Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.07.2023 – 6 ZB 23.1185
Titel:

Reichweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Normenkette:
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Sie dient auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder Ergänzung derselben zu veranlassen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht (selbstverständlich) nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsauffassung eines Beteiligten inhaltlich zu folgen. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert weder die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung. Dementsprechend ist die Anhörungsrüge auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, rechtliches Gehör, entscheidungserhebliches Vorbringen, Rechtsauffassung, inhaltliche Richtigkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 19.06.2023 – 6 ZB 23.290
VG Ansbach, Urteil vom 11.10.2022 – AN 16 K 19.895
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18927

Tenor

I. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juni 2023 – 6 ZB 23.290 – wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens über die Anhörungsrüge.

Gründe

1
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss vom 19. Juni 2023, mit dem der Senat den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Oktober 2022 – AN 16 K 19.895 – abgelehnt hat, bleibt ohne Erfolg. Der Senat hat bei seiner Entscheidung den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
2
Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie ihre rechtzeitigen und möglicherweise erheblichen Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 44 m.w.N.). Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen. Ebenso wenig ist das Gericht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2015 – 5 C 15.2284 – Rn. 5). Die Annahme einer Verletzung der Pflicht des Gerichts zur Kenntnisnahme des Beteiligtenvorbringens ist daher nicht schon dann gerechtfertigt, wenn in der angefochtenen Entscheidung auf einen bestimmten Sachvortrag der Beteiligten nicht eingegangen worden ist. Denn das Gericht ist weder nach Art. 103 Abs. 1 GG noch nach einfachem Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verpflichtet, sich in den Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit des Vorbringens zu befassen. Nur wenn ein bestimmter Vortrag einer Partei den Kern des Parteivorbringens darstellt und für den Prozessausgang eindeutig von entscheidender Bedeutung ist, besteht für das Gericht die Pflicht, die vorgebrachten Argumente zu erwägen. Allein die Nichterwähnung von Parteivorbringen in den Gründen des Beschlusses über einen Antrag auf Zulassung der Berufung, die nach § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO überdies kurz zu halten sind, lässt im Übrigen nicht den Schluss zu, das Gericht habe dies etwa willkürlich nicht berücksichtigt oder mangels Sorgfältigkeit nicht zur Kenntnis genommen (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2002 – 10 B 30.07 – juris; B.v. 5.2.1999 – 9 B 797.98 – juris Rn. 3). Die Anhörungsrüge stellt zudem keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung dar und dient auch nicht dazu, das Gericht zur Erläuterung oder Ergänzung derselben zu veranlassen.
3
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den angefochtenen Beschluss vom 19. Juni 2023 nicht aufgezeigt. Es wird nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Senat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht gewürdigt hat. In der nach § 152a Abs. 4 Satz 4 VwGO gebotenen Kürze ist hierzu folgendes auszuführen:
4
Der Kläger rügt, der Senat habe sich nicht mit dem klägerischen Vortrag, dass die Erledigung des ursprünglichen Klageantrags durch gerichtliche Untätigkeit des Verwaltungsgerichts herbeigeführt worden sei, auseinandergesetzt. Es würden Ausführungen zum Vortrag in der Zulassungsschrift fehlen, dass die Abweisung der Klage als unzulässig und zugleich als unbegründet prozessual nicht möglich sei. Es fehle eine Auseinandersetzung mit dem sich aus dem Gesetzeswortlaut und aus dem historischen Willen des Gesetzgebers ergebenden, vom Kläger behaupteten Wahlrecht, als „Bestandsbeamter“ Funktionen des § 389 SGB III wahlweise im Anstellungsverhältnis mit beamtenrechtlicher In-sich-Beurlaubung oder im aktiven Beamtenverhältnis auszuüben. Der Senat stelle ausschließlich auf das dem Art. 33 GG vorgelagerte Gestaltungsermessen eines Dienstherrn ab, Funktionen im Angestelltenverhältnis oder im Beamtenverhältnis zu vergeben. Es werde die Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips gerügt. Es gehe nicht an, dass Gerichte die streiterheblichen Ausführungen des historischen Gesetzgebers nicht zur Kenntnis nehmen und nicht einer Bewertung zuführen würden.
5
Wie dem angegriffenen Beschluss vom 19. Juni 2023 entnommen werden kann, hat sich der Senat ausführlich und in der gebotenen Weise mit dem umfangreichen Vorbringen des Klägers befasst und jeweils dargelegt, aus welchen Gründen er das Vorliegen der geltend gemachten Zulassungsgründe verneint.
6
Ein rechtlich erheblicher Umstand, den der Senat nicht zur Kenntnis genommen hat, liegt – auch wenn nicht jeder Aspekt, den der Kläger vorgetragen hat, im Einzelnen nochmals genannt worden sein mag – nicht vor. Dass der Kläger (weiterhin) in zahlreichen Punkten anderer Ansicht als der Verwaltungsgerichtshof ist, begründet keinen Gehörsverstoß. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als der Beteiligte es für richtig hält (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2007 – 6 B 30.17 – juris Rn. 1 m.w.N.); dies gilt auch dann, wenn die Auffassung des Senats fehlerhaft sein sollte (vgl. BVerwG, B.v. 3.11.2011 – 9 B 86.11 – juris Rn. 6).
7
In der Sache wiederholt der Kläger zur Begründung seiner Anhörungsrüge im Wesentlichen lediglich seine rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen aus dem vorangegangenen Zulassungsverfahren und macht damit offensichtlich die seiner Auffassung nach bestehende inhaltliche Unrichtigkeit der ablehnenden Entscheidung geltend, zeigt aber kein Übergehen oder Missverstehen seines Vortrags auf. Das trifft auf jede der erhobenen Einzelrügen zu. Dabei verkennt der Kläger jedoch den Sinn des Rechtsbehelfs nach § 152a VwGO und den Schutzbereich von Art. 103 Abs. 1 GG. Das Gebot des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht (selbstverständlich) nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsauffassung eines Beteiligten inhaltlich zu folgen. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert weder die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen noch eine ordnungsgemäße Subsumtion und Entscheidungsbegründung. Dementsprechend ist die Anhörungsrüge auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (stRspr, vgl. BVerfG, vgl. B.v. 4.9.2008 – 2 BvR 2162/07, 2 BvR 2271/07 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 10 C 19.614 – juris Rn. 5 m.w.N).
8
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
9
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr von 66,- Euro anfällt.
10
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).