaßen her wie die Mauern und Aufschüttungen in der Umgebung. Diese fügen sich daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Umgebung ein (Fotos S. 7 bis 11,15,16,17,30). Lediglich direkt an der Kreuzung F.straße/H.straße (Foto S. 5 und 6) wirkt das Vorhaben dominanter als die in der Umgebung befindlichen Mauern und Aufschüttungen.
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Auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, kann sich in die Umgebung einfügen, wenn es weder selbst noch in Folge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (BVerwG, U.v. 26. 5. 1978 – IV C 9/77 – juris Rn. 47). Bodenrechtliche Spannungen würden entstehen, wenn ein Vorhaben ein Planungsbedürfnis auslösen würde oder eine negative Vorbildwirkung hätte.
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Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass an der Kreuzung F.straße/H.straße der Rahmen der Umgebung überschritten wäre, würde dies nicht zu bodenrechtlichen Spannungen führen. Aufgrund der speziellen Lage von FlNr. … entlang der H.straße ist nach dem Ergebnis des Augenscheins nicht mit dem Entstehen einer Vorbildwirkung zu rechnen, weil auf den in der maßgeblichen Umgebung vorhandenen Grundstücken keine vergleichbare Situation besteht. Es entsteht demnach auch kein Planungsbedürfnis. Die Grundstücke FlNr. … bis … liegen zwar auch an der H.straße, befinden sich aber noch höher als das Vorhabensgrundstück. Zudem haben diese Grundstücke bereits ebene Gärten, die bis zur Hangkante auf FlNr. … reichen. Sie sind außerdem durch die Böschung und die Hangkante auf FlNr. … von der H.straße getrennt. Lediglich das Grundstück von … … liegt auch direkt an der H.straße. Es liegt aber insgesamt niedriger und ist deutlich kleiner als das Vorhabensgrundstück. Außerdem besteht keine vergleichbare Ecksituation zwischen zwei Straßen. Auch die Grundstückssituation auf FlNr. … ist nicht vergleichbar, da aufgrund der Trennung durch die F.straße das Grundstück nicht mehr als optische Verlängerung der Hangkante der FlNr. … wahrgenommen wird (Foto S. 12).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Klägerin trägt billigerweise auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, weil diese einen Sachantrag gestellt und sich damit einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
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3. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.