Titel:
Ersatzzustellung an einen Gefangenen
Normenketten:
VwGO § 57 Abs. 2, § 60 Abs. 1, § 147 Abs. 1 S. 1, § 173
ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3
Leitsätze:
1. Die Ersatzzustellung an einen Gefangenen nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt nicht voraus, dass der Postzusteller sich zuvor vergeblich darum bemüht hat, den Gefangenen in der JVA anzutreffen und ihm das Schriftstück persönlich zu übergeben. Der Postzusteller hat die Zustellung vielmehr unmittelbar an den Leiter der Justizvollzugsanstalt oder einen dazu ermächtigten Vertreter zu bewirken. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar darf auch ein inhaftierter Rechtsmittelführer eine gesetzliche Frist bis zu ihrer Grenze ausnutzen. Er muss jedoch die üblichen Postlaufzeiten bedenken und das Rechtsmittelschreiben so rechtzeitig an Bedienstete der Vollzugsanstalt übergeben, dass bei normalem Postlauf zwischen Anstalt und Gericht ein rechtzeitiger Zugang bei Gericht gewährleistet ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Beschwerde, versäumte Beschwerdefrist, Ersatzzustellung in Justizvollzugsanstalt, Wiedereinsetzung, fehlendes Verschulden (verneint), im Hinblick auf Fristwahrung erforderliches Verhalten eines inhaftierten Rechtsmittelführers, Erinnerung, Kostenfestsetzungsverfahren, Beschwerdefrist, Ersatzzustellung, Justizvollzugsanstalt, inhaftierter Rechtsmittelführer, Gefangener, Verschulden
Fundstelle:
BeckRS 2023, 18925
Tenor
I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, ihm für seine Erinnerung im Kostenfestsetzungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weiter.
2
1. Auch wenn der Antragsteller „auf PKH-Basis“ Beschwerde eingelegt hat, ist sein Begehren als Beschwerde und nicht etwa als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Beschwerde (isolierter Prozesskostenhilfeantrag) auszulegen, denn letzterer wäre unstatthaft. Das Beschwerdeverfahren nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 2 ZPO ist Teil des Prozesskostenhilfeverfahrens, für das Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht gewährt wird (BGH, B.v. 30.5.1984 – VIII ZR 298/83 – BGHZ 91, 311 – Leitsatz; speziell zum Beschwerdeverfahren Wache in MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 114 ZPO Rn. 25) und für das auch keine Kostenerstattung stattfindet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO). Denn mit Prozesskostenhilfe soll die Prozessführung, also die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im eigentlichen Streitverfahren, ermöglicht werden, wohingegen im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren lediglich über die Gewährung staatlicher Hilfe für den Antragsteller zu befinden ist. Dem Antragsteller entstehen im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren keine Kosten und er ist – auch im Beschwerdeverfahren nach Versagung der Prozesskostenhilfe – nicht auf einen Anwalt angewiesen (Eyermann/Happ, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 9).
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2. Die Beschwerde ist bereits unzulässig. Der Antragsteller hat die zweiwöchige Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO versäumt. Die den Lauf der Frist auslösende Zustellung erfolgte vorliegend ausweislich der in der Akte enthaltenen Postzustellungsurkunde am 23. Mai 2023 im Wege der Ersatzzustellung nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 173 VwGO Satz 1 i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Übergabe an eine ermächtigte Vertreterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Landsberg. Die Ersatzzustellung an einen Gefangenen nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzt dabei nicht voraus, dass der Postzusteller sich zuvor vergeblich darum bemüht hat, den Gefangenen in der JVA anzutreffen und ihm das Schriftstück persönlich zu übergeben. Schriftwechsel im Bereich des Straf- und Untersuchungshaftvollzugs ist nach Art. 33 Abs. 1 Bayerisches Strafvollzugsgesetz (BayStVollzG), Art. 19 Abs. 4 Bayerisches Untersuchungshaftvollzugsgesetz (BayUVollzG) grundsätzlich durch die Anstalt zu vermitteln. Der Postzusteller ist mithin aus Rechtsgründen daran gehindert, den Häftling in der Justizvollzugsanstalt anzutreffen und ihm das zuzustellende Schriftstück persönlich zu übergeben. Er hat die Zustellung vielmehr unmittelbar an den Leiter der Justizvollzugsanstalt oder einen dazu ermächtigten Vertreter zu bewirken (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2023 – 13a B 22.31201 – juris Rn. 29; OVG Lüneburg, B.v. 2.7.2019 – 13 LA 36/19 – juris Rn. 7 m.w.N.). Dies ist im vorliegenden Fall am 23. Mai 2023 geschehen. Der Erhalt des Beschlusses durch den Antragsteller am 24. Mai 2023 ist für den Beginn des Fristenlaufs ohne Belang. Die zweiwöchige Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist damit nach § 57 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB und § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 6. Juni 2023 (Dienstag) verstrichen. Die Beschwerde des Antragstellers ging beim Verwaltungsgericht erst am 7. Juni 2023 ein.
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Dem Antragsteller kann auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gewährt werden. Er hat nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er – anders als nach § 60 Abs. 1 VwGO erforderlich – „ohne Verschulden“ verhindert war, fristgerecht Beschwerde einzulegen.
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Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt der Antragsteller vor, er habe auf den Versand an das Gericht bzw. dessen Schnelligkeit in der Justizvollzugsanstalt keinen Einfluss und auch das Fax-Gerät der JVA nicht benutzen dürfen. Damit ist ein mangelndes Verschulden aber nicht glaubhaft gemacht.
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Zwar darf auch ein inhaftierter Rechtsmittelführer eine gesetzliche Frist bis zu ihrer Grenze ausnutzen (vgl. hierzu und zum Folgenden OLG Frankfurt a.M., B.v. 26.10.2007 – 3 Ws 905/07 – juris Rn. 7 m.w.N.). Er muss jedoch die üblichen Postlaufzeiten bedenken und das Rechtsmittelschreiben so rechtzeitig an Bedienstete der Vollzugsanstalt übergeben, dass bei normalem Postlauf zwischen Anstalt und Gericht ein rechtzeitiger Zugang bei Gericht gewährleistet ist. Dies erfordert regelmäßig, dass das Schreiben am vorletzten Tag der Frist bis 18:00 Uhr an Anstaltsbedienstete übergeben wird und die Bediensteten auf den drohenden Fristablauf hinweisen werden. Da Gefangene keinen Anspruch auf Übermittlung des Rechtsmittelschreibens per Telefax haben, sondern nur darauf, dass ihr Antrag auf Benutzung des anstaltseigenen Telefaxgerätes ermessenfehlerfrei beschieden wird, ist ein inhaftierter Rechtsmittelführer gehalten, gegenüber der Anstalt die Notwendigkeit der Benutzung des Fax-Gerätes zur Fristwahrung darzulegen. Dass er diesen Erfordernissen Rechnung getragen hätte, trägt der Antragsteller nicht vor. Zwar ist seine Beschwerde auf den Donnerstag, den 1. Juni 2023 und damit auf einige Tage vor Fristablauf am Dienstag, den 6. Juni 2023 datiert. Der Antragsteller legt aber nicht dar, dass er das Schriftstück – insbesondere im Hinblick auf das bevorstehende Wochenende – rechtzeitig an Bedienstete der JVA übergeben und auf die Notwendigkeit einer rechtzeitigen Übersendung zur Fristwahrung gegebenenfalls unter Verwendung eines Telefaxes hingewiesen hat.
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Auch sonst sind keine Wiedereinsetzungsgründe ersichtlich, insbesondere würde ein eventueller Irrtum des Antragstellers über Fristbeginn und -ende keine Wiedereinsetzung rechtfertigen. Mangelnde Rechtskenntnis entschuldigt eine Fristversäumnis in aller Regel nicht; vielmehr muss ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger bei ihm nicht geläufigen Rechtsfragen grundsätzlich juristischen Rat einholen (BayVGH, B.v. 12.4.2010 – 7 CE 10.405 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dass er dies während der noch offenen Frist rechtzeitig versucht hätte, legt der Antragsteller nicht dar.
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3. Unabhängig davon ist die Beschwerde auch unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung nicht vorlagen.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die vom Antragsteller – über die bereits zu seinen und seiner Bevollmächtigten Gunsten festgesetzten Kosten hinaus – geltend gemachten Beträge (Schmerzensgeld, weitere Anwaltskosten in anderen und vorbereitenden Verfahren, eigene Auslagen in Form von Kopier- und weiteren Fahrtkosten sowie höhere Verdienstausfälle) nicht festsetzungsfähig sind, weil sie nicht anerkennungsfähige unmittelbare Kosten der Rechtsverfolgung waren. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, macht sich diese zu Eigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Begründung ab (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), zumal der Antragsteller seine Beschwerde trotz der entsprechenden Ankündigung in der Sache nicht weiter begründet hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).