Titel:
Fehlen des elektronischen Empfangsbekenntnisses
Normenketten:
VwGO § 56 Abs. 2
ZPO § 173, § 189
Leitsätze:
1. Das Fehlen des elektronischen Empfangsbekenntnisses für eine Zustellung auf elektronischem Wege begründet keinen Mangel der Zustellung, sondern betrifft lediglich die Frage des Nachweises derselben. Selbst unter der (abweichenden) Annahme, das elektronische Empfangsbekenntnis sei integraler Bestandteil der Zustellung, tritt jedenfalls Heilung nach § 189 ZPO ein, sobald der Adressat das Zugestellte „in den Händen hat“. (Rn. 3)
2. Ein etwa fehlender (zusätzlicher) Annahmewille des Adressaten, der verpflichtet ist, einen elektronischen Zugang zu eröffnen und zu pflegen, ist damit unbeachtlich. (Rn. 3)
3. Es kann im Rechtsverkehr nicht sehenden Auges hingenommen werden, dass elektronische Empfangsbekenntnisse über Wochen und Monate nicht zurückgesandt werden, der Zustellungsadressat sich trotz nachweisbarem Eingang „blind und taub“ stellt, nach vielen Wochen den angeblich fehlenden Zugang rügt, so eine weitere Zustellung erwirkt, und die Rechtsmittelfrist dadurch „erneut“ in Lauf gesetzt werden soll. (Rn. 6)
4. Das Empfangsbekenntnis „schützt“ nur den redlichen Prozessbeteiligten, der sein elektronisches Postfach fortwährend pflegt und das Empfangsbekenntnis nach zeitnaher Kenntnisnahme des Eingangs auch tatsächlich zurücksendet. Nur dann erbringt (ausschließlich) das Empfangsbekenntnis den Nachweis für Tatsache und Zeitpunkt der Zustellung. (Rn. 6)
Schlagworte:
Elektronische Zustellung, Empfangsbekenntnis, elektronisches Empfangsbekenntnis, elektronische Zustellung, Annahmewille, tatsächlicher Zugang
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 18.10.2022 – AN 15 K 21.367
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 26.07.2024 – 5 B 23.23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18943
Tenor
I. Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
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Die vom Verwaltungsgericht Ansbach zugelassene Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Oktober 2022, eingelegt mit Schriftsatz der Beklagten vom 2. Februar 2023, ist bereits unzulässig, weil sie verfristet ist. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 18. Oktober 2022 wurde der Beklagten bereits auf elektronischem Weg am 15. November 2022 zugestellt.
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1. Die Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen, § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO, nachdem die Beteiligten hierzu angehört worden sind, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO. Nach vorliegendem EGVP-Protokoll vom 15. November 2022 wurde das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach der Beklagten bereits am 15. November 2022 elektronisch zugestellt. Gleichzeitig erfolgte eine entsprechende elektronische Rückmeldung, dass das Urteil sich in den Händen der Beklagten befindet (vgl. zu diesem Erfordernis BFH, B.v. 26.04.2017 – X B 22/17 –, juris, amtl. Leitsatz 1; siehe auch BFH, B.v. 23.08.2005 – VII B 153/05 – juris, amtl. Leitsatz 1). Damit ist jedenfalls eine etwa nicht formgerechte Zustellung ohne Rücksendung des Empfangsbekenntnisses geheilt. Die Zustellung am 15. November 2022 bleibt auch dann geheilt, wenn ihr – wie hier – später, am 18. Januar 2023, eine (weitere) formgerechte Zustellung mit Rücksendung des Empfangsbekenntnisses nachgefolgt ist (vgl. BFH, B.v. 26.04.2017 – X B 22/17 – juris, amtl. Leitsatz 2). Damit ist die Berufung verspätet eingelegt worden und somit unzulässig.
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2. Das Fehlen des elektronischen Empfangsbekenntnisses für die Zustellung am 15. November 2022 begründet keinen Mangel der Zustellung, sondern betrifft lediglich die Frage des Nachweises derselben. Unerheblich ist des Weiteren auch, dass das Urteil im elektronischen Postfach des Jugendamts der Beklagten einging statt in dem des Rechtsamtes, und zwar trotz der mit dem Ziel der Beschleunigung vorgebrachten Bitte der Beklagten im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht Ansbach vom 3. Mai 2022, da die Beklagte zunächst über das Jugendamt mit dem Gericht kommuniziert, diesen Datenübertragungsweg damit selbst eröffnet hat und sich deshalb den Zugang am 15. November 2022 zurechnen lassen muss. Auch im Hinblick auf die bereits zuvor beantragte und gewährte Prozesskostenhilfe wurde über das elektronische Postfach des Jugendamts zugestellt. Entsprechender Posteingang wurde jeweils an das Rechtsamt weitergeleitet. Empfangsbereitschaft der Beklagten war daher gegeben. Ein etwa fehlender Annahmewille der Behörde, die verpflichtet ist, einen elektronischen Zugang zu eröffnen und zu pflegen, ist damit unbeachtlich. Wie die Landesanwaltschaft im Schriftsatz vom 13. Juni 2023 selbst feststellt, war das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach am 15. November 2022 abrufbar. Die Beklagte hat das elektronische Postfach beim Jugendamt eingerichtet und genutzt. Dies genügt jedenfalls für den gemäß § 189 ZPO i.V.m. § 56 Abs. 2 VwGO erforderlichen tatsächlichen Zugang und die Empfangsbereitschaft der Beklagten. Eine Weiterleitung des Urteils an das Rechtsamt fällt mithin ausschließlich unter die innere Organisationsverantwortung der Beklagten.
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Es besteht insoweit auch kein Wertungswiderspruch zu den Regelungen des Empfangsbekenntnisses in § 173 ZPO. Zwar entfaltet das elektronische Empfangsbekenntnis dieselbe Wirkung wie das herkömmliche analoge Empfangsbekenntnis. Beide sind jedoch lediglich „Angebote“ des Gesetzgebers, den Zugang nachzuweisen (vgl. Münchner Kommentar, 6. Auflage 2020, Rn. 8 zu § 174 ZPO). Der Nachweis kann aber, wie hier, auch anderweitig erfolgen (vgl. Münchner Kommentar, 6. Auflage 2020, Rn. 9, 26 zu § 174 ZPO a.F.; Rn. 26: „jedenfalls § 189 anzuwenden“; BFH, B.v. 26.04.2017 – X B 22/17 –, juris, amtl. Leitsatz 1), nämlich durch das elektronische Protokoll des Verwaltungsgerichts Ansbach. Hierauf hat sich der Bevollmächtigte des Klägers zurecht berufen.
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Die Regelungen betreffend das elektronische Empfangsbekenntnis beziehen sich lediglich auf Fragen des Nachweises des Zugangs (vgl. BVerwG, B.v. 19.09.2022 – 9 B 2/22 – juris Rn. 12; siehe auch BT-Drs. 17/12634, S. 28, BT-Drs. 17/13948, S. 34 zum Gesetzgebungsverfahren), nicht aber auf solche des Zugangs selbst. Das elektronische Empfangsbekenntnis ist ein Zustellungsnachweis, hat mithin lediglich deklaratorische, aber keinesfalls konstitutive Bedeutung und bewirkt deshalb nicht die Zustellung selbst.
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Es kann im Rechtsverkehr nicht sehenden Auges hingenommen werden, dass elektronische Empfangsbekenntnisse über Wochen und Monate nicht zurückgesandt werden, der Zustellungsadressat sich trotz nachweisbarem Eingang „blind und taub“ stellt, nach vielen Wochen den angeblich fehlenden Zugang rügt, so eine weitere Zustellung erwirkt und die Rechtsmittelfrist dadurch „erneut“ in Lauf gesetzt werden soll. Das Empfangsbekenntnis „schützt“ nur den redlichen Prozessbeteiligten, der sein elektronisches Postfach fortwährend pflegt und das Empfangsbekenntnis nach zeitnaher Kenntnisnahme des Eingangs auch tatsächlich zurücksendet. Selbst wenn man hiervon abweichend der Auffassung wäre, das elektronische Empfangsbekenntnis sei ein integraler Bestandteil der Zustellung, so wäre in diesem Fall jedenfalls Heilung nach § 189 ZPO eingetreten, da die Beklagte das Urteil am 15. November 2022 bereits „in den Händen hatte“ (vgl. BFH, B.v. 26.04.2017 – XB 22/17 – juris, amtl. Leitsatz 1).
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3. Ebenso wenig kommt eine Wiedereinsetzung in Betracht, § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Zwar genügt die Nachholung der Rechtshandlung für die Fristwahrung auch ohne Wiedereinsetzungsantrag den gesetzlichen Voraussetzungen, § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO. Doch scheitert die Wiedereinsetzung am Erfordernis des fehlenden Verschuldens. Es lag in der Sphäre der Beklagten, das am 15. November 2022 zugestellte Urteil abzurufen. Dies ist indes – offensichtlich – nicht geschehen. Es ist im Übrigen auch nichts dazu vorgetragen, warum das Urteil auch nicht im Nachhinein abgerufen werden konnte.
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Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.
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4. Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt, insbesondere weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat noch der Beschluss von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
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5. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Beklagte trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Streitwert resultiert aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).