Titel:
Prüfprogramm einer Beschwerde, Schulpflicht, Kindeswohlgefährdung, entgegenstehender Wille des minderjährigen Schulpflichtigen.
Normenketten:
GG Art. 7
BV Art. 129 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
BGB § 1666 Abs. 3 Nr. 2
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1
Art. 35 Abs. 1, 36 Abs. 1 S. 1, 56 Abs. 4 S. 3, 76 S. 2, 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG.
Leitsätze:
1. Anders als bei einem Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB, der eine Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens voraussetzt, sind Maßnahmen, mit denen die Pflichten der Erziehungsberechtigten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durchgesetzt werden sollen, unabhängig davon möglich, ob aus familienrechtlicher Sicht eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder zu befürchten ist.
2. Die Einhaltung der Schulpflicht sicherzustellen, ist nicht Aufgabe des Familiengerichts, sondern der jeweiligen Schulbehörde.
Schlagworte:
Prüfprogramm einer Beschwerde, Schulpflicht, Kindeswohlgefährdung, entgegenstehender Wille des minderjährigen Schulpflichtigen.
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 26.05.2023 – AN 2 S 23.816 u.a.
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1717
NVwZ-RR 2024, 105
BeckRS 2023, 18963
LSK 2023, 18963
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 26. Mai 2023 hat keinen Erfolg. Mit diesem hat das Verwaltungsgericht die Eilanträge der Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 8. März 2023 gegen die in Nr. 1, 2 und 3 der an sie gerichteten Bescheide des Landratsamts N* … … … … vom 15. Februar 2023 enthaltenen Verpflichtungen, dafür Sorge zu tragen, dass ihre drei schulpflichtigen Söhne F* … (geb. …*), J* … (geb. …*) und J* … (geb. …*) regelmäßig am Unterricht der für sie zuständigen Pflichtschulen teilnehmen sowie die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen, sowie die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die jeweils in Nr. 5 der Bescheide enthaltenen Zwangsgeldandrohungen abgelehnt.
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A. Anders als die Antragsteller meinen, ist Maßstab für die Begründetheit ihrer Beschwerde nicht lediglich, ob die verwaltungsgerichtliche „Entscheidung in der Sache im Ergebnis richtig ist“. Das Prüfprogramm einer Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergibt sich aus § 146 Abs. 4 VwGO.
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Nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123 VwGO) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Beschwerdebegründung, die nach § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO beim Verwaltungsgerichtshof einzureichen ist, wenn sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt wurde, muss nach Satz 3 einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Werden die in § 146 Abs. 4 Satz 1 bis 3 VwGO enthaltenen Frist- bzw. Begründungserfordernisse nicht erfüllt, genügt die Beschwerde insbesondere nicht dem Darlegungsgebot des Satzes 3, ist sie als unzulässig zu verwerfen; eine Begründetheitsprüfung findet dann naturgemäß nicht statt.
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Andernfalls richtet sich die Begründetheit der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Danach ist der Verwaltungsgerichtshof auf die Prüfung der fristgemäß dargelegten Gründe beschränkt. Aus dem Wortlaut dieser durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess – RmBereinVpG – vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3987) eingefügten Vorschrift folgt, dass der Gesetzgeber die eigenständige Sachprüfung durch das Beschwerdegericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren an den für die Begründetheit streitenden Gesichtspunkten im Beschwerdevorbringen ausgerichtet hat (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 146 VwGO Rn. 13f m.w.N.). Indem der Gesetzgeber in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO das Prüfprogramm für die Begründetheitsprüfung vorgibt, verbindet er die dem Darlegungsgebot genügende Begründungspflicht nach Satz 3 mit dem Umfang der Sachprüfung in der Beschwerdeinstanz („dargelegte Gründe“). Den Regelungen ist immanent, dass ihre zusätzlichen Anforderungen an die Beschwerdebegründung das Eilverfahren beschleunigen und auf die wesentlichen Fragen konzentrieren sollen. Dadurch, dass der Gesetzgeber die allgemeinen Vorschriften für den Beschwerdegegenstand in den Eilverfahren, die in Absatz 4 Satz 1 in Bezug genommen werden, durch die Sonderregelung des Satzes 6 zur Begründetheit ergänzt hat, hat er damit einen eigenständigen – am Prozessstoff des Darlegungsgebots orientierten – allgemeinen Prüfungsrahmen vorgegeben, der sich in den Rahmen der durch die Neuordnung anvisierten Ziele einfügt (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider a.a.O. Rn. 13f m.w.N.).
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Ergeben sich danach aus der Prüfung des fristgerecht Dargelegten keine durchgreifenden Argumente gegen die tragenden Entscheidungselemente des angegriffenen Beschlusses, ist die Beschwerde grundsätzlich unbegründet (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 146 VwGO Rn. 15a; Happ in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2022, § 146 Rn. 26 jeweils m.w.N.; so auch der von den Antragstellern zitierte VGH BW, B.v. 27.1.2006 – 6 S 1860/05 – juris LS 1 und Rn. 3). Dass in diesem Fall immer die Möglichkeit zur Ergebniskorrektur eröffnet werden sollte, lässt sich weder aus der Änderungsgeschichte der Norm noch aus dem Wortlaut und der systematischen Stellung des Absatzes 4 Satz 6 ableiten (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. Rn. 26a m.w.N.); sie ist zur Herstellung materieller Ergebnisrichtigkeit auch nicht erforderlich, weil insoweit der Weg zur Korrektur über § 80 Abs. 7 VwGO ausreichend erscheint (Rudisile in Schoch/Schneider a.a.O.). Ausnahmsweise hat die Beschwerde unabhängig von dem nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO Dargelegten Erfolg, wenn die angefochtene Entscheidung offensichtlich unzutreffend ist (vgl. Happ in Eyermann a.a.O. Rn. 28 m.w.N.). Denn die Prüfung muss nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im Auge behalten, irreparable Folgen, die sonst aus der sofortigen Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme vor einer abschließenden Entscheidung über sie entstehen könnten, möglichst auszuschließen (vgl. BVerfG, B.v. 14.8.2003 – 1 BvQ 30/03 – juris Rn. 5).
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B. Diesen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt, ist die Beschwerde der Antragsteller unbegründet. Mit der Beschwerdebegründung werden die tragenden Elemente des angegriffenen Beschlusses weder erfolgreich angegriffen noch werden durchschlagende Defizite der konkreten erstinstanzlichen Prüfung erfolgreich aufgezeigt. Die im Beschwerdeverfahren fristgerecht dargelegten Gründe rechtfertigen es somit nicht, diesen abzuändern und die aufschiebende Wirkung der zwischenzeitlich nach Erlass des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken vom 22. Mai 2023 von den Antragstellern am 6. Juni 2023 erhobenen Anfechtungsklage wiederherzustellen bzw. anzuordnen. Ohne Belang ist daher, dass die Beschwerde unter Beachtung von Art. 103 Abs. 1 GG auch dann zurückgewiesen werden müsste, wenn die dargelegten Gründe durchgreifen würden, eine darüberhinausgehende Prüfung der Sache jedoch ergäbe, dass der angefochtene Beschluss im Ergebnis richtig ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, § 146 Rn. 29b m.w.N.). Vorliegend nicht entscheidungserheblich ist, ob bei fristgemäßer Darlegung durchgreifender Argumente gegen die tragenden Entscheidungselemente des angegriffenen Beschlusse unabhängig von der Prüfung der Ergebnisrichtigkeit auf einer zweiten Stufe eine eigenständige Interessenabwägung ohne Einschränkungen des möglichen Vortrags aller Beteiligten unter Berücksichtigung von Veränderungen der Sach- oder Rechtslage bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorzunehmen wäre (vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 146 VwGO Rn. 15a m.w.N.).
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1. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlichen Interessenabwägung die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Bescheide geprüft und mit überzeugender Argumentation ausgeführt, dass das Landratsamt die in Nr. 1, 2 und 3 der streitgegenständlichen Bescheide enthaltenen Verpflichtungen auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG stützen konnte, weil das Verhalten der Antragsteller bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit nach Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG erfüllt. Das Verwaltungsgericht ist dabei zutreffend davon ausgegangen, dass weder aus dem Vorbringen der Antragsteller noch aus sonst ersichtlichen Gründen hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese ihrer Verpflichtung aus Art. 76 Satz 2 BayEUG in ausreichendem Maße nachkommen, dafür zu sorgen, dass ihre drei minderjährigen schulpflichtigen Söhne regelmäßig am Unterricht teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen.
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a) An der Richtigkeit der diesbezüglichen Feststellungen ändern die Einwendungen der Antragsteller nichts, die Rechtswidrigkeit und „Unrichtigkeit“ des Beschlusses ergebe sich bereits daraus, dass sich das Verwaltungsgericht in Widerspruch zu den Entscheidungen des Familiengerichts sowie des Amtsgerichts setze, das mit Beschlüssen vom 9. Juni 2023 die anhängigen Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt habe. Damit fehle es bereits offensichtlich an den Tatbestandsvoraussetzungen der gewählten Ermächtigungsnorm, weil kein „schuldhaftes vorwerfbares ordnungswidriges Verhalten“ drohe, das mittels Zwangsgeld „verhindert“ werden müsse. Die in „Art. 119 BayEUG“ vorausgesetzte vorsätzliche Tat fehle.
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aa) Die – lediglich behaupteten – Einstellungsbeschlüsse des Amtsgerichts N* … … … vom 9. Juni 2023 in den gegen die Antragsteller durchgeführten Bußgeldverfahren rechtfertigen keine andere Einschätzung. Die Antragsteller haben die Einstellungsbeschlüsse im Beschwerdeverfahren nicht vorgelegt und auch ansonsten keinerlei Nachweise dafür erbracht, dass das Amtsgericht N* … … … entgegen seiner im Schreiben an den Bevollmächtigten des Antragstellers zu 1 vom 18. April 2023 geäußerten Bewertung nunmehr das Verfahren deshalb eingestellt hätte, weil der Tatbestand des Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG nicht erfüllt wäre. Das Amtsgericht N* … … … hatte in dem erstinstanzlich zum Ordnungswidrigkeitenverfahren des Antragstellers zu 1 mit dem Az. * … … … … vorgelegten Schreiben vom 18. April 2023 angekündigt, es beabsichtige, das Bußgeldverfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen, da die Schuld des Betroffenen im Falle einer Verurteilung als gering anzusehen wäre. Unter Verweis auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 467 Abs. 4 StPO teilte das Amtsgericht dem Bevollmächtigten des Antragstellers zu 1 weiter mit, es beabsichtige davon abzusehen, „die dem Mandanten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen“. Die Ausführungen im Schreiben vom 18. April 2023 zeigen, dass das Amtsgericht den objektiven Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG als erfüllt ansah, es eine Einstellung wegen geringer Schuld, also lediglich aus Opportunitätsgründen und nicht aus Legalitätsgründen beabsichtigte. Die Einstellung aus Gründen der Legalität ist Rechtspflicht; sie muss vorgenommen werden, wenn gesetzliche Gründe einer Weiterverfolgung im Wege stehen (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO). Die Legalitätseinstellung geht der Opportunitätseinstellung zwingend vor (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 101).
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Im Übrigen gehen die Antragsteller fehl, wenn sie meinen, eine auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG gestützte sicherheitsrechtliche Maßnahme setze ein schuldhaftes Verhalten der Antragsteller voraus. Rechtswidrige Taten sind nach der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. Für das Vorliegen von Straftaten bzw. von Ordnungswidrigkeiten ist lediglich erforderlich, dass der objektive Tatbestand der Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitennorm verwirklicht ist, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt. Aufgrund der Effektivität der Gefahrenabwehr kommt es zudem nicht auf die subjektive Tatseite, auf Verschulden bzw. die Schuldfähigkeit, auf Strafausschließungsgründe oder auf Strafverfolgungshindernisse an (vgl. Holzner in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand April 2023, Art. 7 Rn. 28 f.).
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bb) Zu einer anderen Bewertung der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen führt auch nicht die Tatsache, dass das Amtsgericht N* … … …, Abteilung für Familiensachen, mit Beschluss vom 22. März 2023 – * * … – entschieden hat, familiengerichtliche Maßnahmen seien derzeit nicht veranlasst.
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Zwar gehören Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen, nach § 1666 Abs. 3 Nr. 2 BGB zu den nach Absatz 1 der Vorschrift zu treffenden gerichtlichen Maßnahmen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Dass das zuständige Familiengericht im Beschluss vom 22. März 2023 der Ansicht ist, die Antragsteller hätten die Erziehung und eine gute Förderung ihrer Kinder im Blick und die Durchsetzung der bestehenden Schulpflicht gegen den erklärten Willen der Kinder komme zumindest derzeit nicht in Betracht, führt weder dazu, dass das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG entfällt, noch ergibt sich hieraus aus sonstigen Gründen die Rechtswidrigkeit der den Antragstellern durch sicherheitsrechtliche Verfügungen auferlegten schulrechtlichen Verpflichtungen.
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Die in Bayern verfassungsrechtlich in Art. 129 Abs. 1 BV verankerte Schulpflicht verpflichtet diejenigen, die – wie die Kinder der Antragsteller – die Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 1 BayEUG erfüllen, die Schule tatsächlich und regelmäßig zu besuchen. Nach dem in Art. 76 Satz 1 Halbs. 1 BayEUG normierten Willen des zuständigen Landesgesetzgebers sind die Erziehungsberechtigten – regelmäßig die Eltern – verpflichtet, für die gewissenhafte Erfüllung der schulischen Pflichten zu sorgen. Durch Art. 76 Satz 2 BayEUG werden den Erziehungsberechtigten minderjähriger Schulpflichtiger besondere Pflichten auferlegt. Die in Art. 76 Satz 2 BayEUG enthaltenen Verpflichtungen obliegen den Erziehungsberechtigten, solange die Schulpflicht besteht (vgl. hierzu Art. 35 Abs. 1 und 2 BayEUG). Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag, den die Regelungen des Art. 7 GG verfassungsrechtlich voraussetzen, und die zu seiner Konkretisierung erlassene allgemeine Schulpflicht beschränken in zulässiger Weise das in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete elterliche Erziehungsrecht (BVerfG, B.v. 21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – juris Rn. 3). Die Antragsteller haben somit hinzunehmen, dass der Staat seinen verfassungsrechtlichen Erziehungsauftrag nach seinen bildungspolitischen Vorstellungen zu verwirklichen sucht, und dürfen nicht aus den Augen verlieren, das alle Erziehungsmaßnahmen von Staat und Eltern dem gemeinsamen Hauptziel verpflichtet sind, eine eigenverantwortliche, gemeinschaftsfähige Persönlichkeit zu bilden (vgl. BVerG, B.v. 21.4.1989 a.a.O. Rn. 4). Anders als bei einem Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB, der eine Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens voraussetzt, sind Maßnahmen, mit denen die Pflichten der Erziehungsberechtigten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durchgesetzt werden sollen, unabhängig davon möglich, ob aus familienrechtlicher Sicht eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder zu befürchten ist. Die Einhaltung der Schulpflicht sicherzustellen, ist nicht Aufgabe des Familiengerichts, sondern der jeweiligen Schulbehörde. Diese hat in eigener Zuständigkeit zu prüfen, wie sie die Einhaltung der vorliegend unstreitig nicht gewährleisteten Schulpflicht durchsetzt (so auch der von den Antragstellern zitierte Beschluss des OLG Bamberg v. 21.11.2021 – 2 UF 220/20 – juris Rn. 50). Entsprechende Anordnungen, wie sie das Landratsamt als Sicherheits- und Schulbehörde gegenüber den Antragstellern in den Bescheiden vom 15. Februar 2023 getroffen hat, sind grundsätzlich ab dem Zeitpunkt möglich, ab dem minderjährige Schulpflichtige mit Wissen der Erziehungsberechtigten widerrechtlich nicht regelmäßig am Unterricht der für sie zuständigen Pflichtschule teilnehmen und/oder die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen nicht besuchen.
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b) Ebenfalls nicht durchgreifend sind die Einwände der Antragsteller, das Verwaltungsgericht komme mit seiner Feststellung, aus den Ausführungen der Antragsteller ergebe sich nicht, dass sie ihre Verpflichtungen aus Art. 76 Satz 2 BayEUG hinreichend erfüllt hätten, zu einer „überraschenden und unhaltbaren Einschätzung“, überspanne zudem mit seinen Wertungen die Darlegungs- und Substantiierungspflichten der Antragsteller, verstoße gegen Denkgesetze und habe darüber hinaus einen entsprechenden richterlichen Hinweis unterlassen.
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Mit diesen Einwendungen verkennen die Antragsteller, dass ihnen die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass sie tatsächlich ihren Pflichten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durch ausreichende und zielführende Anstrengungen nachgekommen sind. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, dass die Antragsteller weitere Angaben unterlassen hätten, die es ermöglicht hätten, ihre pauschalen Aussagen zu verifizieren. Es bleibe im Wesentlichen unklar, wie die im Bericht des zuständigen Jugendamts aufgeführten Maßnahmen umgesetzt worden seien und zu welchem Ergebnis diese geführt hätten. So sei beispielsweise nicht substantiiert dargelegt und auch nicht ersichtlich, welchen Inhalt die geschilderten Gespräche und Beratungen mit der Schule, der Koordinierungsstelle, der Jugendhilfe und der Psychologin aus Gießen gehabt hätten, ob und welche Lösungsmöglichkeiten besprochen worden seien und warum all diese Maßnahmen letztlich nicht dazu beitragen konnten, die Söhne der Antragsteller von einem regelmäßigen Schulbesuch zu überzeugen. Im Hinblick auf diese vom Verwaltungsgericht geforderten Konkretisierungen ist es schon nicht nachvollziehbar, dass sich der Vortrag der Antragsteller im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen darin erschöpft, Passagen aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts zu zitieren und lediglich deren Richtigkeit anzuzweifeln, ohne jedoch substantiiert auszuführen, weshalb diese auf Fehleinschätzungen des Verwaltungsgerichts beruhen sollen. Unabhängig davon, dass sie auf diese Weise den ihnen nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO obliegenden Darlegungspflichten nicht nachkommen, hätten die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit gehabt, die vom Verwaltungsgericht zu Recht geforderten ergänzenden Angaben zu machen. Sie hätten substantiiert darlegen können, welche konkreten Bemühungen sie im Einzelnen unternommen haben, ihre 10-, 12- und 14-jährigen Kinder zu einem regelmäßigen Schulbesuch zu bewegen und aus welchen Gründen diese Bemühungen gescheitert sind. Aufgrund der zuvor dargestellten unterschiedlichen Anforderungen können sich die Antragsteller insoweit nicht darauf zurückziehen, vor dem Familiengericht sei man einig gewesen, dass „keine geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen, um den Schulbesuch der Kinder gegen deren erklärten Willen durchzusetzen“.
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Soweit die Antragsteller meinen, das Verwaltungsgericht schweige sich aus, „welche familiengerichtlichen Maßnahmen die Eltern hätten beantragen müssen“, verkennen sie, dass dies nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts ist. Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss durchaus Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Antragsteller im Rahmen einer die Vorgaben des § 1631 Abs. 2 BGB beachtenden Erziehung das Verhalten ihrer Kinder beeinflussen könnten (vgl. UA S. 19 f.). Die Antragsteller lassen außer Betracht, dass nach § 1631 Abs. 1 BGB die Personensorge nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht umfasst, u.a. das Kind zu erziehen. Damit haben im Wesentlichen sie kraft ihrer Stellung als Erziehungsberechtigte und aufgrund der vorliegend bestehenden häuslichen Gemeinschaft die Verpflichtung, im Rahmen einer gewaltfreien Erziehung unmittelbar erzieherisch auf ihre minderjährigen Kinder einzuwirken. Schaffen sie es – trotz ihrer Ausbildung als Lehrer – nicht alleine, ihre Kinder von der Notwendigkeit eines Schulbesuchs in Präsenz zu überzeugen, obliegt es den Antragstellern, sich – auch unabhängig von familiengerichtlichen Anordnungen – um geeignete Hilfen und wirksame Unterstützungsleistungen ggf. auch beim zuständigen Jugendamt zu bemühen. Das zuständige Kreisjugendamt, das zwar im Schreiben an das Amtsgericht N* … … …, Abteilung für Familiensachen, vom 27. Februar 2023 festgestellt hat, allein im Umstand des fehlenden Schulbesuchs liege nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung, hat den Antragstellern gleichwohl eindringlich nahegelegt, weiterhin auf den Schulbesuch ihrer Kinder hinzuwirken und entsprechende, näher genannte Unterstützungsangebote anzustreben, die auf die Wiederherstellung eines regulären Schulbesuchs hinwirken sollen.
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Der Einwand, der angegriffene Beschluss sei „überwiegend“ von der „Überzeugung des Gerichts“ getragen, der Schulbesuch sei gegen den „erklärten Willen der Söhne durchsetzbar“, ist weder näher belegt noch ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte hierfür. Er beruht auf der unzutreffenden Annahme der Antragsteller, mit den streitgegenständlichen Verpflichtungen werde etwas „Unmögliches“ von ihnen verlangt. Es ist ihnen zumutbar, alles Erdenkliche dafür zu tun, ihre drei Söhne von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit des Schulbesuchs in Präsenz zu überzeugen. Die Antragsteller können sich insoweit nicht – wie erstinstanzlich geschehen – darauf zurückziehen, hierdurch würden ihre Söhne in ihrer „Selbstwirksamkeit“, ihrer „Selbstwahrnehmung“ und ihrer „Selbstbestimmung“ „massiv geschädigt“. Die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags gegenüber Kindern dient ebenso wie das elterliche Erziehungsrecht der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und damit nicht nur dem Allgemeininteresse, sondern auch dem durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kindesinteresse. Da die Antragsteller diesem Interesse gerade wegen ihres grundgesetzlichen Erziehungsauftrags Rechnung tragen müssen, können sie sich nicht darauf berufen, sie hätten die Entscheidung ihrer Kinder gegen den Schulbesuch zu respektieren und dürften daher ihre Kinder wegen deren Selbstbestimmungsrecht von der Schule fernhalten. Ein solch weitgehendes Selbstbestimmungsrecht von Kindern ist mit dem durch die Art. 6 und 7 GG herausgestellten elterlichen und staatlichen Erziehungsauftrag ebenso wenig vereinbar, wie die von den Antragstellern beanspruchte Freiheit, ein solches Selbstbestimmungsrecht respektieren zu dürfen (so auch BVerfG, B.v. 21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – juris Rn. 7).
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c) Aus diesem Grund ist auch ihr Einwand nicht durchgreifend, das Verwaltungsgericht verkenne auch dann die tatsächliche, ernstzunehmende und nachhaltig geäußerte Ablehnung des Schulbesuchs durch ihre Kinder, wenn es das besondere Vollzugsinteresse bejahe. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die Söhne der Antragsteller besuchten seit 8. November bzw. 3. Dezember 2021 nicht mehr die Schule und entzögen sich daher bereits über einen langen Zeitraum der Schulpflicht, werden von den Antragstellern nicht bestritten. Nachdem sie auch im Beschwerdeverfahren keinerlei Belege dafür anführen, dass in absehbarer Zeit aufgrund nachgewiesener konkreter Anzeichen mit einer Verhaltensänderung ihrer Söhne zu rechnen ist, ist gegen die Annahme eines besonderen Vollzugsinteresses nichts zu erinnern. Angesichts der bereits verstrichenen Zeitspanne und der zu erwartenden negativen Folgen für die schulische – aber auch für die persönliche – Entwicklung ihrer immer älter werdenden Kinder kann mit der Durchsetzung der aus Art. 76 Satz 2 BayEUG folgenden Verpflichtungen nicht bis zu einem rechtskräftigen – regelmäßig viele Monate, ggf. sogar Jahre dauernden – Abschluss des Hauptsacheverfahrens zugewartet werden.
19
Soweit die Antragsteller im Beschwerdeverfahren darauf verweisen, man könne dann, wenn sich ihre Söhne wieder für den Schulbesuch öffneten „ohne weiteres möglich(e) Einstufungstests durchführen und sie entsprechend ihres Jahrgangs in die entsprechenden Klassen ‚einsortieren‘ treu nach dem Motto ‚zurück ins Glied‘“, verkennen sie bereits, dass der Besuch einer Schule in Präsenz ein Kernelement der Schulpflicht ist (vgl. Art. 36 Abs. 1 Satz 1, Art. 56 Abs. 4 Satz 3 BayEUG). Es ist daher auch nicht „unlogisch“, dass das Verwaltungsgericht die Kontaktaufnahme mit Online-Schulen insoweit als kontraproduktiv bewertet hat. Es obliegt alleine dem Landesgesetzgeber im Rahmen der ihm durch Art. 7 Abs. 1 GG eingeräumten Gesetzgebungsbefugnis, zu der als ein wesentlicher Bestandteil die Ausgestaltung schulischen Unterrichts gehört (BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 971/21 u.a. – juris Rn. 86), ggf. die Abkehr von der Erfüllung der Schulpflicht durch den Besuch einer Schule durch eine entsprechende gesetzliche Regelung festzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2022 – 7 CE 22.925 – juris Rn. 13). Da ihre Söhne nach erstinstanzlichem Vortrag nicht von den Antragstellern selbst beschult werden, sie im Rahmen des Angebots „Kernbildung“ lediglich die „Basisbetreuung“ wahrnehmen, bleibt im Übrigen unklar, wie sich ihre Söhne in Anbetracht der bereits zurückliegenden Schulabwesenheit weitgehend „intrinsisch motiviert“ auf den ihrer Jahrgangsstufe entsprechenden Wissensstand bringen wollen.
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d) Das Verwaltungsgericht hat zudem zutreffend angenommen, dass die Höhe des für jeden Elternteil jeweils in Nr. 5 der streitgegenständlichen Bescheide angedrohten Zwangsgelds von 1.000 Euro pro Kind nicht zu beanstanden ist. Bei der Bestimmung der Zwangsgeldhöhe kommt es auf das wirtschaftliche Interesse des Pflichtigen an, das nach Art. 31 Abs. 2 Satz 4 VwZVG zu schätzen ist. Hierbei steht der Behörde innerhalb des gesetzlichen Rahmens (15 Euro bis 50.000 Euro) ein weiter Entscheidungsspielraum zu, bei dem die Umstände des Einzelfalls und die persönlichen Verhältnisse des Pflichtigen zu berücksichtigten sind (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2023 – 9 ZB 22.2388 – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine besondere Begründung für die geschätzte Höhe des wirtschaftlichen Interesses ist dabei regelmäßig nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2023 a.a.O.). Je weniger ein Pflichtiger zur Sachaufklärung beiträgt (etwa durch Darlegung seiner wirtschaftlichen Interessen im Verwaltungsverfahren), umso weniger an Kenntnissen der Behörde kann er verlangen (Zeiser, in Wernsmann, Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz, 2020, Art. 31 Rn. 14).
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In Anbetracht der Dauer der bisherigen Schulabwesenheit und der Tatsache, dass das Landratsamt bereits vergeblich versucht hat, die Antragsteller durch die zuvor gegen sie ergangenen Bußgeldbescheide anzuhalten, auf eine Verhaltensänderung ihrer Söhne hinzuwirken, sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das jedem Antragsteller für jedes Kind angedrohte Zwangsgeld i.H.v. 1.000 Euro ermessensfehlerhaft ist. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des bereits im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Einwands, die Höhe des Zwangsgelds sei geeignet, die Existenz der Familie zu zerstören. Obwohl das Verwaltungsgericht hierzu im angegriffenen Beschluss ausgeführt hat, die Antragsteller hätten die behauptete Überforderung ihrer finanziellen Möglichkeiten trotz gerichtlichen Hinweises nicht substantiiert dargelegt, haben sie auch im Beschwerdeverfahren hierzu keine Ausführungen gemacht. Da es sich um Umstände aus ihrer Sphäre handelt, die sie ohne Weiteres hätten darlegen und plausibilisieren können, hätte es vorliegend – auch in Anbetracht von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO – nahegelegen, dem zumindest im Beschwerdeverfahren nachzukommen. Der Verwaltungsgerichtshof war nicht verpflichtet, durch richterlichen Hinweis auf eine Plausibilisierung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse hinzuwirken.
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C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 38.3, 1.1.3 und 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).