Titel:
Ladungsfähige Anschrift einer Klagepartei als Sachentscheidungsvoraussetzung
Normenketten:
§ 82 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, § 86 Abs. 1, Abs. 3
ZPO § 130 Nr. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Zur Bezeichnung einer Klagepartei iSd § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO gehört die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, also bei natürlichen Personen in der Regel die (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher diese tatsächlich zu erreichen ist, und dies grds. auch dann, wenn sie von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift stellt eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung dar. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Individualisierungserfordernis des § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO wird mit der Beauftragung eines Dritten zur Weiterleitung der an eine nicht oder nicht mehr gültige Anschrift gerichteten Post nicht Genüge getan. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ändert sich die Anschrift während des Verfahrens und weigert sich ein Kläger entgegen seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht ohne triftigen Grund, einer gerichtlichen Aufforderung nach § 82 Abs. 2 VwGO nachzukommen und seine neue Anschrift zu nennen, so ist seine Klage daher unzulässig. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
ladungsfähige Anschrift der Klagepartei als Sachentscheidungsvoraussetzung, Änderung der Anschrift nach Klageerhebung, fehlende tatsächliche Erreichbarkeit an der angegebenen Anschrift, ladungsfähige Anschrift, tatsächliche Erreichbarkeit, Individualisierungserfordernis, Amtsaufklärungsgrundsatz, Mitwirkungspflicht
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 26.01.2023 – Au 2 K 21.2181 u.a.
Fundstellen:
BayVBl 2024, 314
BeckRS 2023, 18978
LSK 2023, 18978
Tenor
I. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 26. Januar 2023 wird verworfen.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 950 Euro festgesetzt.
Gründe
1
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil die Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb einer vom Senat nach § 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO gesetzten Frist keine aktuelle ladungsfähige Anschrift mitgeteilt haben.
2
1. Nach der Vorschrift des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die auch im Rechtsmittelverfahren gilt, muss die Klage den Rechtsschutzsuchenden bezeichnen. Zur Bezeichnung eines Klägers im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört auch die Angabe der ladungsfähigen Anschrift, also bei natürlichen Personen in der Regel der (Wohnungs-)Anschrift, unter welcher der Kläger tatsächlich zu erreichen ist. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn der Kläger von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird (BVerwG, U.v. 24.3.2021 – 6 C 4.20 – BVerwGE 172, 85 Rn. 11 m.w.N.). Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift soll die hinreichende Individualisierbarkeit sowie Identifizierbarkeit des Klägers sicherstellen und die Zustellung von Entscheidungen, Ladungen sowie gerichtlichen Verfügungen ermöglichen; darüber hinaus soll sie gewährleisten, dass der Kläger zu entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Unterliegensfall der Kostentragungspflicht nicht entziehen kann (BVerwG, a.a.O.). Im Hinblick auf den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG kann die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise entfallen, wenn ihrer Erfüllung unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen oder wenn der Kläger nicht über eine Anschrift verfügt (BVerwG, a.a.O.; BVerfG, B.v. 11.11.1999 – 1 BvR 1203/99 – juris Rn. 1). In diesen Fällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es beurteilen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 19).
3
Die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift stellt eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung dar (BVerwG, U.v. 24.3.2021, a.a.O.). Daher wird eine Klage unzulässig, wenn der Kläger einer gerichtlichen Aufforderung, seine während des Verfahrens geänderte Anschrift binnen einer bestimmten Frist mitzuteilen, ohne triftigen Grund nicht nachkommt (BVerwG, B.v. 28.5.2020 – 1 VR 3.19 u.a. – Buchholz 310 § 82 VwGO Nr. 31). Entspricht das Rechtsmittel nicht den Anforderungen des § 82 Abs. 1 VwGO, hat das Gericht die Partei zu der erforderlichen Ergänzung aufzufordern (§ 82 Abs. 2 Satz 1 und 2 VwGO). Wird auf diese Aufforderung hin eine ladungsfähige Anschrift nicht mitgeteilt, ist das Rechtsmittel unzulässig.
4
2. Hiernach ist der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung als unzulässig anzusehen.
5
Die von ihnen bei Antragstellung angegebene Adresse in Aichach entsprach ersichtlich schon zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr ihrer tatsächlichen Wohnanschrift, da sie schon zuvor in einem anderen gerichtlichen Verfahren eine Adresse in Neuhausen angegeben hatten. Auch diese vom Klägerbevollmächtigten auf gerichtliche Anforderung gemäß § 82 Abs. 2 VwGO mit Schriftsätzen vom 12. Juni und 4. Juli 2023 erneut mitgeteilte Postadresse entspricht aber offenkundig nicht den Anforderungen an eine ladungsfähige Anschrift im Sinne des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben sich an dem genannten Ort zu keinem Zeitpunkt aufgehalten, wie sich aus dem als Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 16. Mai 2023 übersandten Aktenvermerk des Polizeipräsidiums, Polizeidirektion Süd (Cottbus) vom 7. Februar 2023 ergibt, dem die Kläger nicht widersprochen haben. Nach den gegenüber der Polizei gemachten Angaben des Mieters der betreffenden Wohnung sind die Kläger dort zwar gemeldet, haben aber an der angegebenen Adresse nie gewohnt.
6
Dass die Kläger entgegen den damaligen polizeilichen Feststellungen nunmehr unter der angegebenen Anschrift tatsächlich zu erreichen, also auch persönlich anzutreffen wären, hat ihr Bevollmächtigter auch im letzten Schriftsatz vom 4. Juli 2023 nicht behauptet. Seine nicht näher erläuterte Angabe, dass ihre „postalische Erreichbarkeit“ über die genannte Adresse in Neuhausen gewährleistet sei, ersetzt nicht die Mitteilung einer als ladungsfähig anzusehenden Anschrift in Gestalt der aktuellen Wohnadresse. Dem Individualisierungserfordernis des § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird mit der Beauftragung eines Dritten zur Weiterleitung der an eine nicht oder nicht mehr gültige Anschrift gerichteten Post nicht Genüge getan.
7
Entgegen dem Vortrag des Klägerbevollmächtigten können sich die Kläger im vorliegenden Zusammenhang auch nicht auf die zu § 253 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 130 Nr. 1 ZPO ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2004 (Az. VIII ZR 107/02) berufen, wonach die in den genannten Vorschriften geforderte Angabe einer ladungsfähigen Anschrift nur die Einleitung des Verfahrens im Sinne einer Zugangsvoraussetzung betreffe, so dass die Nichtangabe einer nach Klageerhebung geänderten Anschrift im Falle anwaltlicher Vertretung unschädlich sei. Diese für den zivilrechtlichen Parteiprozess entwickelte Auffassung lässt sich jedenfalls auf den durch den Amtsaufklärungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägten Verwaltungsprozess nicht übertragen (vgl. BayVGH, B.v. 13.11.2018 – 15 B 18.32145 – juris Rn. 5; OVG RhPf, B.v. 6.2.2020 – 7 A 11512/19 – juris Rn. 7; ebenso BVerfG, B.v. 6.11.2009 – 2 BvL 4/07 – juris Rn. 27; BFH, B.v. 30.6.2015 – X B 28/15 – juris Rn. 12 ff.; LSG LSA, U.v. 9.9.2020 – L 2 AS 306/16 – juris Rn. 28). Ändert sich die Anschrift während des Verfahrens und weigert sich ein Kläger entgegen seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Abs. 3 VwGO) ohne triftigen Grund, einer gerichtlichen Aufforderung nach § 82 Abs. 2 VwGO nachzukommen und seine neue Anschrift zu nennen, so ist seine Klage daher unzulässig (BVerwG, U.v. 13.4.1999 – 1 C 24.97 – NJW 1999, 2608/2611).
8
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
9
Der vorliegende Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).