Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.06.2023 – 15 ZB 23.805
Titel:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Fristversäumnis wegen Erkrankung

Normenkette:
VwGO § 60
Leitsatz:
Beruft sich der Kläger für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine Erkrankung ist erforderlich, dass Art, Schwere und Dauer der Erkrankung glaubhaft gemacht werden. (Rn. 7)
Schlagworte:
Säumnis der Klagefrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, fehlende Glaubhaftmachung schwerer Erkrankung, Erkrankung, Versäumung der Klagefrist, Darlegungsanforderungen, Glaubhaftmachung, ärztliches Attest
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 17.03.2023 – RO 7 K 20.2491
Fundstellen:
LSK 2023, 18981
DÖV 2023, 1068
BeckRS 2023, 18981

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für einen bereits errichteten Carport, die ihm vom Landratsamt mit Bescheid vom 13. Juli 2020, zugestellt am 25. Juli 2020, versagt wurde. Seine durch eine Bevollmächtigte am 13. Oktober 2020 erhobene Klage, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17. März 2023 ab. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme auch nicht aufgrund der vom Kläger geltend gemachten Erkrankung in Betracht. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung.
2
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
3
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt, die den gesetzlichen Anforderungen gem. § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO genügen.
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1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
5
Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hier allerdings nicht.
6
Das Verwaltungsgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist aus verschiedenen Gründen abgelehnt. So hat es zum einen ausgeführt, dass es dem Kläger aufgrund seiner Krebserkrankung im Hinblick auf die vorgetragene Unterstützung durch seinen Sohn, möglich und zumutbar gewesen sei, familiäre Unterstützung in Anspruch zu nehmen (UA S. 5). Dabei kann offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht damit – wie der Kläger meint – die Anforderungen an das Verschulden überspannt habe. Denn das Verwaltungsgericht hat weiter darauf abgestellt, dass die Angaben des Klägers zu seiner Erkrankung und seiner Chemotherapie „ganz pauschal“ seien und trotz gerichtlichen Hinweises, dass der bisherige Vortrag nicht genügen dürfte, um die unverschuldete Fristversäumnis glaubhaft zu machen, weder vorgetragen worden sei, seit wann der Kläger überhaupt erkrankt sei, noch seit wann er sich einer Chemotherapie unterzogen habe (UA S. 5). Bei einer solchen Mehrfachbegründung, kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (vgl. BVerwG, B.v. 12.7.2018 – 7 B 15.17 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 17.5.2022 – 15 ZB 22.832 – juris Rn. 13). Dies ist hier nicht der Fall.
7
Zwar kann die vom Kläger geltend gemachte Erkrankung eines Lymphdrüsenkrebses im Stadium 2b-3 und die Durchführung einer Chemotherapie mit Teilnahme an einer Versuchsreihe mit erheblichen Nebenwirkungen in Form von Suizidgedanken und schweren Depressionen grundsätzlich geeignet sein, einen Hinderungsgrund darzustellen (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 43. Auflage 2023, § 60 VwGO Rn. 15; Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 60 Rn. 37). Das Verwaltungsgericht hat jedoch zutreffend darauf abgestellt, dass die Erkrankung und deren Auswirkungen nicht i.S.d. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht wurden. Beruft sich der Kläger – wie hier – auf eine Erkrankung, ist erforderlich, dass Art, Schwere und Dauer der Erkrankung glaubhaft gemacht werden (vgl. BVerwG, B.v. 8.6.2011 – 5 B 12.11 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.2.2023 – 24 ZB 22.2405 – juris Rn. 13). Dies ist seitens des Klägers weder durch das Attest vom 22. August 2022, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat (UA S. 5), noch im Zulassungsvorbringen erfolgt.
8
Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass sich aus dem Attest vom 22. August 2022 lediglich ergebe, dass der Kläger seit dem Jahr 2000 Patient in der Gemeinschaftspraxis des unterzeichnenden Arztes sei. Angegeben werde, dass bei dem Patienten aufgrund einer Chemotherapie und eines Schädel-Hirn-Traumas nach Kuh-Tritt ein deutlich reduzierter Gesundheitszustand bestehe. Weitere Angaben zu Dauer und Schwere der Erkrankung fehlten (UA S. 5). Ungeachtet dessen ergäbe sich aus den inhaltlichen Ausführungen im Attest auch nicht, dass der Kläger innerhalb der Klagefrist aufgrund seiner Krankheit gehindert gewesen sei, die erforderliche Prozesshandlung vorzunehmen. Das Attest sei mehr als zwei Jahre nach Ablauf der Klagefrist erstellt worden und ohne Zeitangabe könne nicht nachvollzogen werden, ob das Fristversäumnis verschuldet gewesen sei und wann die Antragsfrist gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO, innerhalb derer die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei, beginne (UA S. 6). Dem tritt das Zulassungsvorbringen mit der bloßen Behauptung, das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen, weil sich die Erkrankung aus dem vorgelegten Attest ergebe, nicht substantiiert entgegen. Dem Verwaltungsgericht ist es aufgrund der o.g. Mängel des vorgelegten Attestes vom 22. August 2022 gerade nicht ermöglicht, die Frage der Unfähigkeit des Klägers, rechtzeitig Klage erheben zu können, selbst beurteilen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2023 – 24 ZB 22.2405 – juris Rn. 13).
9
Das Attest vom 22. August 2022 enthält schon keine nachvollziehbaren Diagnosen. Die bloße Angabe einer Chemotherapie nach Hodgkin-Lymphon sowie eines Schädel-Hirn-Traumas ist nicht ausreichend, zumal auch jegliche konkretisierende Angaben zu Ursache, Beginn, Dauer, Häufigkeit, Ende und Auswirkungen der genannten Behandlung bzw. Erkrankung fehlen. Der vom Klägerbevollmächtigten angeführte Lymphdrüsenkrebs im Stadium 2b-3 sowie die notwendige besondere Therapie lassen sich dem Attest jedenfalls so nicht entnehmen. Zudem handelt es sich bei den in der Gemeinschaftspraxis angegebenen Ärzten um einen Allgemeinarzt, eine Internistin sowie einen praktischen Arzt. Angaben dazu, dass diese eine Krebstherapie – wie die vom Kläger angegebene, im fortgeschrittenen Stadium mit der Notwendigkeit der Teilnahme an einer besonderen Versuchsreihe – durchführen könnten oder hierauf spezialisiert sind oder die im Zulassungsvorbringen geltend gemachten psychischen Erkrankungen aufgrund von Nebenwirkungen der Chemotherapie behandeln könnten, fehlen ebenso. Hinzu kommt, dass vom Kläger nach wie vor – trotz des erheblichen Zeitraumes seit Ablauf der Klagefrist – keinerlei Angaben zum Beginn, zum maßgeblichen Zeitraum der Behandlungen, zur Dauer und zur Häufigkeit der Behandlungstermine der Chemotherapie oder der Versuchsteilnahme, zu eingenommenen Medikamenten und deren (Neben-) Wirkungen sowie zum Zeitpunkt, zu dem das Hindernis entfallen ist, gemacht werden. Dies gilt in gleicher Weise für das vor dem Verwaltungsgericht vorgelegte Attest vom 22. August 2022 als auch für den Vortrag im Zulassungsvorbringen. Der im Attest enthaltene Hinweis, der Kläger sei aufgrund seiner Vorerkrankungen nicht in der Lage gewesen, „den Termin zum Widerspruch in ihrem Verfahren im Sommer 2020 wahrzunehmen“, bleibt pauschal und im Hinblick auf die am 25. August 2020 abgelaufene Klagefrist sowie den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses ohne konkrete Aussagekraft. Aufgrund des verwaltungsgerichtlichen Hinweises im Schriftsatz vom 17. August 2022 war dem zu diesem Zeitpunkt anwaltlich vertretenen Kläger auch bewusst, dass er die Unfähigkeit, rechtzeitig Klage zu erheben, nachweisen muss. Das Verwaltungsgericht hat dementsprechend zu Recht mangels Glaubhaftmachung gem. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO den Antrag auf Wiedereinsetzung abgelehnt und die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen.
10
Auf den vom Kläger mit dem Zulassungsvorbringen geltend gemachten Anspruch auf Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist, weil seine damalige Bevollmächtigte ihrerseits unverschuldet die Klage nicht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Ablehnungsbescheids vom 13. Juli 2020 habe erheben können (§ 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO), kommt es dementsprechend nicht an. Hierauf hat auch das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich abgestellt, wenngleich es im Rahmen eines obiter dictum („ohne dass es darauf ankommt“) Ausführungen hierzu gemacht hat (UA S. 6).
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2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
12
Die Frage, ob einem Kläger wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, stellt sich in einer Vielzahl verwaltungsgerichtlicher Verfahren und weist hier keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf. Abgesehen davon trägt der Kläger nichts über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus vor. Die weitere Frage, ob Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren ist, ist schon nicht entscheidungserheblich, da der Kläger die Versäumung der Klagefrist ohne Verschulden nicht glaubhaft gemacht hat. Die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und den Kläger genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 30.5.2023 – 15 ZB 23.574 – juris Rn. 16).
13
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
14
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).